Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.04.1997, Az.: III 8/92

Anspruch auf Aufhebung eines Grunderwerbsteuerbescheides; Anforderungen an die Festsetzungsverjährung; Beginn der Verjährungsfrist eines Steuerbescheides

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.04.1997
Aktenzeichen
III 8/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 16211
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0416.III8.92.0A

Fundstelle

  • DStRE 1997, 971-973 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Umfang der Anzeigepflicht gem. § 3 Abs. 1 S. 2 GrEStDV (§ 19 Abs. 1 S. 2 GrEStG 1983)

Grunderwerbsteuer

Der III. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 16. April 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Grunderwerbsteuerbescheid vom ... und der Einspruchsbescheid vom ... werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der an die Klägerin zu erstattenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Festsetzung von Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin Festsetzungsverjährung entgegensteht.

2

Der Ehemann der Klägerin übertrug dieser durch notariellen Grundstücksübertragungsvertrag vom 22. Februar 1978 einen im Grundbuch von H. eingetragenen Grundbesitz. Die Klägerin nahm diese Übertragung, die gemäß § 5 des Vertrags ohne Gegenleistung erfolgte, an. In der dem beklagten Finanzamt - FA - durch den beurkundenden Notar übermittelten Veräußerungsanzeige vom 2. März 1978, beim FA am 7. März 1978 eingegangen, war als Rechtsvorgang "Abtretung (Übertragung) der Rechte" angegeben. Das FA stellte diesen Erwerbsvorgang zunächst nach § 3 Nr. 2 GrEStG 1940 von der Grunderwerbsteuer frei.

3

Im Oktober 1985 wurde dem FA bekannt, daß die Klägerin mit ihrem Ehemann ebenfalls am 22. Februar 1978 einen privatschriftlichen Treuhandvertrag abgeschlossen hatte. In diesem - dem FA nicht angezeigten - Vertrag war u.a. vereinbart, daß der Ehemann der Klägerin dieser "heute durch notariellen Vertrag seinen Grundbesitz in H. übertragen werde. Die Klägerin sollte das Eigentum an diesem Grundbesitz lediglich treuhänderisch für ihren Ehemann erhalten. Sie verpflichtete sich, ihrem Ehemann unverzüglich ein Rückübertragungsangebot in notarieller Form zu machen. Mit notarieller Urkunde vom 17. September 1979 unterbreitete die Klägerin ihrem Ehemann sodann ein unwiderrufliches und unbefristetes Angebot zur schenkungsweisen Übertragung des fraglichen Grundbesitzes.

4

Das FA setzte gegen die Klägerin durch Bescheid vom ... unter Ansatz des Einheitswerts des fraglichen Grundbesitzes von 198.300 DM Grunderwerbsteuer von 13.881 DM fest. Mit dem hiergegen erhobenen Einspruch machte die Klägerin Festsekzungsverfahrung geltend. Mit Einspruchsbescheid vom ... setzte das FA die Grunderwerbsteuer unter Zugrundelegung eines Einheitswerts von nunmehr 181.500 DM auf 12.705 DM herab und wies den Einspruch im übrigen mit folgender Begründung als unbegründet zurück: Die Festsetzungsfrist habe gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung - AO - erst mit Ablauf des 31. Dezember 1981 begonnen, weil der fragliche Treuhandvertrag nicht angezeigt worden sei. Diese Treuhandvereinbarung sei jedoch anzeigepflichtig gewesen, weil eine Steuererklärung von solcher Qualität sein müsse, daß ein ordnungsgemäßes Steuerfestsetzungsverfahren durchgeführt werden könne. Im vorliegenden Fall sei ohne Kenntnis der Treuhandvereinbarung eine solche Steuerfestsetzung nicht möglich gewesen.

5

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin bleibt bei ihrer Auffassung, daß den angegriffenen Bescheiden Festsetzungsverjährung entgegenstehe. Sie ist im übrigen der Auffassung, daß der hier fragliche Erwerbsvorgang nicht steuerbar sei.

6

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Grunderwerbsteuerbescheid vom ... und den Einspruchsbescheid vom ... aufzuheben.

7

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Es tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und führt bezüglich der Verletzung der Anzeigepflicht ergänzend aus; Der hier fragliche Erwerbsvorgang sei - was erforderlich gewesen wäre - nicht in seiner Gesamtheit dem FA vollständig angezeigt worden. Im Hinblick auf den notariellen Übertragungsvertrag vom 22. Februar 1978 habe bereits der beurkundende Notar seine Anzeigepflicht nicht erfüllt, weil er das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann nicht angezeigt habe. Nach dem Text des Vertrages habe das FA davon ausgehen müssen, daß bezüglich des fraglichen Erwerbsvorgangs eine Schenkung vorgelegen und der Notar den Rechtsvorgang in der Veräußerungsanzeige lediglich unrichtig bezeichnet habe. Zumindest sei die Anzeige des Notars unvollständig gewesen. Das FA habe allerdings von einer vollständigen Erfüllung der Anzeigepflichten seitens des beurkundenden Notars ausgehen können, so daß es weiterer Ermittlungen insoweit nicht bedurft habe. Die Klägerin selbst sei im Hinblick auf die fragliche Treuhandvereinbarung zwar nicht anzeigepflichtig gewesen. Allerdings sei zu prüfen, inwiefern die Klägerin durch die Nichtmitteilung der fraglichen privatschriftlichen Treuhandabrede eine Steuerhinterziehung begangen habe. Denn die Klägerin habe die Finanzbehörde pflichtwidrig über die steuerlich erheblichen Tatsachen in Unkenntnis gelassen.

9

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und die beim FA geführte Grunderwerbsteuerakte (Steuer-Nr. ...) Bezug genommen.

10

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind aufzuheben, da ihnen Festsetzungsverjährung entgegensteht.

12

Die Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO). Sie verlängert sich bei einer Steuerhinterziehung auf zehn Jahre, bei einer leichtfertigen Steuerverkürzung auf fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Grunderwerbsteuer entstanden ist, § 170 Abs. 1 AO. Für die Grunderwerbsteuer gilt jedoch gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO eine Anlaufhemmung. Denn die Festsetzungsfrist beginnt (erst) mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Im Streitfall begann die Festsetzungsfrist mit Rücksicht auf die von dem beurkundenden Notar abgegebene und beim FA am 7. März 1978 eingegangene Veräußerungsanzeige mit Ablauf des 31. Dezember 1978, Wegen der hier maßgebenden Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) steht den angegriffenen Bescheiden mithin Festsetzungsverjährung entgegen.

13

Der Senat vermag der Auffassung des FA, daß die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des 31. Dezember 1981 begann, nicht zu folgen. Gleiches gilt für die Ansicht des FA, die Festsetzungsfrist betrage wegen einer von der Klägerin begangenen Steuerhinterziehung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre. Dazu im einzelnen:

14

1.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FA, daß der beurkundende Notar mit der hier fraglichen, beim FA am 7. März 1978 eingegangenen Veräußerungsanzeige seine Anzeigepflicht verletzt habe. Nach Art. 97 § 5 Abs. 1 Nr. 1 EGAO (BGBl I S. 3341) hatten Notare dem zuständigen Finanzamt unter näheren Voraussetzungen über Rechtsvorgänge Anzeige zu erstatten, die sie beurkundet oder über die sie eine Urkunde entworfen und darauf eine Unterschrift beglaubigt haben. Dieser Anzeigepflicht ist der beurkundende Notar durch die beim FA am 7. März 1978 eingegangenen Veräußerungsanzeige in vollem Umfang nachgekommen. Gegenstand der Anzeigepflicht war der beurkundete Grundstücksübertragungsvertrag vom 22. Februar 1978. Der beurkundende Notar hat in der Veräußerungsanzeige richtig und vollständig den beurkundeten Rechtsvorgang dahingehend bezeichnet, daß hier eine "Abtretung (Übertragung) der Rechte" vorliege. Er hat mithin nicht - wie vom FA zunächst irrtümlich angenommen - als Rechtsvorgang eine Schenkung angezeigt. Unter diesen Umständen beruhte die ursprüngliche Annahme des FA, der fragliche Grundstücksübertragungsvertrag vom 22. Februar 1978 stelle sich als eine Schenkung an die Klägerin dar, auf einer nicht hinreichenden Würdigung der Angaben in der Veräußerungsanzeige und in dem übersandten Grundstücksübertragungsvertrag. Denn eine freigiebige Zuwendung i.S.d. § 3 Nr. 2 GrEStG 1940 i.V.m. § 7 Abs. 1 ErbStG verlangt nicht nur die objektiv unentgeltliche Übertragung des Grundstücks, sondern auch einen subjektiven willen des Zuwendenden zur Unentgeltlichkeit (vgl. nur BFH-Urteil vom 2. März 1994 11 R 59/92, BStBl II 1994, S. 366).

15

Für das Vorliegen dieses subjektiven Tatbestandes ergeben sich jedoch nach dem Inhalt der Veräußerungsanzeige und des dem FA vorgelegten Grundstücksübertragungsvertrags vom 22. Februar 1978 keinerlei Anhaltspunkte.

16

Weitergehende Anzeigenpflichten für den beurkundenden Notar ergaben sich auch nicht aus § 2 GrEStDV. Zwar begründete § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f GrEStDV auch Anzeigepflichten im Hinblick auf die Begründung oder Auflosung von Treuhandverhältnissen. Diese Vorschrift beschränkt sich jedoch nach dem Eingangssatz des § 2 Abs. 1 Nr. 1 auf Rechtsvorgänge, die Notare beurkundet oder über die sie eine Urkunde entworfen und darauf eine Unterschrift beglaubigt haben. Dazu gehörte jedoch die hier fragliche privatschriftliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und deren Ehemann vom 22. Februar 1978 nicht, weil der Notar diese weder beurkundet noch insoweit eine Unterschrift beglaubigt hatte. Aus diesem Grund geht auch die Annahme des FA, der Notar habe seine Anzeigepflicht bezüglich der Treuhandvereinbarung verletzt, fehl.

17

Eine ausdehnende Auslegung des § 2 GrEStDV bzw. des Art. 97 § 5 Abs. 1 EGAO in dem vom FA vorgenommenen Sinne kommt nicht in Betracht, Denn die Auslegung der Vorschriften über die Anzeigepflicht gebietet eine formale Betrachtungsweise; die Auslegung muß nachher berücksichtigen, daß dem Normadressaten möglichst eindeutige und klare Pflichten auferlegt werden (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1996 II R 69/94, BStBl II 1997 S. 85).

18

2.

Bezüglich des hier fraglichen privatschriftlichen Treuhandvertrags vom 22. Februar 1978 fehlt es an einer Anzeigepflichtverletzung der Beteiligten. Eine entsprechende Anzeigepflicht käme nur aufgrund § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 GrEStDV in Betracht. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 GrEStDV hatten die Beteiligten über Rechtsvorgänge Anzeige zu erstatten, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Ein solcher grunderwerbsteuerpflichtiger Rechtsvorgang liegt bezüglich des Treuhandvertrags vom 22. Februar 1978 auch dann nicht vor, wenn man bezüglich der Rechtsstellung des Ehemannes der Klägerin von einer zu seinen Gunsten begründeten Verwertungsmöglichkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 GrEStG 1940 ausginge. Denn der Erwerb des durch diesen Vertrag begründeten Rückgewähranspruches des Ehemannes der Klägerin ist unstreitig kein grunderwerbsteuerbarer Vorgang. Die Entstehung dieses Rückübertragungsanspruchs führt zu keinem der Grunderwerbsteuer, unterworfenen Rechtsträgerwechsel, sondern beruht auf der trotz Grundstücksübertragung auf den Treuhänder fortbestehenden Rechtsträgerschaft des Treugebers, hier also des Ehemannes der Klägerin. Von dieser Rechtslage gehen auch die gleichlautenden Treuhanderlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 25. Mai 1984 (BStBl I S. 378) unter Tz. 1.2 sowie im übrigen auch die Beteiligten selbst aus. Danach käme allein eine Anzeigepflicht der Beteiligten gem. §3 Abs. 1 Satz 2 GrEStDV in Betracht, Nach dieser Vorschrift haben die Beteiligten auch alle übrigen Erwerbsvorgänge anzuzeigen, über die ein Notar eine Anzeige nach § 2 nicht zu erstatten hat. Auch nach dieser Vorschrift entfällt im Streitfall eine Anzeigepflicht der Beteiligten, weil es sich bezüglich des durch den Treuhandvertrag vom 22. Februar 1976 begründeten Rückübertragungsanspruchs des Ehemannes der Klägerin nicht - wie dargelegt - um einen von dieser Vorschrift vorausgesetzten Erwerbsvorgang handelt. Soweit der Umfang der nach § 3 Abs. 1 S. 2 GrEStDV begründeten Anzeigepflichten auch auf die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f GrEStDV erwähnte Begründung von Treuhandverhältnissen verweist, ist diese Verweisung bei der gebotenen formalen Betrachtungsweise (vgl. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1996, a.a.O.) auf solche Rechtsvorgänge beschränkt, durch die ein steuerbarer Rechtsträgerwechsel verwirklicht wird; daran fehlt es - wie dargelegt - im Streitfall. Auch § 3 Abs. 4 GrEStDV steht der Annahme einer Anzeigepflichtverletzung seitens der Beteiligten entgegen, weil diese Vorschrift lediglich Anzeigepflichten für den Fall begründet, daß bei einem zunächst von der Besteuerung ausgenommenen Grundstückserwerbs nachträglich die Steuerschuld entsteht; ein solcher Sachverhalt ist vorliegend nicht gegeben.

19

Schon mangels einer Verletzung der Anzeigepflicht durch die Klägerin sieht der Senat bezüglich der Nichtanzeige der Treuhandvereinbarung vom 22. Februar 1978 die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO nicht als gegeben an.

20

Die angegriffenen Bescheide waren hiernach aufzuheben.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

22

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die Auslegung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 GrEStDV (jetzt wortgleich: § 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983), nämlich wegen der Frage, ob die Anzeigepflicht des "Erwerbsvorgangs" auch die Mitteilung des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts, hier des Treuhandvertrages, umfassen kann, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

23

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.