Sozialgericht Stade
Beschl. v. 06.08.2010, Az.: S 17 AS 613/10 ER
Anspruch eines Hilfebedürftigen auf Gewährung von Leistungen für die Wohnungserstausstattung; Zuständigkeit des Leistungsträgers des Belegenheitsortes der auszustattenden Wohnung für die Gewährung von Leistungen für die Wohnungserstausstattung
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 06.08.2010
- Aktenzeichen
- S 17 AS 613/10 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 32089
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2010:0806.S17AS613.10ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG
- § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes vom 6. August 2010 wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die (vorläufige) Verpflichtung des Antragsgegners zu Gewährung von Leistungen für eine Erstausstattung ihrer neuen Wohnung in Berlin, in die sie zum 1. September 2010 einziehen will.
Die Klägerin bezieht bis einschließlich August 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Antragsgegner. Zum 1. September 2010 wird sie nach Berlin in den Zuständigkeitsbereich des Jobcenters ziehen. Bezüglich des Umzugs als solchem besteht Einvernehmen zwischen den beteiligten Leistungsträgern. Der Antragsgegner hat eine Kostenübernahmeerklärung für die Umzugskosten erteilt. Bereits am 23. Juli 2010 hat die Antragsstellerin beim Leistungsträger in Berlin einen Antrag auf Gewährung auf Leistungen nach dem SGB II ab Zuzug gestellt.
Bis Ende August bewohnt die Antragstellerin eine Wohnung in einem Haus ihrer Eltern. Die Wohnung ist mit Möbeln im Eigentum der Eltern ausgestattet, die diese der Antragstellerin nach eigener Erklärung auch nicht nach Berlin mitgeben wollen. Am 27. Juli 2010 stellte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Erstausstattung gemäß § 23 Abs. 3 S 1 Nr. 1 SGB II für die neue Wohnung in Berlin. Der Antrag umfasste Möbel, Lampen, aber auch Garderobenhaken, Bettdecke und Kopfkissen, Badezimmerkleinbedarf und diversen Hausrat sowie Gardinenstangen. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 27. Juli 2010 wiesen Mitarbeiter des Antragsgegners die Antragstellerin darauf hin, dass die Wohnungserstausstattung in die Zuständigkeit des Berliner Leistungsträgers fiele. Mit Ablehnungsbescheid vom 30. Juli 2010 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Wohnungserstausstattung schließlich mit der Begründung ab, die Antragstellerin habe, solange sie noch im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners wohne, keinen Bedarf nach einer Wohnungserstausstattung. Dieser falle erst in Berlin an.
Aus der Verwaltungsakte des Antragsgegners geht hervor, dass die Antragstellerin daraufhin per E-Mail zunächst die Abgabe ihres Antrages nach Berlin beantragte. Der zu-ständige Mitarbeiter des Antragsgegners teilte daraufhin jedoch per Mail mit, dass eine Weiterleitung nicht erfolge, da die Ablehnung mangels Hilfebedürftigkeit erfolgt sei. Er wies die Antragstellerin nochmals auf die Zuständigkeit der Berliner Behörde hin. Soweit ersichtlich, hat die Antragstellerin bislang keinen Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 30. Juli 2010 eingelegt.
Am 6. August 2010 hat sich die Antragstellerin mit dem Eilantrag an das Gericht gewandt.
Sie trägt vor, sie brauche die beantragte Wohnungserstausstattung in Berlin dringend, um dort an einer ärztlichen Behandlung teilnehmen zu können, wegen der sie umziehe.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung in Berlin zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Eilantrag abzulehnen.
Er weist darauf hin, dass ein Bedarf nach einer Erstausstattung für die derzeit bewohnte Wohnung nicht bestehe. Der Bedarf entstehe erst mit Einzug in die Wohnung in Berlin, da erst dort keine Möbel vorhanden seien. Zuständig sei dann der für den Zuzugsort zu-ständige Träger.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) das Bestehen eines Anspruchs auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
1.
Die notwendige Eilbedürftigkeit liegt vor, da der Umzug der Antragstellerin nach Berlin in wenigen Tagen bevorsteht.
2.
Die Antragstellerin konnte jedoch einen Anordnungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner nicht glaubhaft machen. Der Antragsgegner ist für die Gewährung einer Wohnungserstausstattung gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II am neuen Wohnort der Antragstellerin nicht zuständig (a). Die Voraussetzungen für eine vorläufige Leistung auf Grundlage des § 43 Abs. 1 SGB I sind ebenfalls nicht erfüllt (b).
a.)
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die Wohnungserstausstattung gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II gegenüber dem Antragsgegner.
Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II sind Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Hausgeräten von der Regelleistung nicht umfasst. Sie werden gemäß Satz 2 gesondert erbracht.
Soweit auf die derzeitige Situation der Antragstellerin abgestellt wird, besteht kein Bedarf nach einer neuen Wohnungsausstattung, da die derzeit bewohnte Wohnung mit den erforderlichen Möbeln ausgestattet ist. Der Bedarf nach neuen Möbeln und Hausrat wird erst mit Zuzug nach Berlin entstehen, da der Antragstellerin erst im Moment des Wegzuges aus dem Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners die bisher genutzten Möbel nicht mehr zur Verfügung stehen werden.
Es ist absehbar, dass der Bedarf nach einer Erstausstattung für die Wohnung erst mit dem tatsächlichen Umzug entsteht. Zu diesem Zeitpunkt wird die Antragstellerin jedoch im Zuständigkeitsbereich des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg wohnen, das deshalb auch für die Leistungsgewährung gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II zuständig. Denn grundsätzlich der Leistungsträger zuständig, in dessen örtlichen Zuständigkeitsbereich die auszustattende Wohnung liegt (vgl SG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 2005 - S 96 AS 10358/05 ER -; SG Berlin, Beschluss vom 9. März 2006 - S 104 AS 1770/06 ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 11. Dezember 2006 - L 11 B 544/06 AS ER - Rn 12).
Es ist dem Gericht nicht erklärlich, warum die Antragstellerin noch keinen entsprechenden Antrag auf Gewährung einer Wohnungserstausstattung ab dem 1. September 2010 bei dem Berliner Leistungsträger gestellt hat. Sie wurde von Mitarbeitern des Antragsgegners bereits am 27. Juli 2010 darauf hingewiesen, dass der Berliner Leistungsträger zuständig sein dürfte. Dieser Hinweis wurde in einer E-Mail vom 4. August 2010 wiederholt. Nach Stellung des Eilantrages wurde die Antragstellerin auch vom Gericht mit richterlichem Hinweis vom 16. August 2010 darauf hingewiesen, dass der Leistungsträger des neuen Wohnortes für die Gewährung der begehrten Erstausstattung zuständig sei. Zugleich wurde angeregt, dort umgehend einen Antrag auf Möbelausstattung zu stellen.
Die Antragstellerin hat dennoch, soweit ersichtlich, bisher keinen Antrag bei der Berliner Behörde gestellt. Ein Ablehnungsbescheid wurde nicht vorgelegt. Die Antragstellerin ist offenbar der Meinung, der Antrag würde dort ohnehin abgelehnt, und verweist auf ein Merkblatt von August 2007 der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres. Aus diesem Merkblatt ergibt jedoch nach Leseart des Gerichts nicht eindeutig, dass sich der Berliner Leistungsträger bei Zuzug von Außerhalb für nicht zuständig halten würde. Selbst wenn, würde dies auch nicht der materiellen Rechtslage entsprechen.
Die von beiden Beteiligten beantragte Beiladung des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg gemäß § 75 SGG war hier nicht vorzunehmen. Bezüglich der Leistung nach § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II gilt uneingeschränkt das Antragserfordernis gemäß § 37 SGB II. Eine Verpflichtung des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg im Rahmen dieses Eilverfahrens wäre auch nach Beiladung mangels Antragstellung nicht möglich. Es kann auch nicht Zweck einer Beiladung sein, einen nicht gestellten Leistungsantrag zu ersetzen.
Mit Blick auf die Eilbedürftigkeit ist der Antragstellerin ohnehin mehr damit gedient, wenn sie unmittelbar selbst einen Antrag in Berlin stellt, denn im Falle einer Beiladung müsste zunächst der Beiladungsbeschluss zugestellt werden, die Beigeladene hätte sodann einige Tage Zeit für eine Stellungnahme und müsste auch die inhaltliche Prüfungen noch vornehmen. Dies kann durch einen direkten Antrag in Berlin schneller erreicht werden.
b.)
Die Voraussetzungen für eine vorläufige Verpflichtung des Antragsgegner aufgrund des § 43 SGB I waren auch nicht erfüllt, da über den Anspruch auf die Sozialleistungen hier nicht zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist. Denn der zuständige Leistungsträger in Berlin konnte sich mangels Antragstellung bisher noch gar nicht zu dieser Frage äußern. Möglicherweise hält sich Berlin entgegen der Auffassung der Antragsstellerin ja auch für zuständig und hätte schon längst nach Antrag der Antragstellerin die begehrten Leistungen erbracht.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.