Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.04.1997, Az.: I 129/92
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.04.1997
- Aktenzeichen
- I 129/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 27901
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0415.I129.92.0A
In dem Rechtsstreit
wegen Einheitsbewertung auf den 01.01.1991
hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 15. April 1997, an der mitgewirkt haben:
Richter am Finanzgericht als Vorsitzender .
Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
ehrenamtliche Richterin . Personalleiterin
ehrenamtlicher Richter . Dachdeckermeister
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Änderung der Bescheide vom 9. Juli 1991 und vom 29. Oktober 1991 und Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 2. März 1992 wird der Einheitswert auf den 1. Januar 1991 auf 27.700,00 DM herabgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der an den Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, sofern dieser nicht vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über den zutreffenden Mietwert bei einem im Ertragswertverfahren bewerteten Wohngrundstück, das unter Denkmalschutz steht.
Der Kläger (Kl.) erwarb im Jahre 1984 von der Stadt N. das Grundstück H. Straße . in N.. Das Grundstück ist mit einem etwa 1840 errichteten Fachwerkgebäude bebaut, das zunächst viele Jahre als sog. Pfarrscheune gedient hatte. Etwa im Jahre 1930 wurde es zu Wohnzwecken umgebaut. Als der Kl. das Grundstück für 62. 000 DM kaufte, war es stark erneuerungsbedürftig. Auf den baulichen Zustand des Gebäudes im Gutachten des Architekten L. vom 4. Oktober 1983, Bl. 22-;25 der Gerichtsakten -; GA -;, wird Bezug genommen. Der Kl. führte die erforderlichen Reparaturen nebst Umbauten mit Zustimmung der zuständigen Denkmalschutzbehörde in den Jahren 1985 bis 1990 sukzessive durch. Er wandte dafür -; ausweislich der Bescheinigungen der Denkmalschutzbehörde -; ca. 200. 000 DM auf. Dabei errichtete er jeweils eine Wohnung im Ostteil und eine im Westteil des Gebäudes. Die Wohnung im Westteil nutzte er für sich und seine Familie, die andere vermietete er an Dritte. Nach Nutzbarmachung der Wohnungen führte der Beklagte (Bekl.) nach vorangegangener Besichtigung durch den Bausachverständigen eine Art- und Wertfortschreibung des Grundstücks auf den 1. Januar 1991 durch. Darin wurde die Grundstücksart Zweifamilienhaus (ZFH) und der Einheitswert im Ertragswertverfahren mit 76. 400 DM festgestellt. Bei der Berechnung des Einheitswertes legte der Beklagte einen Mietwert von 3,30 DM/qm Wohnfläche zugrunde, den er seinem für Neustadt errichteten Mietspiegel entnahm. Dieser Wert ist darin ausgewiesen für die Ausstattungsklasse IV (gute Ausstattung) Spalte g (freifinanzierte Marktmiete ohne Mietpreisbindung) für ein Gebäude des Baujahres 1963, also für ein Gebäude, das erst nach dem Hauptfeststellungstichtag errichtet worden ist. Den Vervielfältiger setzte das Finanzamt (FA) dagegen mit 7,9 an. Das ist der Wert für ein ZFH in Holzfachwerkbauweise mit Ziegelsteinausmauerung für einen Altbau vor 1908.
Gegen die Höhe des Einheitswertes hat der Kl. nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben, mit der er sich gegen den Ansatz eines Mietwertes von 3,30 DM wendet. Er ist der Auffassung, daß dieser Wert den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht werde. So sei bei der Gebäude- und Wohnungszählung am 25. Oktober 1968 für die 46 Wohnungen in H nur eine Quadratmetermiete von 2,07 DM festgestellt worden. Es gehe auch nicht an, sein Haus mit einem Gebäude des Jahres 1963 zu vergleichen. Sein Haus sei ein Altbau, deshalb müsse auch der im Mietspiegel für Altbauten ausgewiesene Mietwert angesetzt werden.
Der Kl. beantragt,
unter Änderung des Einheitswertbescheides vom 09.07.1991 und des Änderungsbescheides vom 29.10.1991 sowie des Einspruchsbescheides vom 02.03.1992 von einer Quadratmetermiete von 1,20 DM auszugehen und den angefochtenen Einheitswert entsprechend herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bekl. hält an seinem Mietspiegel als Schätzungsgrundlage für die Marktmiete fest. Für die Bemessung des Mietwertes müsse das Gebäude mit einem in den achtziger Jahren errichteten Neubau gleichgestellt werden. Das sei schon deshalb notwendig, weil das Haus bis zur Übernahme durch den Kl. dem Verfall preisgegeben und nicht bewohnbar gewesen sei. Es hätte bis dahin eigentlich zutreffenderweise als unbebautes Grundstück bewertet werden müssen. Wenn der Kl. nunmehr aus der praktisch nicht mehr vorhandenen Bausubstanz ein bewohnbares Gebäude geschaffen habe, dann komme das einem Neubau gleich. Dafür spreche auch die Tatsache, daß das Haus nach den Unterlagen in der Bauakte aus wärmetechnischen Gründen mit einer Innenschale ausgemauert worden sei. Es sei deshalb zu prüfen, ob man dem Haus nicht eine längere Lebensdauer und damit einen höheren Vervielfältiger zuerkennen müsse. Das führe zu einer Erhöhung des Einheitswertes, den er -; der Bekl. -; sich für die Zukunft ausdrücklich vorbehalten müsse. Der vom Kl. angestrebte Mietwert sei außerdem nicht realistisch. Er führe zu dem abwegigen Ergebnis, daß im Falle einer Vermietung wegen der höheren Kostenmiete Verluste entstehen würden. Dazu sei ein Vermieter nicht bereit. Welchen Wert der Kl. seinem Haus tatsächlich beimesse, werde aus der Höhe der Feuerversicherung deutlich, die der Kl. über das Objekt abgeschlossen habe. Darin sei das Gebäude zum Neuwert von 550. 000 DM versichert worden.
Wegen des Vortrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klageverfahren sowie im Vorverfahren verwiesen.
Gründe
I.
Die Klage hat Erfolg.
In die Berechnung des Einheitswerts für das streitige Grundstück fließt der Mietzins mit 1,20 DM/qm Wohnfläche ein.
1. Der Bekl. hat den Einheitswert zutreffend im Ertragswertverfahren ermittelt. Gem. § 76 Abs. 1 Nr. 5 Bewertungsgesetz (BewG) ist der Einheitswert für ZFH grundsätzlich im Ertragswertverfahren festzustellen. Anhaltspunkte für eine davon abweichende Anwendung des Sachwertverfahrens liegen nicht vor.
Bei der Bewertung eines Grundstücks im Ertragswertverfahren wird der Grundstückswert durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete ermittelt.
Der Vervielfältiger ist durch den Gesetzgeber zwingend vorgegeben. Für ZFH bestimmt er sich nach den Werten der Anlage 8 zu § 80 BewG. Welcher der dort ausgewiesenen Vervielfältiger einschlägig ist, hängt von der Gemeindegrößenklasse, der Bauausführung und dem Alter des Gebäudes ab.
Die Jahresrohmiete bemißt sich nach § 79 Abs. 2 BewG für Gebäude, die am Hauptfeststellungszeitpunkt nicht vermietet waren, nach der üblichen Miete für vergleichbare Objekte. Sind vergleichbare ähnliche vermietete Objekte nicht vorhanden, so ist die Schätzung anhand der betreffenden Mietspiegel der Finanzämter vorzunehmen (BFH-Urteil vom 10. August 1984 III R 41/75, BFHE 142, 289, BStBl II 1985, 36 [BFH 10.08.1984 - III R 41/75]). Einen derartigen Mietspiegel hat auch der Bekl. für seinen Amtsbezirk entwickelt. Dieser Mietspiegel enthält eine Fülle von Werten, die sich nach Mietpreisbindungen, der Ausstattung und -; wiederum -; dem Alter des Gebäudes voneinander unterscheiden. Auf dem Mietspiegel Bl. 34 GA wird Bezug genommen.
2. Auf diese Weise kommt dem Alter eines zu bewertenden Gebäudes bei der Einheitswertfeststellung eine doppelte Bedeutung zu. Es bestimmt einerseits den Vervielfältiger und andererseits die anzusetzende Miete des Mietspiegels. Dabei geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß das Baujahr sowohl bei der Bestimmung des Vervielfältigers als auch bei der Bemessung der Miete nur einheitlich berücksichtigt werden kann (vgl. Senatsurteile vom 20. April 1993 I 156/90 und vom 21. Jan. 1997 I 195/93). Das ist zunächst aus Gründen der Rechtssicherheit, der Praktikabilität und der Rechtsklarheit erforderlich. Eine davon abweichende Differenzierung entbehrt jeder materiell-rechtlichen Grundlage. Der Vervielfältiger und der Mietwert sind zwei Faktoren zur Ermittlung des Reinertrages, die auf denselben Ausgangspunkten aufbauen. Davon geht offenbar auch die Finanzverwaltung aus. Anders ist es nicht zu erklären, daß sie -; z. B. nach der OFD-Verfügung vom 20.03.1967 -; die Regelung des § 80 Abs. 2 BewG, die sich nur auf den Vervielfältiger bezieht, auf die Anwendung des Mietspiegels erweitert. Schließlich zeigt auch die Regelung des § 80 Abs. 3 BewG, daß die Annahme fiktiver Baujahre auf ein Mindestmaß beschränkt ist. In jener Norm hat der Gesetzgeber die Auswirkungen einer grundlegenden Sanierung eines Gebäudes auf die Einheitsbewertung geregelt und hat dabei den Ansatz eines anderen Vervielfältigers angeordnet. Regelungen über den Ansatz einer vom tatsächlichen Baujahr abweichenden Miete fehlen jedoch. Das ist auch insofern sachgerecht, als ältere Gebäude von ihrem Zuschnitt her vielfach nicht mit moderneren Gebäuden vergleichbar sind. Sie bleiben trotz Sanierung ältere Gebäude.
3. Im Streitfall geht der Senat mit beiden Prozeßparteien davon aus, daß der Vervielfältiger von 7,9 sachgerecht ist. Dieser Wert ist in der Anlage 8 zu § 80 BewG in Abschn. B für Gebäude mit einem Baujahr von vor 1908 ausgewiesen. Dem entspricht das tatsächliche Baujahr des Gebäudes. Anhaltspunkte für die Anwendung eines anderen Vervielfältigers nach Maßgabe des § 80 Abs. 3 BewG hat der Sachverständige des Bekl., der das Haus nach der Renovierung besichtigt hat, nicht ausmachen können. So ist die Balkenkonstruktion des Hauses nicht verändert worden. Es steht nach wie vor unter Denkmalschutz. Dementsprechend ist nach den vorangestellten Ausführungen auch der Mietwert des Hauses nach den Spiegelwerten anzusetzen, die darin für ein Gebäude dieses Baujahres ausgewiesen sind. Für derartige Altbauten ist der Mietwert mit 1,20/qm Wohnfläche angegeben. Daran muß sich der Bekl. festhalten lassen.
4. Daraus errechnet sich folgender Einheitswert:
Bauteil 1 | |
---|---|
81 qm × 1,20 × 12 | 1. 166 DM |
5 % Schönheitsreparaturen | 58 DM |
Jahresrohmiete Bauteil 1 | 1. 224 DM |
Vervielfältiger wie bisher 7,9 | 9. 669 DM |
Bauteil 2 | |
164 qm × 1,20 × 12 | 2. 361 DM |
5 % Schönheitsreparaturen | 118 DM |
Jahresrohmiete Bauteil 2 | 2. 479 DM |
Vervielfältiger wie bisher 7,9 | 19. 584 DM |
Summe beider Bauteile 9.669 + 19.584 | 29. 253 DM |
./. 5 % wg. Denkmal | 1. 462 DM |
Grundstückswert | 27. 791 DM |
Einheitswert | 27. 700 DM |
II.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 151 Abs. 3 i.V.m. § 155 FGO und §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.