Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 25.03.2004, Az.: 3 A 80/02
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 25.03.2004
- Aktenzeichen
- 3 A 80/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 43309
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2004:0325.3A80.02.0A
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Aufenthaltsverbot,
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Siebert, die Richterin am Verwaltungsgericht Sandgaard, den Richter am Verwaltungsgericht Malinowski sowie die ehrenamtlichen Richter Beecken und Cordes für Recht erkannt:
Tenor:
Es wird festgestellt, dass das von PM C. am 27. März 2001 ausgesprochene Aufenthaltsverbot rechtswidrig gewesen ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Platzverweises.
Im Rahmen des im März 2001 stattfindenden Castortransports wurde der in B. wohnende Kläger im Landkreis Lüchow-Dannenberg angetroffen. Er erhielt am 26. März 2001 einen Platzverweis für die Dauer dieses Tages, weil er mit dem Fahrrad an der Castor-Transportstrecke angetroffen worden war.
Einen Tag später, am 27. März 2001 kontrollierte die Polizei gegen 20.00 h beim Ortsausgang D. einen Pkw, der mit mehreren Personen, u.a. dem Kläger besetzt war. Bei der Kontrolle des Fahrzeugs wurden im Kofferraum mehrere Schlafsäcke, Isomatten sowie größere Sporttaschen aufgefunden.
Gegen den Kläger wurde daraufhin von PM C. ein weiterer Platzverweis ausgesprochen. Ihm wurde ein handschriftlich ausgefülltes Formular ausgehändigt. Darin heißt es unter anderem, dass es sich um eine Platzverweisung gem. § 17 Abs. 2 NGefAG - "Aufenthaltsverbot" - handele und der Platzverweis sich auf das Gebiet der Gemeinde/Samtgemeinde 1, 2, 4, 5 beziehe, wobei sich die Gemeindegrenzen aus dem ausgehändigten Kartenausschnitt ergäben. Aus diesem Kartenausschnitt ergibt sich, dass der Platzverweis ausgesprochen wurde für die Samtgemeinde Hitzacker, die Samtgemeinde Dannenberg, die Gemeinde Trebel und die Samtgemeinde Gartow. Der Platzverweis sollte bis zum 28. März 2001, 24.00 h gelten. In der schriftlichen Begründung gab der Polizeibeamte an, der Platzverweis sei bereits durch andere Kräfte in deren Bereich erfolgt. Die Person sei auf der Transportstrecke kontrolliert und somit der Platzverweis auf diesen Bereich erweitert worden. Der Kläger verweigerte seine Unterschrift unter die Verfügung.
Der Kläger legte am 12. April 2001 Widerspruch gegen die Verfügung ein. Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 24. April 2001 darauf hin, dass sie über den Widerspruch nicht entscheiden werde, da sich die Maßnahme mittlerweile erledigt habe.
Am 20. Februar 2002 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor: Sowohl der erste Platzverweis, der zur Begründung des Aufenthaltsverbotes gedient habe, als auch das Aufenthaltsverbot selbst seien rechtswidrig. Das Aufenthaltsverbot sei nicht vom Versammlungsverbot der Bezirksregierung gedeckt gewesen, da er, der Kläger, nicht gegen das Versammlungsverbot verstoßen habe. Außerdem würden keine Anhaltspunkte für eine von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit benannt. Damit sei das Aufenthaltsverbot rechtswidrig. Pauschale Aufenthaltsverbote wie in seinem Falle seien nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Es bestünden somit auch verfassungsrechtliche Bedenken.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der am 26. März 2001 mündlich ausgesprochene Platzverweis rechtswidrig gewesen ist
und festzustellen, dass das durch PM C. am 27. März 2001 um 20.05 Uhr verfügte Aufenthaltsverbot der Beklagten rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte, die Stellungnahmen der beteiligten Polizeikräfte angefordert hat, trägt vor: Es hätten Tatsachen die Annahme rechtfertigt, dass der Kläger in einem bestimmten örtlichen Bereich Straftaten begehen werde. Da die Personengruppe, zu der der Kläger gehört habe, nicht ortsansässig gewesen sei und zudem Campingutensilien bei sich geführt habe, mit deren Hilfe sie für eine Nacht im Freien gerüstet gewesen seien, sei es wahrscheinlich erschienen, dass sie sich an einem sogenannten "Widerstandscamp" beteiligen oder selbst eines errichten wollten. Aus diesen Camps heraus seien in der Vergangenheit wiederholt Blockaden und Beschädigungen der Transportstrecke erfolgt. Die Teilnahme des Klägers an einem derartigen Camp sei um so wahrscheinlicher gewesen, als nach Erkenntnissen der Gesamteinsatzleitung sowie aufgrund von Aufklärungsergebnissen von Einsatzeinheiten Kernkraftgegner geplant hätten, Camps entlang der vorgesehenen Transportrouten einzurichten. Der Aufbau solcher Camps in räumlicher Nähe zu den Transportstrecken sei daher von der Bezirksregierung mit Verfügung vom 24. März 2001 untersagt worden. Unter diesen Umständen habe die Polizei davon ausgehen können, dass sich der Kläger - ebenso wie die restliche Personengruppe - innerhalb des Bereichs, für den die Platzverweisung ausgesprochen worden sei, an der Vorbereitung und Durchführung von Straftaten beteiligen werde. Die Verbotsverfügung sei auch rechtmäßig. Die Maßnahme sei verhältnismäßig. Sie sei geeignet gewesen, den Kläger an der erwarteten Vorbereitung und Begehung von Straftaten zu hindern, der er sich in dem Bereich, in dem ihm dies möglich gewesen sei, nicht habe aufhalten dürfen. Eine mildere Maßnahme sei nicht denkbar, da die Platzverweisung sowohl örtlich als auch zeitlich beschränkt gewesen sei, sei auch insoweit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
I. Die Klage ist hinsichtlich des am 26. März 2001 ausgesprochenen Platzverweises bereits unzulässig.
Es fehlt das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO anlog notwendige berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfügung. Da sich die Polizeimaßnahme, deren Rechtswidrigkeit vom Kläger behauptet wird, durch Zeitablauf erledigt hat, bedarf es eines besonderen berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Erforderlich ist, dass die erstrebte (positive) gerichtliche Feststellung geeignet ist, die Position des Klägers im rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Bereich zu verbessern. Dieses sogenannte Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann - von dem hier nicht geltend gemachten Fall der Erhebung von Schadensersatzansprüchen abgesehen - insbesondere dann angenommen werden, wenn eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht oder die angegriffene Maßnahme diskriminierende Wirkung hatte und ein schutzwürdiges Rehabilitationsinteresse vorliegt. Eine Wiederholungsgefahr ist dann gegeben, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass unter vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Maßnahme droht, wenn eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme in absehbarer Zeit möglich erscheint oder sich konkret abzeichnet (Nds. OVG, Urt. v. 19.02.1997 - 13 L 4115/95 -, Nds. VBL 1997 Seite 285).
Nach vorstehenden Grundsätzen ist eine konkrete Wiederholungsgefahr nicht anzunehmen, weil sich bei den Castortransporten die Taktiken der Kernkraftgegner und der Polizei ständig ändern. Auch hat der kurzfristige, nur mündlich ausgesprochene Platzverweis keine irgendwie geartete diskriminierende Wirkung gehabt noch liegt darin ein schwerwiegender Grundrechtseingriff. Insbesondere ist dieser Platzverweis nicht wegen der Gefahr des Begehens einer Straftat ausgesprochen worden.
II. Soweit die Klage das von PM C. ausgesprochene Aufenthaltsverbot betrifft, ist sie zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Rehabilitation. Das Aufenthaltsverbot ist damit begründet worden, dass die Gefahr einer Straftat durch den Kläger bestehe. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse daran, von dem mit dieser Begründung verbundenen "Makel" befreit zu werden.
2. Das mit schriftlicher Verfügung vom 27. März 2001 von PM C. ausgesprochene Aufenthaltsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 NGefAG, auf dem das Aufenthaltsverbot beruht, sind nicht erfüllt gewesen.
Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 NGefAG müssen für einen qualifizierten Platzverweis Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person eine Straftat begehen wird. Bloße Vermutungen, Behauptungen oder subjektive Einschätzungen reichen nicht aus (Saipa, NGefAG, Kommentar, Stand: März 2002, § 17 Rdnr. 2). Nach Ziffer 17.2 der Ausführungsbestimmungen (AB) zum NGefAG ist dabei grundsätzlich auf die einzelne Person und ihr Verhalten abzustellen. Anhaltspunkte für die bevorstehende Begehung einer Straftat liegen danach beispielsweise vor, wenn bei der betreffenden Person oder ihrer Begleitperson Waffen, Werkzeuge oder sonstige Gegenstände aufgefunden werden, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden. Bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen dieser Vorschrift ist nach Ziffer 17.2 der AB ferner die Gesamtsituation zu betrachten: Wenn z. B. andere Personen in dem örtlichen Bereich bereits Straftaten begangen haben oder dies unmittelbar bevorsteht, ist dies bei der Prognose nach § 17 Abs. 2 Satz 1 NGefAG zu berücksichtigen, da in solchen Fällen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass auch die einzelne, hinzutretende Person eine Straftat begehen wird. Nach Ziffer 17.2 letzter Satz der AB entspricht dies dem Grundsatz, dass mit zunehmender Gefährdungsintensität und zunächst ungeklärter Gefahrensituation an die Prognosegenauigkeit geringere Anforderungen zu stellen sind.
Anhaltspunkte im vorgenannten Sinne, dass der Kläger Straftaten begehen wollte, liegen nicht vor. Weder hat er die Begehung einer Straftat angekündigt noch dazu aufgefordert. Weder er noch die anderen Personen im kontrollierten Fahrzeug hatten Werkzeuge dabei, die für die Begehung einer Straftat hätten verwendet werden können.
Es ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass es sich bei dem Kläger um eine Person handelt, die bereits bei früheren Demonstrationen als Straftäter aufgefallen bzw. als Teilnehmer an gewalttätigen Aktionen aufgefallen ist. Die Polizei hatte keinerlei konkrete Hinweise darauf, dass der Kläger Sachbeschädigung, Landfriedensbruch, Körperverletzung etc. begehen würde. Die Bildung von Camps an sich erfüllt keinen Straftatbestand des StGB. Auch die Tatsache, dass ihm bereits ein Tag zuvor ein Platzverweis auf der Transportstrecke erteilt worden war, rechtfertigt es nicht, anzunehmen, er wolle nunmehr Straftaten "aus einem Widerstandscamp heraus" begehen.
Konkrete Anhaltspunkte, dass der Kläger sich überhaupt aktiv an einem Widerstandscamp beteiligen wollte, lagen nicht vor. Die Teilnahme an einem Widerstandscamp kann nicht allein daraus entnommen werden, dass der Kläger nicht ortsansässig war und Campingutensilien wie Schlafsack und Isomatte bei sich hatte. An den Castordemonstrationen nehmen naturgemäß auch viele ortsfremde Leute teil, die sich, da die Fahrt des Castors mehrere Tage lang dauert, um Unterkünfte bemühen müssen. Dabei können diese z.B. in Schulen, Scheunen oder Zeltlagern befindlichen Unterkünfte, selbst wenn sie als Camps anzusehen sein sollten, ohne weitere Anhaltspunkte nicht von vornherein sämtlich als illegale Widerstandscamps qualifiziert werden.
In jedem Fall ist das Aufenthaltsverbot wegen der besonderen Weiträumigkeit unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Der Kläger hat ein Aufenthaltsverbot für vier Samtgemeinden/Gemeinden erhalten. Ein Aufenthaltsverbot ist jedoch nur zulässig, um einen potentiellen Straftäter von der Begehung konkreter Straftaten abzuhalten, es kann nicht dazu dienen, Demonstranten weiträumig - also auch über den von der Allgemeinverfügung erfassten Korridor hinaus - von ihrem Protest gegen die Atomwirtschaft abzuhalten.
Es kann offen bleiben, ob § 17 Abs. 1 NGefAG neben § 17 Abs. 2 NGefAG noch anwendbar ist, denn auch dessen Voraussetzungen sind nicht gegeben. Nach § 17 Abs. 1 NGefAG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Bei der 28-stündigen Dauer des Platzverweises mag das Tatbestandsmerkmal "vorübergehend" noch erfüllt sein, jedoch handelte es sich bei dem Aufenthaltsverbot nicht lediglich um ein Ortsverbot, sondern das Verbot betraf einen weiträumigen Bereich, der nur von § 17 Abs. 2 NGefAG erfasst wird. Ein Aufrechterhalten bzw. die Rechtmäßigkeit des Verbotes kann hier auch nicht teilweise angenommen werden. Dies ergibt sich zum einen aus dem äußerst weiträumig gefassten Gebiet, das den Bereich des Transportes gänzlich zum Inhalt haben sollte und insoweit ein "Ort" nicht bestimmbar ist. Zum anderen ist hier nicht die Aufhebung des Verbotes Streitgegenstand, sondern die Feststellung der Rechtswidrigkeit nach seiner Erledigung. Das bedeutet, dass die Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit der Verfügung in der Gestalt zu prüfen ist, wie sie ausgesprochen worden ist und Geltung beansprucht hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt.