Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.04.1997, Az.: V 617/96

Voraussetzungen für die Gewährung der Steuervergünstigung nach § 10 e Abs. 1 EStG (Einkommenssteuergesetz); Notwendigkeit einer formellen Baugenehmigung; Anforderungen an das Vorliegen einer Wohnung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
17.04.1997
Aktenzeichen
V 617/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 17871
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0417.V617.96.0A

Fundstellen

  • DStRE 1997, 956-957 (Volltext mit amtl. LS)
  • SteuerBriefe 1998, 66-67

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 1990

Amtlicher Leitsatz

Der Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG setzt lediglich voraus, daß die Wohnung im Einklang mit dem materiellen Baurecht steht. Eine formelle Baugenehmigung ist nicht zwingende Voraussetzung der Steuerbegünstigung

Der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 17. April 1997,
an der mitgewirkt haben:
1. Vizepräsidentin des Finanzgerichts ...
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ..
4. ehrenamtlicher Richter ...
5. ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides für 1990 vom 7. Juni 1996 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 31. Oktober 1996 wird die Einkommensteuer auf ... DM herabgesetzt.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Zum 1. Juni 1989 übernahm der Kläger den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Er errichtete 1990 durch Um- und Ausbaumaßnahmen an einem bis dahin als Wirtschaftsgebäude genutzten Stall eine neue Wohnung, die von den Klägern seit dem 25. März 1990 (Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit) zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurde. Eine Baugenehmigung für die Baumaßnahme hatte der Kläger zunächst nicht beantragt.

2

Mit der Einkommensteuererklärung 1990 beantragten die Kläger für die Herstellungskosten der Wohnung einen Abzugsbetrag nach § 10 e Einkommensteuergesetz (EStG) i.H.v. 1.819,00 DM sowie den Abzug von Schuldzinsen vor Bezug i.H.v. 133,00 DM. Die Abzugsbeträge gewährte der Beklagte zunächst wie beantragt. Dabei erging der Einkommensteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

3

Im Anschluß an eine steuerliche Außenprüfung änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr und berücksichtigte unter Hinweis auf die fehlende Baugenehmigung die geltend gemachten Abzugsbeträge nicht mehr.

4

Der Kläger beantragte daraufhin am 11. März 1996 die Baugenehmigung, die vom Landkreis ... mit Bescheid vom 25. September 1996 erteilt wurde.

5

Der Einspruch gegen die Versagung der Abzugsbeträge nach § 10 e EStG blieb ohne Erfolg.

6

Hiergegen richtet sich nunmehr die Klage. Die Kläger vertreten die Auffassung, der Begriff der Wohnung in § 10 e EStG erfordere lediglich die Einhaltung des materiellen Baurechts. Diese könne auch durch eine nachträglich erteilte Baugenehmigung dokumentiert werden, was die Möglichkeit zur rückwirkenden Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung des § 10 e EStG berechtigte.

7

Die Kläger beantragen,

bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1990 einen Steuerabzugsbetrag i.H.v. 1.819,00 DM Sowie Schuldzinsen i.H.v. 133,00 DM zu berücksichtigen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er ist der Meinung, die Abzugsbeträge könnten nicht im Streitjahr 1990 Berücksichtigung finden. Voraussetzung dafür sei u.a. auch das Vorliegen einer Baugenehmigung gewesen, weil Abzugsbeträge nach § 10 e EStG nur dann in Anspruch genommen werden könnten, wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen im jeweiligen Abzugsjahr vorlägen.

10

Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf die Steuerakten zu Steuernummer ... sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

11

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist begründet.

13

Die Kläger begehren zu Recht sowohl die Berücksichtigung des Abzugsbetrages nach § 10 e Abs. 1 EStG als auch die Anerkennung der Schuldzinsen vor Bezug nach § 10 e Abs. 6 EStG. Voraussetzung beider Steuerbegünstigungen ist das Vorliegen einer Wohnung i.S.d. § 10 e Abs. 1 EStG. Die von den Klägern durch die im Streitjahr durchgeführten Baumaßnahmen geschaffene Wohnung erfüllt diese Anforderungen. Erforderlich ist insoweit, daß die allgemeinen Merkmale des Wohnungsbegriffs erfüllt sind (Urteil des BFH vom 27. Juni 1995 IX R 48/93, BFHE 178, 155, 158). Das ist gewährleistet bei Räumen, die nach ihrer baulichen Gestaltung und Erschließung die Eignung zum dauernden Aufenthalt von Menschen aufweisen. Die Voraussetzungen, unter denen Räume zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet sind, werden dabei durch die Vorschriften des materiellen Baurechts bestimmt (Urteil des BFH vom 31. Mai 1995 X R 245/93, BStBl II 1995, 875, 876). Die vom Landkreis ... ohne Auflagen erteilte Baugenehmigung vom 25. September 1996 dokumentiert, daß die Baumaßnahmen von vornherein im Einklang mit dem materiellen Baurecht gestanden haben. In diesem Fall berechtigt die Baugenehmigung zur rückwirkenden Inanspruchnahme der Steuerbegünstigungen des § 10 e EStG (Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juni 1995 4 K 1806/93, EFG 1995, 1017, 1018; Schmidt/Drenseck, EStG, 15. Aufl., § 10 e Rdnr. 11; Blümich/Erhard, EStG, 15. Aufl., § 10 e Rdnr. 102; Meyer in Herrmann/Heuer/Raupach, 21. Aufl., § 10 e Rdnr. 95).

14

Der vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Schreiben vom 31. Dezember 1994 (Rdnr. 19, BStBl I 1994, 887, 890) vertretenen gegenteiligen Auffassung folgt der Senat nicht. Die vom BMF vertretene Ansicht verkennt, daß es nicht Aufgabe der Steuerbegünstigungen des § 10 e EStG ist, formellem Bauordnungsrecht zur Durchsetzung zu verhelfen. Aus § 40 Abgabenordnung (AO) ergibt sich der Grundsatz der wertungsindifferenten Besteuerung. Danach ist es für die Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes erfüllt, gegen eine andere gesetzliche Regelung verstößt. Die Auslegung der in § 10 e Abs. 1, 6 EStG getroffenen Regelungen ergibt keine Anhaltspunkte, die ausnahmsweise zu einer Abweichung von diesem Grundsatz führen.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

16

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).