Sozialgericht Stade
Urt. v. 27.04.2010, Az.: S 16 AL 13/08
Ablehnung der Förderung einer Ausbildung zur Logopädin; Absicherung der Kosten des dritten Ausbildungsjahres durch den Maßnahmeträger
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 27.04.2010
- Aktenzeichen
- S 16 AL 13/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 26237
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2010:0427.S16AL13.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X
- § 77 Abs. 1 S. 1 SGB III
- § 85 Abs. 2 S. 3 SGB III
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2008 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 4. September 2007 zurückzunehmen und die Weiterbildungskosten für die Ausbildung zur Logopädin bei der Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer Bremen als Maßnahme der beruflichen Weiterbildung entsprechend dem erteilten Bildungsgutschein für die Zeit vom 1. September 2007 bis 31. August 2009 zu übernehmen. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Förderung einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme.
Die 1975 geborene Klägerin war nach Abschluss eines Germanistikstudiums seit 2003 überwiegend arbeitslos, unterbrochen durch eine Elternzeit. Am 15. März 2007 beantragte sie mündlich bei der Beklagten die Förderung einer Umschulung zur Logopädin. Die Beklagte stellte in der Folgezeit einen entsprechenden Bildungsgutschein mit Geltungsdauer 4. Juni bis 4. September 2007 aus. Am 1. September 2007 begann die Klägerin eine dreijährige Ausbildung zur staatlich anerkannten Logopädin bei der Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer Bremen. Mit Bescheid vom 4. September 2007 lehnte die Beklagte die Förderung der Ausbildung zur Logopädin ab und führte aus, der Bildungsgutschein könne für die ab 1. September 2007 laufende Maßnahme nicht eingelöst werden. Die Anforderungen des § 85 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) seien nicht erfüllt. Danach müsse die Finanzierung des dritten Drittels der Ausbildung vom Maßnahmeträger sichergestellt werden. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin keinen Widerspruch ein. Mit Antrag vom 10. Dezember 2007 begehrte die Klägerin die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des ablehnenden Bescheids vom 4. September 2007. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Dezember 2007 ab mit der Begründung, die Voraussetzungen einer Förderung seien nicht erfüllt. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2008 zurück und führte aus, bei der von der Klägerin durchgeführten Ausbildung handele es sich nicht um eine anerkannte Maßnahme i.S.d. SGB III.
Die Klägerin hat am 31. Januar 2008 Klage erhoben und trägt vor, entgegen den Ausführungen der Beklagten sei die Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres gewährleistet durch das Einkommen des Ehemannes, der als Lehrer und Beamter über ein regelmäßiges ausreichendes Einkommen verfüge. Darüber hinaus seien Ersparnisse von über 20.0000,- EUR vorhanden, die für die Finanzierung der Ausbildung zurückgelegt worden seien. Schließlich habe der Maßnahmeträger mit schriftlicher Bescheinigung mitgeteilt, dass die Schulungskosten für das dritte Jahr iHv 9.459,24 EUR für den Fall, dass die ersten beiden Jahre von der Beklagten gefördert würden, vom Maßnahmeträger getragen würden.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2007 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2008 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 4. September 2007 zurückzunehmen und die Weiterbildungskosten für die Ausbildung zur Logopädin bei der Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer Bremen als Maßnahme der beruflichen Weiterbildung entsprechend dem erteilen Bildungsgutschein für die Zeit vom 1. September 2007 bis 31. August 2009 zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertritt weiterhin die Rechtsauffassung, dass die Voraussetzungen des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III nur dann als erfüllt angesehen werden können, wenn sämtliche Kosten für das dritte Ausbildungsdrittel vom Maßnahmeträger getragen werden. Dagegen reiche die Sicherung der Finanzierung des dritten Ausbildungsdrittels durch Dritte, insbesondere auch durch den Arbeitslosen selbst, grundsätzlich nicht aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 12. Dezember 2007 sowie der entsprechende Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2008 sind ebenso rechtswidrig wie der ursprünglich ablehnende Bescheid vom 4. September 2007. Alle Bescheide verletzen die Klägerin in ihren Rechten und sind aufzuheben bzw. zurückzunehmen.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ablehnung der Förderung der Ausbildung der Klägerin zur Logopädin durch Bescheid vom 4. September 2007 entsprach nicht der Rechtslage, bei Erlass dieses Verwaltungsakts wurde das Recht unrichtig angewandt. Der ablehnende Bescheid vom 4. September 2007 ist daher von der Beklagten zurückzunehmen, die Ablehnung im Rahmen der Überprüfung nach§ 44 SGB X durch Bescheid vom 12. Dezember 2007 und Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2008 ist rechtswidrig und aufzuheben.
Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB III können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn 1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, 2. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und 3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Voraussetzungen der Notwendigkeit der Weiterbildung im Falle der Klägerin erfüllt sind. Die Klägerin hat zudem vor Beginn der Maßnahme eine Beratung durch die Beklagte erhalten. Auch sind die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung dem Grunde nach zugelassen.
Streitig ist zwischen den Beteiligten ausschließlich, ob die Voraussetzungen des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III erfüllt sind. Nach § 85 Abs. 2 Satz 1 SGB III ist die Dauer einer Maßnahme angemessen, wenn sie sich auf den für das Erreichen des Bildungsziels erforderlichen Umfang erstreckt. Nach Satz 2 der Regelung ist die Dauer einer Vollzeitmaßnahme, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führt, angemessen, wenn sie gegenüber einer entsprechenden Berufsaubildung um mindestens 1/3 der Ausbildungszeit verkürzt ist. Nach § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III ist, wenn eine Verkürzung um mindestens 1/3 der Ausbildungszeit aufgrund bundes- oder landes-gesetzlicher Regelungen ausgeschlossen ist, die Förderung eines Maßnahmeteils von bis zu 2/3 der Maßnahme nicht ausgeschlossen, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme die Finanzierung für die gesamte Dauer der Maßnahme gesichert ist.
Die Voraussetzungen dieser Regelung sind vorliegend entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten erfüllt. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Verkürzung der Ausbildung zur Logopädin um ein Drittel ausgeschlossen ist (vgl § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Beruf des Logopäden). Auch die weiteren Voraussetzungen von § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III sind erfüllt, insbesondere hat die Klägerin nachgewiesen, dass die Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres gesichert ist. Die insoweit von der Beklagten vorgenommene einschränkende Auslegung der Norm, wonach die Absicherung der Kosten des dritten Ausbildungsjahres durch den Maßnahmeträger gesichert sein muss, nicht hingegen durch den Arbeitslosen selbst gesichert werden kann, lässt sich nach Auffassung der Kammer nicht begründen. Eine Differenzierung hinsichtlich verschiedener Formen der Sicherung enthält die Bestimmung ihrem Wortlaut nach nicht. Eine verständige Auslegung des § 85 Abs. 2 SGB III unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung der Förderung einer Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen als berufliche Weiterbildung im Arbeitsförderungsrecht lässt eine andere Leseart des gesetzgeberischen Willens nicht zu. Der Wortlaut der Vorschrift lässt eine Beschränkung auf eine institutionelle Sicherung der Finanzierung nicht erkennen. Art und Weise der Finanzierung sind in § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III ausdrücklich nicht eingegrenzt. Soweit sich die Beklagte - in anderen Verfahren - darauf beruft, die systematische Einbettung in das Zulassungsverfahren auf institutioneller Ebene zeige die Eingrenzung hinreichend auf, ist dem unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung und der ausdrücklichen Gesetzesbegründung nicht zu folgen (ausführlich Hessisches LSG, Beschluss vom 28. April 2009 - L 7 AL 118/08 B ER). Auch der Zweck des Gesetzes wird nicht verfehlt, denn er richtet sich auf die sichere Durchführung der gesamten Ausbildung, obwohl von der Beklagten nur 2/3 der Kosten getragen werden. Eine zusätzliche Sicherung der Erreichung des Gesetzeszwecks besteht darin, dass die verlässliche Finanzierung bereits vor Beginn der Ausbildung gewährleistet sein muss (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - L 14 AL 315/09 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - L 7 AL 121/08 ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - L 9 AS 529/08 ER; OVG Bremen, Beschluss vom 24. August 2007 - S1 B 246/07, Info also 2008, 26; Hessisches LSG, Beschluss vom 6. November 2008 - L 9 AL 158/08 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 28. April 2009 - L 7 AL 118/08 B ER; SG Bremen, Beschluss vom 28. September 2006 - S 13 AL 183/06 ER; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 85 Rdn 112; Stratmann, in: Niesel, SGB III 4. Aufl, § 85 Rdn 13; Olk, in: Mutschler ua, SGB III, 3. Aufl, § 85 Rdn 25; Urmersbach, in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 85 Rdn 74).
Die von der Beklagten entgegen der - soweit ersichtlich - allgemeinen Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Literatur beharrlich vertretene und nicht weiter begründete Auffassung ist nach alledem nicht haltbar.
Die Klägerin hat - sobald es von ihr verlangt wurde - dargelegt und dies vor allem im gerichtlichen Verfahren durch schriftliche Dokumente nachgewiesen, dass die Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres gesichert ist. So hat sie dargelegt, dass durch das regelmäßige Einkommen ihres Ehemannes, der als verbeamteter Lehrer tätig ist, sowie durch das für die Ausbildung zurückgelegte Vermögen iHv über 20.000,- EUR, die Unterhaltskosten für das dritte Ausbildungsjahr ohne weiteres abgedeckt sind. Darüber hinaus hat die Klägerin eine Bescheinigung des Maßnahmeträgers vorgelegt, mit welcher dieser sich zur Übernahme der Schulungskosten für das dritte Ausbildungsjahr bereit erklärt, sofern die Beklagte die ersten beiden Jahre der Ausbildung fördert.
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für eine Förderung der von der Klägerin durchgeführten Ausbildung zur Logopädin für den Zeitraum vom 1. September 2007 bis 31. August 2009 vor. Die Beklagte ist demzufolge verpflichtet, entsprechend dem ausgestellten Bildungsgutschein die Leistungen für den genannten Zeitraum zu erbringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.