Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.04.1997, Az.: VI 293/94

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
29.04.1997
Aktenzeichen
VI 293/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 27911
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0429.VI293.94.0A

Fundstellen

  • DStRE 1997, 1007-1008 (Volltext mit amtl. LS)
  • GmbHR 1997, 955-956 (Volltext mit red. LS)

Tenor:

  1. Unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 28. April 1994 und Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1991 vom 8. August 1994 wird die Körperschaftsteuer 1991 auf 1.264. 522 DM festgesetzt.

    Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

    Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Reihenfolge mehrere Ausschüttungen mit dem verwendbaren Eigenkapital (vEK) zum selben Stichtag zu verrechnen sind und die sich hieraus ergebende Ermittlung der Körperschaftsteuerminderung und der Zinsfestsetzung zur Körperschaftsteuer 1991.

2

Die mit notariellem Vertrag vom 21. November 1983 in der Rechtsform einer GmbH als Betriebsgesellschaft gegründete Klägerin hat als Unternehmensgegenstand die Herstellung, Aufstellung und den Vertrieb von (Sicherheits-)Armaturen und Apparaten. Das voll eingezahlte Stammkapital von 1. Mio. DM hielten im Streitjahr 1991 H. L. in Höhe von 700. 000 DM, M. L. in Höhe von 250. 000 DM und Dr. K. K. in Höhe von 50. 000 DM. Mit notariellem Vertrag vom 23. Dezember 1992 veräußerte der Gesellschafter K. seinen Anteil an den Gesellschafter H. L. mit Wirkung zum 31. Dezember 1992, so daß sich dessen Anteil auf 750. 000 DM erhöhte. Der Hauptgesellschafter wurde unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt.

3

Die Gesellschafterversammlung der Klägerin beschloß am 8. Februar 1993 eine offene Gewinnausschüttung für das Jahr 1991 in Höhe von 2,2 Mio. DM. Am 21. Dezember desselben Jahres beschlossen die Gesellschafter eine weitere offene Ausschüttung für 1992 in Höhe von 1,3 Mio. DM. Die Ausschüttungen wurde jeweils unmittelbar im Anschluß an die Beschlußfassung durchgeführt.

4

Das vEK gliederte sich ab dem 1. Januar 1991 wie folgt:

EK 56

EK 50

EK 36

EK 02

01.091.1991

1.813.518

863.574

963

- 30

Zugang (Gewinn)

1.952.023

Abgang (BP)

90.001

31.12.1991

1.813.518

2.725.596

963

- 30

Zugang (Gewinn)

2.254.918

Abgang (BP)

122.139

31.12.1992

1.813.518

4.858.375

963

- 30

5

Aufgrund der für 1991 eingereichten Steuererklärung der Klägerin setzte der Beklagte mit Bescheid vom 23. April 1993 die Körperschaftsteuer 1991 in Höhe von 1.515. 668 DM unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Das Einkommen und zu versteuernde Einkommen wurde auf 4.406. 337 DM festgestellt, die Tarifbelastung auf 2.203. 168 DM und Körperschaftsteuerminderung auf 687. 500 DM. Mit Bescheid vom 14. März 1994 änderte der Beklagte den Körperschaftsteuerbescheid. Im Klageverfahren erfolgte eine weitere Änderung mit Bescheid vom 8. August 1994, in dem zugleich der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde. Die Körperschaftsteuer setzte er auf 1.315. 327 DM fest. Das Einkommen und zu versteuernde Einkommen wurde auf 3.904. 045 DM, die Tarifbelastung auf 1.952. 022 DM und die Minderung der Körperschaftsteuer auf 636. 695 DM festgestellt. Die Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrunglagen zum 31. Dezember 1991 und 1992, jeweils vom 8. August 1994, stellen die Teilbeträge des vEK entsprechend der o.g. Beträge fest. Die Klägerin beantragte, den geänderten Körperschaftsteuer zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

6

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren begehrt die Klägerin im Klageverfahren die Minderung der Körperschaftsteuerfestsetzung 1991 unter Berücksichtigung einer Körperschaftsteuerminderung von 687. 500 DM. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, die vom Beklagten durchgeführte quotale Aufteilung der Körperschaftsteuerminderung aufgrund der Verwendung von EK 56 und EK 50 entsprechend Abschn. 78 Abs. 2 Körperschaftsteuerrichtlinie (KStR) 1990 (Abschn. 78 Abs. 3 KStR 1995) auf beide Ausschüttungen widerspreche der Verwendungsfiktion des § 28 Abs. 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG). Richtigerweise sei für die Ausschüttung für 1991 zunächst das EK 56 zu verwenden, so daß sich eine Körperschaftsteuerminderung von 687. 500 DM ergebe. Für die Ausschüttung des Jahres 1992 gelte das restliche EK 56 und das EK 50 als verwendet.

7

Der Bundesfinanzhof (BFH) [Bundessteuerblatt - BStBl - II 1990, 651] habe die Auffassung der Finanzverwaltung zwar gebilligt. Dies sei jedoch vor Einführung der Vollverzinsung nach § 233 a Abgabenordnung (AO) erfolgt und berücksichtige nicht die nachteilige Zinswirkung der quotalen Aufteilung.

8

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1991 vom 8. August 1994 und Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 28. April 1994 die Körperschaftsteuer 1991 auf 1.264. 522 DM festzusetzen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er ist der Ansicht, der Körperschaftsteuerbescheid sei rechtmäßig. Die Verrechnung der beiden Gewinnausschüttungen sei entsprechend der Anweisung in Abschn. 78 Abs. 2 KStR erfolgt. Der Hinweis auf § 233 a AO sei nicht geeignet, eine abweichende Verrechnung der Gewinnausschüttung zu rechtfertigen.

Gründe

11

Die Klage ist begründet.

12

Die Körperschaftsteuer 1991 ist antragsgemäß auf 1.264. 522 DM herabzusetzen. Die Körperschaftsteuerminderung beträgt 687. 500 DM.

13

Gemäß § 27 Abs. 1 KStG 1991 ändert sich die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft infolge einer Gewinnausschüttung um den Unterschiedsbetrag zwischen der bei ihr eingetretenen Belastung des Eigenkapitals (EK) [Tarifbelastung], das nach § 28 KStG als für die Ausschüttung verwendet gilt, und der Belastung, die sich hierfür bei Anwendung eines Steuersatzes von 36 v.H. des Gewinn vor Abzug der Körperschaftsteuer ergibt (Ausschüttungsbelastung). Als für die Ausschüttung verwendet gelten gemäß § 28 Abs. 3 KStG 1991 die belasteten Teile des vEK in der Reihenfolge als für die Ausschüttung verwendet, in der die Belastung abnimmt. Dabei sind ordnungsgemäße offene Gewinnausschüttungen mit dem vEK zum Schluß des letzten vor dem Gewinnverteilungsbeschluß abgelaufenen Wirtschaftsjahr zu verrechnen (§ 28 Abs. 2 KStG 1991).

14

Für die Ermittlung der Körperschaftsteuerminderung für den Veranlagungszeitraum 1991 aufgrund des vollzogenen Ausschüttungsbeschlusses vom 8. Februar 1993 ist entgegen der Auffassung des Beklagten ausschließlich EK 56 heranzuziehen. § 28 Abs. 2 und 3 KStG enthält zwar keine ausdrückliche Regelung für den Fall, daß innerhalb eines Kalenderjahres/Wirtschaftsjahres mehrere Ausschüttungen für unterschiedliche Veranlagungszeiträume erfolgen. Der gesetzlichen Regelung ist jedoch durch Auslegung zu entnehmen, daß die Ausschüttungsbelastung für jede erfolgte Ausschüttung und damit in der Reihenfolge der tatbestandlichen Verwirklichung herzustellen ist.

15

In der Literatur und durch die Finanzverwaltung wird die Frage, wie zu verfahren ist, wenn mehrere Ausschüttungen mit dem vEK zum selben Stichtag zu verrechnen sind, unterschiedlich beantwortet.

16

Gemäß Abschn. 78 Abs. 2 KStR 1990 sind Gewinnausschüttungen aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses für abgelaufene Wirtschaftsjahre, die im laufenden Wirtschaftsjahr beschlossen werden, sowie andere Ausschüttungen und sonstige Leistungen im zuletzt abgelaufenen Wirtschaftsjahr in einer Summe mit dem vEK zum Schluß des zuletzt abgelaufenen Wirtschaftsjahres zu verrechnen. Die Körperschaftsteueränderung ist quotal auf die einzelnen Veranlagungszeiträume zu verteilen.

17

Der BFH (Urteil vom 14. März 1990 I R 79/87, BStBl II 1990, 651) hat die Auffassung der Finanzverwaltung in einem Hinweis für den zweiten Rechtszug gebilligt, weil sie eine sachgerechte Ausfüllung einer Gesetzeslücke sei, durch die der Rechtsgedanke des § 29 Abs. 2 Satz 2 und 3 KStG a.F. (§ 28 Abs. 2 KStG n.F.) konsequent zu Ende geführt werde. Dieser Meinung haben sich Blümich/Freericks (§ 28 KStG Rdnr. 35 f., 53) und Dötsch (in: Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, § 28 KStG Rdnr. 35 f.) angeschlossen.

18

Die Ansicht der Finanzverwaltung ist jedoch überwiegend auf Kritik gestoßen, wobei im Schrifttum unterschiedliche Lösungen hinsichtlich der Reihenfolge der Verrechnung vertreten werden.

19

Eine Meinung geht vom Vorrang der offenen Gewinnausschüttungen aus. Bei mehreren offenen und verdeckten Ausschüttungen, die mit dem EK zum selben Stichtag zu verrechnen sind, habe eine Verrechnung der Ausschüttungen aufgrund gesellschaftsrechtlicher Ausschüttungsbeschlüsse vor anderen Ausschüttungen zu erfolgen (Streck, § 28 KStG Anm. 10; Dötsch, DB 1978, 361, 366; Tillmann, Steuerberaterkongreßreport 1978, 167, 199 f.; Raupach, Steuerberaterjahrbuch 1979/80, 423, 443 f.; Herzich, FR 1977, 162, 165; Janssen in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 41 KStG Rdnr. 27, 76). Innerhalb der offenen Gewinnausschüttung und der anderen Ausschüttung erfolge eine Verrechnung nach der zeitlichen Abfolge der Ausschüttungen. Maßgebend für die zeitliche Zuordnung sei bei offenen Gewinnausschüttungen der Zeitpunkt der Beschlußfassung und bei anderen Ausschüttungen der der Vermögensminderung bzw. des Abflusses (Streck, § 28 KStG Anm. 10; Tillmann, Steuerberaterkongreßreport 1978, 167, 199 f.).

20

Frotscher (§ 27 KStG Anm. 39; ebenso Unterbrunner, Steuerberatung 1992, 131) geht davon aus, daß durch eine Ausschüttung für ein weiter zurückliegendes Jahr, die Körperschaftsteueränderung für das ältere Ausschüttungsjahr nicht berührt wird, sondern die Körperschaftsteueränderung insgesamt durch Saldierung bzw. Addition zu ermitteln und in einer Summe im jüngeren Ausschüttungsjahr zu berücksichtigen ist.

21

Nach einer weiteren Auffassung soll es allein auf die zeitliche Reihenfolge der Ausschüttungen ankommen, unabhängig davon, ob diese auf einem Gewinnverteilungsbeschluß beruhen oder andere Ausschüttungen darstellen. Maßgebliches Kriterium für die zeitliche Reihenfolge sei der Abfluß der verwendeten Mittel aus der Kapitalgesellschaft (Wrede in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 28 KStG Anm. 38; Mössner/Seeger/Koenig, § 28 KStG Rdnr. 47 f. 26. Lief.).

22

Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung. Für die Ansicht spricht sowohl der Wortlaut des § 28 KStG als auch die Systematik des Anrechnungsverfahrens. Der Wortlaut des § 27 KStG als auch derjenige des § 28 KStG bezieht sich jeweils auf die einzelne Ausschüttung. Die Ausschüttungsbelastung nach § 27 Abs. 1 KStG ist für jede einzelne Ausschüttung herzustellen unter Berücksichtigung des nach § 28 als für die Ausschüttung verwendet geltenden EK. Ebenso beziehen sich die Überschrift des § 28 KStG und die Abs. 3, 4 und 6 sowie §§ 44 und 52 KStG klar auf die jeweilige Ausschüttung und nicht auf die Gesamtheit der in einem Wirtschaftsjahr erfolgten Ausschüttungen. Mit Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, also im Zeitpunkt des Abflusses der zur Ausschüttung verwendeten Mittel, tritt die Rechtsfolge der Herstellung der Ausschüttungsbelastung und damit der Verwendung der EK-Teile ein.

23

Dem steht nicht entgegen, daß Gewinnausschüttungen jeweils mit dem vEK zum Schluß eines Wirtschaftsjahres zu verrechnen sind. Diese Vorschrift stellt lediglich eine Vereinfachungsregelung dar, die verhindern soll, daß mit jeder Ausschüttung eine Ermittlung und Gliederung des vEK zu erfolgen hat. Der mit einer solchen Verfahrensweise verbundene Aufwand soll dadurch vermieden werden, daß die Ausschüttungen nicht jeweils schon im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung zu berücksichtigen sind, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die zeitlich spätere Umsetzung hat jedoch keinen Einfluß auf den Zeitpunkt der Verwirklichung der tatbestandlichen Voraussetzung einer Ausschüttung. Hieraus folgt, daß die gesetzliche Regelung entgegen Abschn. 78 Abs. 2 KStR 1990 von der zeitlichen Reihenfolge der einzelnen Ausschüttungen ausgeht und lediglich den Gesetzesvollzug auf den Schluß des jeweiligen Wirtschaftsjahres verschiebt.

24

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Auffassung beträgt die Körperschaftsteuerminderung für die Ausschüttung aufgrund des Beschlusses vom 8. Februar 1993 in Höhe von 2,2 Mio. DM 687. 500 DM. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 KStG gelten die mit körperschaftsteuerbelasteten Teilbeträge des EK in der Reihenfolge abnehmender Belastung als verwendet, so daß für die abgeflossene Ausschüttung ausschließlich EK 56 in Höhe von 1.512. 500 DM zu verwenden war. Die Körperschaftsteuer 1991 beträgt demzufolge 1.264. 522 DM.

25

Die Zinsfestsetzung ist gemäß § 233 a Abs. 5 AO bei einer Änderung des Ertragsteuerbescheides (Grundlagenbescheid) anzupassen. Die Klägerin hat zur Zinsfestsetzung zur Körperschaftsteuer 1991 keinen Antrag gestellt, so daß der Senat gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) von einer Entscheidung insoweit abzusehen hat.

26

Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Sätze 1 und 3 FGO. Die Entscheidungen vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).