Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.03.1997, Az.: XIV 521/95
Geldverluste infolge Diebstahls als Betriebsausgaben; Betriebliche Veranlassung von durch Straftaten verursachten Geldverlusten ; Vorliegen von sogenannten Zwangsaufwendungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 27.03.1997
- Aktenzeichen
- XIV 521/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 15979
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0327.XIV521.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 12 Nr. 1 S. 2 EStG
- § 4 Abs. 3 EStG
Fundstellen
- DStRE 1998, 121-123 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB DokSt 1998, 519-520
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1992
In dem Rechtsstreit
hat der XIV. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 27. März 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten.
'Tatbestand
Streitig ist, ob ein durch einen Diebstahl entstandener Geldverlust als Betriebsausgabe abzugsfähig ist.
Die miteinander verheirateten Kläger werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger betrieb im Streitjahr eine Fleischerei und eine Gaststätte. Er ermittelt seinen Gewinn nach §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG). Der Kläger führt sowohl in der Fleischerei als auch in der Gaststätte eine Wechselgeldkasse. Seit Jahren entnimmt er das Geld aus diesen Kassen stets abends und legt es in eine verschließbare Geldkassette ein. Diese Geldkassette verwahrt er in dem im Obergeschoß des Hauses belegenen Schlafzimmer. Die Fleischerei und die Gaststätte befinden sich in den Erdgeschoßräumen. Den Schlüssel für die Geldkassette verwahrt er in einer unverschlossenen Nachttischschublade. Jeweils am nächsten Tag entnimmt er aus der Geldkassette das täglich benötigte Wechselgeld und legt es in die jeweilige Wechselgeldkasse der Fleischerei bzw. der Gaststätte ein.
Auf diese Weise haben sich in der im Schlafzimmer aufbewahrten Geldkassette im Laufe der Jahre größere Geldbeträge angesammelt. Ausweislich der bei den FG-Akten befindlichen Kassenberichte für das Streitjahr hat der Kläger in unregelmäßigen Abständen der Kasse Geldbeträge entnommen und diese auf Spar- bzw. Bankkonten eingezahlt. Wegen der genauen Entwicklung der Kassenbestände wird auf die bei der FG-Akte befindlichen Originalkassenberichte für das Streitjahr verwiesen.
Am 23.05.1992 erstattete die Klägerin bei der Kriminalpolizeiinspektion G. Strafanzeige wegen Diebstahls eines Geldbetrages i.H.v. 82.000,00 DM. Die Klägerin trug gegenüber der Polizei vor, daß sie am 22.05.1992 um 21.00 Uhr die Tageseinnahme in die Geldkassette gelegt habe. Bis zum 23.05.1992 20.00 Uhr sei kein Familienmitglied mehr an der Geldkassette gewesen. Als sie am 23.05.1992 um 20.00 Uhr den Schlafzimmerschrank aufgeschlossen habe, sei die Geldkassette bis auf 3 US-Dollar leer gewesen. Ein Familienmitglied bzw. ein Gast komme als Täter für die Straftat nicht in Frage. Zweifelsfrei müsse der Täter über die Örtlichkeit und die Gewohnheiten Kenntnis gehabt haben, da keine Einbruchsspuren vorhanden seien. Wegen des genauen Inhalts der Strafanzeige wird auf Bl. 1-4 der bei den Akten befindlichen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft beim Landgericht ... verwiesen. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. Ein von der Klägerin zunächst geäußerter Tatverdacht gegenüber einem angestellten Lehrling erhärtete sich nicht.
Die Kläger machten beim beklagten Finanzamt (FA) erfolglos den Diebstahlsverlust als Betriebsausgabe bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb geltend. Im Einspruchsverfahren trugen die Kläger vor, daß sie ihre Kasse bereits seit Jahrzehnten auf diese Weise aufbewahrt und die hohen Kassenbestände auch in der Bilanz ausgewiesen hätten. Die Tatsache, daß die Kasse in die privaten Räume mitgenommen worden sei, stelle keine Entnahme dar, da es an einer ausdrücklichen Entnahmehandlung fehle. Es könne keinen Unterschied machen, ob ein Steuerpflichtiger sein Geld in der Kasse aufbewahre oder ob er es auf ein Bankkonto einzahle. Die jeweiligen Beweggründe dafür seien kein Kriterium dafür, ob ein Bestand als privat entnommen zu gelten habe oder nicht. Der Diebstahl habe sich nicht in der Privatsphäre des Klägers abgespielt, sondern lediglich in seinem privaten Raum, in dem er die betriebliche Kasse aufbewahrt habe. Es könne auch nicht darauf ankommen, ob ein geringerer Kassenbestand für die laufend anfallenden baren Betriebsausgaben ausreichend gewesen wäre. Es müsse dem Kläger überlassen bleiben, welche Kassenbestände er jeweils vorhalte, zumal er auch die steuerlichen Nachteile getragen habe, die sich durch die hohen Kassenbestände im Betriebsvermögen ergaben.
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Es ging davon aus, daß der Geldverlust nicht durch den Betrieb veranlaßt gewesen sei. Der Kläger habe einen laufenden Kassenbestand von ca. 80.000,00 DM nicht aus betrieblichen Gründen geführt. Derart hohe Bargeldbeträge seien weder in der Kasse seiner Fleischerei noch in der Kasse seiner Gastwirtschaft benötigt worden. Der Kläger habe das Bargeld vielmehr aus privaten und persönlichen Beweggründen - nämlich aufgrund seines Mißtrauens in das Sicherheitssystem von Banken und Sparkassen - nicht auf ein betriebliches Bankkonto eingezahlt, sondern im Schlafzimmerschrank versteckt, obwohl gerade dieser Aufbewahrungsort nach der Lebenserfahrung besonders unsicher sei. Der Diebstahl habe sich infolgedessen in der privaten Sphäre abgespielt, so daß der Geldverlust nicht als Betriebsausgabe abgezogen werden könne. Dabei sei es unerheblich, daß der hohe Bargeldbestand in den Kassenberichten formell aufgeführt und in den Bilanzen als Kassenbestand ausgewiesen worden sei. Die täglichen Kassenberichte ließen erkennen, daß die anfallenden baren Betriebsausgaben aus den laufenden Bareinnahmen hätten bestritten werden können. Die hohen Bargeldbeträge seien vom Kläger aus dem betrieblichen in den privaten Bereich überführt worden, indem er sie nicht auf ein betriebliches Bankkonto eingezahlt, sondern im Schlafzimmerschrank versteckt habe. Einer weiteren Entnahmehandlung habe es daher nicht bedurft. Im Gegensatz zu den in den Betriebsräumen befindlichen Wechselgeldkassen habe es sich bei der im Schlafzimmerschrank versteckten Geldkassette nämlich nicht um eine betriebliche Kasse gehandelt. Denn aus dieser Kassette seien auch Gelder für den privaten Verbrauch oder für Einzahlungen auf private Sparkonten entnommen worden. Die Zugehörigkeit des in der Kassette liegenden Bargeldes zum Betriebsvermögen sei ohne ausdrückliche Entnahme vorübergehend durch private Umstände unterbrochen worden.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Kläger ihr bisheriges Begehren weiterverfolgen. Ergänzend tragen sie vor, daß der Kläger die hohen Bargeldbeträge in der Vergangenheit benötigt habe, weil er damals noch selbst geschlachtet und die Gelder häufig zum Vieheinkauf gebraucht habe. Zwar sei dieser Grund später entfallen, da er seit einigen Jahren nicht mehr selbst schlachte; gleichwohl habe er an dieser ständigen Übung, das Geld im eigenen Hause in bar aufzubewahren, festgehalten. Dies sei nicht aus Mißtrauen gegenüber dem Sicherheitssystem der Banken, sondern aus Gewohnheit erfolgt. Denn er habe sich keine besonderen Gedanken darüber gemacht, warum er weiterhin das Geld in der Geldkassette aufbewahrt habe. Insgesamt habe sich für ihn diese Verhaltensweise deshalb als sinnvoll dargestellt, weil er sich angesichts der äußerst knapp bemessenen Zeit auf diese Weise den täglichen Gang zum Geldinstitut habe ersparen können.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 1992 vom 27.03.1995 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 22.09.1995 dahin zu ändern, daß die Einkommensteuer auf 310,00 DM herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist auf seine Ausführungen im Vorverfahren.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Zu Recht hat es das FA abgelehnt, den Geldverlust als Betriebsausgabe bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers zu berücksichtigen.
1.
Betriebsausgaben sind Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs. 4 EStG).
Aufwendungen im Sinne dieser Vorschrift müssen nicht willentlich getätigt werden. Auch Wertabgaben, die den Steuerpflichtigen unfreiwillig treffen, "sogenannte Zwangsaufwendungen", können Betriebsausgaben sein (vgl. BFH-Urteil vom 25.10.1989 X R 69/88, BFH/NV 1990, 553 m.w.N.). Hierzu rechnen auch durch Straftaten verursachte Geldverluste am Betriebsvermögen (Diebstahl, Unterschlagung), wenn objektiv einwandfrei feststeht, daß das auslösende Moment für die in Frage stehende Wertabgabe im betrieblichen und nicht im privaten Bereich liegt (BFH-Urteile vom 25. Januar 1962 IV 221/60 S, BStBl III 1962, 366; vom 22. Oktober 1991 VIII R 64/86, BFH/MV 1992, 449; vom 28. November 1991 XI R 35/89, BStBl II 1992, 343). Die betriebliche Veranlassung wird hierbei durch die Zweckbestimmung der betroffenen Wirtschaftsgüter hergestellt, mag sich der Einbruch wie ein sonstiges schadenstiftendes Ereignis auch als ein neutraler, nicht dem Betrieb zuzurechnender Vorgang darstellen (BFH-Urteil vom 28.11.1991 a.a.O.).
Ob ein Bargeldbestand betrieblichen oder privaten Zwecken dient, läßt sich oft nicht ohne weiteres feststellen, weil er sowohl für betriebliche als auch für private Zwecke eingesetzt werden kann. Im Falle der Überschußermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG hat der BFH daher verlangt, daß der betriebliche Zusammenhang durch eine geschlossene Kassenführung und eine klare Trennung zwischen betrieblichen und privaten Geldzugängen dargetan wird; nur unter dieser Voraussetzung könne ein durch Diebstahl verursachter Geldverlust zu Betriebsausgaben führen (Urteil vom 25.01.1962 a.a.O.). Ob das entwendete Geld dem Betriebsvermögen zuzuordnen war, kann aber auch unter Einbeziehung weiterer Anhaltspunkte geprüft werden; hierbei kann die Aufbewahrung des Geldes im betrieblichen Bereich oder die Bereithaltung eines abgezählten Betrages zur Begleichung einer betrieblichen Verbindlichkeit berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 28.11.1991 a.a.O.).
Unabhängig davon ist in der Rechtsprechung des BFH bei sog. "Zwangsaufwendungen" anerkannt, daß mehrere Ursachen für die Entstehung des Aufwands in Betracht kommen können und deshalb deren objektiver, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Betrieb zur Abgrenzung von den nicht abziehbaren Kosten der privaten Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG) der sorgfältigen Prüfung bedarf. Das gilt um so mehr, wenn die Straftat, die zu einem Verlust an Betriebsvermögen führt, aus einer Situation begangen wurde, in der private und betriebliche Momente eng miteinander vermischt sind oder einander überlagern (vgl. BFH in BFH-NV 1990, 553, 555).
2.
Nach diesen Grundsätzen kommt ein Abzug des Diebstahlverlustes als Betriebsausgabe nicht in Betracht.
a)
Der Senat kann im vorliegenden Fall dahingestellt sein lassen, ob das Geld im Zeitpunkt des Diebstahls noch zum Betriebsvermögen des Klägers gehörte. Denn hierauf allein ließe sich die betriebliche Veranlassung des Diebstahlsverlustes nicht stützen, weil jedenfalls auch wesentliche Umstände der privaten Lebensführung den Wertverlust mitveranlaßt haben. Aufwendungen, die auch durch die private Lebensführung (mit-)veranlaßt sind, können gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden.
b)
Der Diebstahl ist zunächst durch die Aufbewahrung des Geldes in den Privaträumen des Klägers ermöglicht und damit im steuerlichen Sinne "mitveranlaßt" worden. Ebenso wie das Wohnen zum Kernbereich der privaten Lebensführung gehört, gilt dies regelmäßig auch für den Verlust der in der Privatwohnung aufbewahrten Gegenstände. Die vom Klägervertreter angenommene Zuordnung der Geldbeträge zum Betriebsvermögen vermag hieran nichts zu ändern. Insoweit ist für den Senat maßgebend, daß jedenfalls für die Aufbewahrung der Geldbeträge im häuslichen Bereich keine betriebliche Notwendigkeit bestand, wie die Kläger selbst eingeräumt haben. Waren aber unter diesen Umständen für die Aufbewahrung des Geldes in der häuslichen Wohnung zwangsläufig persönliche Gründe der Lebensführung maßgebend, wie etwa ein persönliches Mißtrauen in das Sicherungssystem der Banken bzw. Gewohnheit und Bequemlichkeit der Kläger, wurde die durch die etwaige Betriebsvermögenseigenschaft des Geldes bestehende wirtschaftliche Verknüpfung mit dem Betrieb durch private Umstände gleichsam überlagert. In diesem Falle läßt sich nach Auffassung des Senats nicht einwandfrei feststellen, daß das auslösende Moment für die Wertabgabe im betrieblichen Bereich lag.
Dafür spricht auch, daß der Kläger die zu Hause aufbewahrten Geldmittel jedenfalls zum Teil für den privaten Verbrauch verwendet oder aber auch zum Teil auf private Sparkonten eingezahlt hat. Auch hierdurch wurde der bestehende betriebliche Zusammenhang durch private Momente überlagert. Schließlich stellt sich die Aufbewahrung derart hoher Geldbeträge in den Privaträumen - ohne entsprechende gebotene Sicherungsmaßnahmen, wie etwa der Aufbewahrung des Geldes in einem Safe - als besonders risikobehaftet dar. Diese Risikobelastung ist Ausdruck einer erheblichen Sorgfaltswidrigkeit der Kläger, die offenbar ihrer persönlichen Lebenseinstellung entspringt.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 FGO abzuweisen.
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Hiergegen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Niedersächsischen Finanzgericht in Hannover Beschwerde eingelegt werden. Auf Abs. 4 der Rechtsmittelbelehrung wird hingewiesen. In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt, die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.