Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.04.1997, Az.: XIII 33/93

Voraussetzungen für einen berechtigten, sogenannten Vorkostenabzug gemäß § 10e Abs. 6 S. 1 Einkommensteuergesetz (EStG)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.04.1997
Aktenzeichen
XIII 33/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 15986
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0416.XIII33.93.0A

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 1991

Redaktioneller Leitsatz

Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang kann bei besonderen Sachverhaltsgestaltungen auch noch bei vier Jahren und neun Monaten zwischen Anschaffung und Selbstnutzung vorliegen

In dem Rechtsstreit
hat der XIII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom ... 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtliche Richterin ...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1991 vom ... 1992 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom ... 1992 wird die Einkommensteuer 1991 auf DM festgesetzt.

Der Solidaritätszuschlag wird auf ... DM festgesetzt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1

Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob die Kläger (Kl.) zu dem sog. Vorkostenabzug nach § 10 e Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) berechtigt sind.

2

Die Kl. erwarben durch Vertrag vom ... 1986 eine vermietete Eigentumswohnung in H., straße ....

3

Die Übergabe erfolgte am 31. Dez. 1986.

4

Die Mieterin war zum Zeitpunkt des Erwerbs der Wohnung bereits 84 Jahre alt.

5

Sie wohnte bereits seit über 30 Jahren in der Wohnung.

6

Die Mieterin war ein Pflegefall. Sie war krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihren Haushalt zu versorgen. Sie war stark gehbehindert und in den letzten Jahren vor ihrem Tod am 19. Sept. 1991 auf den Rollstuhl angewiesen.

7

Die Mieterin wurde bereits seit 1985 durch Zivildienstleistende im Auftrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes betreut.

8

Im Jahre 1991 renovierten die Kl. die Wohnung für 37.118 DM und nutzten die Wohnung ab 31. Dez. 1991 selbst.

9

Im Jahre 1991 waren außerdem 7.770 DM Schuldzinsen und 292 DM Grundstückskosten angefallen.

10

Die genannten Kosten machten die Kl. in ihrer Einkommensteuererklärung 1991 als Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 EStG geltend.

11

Von den Schuldzinsen und den Grundstückskosten erkannte der Beklagte (Bekl.) bei der Veranlagung zeitanteilig 9/12 für die Zeit der Vermietung als Werbungskosten an.

12

Im Einspruchsbescheid erkannte der Bekl. weitere 8.412 DM Renovierungskosten als Werbungskosten an, weil diese Kosten bereits vor dem 01.10.1991 angefallen waren.

13

Im übrigen wurde der Einspruch zurückgewiesen,

14

Mit der Klage begehren die Kl. die Anerkennung weiterer Erhaltungsaufwendungen in Höhe von 28.706 DM, Zinsen in Höhe von 1.942 DM und lfd. Grundstückskosten in Höhe von 48 DM = 30.696 DM als Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 EStG.

15

Sie tragen vor, sie hätten die Wohnung mit der Absicht der Eigennutzung erworben und im Hinblick auf die Hinfälligkeit der Mieterin auf eine Kündigung verzichtet.

16

Die Kl. beantragen sinngemäß,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1991 vom 1992 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 1992 30.696 DM als Vorkosten anzuerkennen und die Einkommensteuer 1991 entsprechend niedriger festzusetzen.

17

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

18

Der Bekl. ist der Auffassung, es fehle an dem Merkmal der Unmittelbarkeit i.S.d. § 10 e Abs. 6 EStG.

19

Im übrigen wird auf den Inhalt der Schriftsätze und die vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage ist begründet.

21

Nach der Vorschrift des § 10 e Abs. 6 Satz 1 EStG können u.a. Aufwendungen der Steuerpflichtigen, die bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstehen, unmittelbar mit der Anschaffung der Eigentumswohnung zusammenhängen, nicht zu den Herstellungs- oder Anschaffungskosten der Wohnung gehören und die im Fall der Vermietung oder Verpachtung der Wohnung als Werbungskosten abgezogen werden könnten, wie Sonderausgaben abgezogen werden.

22

Zweck des Gesetzes ist u.a., die Schaffung von Wohnraum zu fördern.

23

Der Bundesfinanzhof - BFH - hat in seinem Urteil von 27. Juni 1995 (IX R 48/93, BStBl II 1996, 151 ff. = Der Betrieb 1995, 2144) gegen heftigen Protest in der Literatur (Schmidt/Drenseck, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 16. Aufl. 1997, § 10 e Anm. 127 m.w.N.) entschieden, daß eine Wohnung i.S.d. § 10 e Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 EStG auch eine vor dem 1. Jan. 1987 angeschaffte Wohnung sein kann.

24

Der Senat schließt sich trotz Bedenken dieser Rechtsprechung des BFH an.

25

Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut des § 10 e Abs. 6 Satz 1 EStG müssen die Aufwendungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Anschaffung der Wohnung stehen. Unter unmittelbarem Zusammenhang im Sinne des Gesetzes ist jedenfalls auch ein zeitlicher Zusammenhang zu verstehen.

26

Für diesen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang wird keine starre zeitliche Grenze festgesetzt werden können.

27

Im vorliegenden Fall ist der Senat wegen der Besonderheit der Sachverhaltsgestaltung der Auffassung, daß ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang trotz des Zeitraums von vier Jahren und neun Monaten zwischen Anschaffung und Selbstnutzung noch bejaht werden kann.

28

Die besonderen Umstände liegen darin, daß

  1. 1.

    die Mieterin beim Erwerb der Wohnung bereits 84 Jahre alt war

    und

  2. 2.

    seit über 30 Jahren in der Wohnung gewohnt hatte und

  3. 3.

    ein Pflegefall war.

29

Die Kl. haben aus Pietätsgründen auf eine Kündigungsklage verzichtet.

30

Sie hätten nach der Überzeugung des Senats mit einer Kündigungsklage bis zum 31. Dez. 1991 auch keinen Erfolg haben können.

31

Die Kündigungsfrist betrug für die Mieterin wegen ihrer langen Mietzeit zwei Jahre. Insbesondere wegen ihrer Gebrechlichkeit wäre eine Kündigungsklage wegen der Sozialklausel des § 556 a des Bürgerlichen Gesetzbuches voraussichtlich aussichtslos gewesen.

32

Die zeitliche Unmittelbarkeit zwischen dem Erwerb der Eigentumswohnung mit der Absicht der Eigennutzung und der tatsächlichen Selbstnutzung kann noch bejaht werden.

33

Der Fall liegt anders, als der von Senat in der Sitzung vom 24. März 1993 entschiedene Fall (Az.: XIII 162/90).

34

In dem dort entschiedenen Fall hatten die Kl, den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen Erwerb und Eigennutzung selbst unterbrochen, indem sie die Wohnung vermietet hatten.

35

Im vorliegenden Fall hatten die Kl. jedoch nicht die Möglichkeit der Selbstnutzung vor dem 31. Dez, 1991.

36

Die Einkommensteuer 1991 ist wie folgt festzusetzen:

zu versteuern bisher (Splittingtabelle):134.956 DM
abzüglich30.696 DM
zu versteuern neu104.260 DM
Einkommensteuer lt. Splittingtabelle23.552 DM
Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag23.552 DM
davon 3,75 v.H. =823,20 DM.
37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.