Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.04.1997, Az.: VII 473/96
Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids wegen offenbarer Unrichtigkeit; Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung; Versehen des Steuerpflichtigen; Unterlassen der Geltendmachung eines Disagios; Nachträgliches Bekanntwerden einer steuermindernden Tatsache; Grobes Verschulden
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.04.1997
- Aktenzeichen
- VII 473/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 16210
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0415.VII473.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 129 S. 1 AO
- § 10e Abs. 6 EStG
- § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO
Fundstelle
- NWB DokSt 1998, 333-334
Verfahrensgegenstand
Keine Berichtigung nach § 129 AO wegen unterlassener Angabe eines Disagios von Verlusten nach § 10 e Abs. 6 EStG
Ablehnung der Berichtigung des Einkommensteuerbescheides 1994 nach § 129 AO
In dem Rechtsstreit
hat der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 15. April 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ... Hotelinhaberin
ehrenamtliche Richterin ... Landwirtin
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Steuerbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit zu ändern ist.
Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 1994 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Auf dem Grundstück B. Straße in L. errichteten sie ein Einfamilienhaus, das im Dezember 1994 fertiggestellt wurde und von ihnen seit dem 27. Dezember 1994 zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird. Zur Finanzierung der Herstellungskosten nahmen die Kläger bei der Volksbank ... durch Vertrag vom 7. Oktober 1994 ein Darlehen in Höhe von 135.000 DM auf, das unter Einbehaltung eines Disagios von 10 v.H. (13.500 DM) in zwei Teilbeträgen von 54.000 DM bzw. 67.500 DM am 25. Oktober 1994 bzw. am 21. November 1994 ausgezahlt wurde.
Mit der von ihnen selbst erstellten Einkommensteuererklärung machten die Kläger einen Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 18.020 DM sowie Kosten vor Bezug (§ 10 e Abs. 6 EStG) in Höhe von 1.806 DM wie Sonderausgaben geltend. Von dem letztgenannten Betrag entfielen 478 DM auf in den Monaten Oktober und November angefallene laufende Schuldzinsen, die die Kläger in die Zeile 54 der Anlage FW zur Einkommensteuererklärung (Bl. 111 Rückseite der Einkommensteuerakte zu Steuer-Nr. ...) eintrugen. Unter den sonstigen Rubriken der Zeile 54 ("Damnum", "Geldbeschaffungskosten") machten die Kläger keine Angaben. In die Summenspalte der Zeile 56 trugen sie ebenfalls nur den Betrag von 478 DM ein. Der Steuererklärung waren der Darlehensvertrag vom 7. Oktober 1994 sowie Kontoauszüge vom 30. November 1994 und vom 28. Oktober 1994 (Bl. 22 und 23 GA) beigefügt, aus denen sich ergab, daß das Darlehen in zwei Teilbeträgen von 67.500 DM valutiert worden war.
Ob daneben auch der Kontoauszug vom 25. Oktober 1994 (Bl. 23 GA) beigefügt war, aus dem sich die gesonderte Einbuchung des Disagios von 13.500 DM ergab, läßt sich nicht mehr aufklären.
Im Rahmen der Veranlagung erhöhte der Sachbearbeiter des Beklagten (des Finanzamts - FA -) den Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG auf 18.064 DM und kürzte die Aufwendungen vor Bezug um "andere Aufwendungen" lt. Zeile 56 der Anlage FW in Höhe von 761,30 DM. Das gezahlte Disagio berücksichtigte er nicht. Ein entsprechender Einkommensteuerbescheid wurde am 17. Juli 1995 zur Post gegeben.
Mit einem am 6. Februar 1996 bei dem FA eingegangenen Schreiben beantragten die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Kläger, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid nach § 129 der Abgabenordnung (AO) zu ändern und das gezahlte Disagio wie Sonderausgaben abzuziehen. Zur Begründung trugen sie vor, daß die unterbliebene Geltendmachung dieses Betrages auf einem Übertragungsfehler beruhe, den das FA bei Erlaß des Einkommensteuerbescheides übernommen habe.
Durch Verwaltungsakt vom 23. Februar 1996 lehnte das FA den Änderungsantrag ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies es durch Einspruchsbescheid vom 15. August 1996 als unbegründet zurück. Es vertrat die Ansicht, daß die Voraussetzungen des § 129 AO nicht erfüllt seien. Offenbare Unrichtigkeiten im Sinne dieser Vorschrift seien mechanische Versehen, wie z.B. Ablese- oder Übertragungsfehler. Fehler bei der Auslegung oder (Nicht-)Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung beruhten, schlössen die Anwendung der Vorschrift aus. Im Streitfall habe das FA allein aufgrund der Vorlage des Darlehensvertrages nicht davon ausgehen können, daß das Disagio bereits im Streitjahr abgeflossen sei. Das nunmehr als offenbare Unrichtigkeit geltend gemachte Versehen der Kläger sei daher nicht ohne weiteres, sondern allenfalls aufgrund weiterer Ermittlungshandlungen für das FA erkennbar gewesen.
Hiergegen richtet sich die Klage, Die Kläger machen geltend, daß sich die Entstehung und der Abfluß des Disagios aus dem Kontoauszug vom 25. Oktober 1994 eindeutig ergebe. Weiterer Ermittlungen seitens des FA habe es insoweit nicht bedurft. Aus der Beifügung der Unterlagen sei die Absicht, das Disagio als Vorkosten geltend zu machen, eindeutig erkennbar. Die unterlassene Übertragung des Betrags von 13.500 DM in die Zeile 54 der Anlage FW stelle daher eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO dar, die das FA bei der Veranlagung übernommen habe.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 23. Februar 1996 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheides vom 15. August 1996 zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 17. Juli 1995 zu ändern und die Steuer unter Berücksichtigung weiterer Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 EStG in Höhe von 13.500 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, daß die Nichtberücksichtigung des streitigen Betrages nicht auf einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO beruhe. Ein Ablese-, Übertragungs- oder Rechenfehler liege nicht vor. In dem mit der Steuererklärung vorgelegten Darlehensvertrag vom 7. Oktober 1994 sei das Disagio nicht besonders gekennzeichnet gewesen. Auch aus dem Kontoauszug vom 25. Oktober 1994 habe sich nicht ohne weiteres ergeben, daß es sich bei dem darin belasteten Teilbetrag von 13.500 DM um das vertraglich vereinbarte Disagio gehandelt habe. Aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht sei es - das FA - zwar verpflichtet gewesen, den Darlehensvertrag auf alle möglichen steuerlichen Konsequenzen hin zu überprüfen. Der Verstoß gegen diese Pflicht führe aber nicht zu einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Das FA hat die Änderung des ESt-Bescheides für 1994 zu Recht abgelehnt.
1.
Die Voraussetzungen für eine Berichtigung des bestandskräftigen ESt-Bescheids vom 17. Juli 1995 nach § 129 Satz 1 AO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. "Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d.h. es muß sich um mechanische Fehler handeln, die ebenso "mechanisch", d.h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -: Urteile vom 14. August 1975 IV R 150/71, BStBl II 1976, 764; vom 1. April 1977 VI R 153/76, BStBl II 1977, 853, und vom 24. Mai 1977 IV R 44/74, BStBl II 1977, 853). Besteht auch nur die Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung, so ist eine Berichtigung nach § 129 AO nicht zulässig. Fehler in der Steuererklärung können daher - für sich allein - eine Berichtigung nach § 129 AO nicht rechtfertigen. Denn nach ihrem Wortlaut und Sinn gilt die Vorschrift nur für offenbare Unrichtigkeiten, die "beim Erlaß eines Verwaltungsaktes" unterlaufen sind, also für Fehler der Behörde, nicht jedoch für Versehen des Steuerpflichtigen (BFH, Urteile vom 1. Juli 1954 IV 444/53 U, BStBl III 1954, 265; vom 17. April 1969 V R 21/66, BStBl II 1969, 474). Nur dann, wenn die Fehlerhaftigkeit der Angaben für das FA als offenbare Unrichtigkeit erkennbar war, das FA also eine offenbare Unrichtigkeit der Steuererklärung als eigene übernommen hat, kommt eine Berichtigung nach § 129 AO in Betracht (BFH in BStBl II 1972, 550 und Urteil vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BStBl II 1984, 785). So kann es sich z.B. verhalten, wenn sich aus der Steuererklärung beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, daß eine darin enthaltene Angabe auf einen Rechenfehler des Steuerpflichtigen beruht (vgl. BFH in BStBl II 1972, 550, 551).
Im Streitfall vermag der Senat nicht festzustellen, daß die Unvollständigkeit der von den Klägern gemachten Angaben auf einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 Satz 1 AO beruht. Zwar spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Kläger das Disagio gerade zu dem Zweck vereinbart haben, es entsprechend der Verwaltungsregelung in Tz. 92 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. Dezember 1994 IV B 3 - S 2225 a - 294/94 (BStBl I 1994, 887) in voller Höhe als Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 EStG geltend zu machen, und die unterlassene Angabe in der Steuererklärung daher nicht auf einen Fehler bei der Bildung des Entscheidungswillens, sondern des Erklärungswillens zurückgeht. Der Vereinbarung des Disagios können aber auch außersteuerliche Gründe, etwa der Wunsch zugrunde gelegen haben, die laufende Belastung durch Zinsen und Tilgung für die Dauer der Zinsfestschreibung möglichst gering zu halten. In diesem Fall läßt sich nicht ausschließen, daß die unterlassene Geltendmachung des Disagios durch die Kläger auf einem Rechtsirrtum oder einem sonstigen Fehler bei der Bildung des Entscheidungswillens beruht, sei es, daß den - seinerzeit steuerlich nicht beratenen - Klägern die steuerliche Abzugsfähigkeit des Disagios unbekannt war/sei es, daß sie sich über den Inhalt des in Zeile 54 des Erklärungsvordrucks verwendeten Begriffs "Damnum" im unklaren waren. Für einen solchen Fehler bei der Bildung des Entscheidungswillens spricht, daß die Kläger die Angabe des Disagios nicht nur in der dafür vorgesehenen besonderen Rubrik, sondern auch in der Summenspalte der Zeile 54 und dem mit der Kennziffer 12 versehenen Feld der Zeile 56 unterlassen haben, obwohl ihnen spätestens beim Ausfüllen dieser Felder hätte auffallen müssen, daß sie bei der Geltendmachung der Aufwendungen vor Bezug den bei weitem größten Einzelposten (das Disagio) übersehen hatten. Für die Möglichkeit eines Rechtsirrtums spricht ferner, daß die Kläger auch unter der Rubrik "Geldbeschaffungskosten" in Zeile 54 des Erklärungsvordrucks keine Angaben gemacht haben, obwohl derartige Aufwendungen - etwa in Gestalt von Kosten für die Grundschuldbestellung - mit großer Wahrscheinlichkeit angefallen sind, und sie auch den Teilbetrag der im Dezember 1994 angefallenen laufenden Schuldzinsen nicht als Vorkosten geltend gemacht haben, der auf die Zeit vor dem Einzug (27. Dezember 1994) entfiel.
Da hiernach nicht feststeht, ob die unterlassene Angabe des Disagios auf selten der Steuerpflichtigen auf einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 Satz 1 AO beruht, scheidet eine Änderungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift unabhängig davon aus, ob die Unvollständigkeit der Erklärung anhand der eingereichten Unterlagen erkennbar war oder nicht.
2.
Auch eine Änderung des bestandskräftigen ESt-Bescheids nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kommt im Streitfall nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Maßgeblich ist die Kenntnis der zur Bearbeitung des betreffenden Steuerfalls berufenen Personen im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung der Veranlagung (BFH, Urteile vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BStBl II 1985, 492; vom 18. März 1987 II R 226/84, BStBl II 1987, 416) 1. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die steuermindernde Tatsache im Streitfall nachträglich bekannt geworden. Bei sorgfältiger Prüfung der von den Klägern vorgelegten Unterlagen war zwar erkennbar, daß diese vor Bezug der Wohnung ein Disagio in Höhe von 13.500 DM aufgewendet hatten. Seine Vereinbarung ging aus dem vorgelegten Darlehensvertrag vom 7. Oktober 1994, seine tatsächliche Einbehaltung aus dem Kontoauszug vom 30. November 1994 hervor, aus dem die vollständige Valutierung des vereinbarten Kredits ersichtlich war. Der Umstand, daß der Bearbeiter das Disagio nicht berücksichtigt hat, läßt jedoch darauf schließen, daß er eine Prüfung der vorgelegten Unterlagen unter diesem Gesichtspunkt nicht vorgenommen hat und ihm die Tatsache der Einbehaltung des Disagios deshalb unbekannt geblieben ist.
Die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO scheitert aber daran, daß die Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsache trifft. Nach der Rechtsprechung des BFH handelt ein Steuerpflichtiger grob schuldhaft, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet (BFH, Urteil vom 29. Juni 1984 VI R 181/80, BStBl II 1984, 693). So liegen die Dinge im Streitfall. Bei sorgfältigem Studium des Erklärungsvordrucks FW hätten die Kläger die in Zeile 54 gestellte Frage nach einem Damnum bemerken können und sich ggf. über die Bedeutung der darin erbetenen Angabe vergewissern müssen.
3.
Da eine Änderungsmöglichkeit nach anderen Vorschriften nicht ersichtlich ist, war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung abzuweisen.