Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 22.03.2004, Az.: 5 B 1/04

Sofortvollzug einer Fahrerlaubnisentziehung mangels Fahreignung; Führen eines KfZ unter Einfluss von Betäubungsmitteln; Verhältnismäßigkeit der Unterziehung einer medizinischpsychologischen Untersuchung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
22.03.2004
Aktenzeichen
5 B 1/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 32074
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2004:0322.5B1.04.0A

Fundstellen

  • Blutalkohol 2005, 504-505
  • DAR 2005, 54-55 (Volltext mit amtl. LS)
  • JWO-VerkehrsR 2004, 171
  • SVR 2004, 198
  • ZfS 2004, 239-240 (Volltext mit red. LS)
  • zfs 2004, 239-240 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Entziehung der Fahrerlaubnis

Das Verwaltungsgericht Lüneburg - 5. Kammer - hat
am 22. März 2004
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Dezember 2003 wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass sich der Antragsteller bis zum 30. Mai 2004 einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterzieht und anschließend das schriftliche Gutachten, sobald es ihm schriftlich vorliegt, dem Antragsgegner unverzüglich vorlegt.

    Die aufschiebende Wirkung endet

    1. a)

      im Zeitpunkt des Eingangs eines für den Antragsteller negativen MPU-Gutachtens bei dem Antragsgegner,

    2. b)

      bei Nichtvorlage des Gutachtens zu dem Zeitpunkt, an dem es spätestens dem Antragsgegner hätte vorgelegt werden müssen.

    Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

  2. 2.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist in dem aus dem Tenor hervorgehenden Umfang begründet.

2

In der angegriffenen Verfügung ist das besondere Interesse am Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausreichend schriftlich begründet, da in häufig vorkommenden Fällen mit einer typischen Interessenlage die Begründung in derartigerweise abgegeben werden kann. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist aber in der Sache zu beanstanden.

3

Die Unterlassung der an sich gebotenen Anhörung des Antragstellers gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG macht den Verwaltungsakt noch nicht rechtswidrig, weil die erforderliche Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden kann und auch wird (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).

4

Ein überwiegendes öffentliches Interesse an dem Sofortvollzug einer Fahrerlaubnisentziehung mangels Fahreignung liegt dann vor, wenn gegenwärtig die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass dem Betreffenden die zum Führen eines Kraftfahrzeuges unumgängliche körperliche und geistige Eignung fehlt und somit ernstlich zu befürchten ist, dass er bereits vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet. Eine solche hohe Wahrscheinlichkeit ist bei der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht zweifelsfrei anzunehmen, so dass die Anordnung des Sofortvollzuges auch angesichts der Tätigkeit des Antragstellers als Berufskraftfahrer nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt.

5

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz - StVG - i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung - FeV - hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignetheit kann nur angenommen werden, wenn erwiesene Tatsachen vorliegen, die mit ausreichender Sicherheit auf das Fehlen der notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen an den Fahrzeugführer schließen lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Mängel nach der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV (BGBI. 11998, S. 2253 ff.) handelt. Die erwiesenen Tatsachen müssen objektiv einen Sachverhalt erkennen lassen, aus dem die Verwaltungsbehörde Rückschlüsse auf eine mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehende Ungeeignetheit ziehen kann.

6

Nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt bereits bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) in der Regel die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Es steht jedoch darüber hinaus fest, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln am 6. Februar 2000 ein Kraftfahrzeug geführt hat. Die direkt nach dem Vorfall entnommene Blutprobe enthielt ausweislich des forensisch-toxikologische Befundberichts des Instituts für Rechtsmedizin in Bremen (Abteilung Gerichtliche Chemie, Leitung Dr. D.) vom 16. Februar 2000 den Wirkstoff MDMA (Ecstasy- Bestandteil) in einer Konzentration von 395 ng/ml sowie THC (Cannabiswirkstoff) in einer Konzentration von 4 ng/ml. Die MDMA-Konzentration war im psychologisch wirksamen Bereich und die THC-Konzentration ließ auf einen gelegentlichen Konsum und eine nur wenige Stunden zurückliegende Einnahme schließen. Eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Antragstellers auf Grund von berauschenden Mitteln ist daher zweifelsfrei anzunehmen. Auf Grund dessen hätte dem Antragsteller bei zeitnahem Handeln der seinerzeit zuständigen Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis ohne eine medizinische Untersuchung entzogen werden müssen. Da der Landkreises Nienburg/Weser in der unmittelbaren Folgezeit nicht tätig wurde, ist nun auf Grund des Zeitablaufs von nahezu vier Jahren seit dem Vorkommnis kein Regelfall mehr anzunehmen. Dies liegt allerdings nicht in der Verantwortlichkeit des Antragsgegners, da dieser erst durch den Umzug des Antragstellers und die Übersendung der Fahrerlaubnisakte Kenntnis von dem Vorfall erlangte und unmittelbar danach im Dezember 2003 reagierte. Allerdings hätte der Antragsgegner auf Grund des inzwischen verstrichenen relativ langen Zeitraums von fast vier Jahren nunmehr nur noch von Zweifeln an der Fahreignung des Antragstellers ausgehen dürfen. Zwar haben die durchgeführten Ermittlungen des Antragsgegners bei der Bußgeldstelle der Stadt Bremen bestätigt, dass der Antragsteller unter Cannabis und Ecstasy ein Kraftfahrzeug geführt hat, jedoch ist auch der weitere Geschehensablauf zu berücksichtigen. Laut Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 2. Dezember 2003 ist der Antragsteller - seit dem Führen eines Kraftfahrzeuges im Februar 2000 unter der Wirkung berauschender Mittel - nur noch einmal am 21. Oktober 2003 wegen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 36 km/h außerhalb einer geschlossenen Ortschaft auffällig geworden. Auch während seiner - seit dem 15. April 2003 ausgeführten -Tätigkeit als Berufskraftfahrer trat er straßenverkehrsrechtlich nicht mehr in Erscheinung. Das könnte zwar dafür sprechen, dass die am 6. Februar 2000 feststehende Ungeeignetheit i.S.v. § 3 Abs. 1 StVG möglicherweise nicht mehr vorliegt, lässt aber andererseits auch nicht zwingend auf eine nun wieder vorhandene Eignung des Antragstellers i.S.d. § 11 FeV schließen.

7

Werden im Hinblick auf Betäubungsmittel Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Fahreignung begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde diese durch Anordnung von Maßnahmen nach § 14 FeV aufzuklären, das heißt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1-4, Abs. 2 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) anzuordnen. Das hat dann zu geschehen, wenn - wie vorliegend - gemäß § 14 Abs. 2 Ziff. 2 FeV zu klären ist, ob der Antragsteller weiterhin Ecstasy oder auch Cannabis einnimmt und unter diesem Einfluss ein Kraftfahrzeug führt.

8

Der Nachweis von neun stattgefundenen Beratungsterminen in der Zeit vom 11. Februar 2000 bis zum 12. April 2000 bei der Suchtberatungsstelle Nienburg allein beseitigt die Zweifel an der Fahreignung nicht. Bei der Verkehrskontrolle am 25. Mai 2000 wurde Cannabis im Fahrzeug gefunden. Dies wurde zwar nicht dem Antragsteller zugeordnet, und auch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs.2 StPO eingestellt, doch zeigt dies, dass sich der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt zumindest noch in Kreisen bewegte, in denen Cannabis besessen wurde, sein soziales Umfeld also nicht geändert hatte. Dem Ziel der Beratungsgespräche - auch weiterhin drogenfrei zu leben - war dies nicht förderlich.

9

Das vom Antragsteller vorgeschlagene Gutachten (an die Gesellschaft für Labor- und Praxisbedarf in Hamburg eingeschickte fünf Zentimeter lange Haarprobe, um eine Haarwurzelanalyse durchführen zu lassen) vermag die Zweifel an seiner Fahreignung ebenfalls nicht zu beseitigen. Die Verkehrsbehörde kann nicht nachprüfen, ob es sich tatsächlich um eine Haarprobe des Antragstellers handelte, die eingeschickt wurde. Selbst wenn die Haarprobe von dem Antragsteller stammen sollte, würde dadurch nur bestätigt, dass während des letzten halben Jahres keine Betäubungsmittel konsumiert wurden. Eine einjährige Abstinenz nach Entgiftung und Entwöhnung, wie in Ziff. 9.5 der Anlage 4 zur FeV gefordert, ist damit aber noch nicht nachgewiesen. Zweifel an der Fahreignung können nur dadurch ausgeräumt werden, dass bei einer MPU sowohl eine psychologische als auch eine medizinische Beurteilung stattfindet. Die Forderung, sich einer medizinischpsychologischen Untersuchung zu unterziehen, ist nicht unverhältnismäßig. Das von dem Antragsteller genannte Gegenbeispiel, dass die Anordnung einer MPU auf Grund einer mehr als 18 Monate zurückliegenden Einnahme von Cannabis (VG Arnsberg, Beschluss vom 21.12.1994 - 6 L 2538/94 -) als rechtswidrig angesehen wurde, ist hier nicht einschlägig. Im Unterschied zu Cannabis handelt es sich bei Ecstasy um eine so genannte harte Droge, bei deren Einnahme - und erst recht bei nachfolgendem Führen eines Kraftfahrzeuges unter dem Einfluss dieser Droge - sofort auf die Ungeeignetheit des Inhabers einer Fahrerlaubnis geschlossen wird. Die vom Antragsgegner nunmehr vertretene Auffassung, dass die weiterhin bestehenden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers, nur gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 2 Ziff. 2 FeV durch ein positives medizinischpsychologisches Gutachten ausgeräumt werden können, ist daher sachgerecht. An der Vorbereitung des Gutachtens hat der Antragsgegner durch Mitteilung der zu klärenden Fragen und Übersendung der Unterlagen mitzuwirken (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV). Die Untersuchung erfolgt auf Grund eines Auftrages durch den Betroffenen und auf seine Kosten (§ 11 Abs. 6 Satz 2, Satz 5 FeV).

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,- EUR festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

von Alten
Schütte
Haase