Sozialgericht Stade
Beschl. v. 30.04.2010, Az.: S 34 SF 1/10 E
Einseitige Besprechung des Bevollmächtigten eines Beteiligten mit dem Gericht ohne Beteiligung des Gegners stellt keine Besprechung mit der Kostenfolge der Terminsgebühr dar; Einstufung einer einseitigen Besprechung des Bevollmächtigten eines Beteiligten mit dem Gericht ohne Beteiligung des Gegners als Besprechung mit der Kostenfolge der Terminsgebühr
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 30.04.2010
- Aktenzeichen
- S 34 SF 1/10 E
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 37943
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2010:0430.S34SF1.10E.0A
Rechtsgrundlagen
- Nr. 3102 VV RVG
- Nr. 3103 VV RVG
- Nr. 3106 VV RVG
- § 15a RVG
Tenor:
Die Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 4. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.
Gründe
Streitig ist die Höhe der aus der Landeskasse als Prozesskostenhilfe zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren. Der Erinnerungsführer macht die Festsetzung einer (höheren) Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG (anstelle von Nr. 3103 VV RVG) sowie die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG geltend.
Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.
Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 170,00 EUR festgesetzt. Entgegen der Rechtsauffassung des Erinnerungsführers kann nicht eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG geltend gemacht werden, denn der Erinnerungsführer war unstreitig in derselben Sache bereits im Widerspruchsverfahren für den Kläger tätig geworden. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist jedoch nach Nr. 3103 VV RVG dann, wenn eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der nach Prüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, der Gebührenrahmen nach diesem Gebührentatbestand von 20,00 bis 320,00 EUR eröffnet. Dagegen kann nicht eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG bei eröffnetem Gebührenrahmen von 40,00 bis 460,00 EUR geltend gemacht werden.
Entgegen der Rechtsaufassung des Erinnerungsführers kann dieser sich auch nicht auf § 15 a RVG berufen. Nach dieser am 5. August 2009 neu eingeführten Regelung kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, wenn das RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren.
Entgegen der Rechtsauffassung des Erinnerungsführers ist § 15 a RVG hier nicht einschlägig. Mit Nr. 3103 VV RVG sieht das Gesetz keineswegs die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor. Vielmehr sieht Nr. 3103 VV RVG vor, dass der zugrundezulegende Gebührenrahmen dann, wenn bereits eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren bzw. Widerspruchsverfahren vorausgegangen ist, herabgesetzt wird. Insoweit soll berücksichtigt werden, dass die Tätigkeit im Verwaltungsverfahren bzw. Widerspruchsverfahren die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren durchaus erleichtert. Insoweit soll der durch die vorangegangene Tätigkeit ersparte Aufwand ausschließlich durch die Anwendung des geringeren Rahmens und nicht mehr bei der Bemessung der konkreten Gebühr berücksichtigt werden. Die Herabsetzung des Gebührenrahmens stellt dagegen nicht die Anrechnung etwa von Gebühren aus dem Widerspruchsverfahren dar.
Anhaltspunkte dafür, das im vorliegenden Verfahren eine höhere Verfahrensgebühr als die Mittelgebühr gerechtfertigt seien könnte, sind nicht ersichtlich. Auch der Erinnerungsführer hat - ausgehend von Nr. 3102 VV RVG - eine Verfahrensgebühr in Höhe von 250,00 EUR und damit in Höhe der Mittelgebühr geltend gemacht. Der Erinnerungsführer kann sich darüber hinaus auch nicht darauf berufen, dass er den sogenannten Toleranzrahmen von 20% nicht überschritten habe. Mit 250,00 EUR hat er den sogenannten Toleranzrahmen, der im Übrigen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer keineswegs generell und ohne Ermessensausübung durch den Rechtsanwalt ausgeschöpft werden kann, nicht nur um 20%, sondern um 47% überschritten.
Ebenfalls zutreffend hat die Urkundsbeamtin die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG abgelehnt.
Unstreitig ist, dass die Voraussetzungen der Nr. 3106 Ziffern 1, 2 und 3 VV RVG nicht erfüllt sind, da vorliegend weder eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat noch ohne mündliche Verhandlung bzw. durch Gerichtsbescheid entschieden wurde noch das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung geendet ist.
Entgegen der Rechtsauffassung des Erinnerungsführers kommt vorliegend jedoch auch eine Terminsgebühr nach der Vorbem 3 Abs. 3 nicht in Betracht. Danach entsteht die Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem Gericht bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber.
Ein gerichtlicher oder von einem Sachverständigen anberaumter Termin im Sinne der Vorbem 3 Abs. 3 VV RVG hat im Verfahren nicht stattgefunden. Ebenso ist der Tatbestand des "Mitwirkens an einer Besprechung" im Sinne der Vorbem 3 Abs. 3 VV RVG nicht gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob eine Terminsgebühr für das Mitwirken an einer anwaltlichen Besprechung nur in Verfahren entstehen kann, in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (bejahend BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - V ZB 110/06, NJW 2007, 1461). Die einseitige Besprechung des Bevollmächtigten eines Beteiligten mit dem Gericht - ohne Beteiligung des Gegners wie im vorliegenden Fall - stellt keine Besprechung in diesem Sinne dar (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Dezember 2009 - L 19 B 281/09 AS; SG Aurich, Beschluss vom 25. September 2009 - S 21 SF 54/08 AS; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18 Aufl, Vorbem 3 VV Rdn 119; Bischof in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 3. Aufl, Vorbem 3 VV Rdn 76a; Schneider AGS 2007, 268) Durch die Vorschrift der Vorbem 3 Abs. 3 VV RVG werden nur auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtete außergerichtliche Besprechungen mit der Gegenseite - mit oder ohne Beteiligung des Gerichts - erfasst. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Terminsgebühr, die grundsätzlich den Charakter einer Anwesenheitsgebühr in einem gerichtlichen Termin hat, auf außergerichtliche Besprechungen zielt darauf ab, einen Rechtsanwalt zu entlohnen, der durch außergerichtliche Einigungsbemühungen eine Beendigung des Verfahrens zu erreichen und damit einen gerichtlichen Termin überflüssig zu machen versucht. Es sollen die Bemühungen um die Erledigung der Sache honoriert werden und den Verfahrensbeteiligten sowie dem Gericht unnötige Erörterungen in einem Gerichtstermin allein im Gebühreninteresse erspart bleiben (BT-Drs 15/1971 S 209; BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2007, a.a.O., und vom 21. Oktober 2009 - IV ZB 27/09 ). Nach Vorbem 3 Abs. 3 VV RVG in der ab dem 1. Juli 2004 geltenden Fassung (KostRMoG vom 5. Mai 2004, BGBl. I, 718) waren von dem Gebührentatbestand zunächst nur Besprechungen zwischen den Verfahrensbeteiligten ohne Beteiligung des Gerichts erfasst, wobei eine auf Erledigung gerichtete Besprechung im Sinne der Vorbem 3 Abs. 3 VV RVG als mündlicher Austausch von Erklärungen die Bereitschaft der Gegenseite voraussetzt, überhaupt in Überlegungen mit dem Ziel einer einvernehmlichen Beendigung des Verfahrens einzutreten (vgl BGH, Beschluss vom 20. November 2006 - II ZB 9/06, AnwBl 2007, 238). Durch die Einfügung des Wortes "auch" in den Text der Vorschrift durch das 2. JuMOG sollte der Anwendungsbereich des Gebührentatbestandes der Terminsgebühr nicht auf einseitige Besprechungen des Verfahrensbeteiligten mit dem Gericht ohne Beteiligung des anderen Verfahrensbeteiligten erweitert, sondern nur klargestellt werden, dass die Terminsgebühr auch dann entsteht, wenn der Rechtsanwalt an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen mit Beteiligung des Gerichts mitwirkt (BT-Drs 16/3038 S 56). Damit sollte ausgeschlossen werden, dass die Beteiligung des Gerichts an auf Erledigung des Verfahrens gerichteten außergerichtlichen Bemühungen der Verfahrensbeteiligten den Anfall einer Terminsgebühr ausschließt.
Die Entscheidung ist endgültig, § 178 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz. Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar, weil das Normengefüge der §§ 172 ff SGG den Normen des RVG vorgeht (stRspr LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2006 - L 8 B 4/06 SO SF; Beschluss vom 21. Februar 2007 - L 7 B 1/07 AL SF; Beschluss vom 1. März 2007 - L 4 B 66/05 KR; Beschluss vom 14. Juni 2007 - L 13 B 4/06 AS SF; Beschluss vom 26. Oktober 2007 - L 14 B 1/06 SF; Beschluss vom 17. Oktober 2008 - L 13 B 4/08 SF; Beschluss vom 30. Oktober 2008 - L 1 B 2/08 R SF; Beschluss vom 9. Juni 2009 - L 13 B 1/08 SF; Beschluss vom 6. Juli 2009, - L 6 SF 44/09 B sowie Beschluss vom 29. September 2009 - L 6 SF 124/09 B).