Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.09.2024, Az.: 13 FEK 266/22

Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens wegen Einbürgerung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.09.2024
Aktenzeichen
13 FEK 266/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 22056
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0903.13FEK266.22.00

Amtlicher Leitsatz

Zur angemessenen Verfahrensdauer eines einbürgerungsrechtlichen Klageverfahrens mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad und durchschnittlicher Bedeutung für die Klägerin sowie mit einem zu einer relevanten Verzögerung des Rechtsstreits beitragenden Prozessverhalten der Beteiligten und zur Kompensation durch Vorteile der langen Verfahrensdauer für die Klägerin.

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Dauer des Verfahrens 11 A 2476/21 bei dem Verwaltungsgericht Oldenburg unangemessen war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 5/6 und dem Beklagten zu 1/6 auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg (11 A 2476/21).

Die Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, wurde am 16. Februar 1990 im Bundesgebiet geboren. Sie wuchs in Deutschland auf und war, wie ihre vor ihrer Geburt in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Eltern, anerkannter Flüchtling, im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sowie eines Reiseausweises für Flüchtlinge. Am 21. Februar 2019 stellte sie bei der Ausländerbehörde der Stadt Oldenburg einen Einbürgerungsantrag. Nachdem sie die Ausländerbehörde mehrfach um Bescheidung ihres Antrags gebeten hatte, erhob sie am 30. Juni 2021 Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Oldenburg (Ausgangsverfahren). Nach erfolgter Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang verwies sie mit Schriftsatz vom 14. Juli 2021 zur Klagebegründung auf ihre Angaben in der Klageschrift und erklärte sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Mit Bescheid vom 11. August 2021 lehnte die Ausländerbehörde den Einbürgerungsantrag der Klägerin unter Hinweis auf bestehende Vorstrafen ab. Mit Schriftsatz vom 13. August 2021 bezog die Klägerin diesen Bescheid in das laufende Klageverfahren ein und trug vor, die Ausländerbehörde habe bei der Bewertung der Vorstrafen ermessensfehlerhaft gehandelt. An dem Verzicht auf mündliche Verhandlung hielt sie fest. Mit Schriftsatz vom 11. August 2021 legte die Stadt Oldenburg den Gang des Verwaltungsverfahrens dar, bestritt eine vorwerfbare Verzögerung und beantragte, die Klage abzuweisen. Mit Schriftsatz vom 14. September 2021 beantragte die Stadt Oldenburg stillschweigende Fristverlängerung bis zum 30. September 2021 für eine ergänzende Klagerwiderung, da die zur weiteren Prüfung angeforderten Verwaltungsvorgänge erst am 14. September 2021 eingegangen seien. Mit Schriftsatz vom 29. September 2021 wiederholte die Stadt Oldenburg ihren Klageabweisungsantrag und trug inhaltlich zu den Vorstrafen der Klägerin vor. Mit Schriftsatz vom 1. April 2022 wies die Klägerin auf ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hin und bat darum, die Stadt Oldenburg möge sich dazu erklären. Andernfalls bitte sie um baldige Terminierung. Unter dem 5. April 2022 teilte die Stadt Oldenburg mit, dass kein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe.

Mit Schriftsatz vom 29. April 2022 erhob die Klägerin Verzögerungsrüge. Das als Untätigkeitsklage begonnene Klageverfahren sei seit fast zehn Monaten anhängig. Die Beteiligten seien mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Allerspätestens mit dem Schriftsatz der Gegenseite vom 29. September 2021 bestehe Entscheidungsreife. Daraufhin teilte das Verwaltungsgericht mit Verfügung vom gleichen Tage mit, dass angesichts einer Vielzahl gleich bedeutsamer Verfahren, die größtenteils mehrere Jahre älter seien und in der Regel in der Reihenfolge ihres Eingangs abgearbeitet würden, noch kein Termin für eine mündliche Verhandlung mitgeteilt werden könne. Zudem habe die Stadt Oldenburg ausdrücklich kein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Zudem wurde die Klägerin gebeten, Unklarheiten bezüglich ihres Ausbildungsverhältnisses sowohl im Hinblick auf die Einbürgerungsvoraussetzungen als auch im Hinblick auf den gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe zu bereinigen. Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2022 teilte die Klägerin unter Beifügung entsprechender Belege mit, dass sie vom 1. April bis zum 28. Juni 2019 eine Umschulung als Verwaltungsfachangestellte gemacht habe, die sie im Januar 2022 erfolgreich abgeschlossen habe. Als Alleinerziehende beziehe sie unverändert ALG II.

Am 2. November 2022 hat die Klägerin die vorliegende Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens erhoben (Entschädigungsklageverfahren).

Unter dem 17. Januar 2023 hatte die Klägerin im Ausgangsverfahren erneut Verzögerungsrüge erhoben. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2023 forderte die Berichterstatterin des Verwaltungsgerichts fehlende Seiten aus dem Verwaltungsvorgang an und fragte bei der Klägerin nach, ob die mitgeteilten Einkommensverhältnisse noch aktuell seien. Nachdem die entsprechenden Unterlagen nachgereicht worden waren, bewilligte das Verwaltungsgericht der Klägerin mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug. Am 5. Februar 2024 wurde der Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen. In der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2024 beendeten die Beteiligten nach ergänzendem Vortrag der Klägerin zu ihrer Lebensunterhaltssicherung und zu den Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung ihres Sohnes auf ihre Erwerbssituation den Rechtsstreit durch Vergleich.

Zu Begründung ihrer Entschädigungsklage führt die Klägerin aus, nach Abwägung aller gegebenen Umstände des Falles sei die Verfahrensdauer unangemessen. Das ergebe sich aus der Anhängigkeit seit Ende Juni 2021 und Entscheidungsreife spätestens Ende September 2021. Trotz mehrmaliger Aufforderung habe das Verwaltungsgericht die Sache nicht terminiert. Das Verwaltungsgericht habe spätestens im März 2020 (sic!) terminieren und denn entscheiden können. Seit Anfang April 2021 (sic!) halte sie daher die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schmerzensgeld infolge unangemessener Verzögerung des Verfahrens für gegeben. Für sie als in der Bundesrepublik geborene und seit jeher lebende Person, die nur sehr gebrochen türkisch spreche, habe das Klageverfahren besondere Bedeutung, weil sie mit der Türkei und dem türkischen Staat fast nichts verbinde. Sie empfinde sich seit jeher als Deutsche, zumal sie auch deutsche Kinder habe. Die Entschädigung bemesse sich mit 100,00 EUR monatlich. Sie mache daher für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 30. Juni 2023 einen Betrag von 700,00 EUR und für den Zeitraum vom 1. Juli 2023 bis zum 4. März 2024 einen Betrag von weiteren 810,00 EUR (sic!) geltend. Hilfsweise mache sie für den Zeitraum vom 1. April 2022 bis zum 31. Oktober 2022 einen Betrag von 700,00 EUR geltend (vgl. Blatt 2 R, 35, 40 der Gerichtsakte). Die Verzögerungsrüge sei fast zehn Monate nach Klageerhebung erfolgt und damit sieben Monate, nachdem die Sache spätestens entscheidungsreif gewesen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten zu verurteilen, ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld als Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 4. März 2024 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klage zu zahlen,

hilfsweise,

den Beklagten zu verurteilen, ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld als Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens für den Zeitraum vom 1. April 2022 bis zum 31. Oktober 2022 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klage zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es fehle bereits an einer wirksamen Verzögerungsrüge. Eine solche könne nach § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG erst erhoben werden, wenn Anlass zu der Besorgnis bestehe, dass das Verfahren in einer angemessenen Zeit abgeschlossen werde. Daran fehle es acht Monate und 17 Tage nach der Umstellung der Klage auf den nunmehrigen Streitgegenstand. Dreieinhalb Wochen nach der Mitteilung der Beklagten des Ausgangsverfahrens habe die Klägerin bei objektiver Betrachtungsweise noch nicht davon ausgehen dürfen, dass das Verfahren keinen angemessenen zügigen Fortgang nehmen werde. Sei die Verzögerungsrüge zur Unzeit erhoben und damit unbeachtlich, so trete keine Heilung dadurch ein, dass es später zu einer unangemessenen Verfahrensdauer komme.

In dem geltend gemachten Zeitraum sei zudem nicht von einer Verzögerung auszugehen. Das Ausgangsverfahren habe insgesamt rund 32 Monate gedauert. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 9. Januar 2023 über das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin festgestellt habe, sei das Verfahren erst nach Mitteilung der aktualisierten Einkommensverhältnisse und Ausbildungssituation der Klägerin mit Schriftsatz vom 2. Juni 2022 entscheidungsreif geworden. Bis zur Ladung der Sache zur mündlichen Verhandlung Anfang Februar 2024 mit zwischenzeitlichen Bitten des Verwaltungsgerichts um Vervollständigung der PKH-Unterlagen und Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei ein Zeitraum von ca. 20 Monaten vergangen. Der dem Verwaltungsgericht von der Klägerin eingeräumte Gestaltungsspielraum von gerade einmal sechs Monaten sei deutlich zu kurz bemessen. Die mit dem Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht befasste Kammer sei mit einer Vielzahl von Eilverfahren und älteren Hauptsacheverfahren belastet. Auch habe die Beklagte des Ausgangsverfahrens ausdrücklich nicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Das Verfahren weise einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Die Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin sei ebenfalls als höchstens durchschnittlich einzuschätzen. Ihr Aufenthalt sei durch den langjährigen Besitz einer Niederlassungserlaubnis gesichert gewesen. Zu keinem Zeitpunkt hätten aufenthaltsbeendende Maßnahmen gedroht. Sonstige konkret durch die Dauer des Verfahrens drohende Nachteile habe die Klägerin nicht dargelegt. Der vorgetragene Umstand, dass sie mit der Türkei und dem türkischen Staat nichts verbinde, begründe keine Gefahr eines unwiederbringlichen Rechtsverlusts durch die Dauer des Klageverfahrens. Die Prozessführung der Klägerin lasse ebenfalls nicht den Rückschluss zu, dass der zeitnahe Abschluss des Klageverfahrens für sie von mehr als durchschnittlicher Bedeutung gewesen sei. So habe sie wesentliche Änderungen der entscheidungserheblichen Umstände nur auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts und erst erheblich verspätet, teilweise erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung, mitgeteilt. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass bereits der erste Einbürgerungsantrag, den die Klägerin im Jahr 2006 gestellt habe, von der Stadt Delmenhorst am 8. März 2017 abgelehnt worden sei, nachdem sie wiederholt der Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen nicht nachgekommen sei. Im Hinblick auf die allenfalls durchschnittliche Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin und den durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sei dem Gericht ein Gestaltungsspielraum von mindestens 18 Monaten zuzubilligen.

Durch die zögerliche und erst auf Nachfrage erfolgte Mitteilung der für die positive Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Integration sprechenden Umstände habe die Klägerin auch zu einer relevanten Verzögerung des Ausgangsverfahrens beigetragen. Bei unverzüglicher Mitteilung ihrer Erwerbstätigkeit noch vor erneuter Beendigung des Arbeitsverhältnisses im August 2023 hätte das Gericht das Ausgangsverfahren durch Erteilung eines richterlichen Hinweises fördern und die damalige Beklagte um Überprüfung der getroffenen Ermessensentscheidung bitten können.

Wollte man dennoch das Vorliegen einer unangemessenen Verfahrensdauer annehmen, so müsse sich diese auf einen Zeitraum von wenigen Monaten beschränken. In diesem Fall sei zur Wiedergutmachung des immateriellen Schadens die Feststellung nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG ausreichend, dass eine unangemessene Verfahrensdauer vorliege. Denn die Klägerin habe durch die zögerliche Mitteilung entscheidungserheblicher Umstände zu einer Verzögerung des Ausgangsverfahrens selbst beigetragen. Zudem seien die durch eine überlange Verfahrensdauer möglicherweise entstandenen immateriellen Nachteile teilweise bereits dadurch kompensiert, dass die längere Dauer des Verfahrens auch Vorteile für die Klägerin mit sich gebracht habe. Denn die zur Versagung der Einbürgerung führenden strafrechtlichen Verurteilungen der Klägerin hätten sich mit fortschreitender Verfahrensdauer immer mehr ihrer Tilgungsreife am 3. Juni 2024 angenähert. Je länger der Zeitraum des Wohlverhaltens gedauert habe, desto mehr habe dafürgesprochen, dass das der beklagten Stadt Oldenburg eingeräumte Ermessen ermessensfehlerfrei nur zu Gunsten der Klägerin habe ausgeübt werden können.

Hinsichtlich des mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Zeitraums sei keine unangemessene Dauer des Verfahrens festzustellen. Insoweit sei auf die Ausführungen in der Entscheidung des Senats vom 9. Januar 2023 über das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin zu verweisen.

Mit Beschluss vom 9. Januar 2023 hat der Senat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Entschädigungsklageverfahren und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten abgelehnt.

Mit Beschluss vom 6. Februar 2023 hat der Berichterstatter des Senats das Entschädigungsklageverfahren bis zur abschließenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg im Ausgangsverfahren ausgesetzt. Mit Verfügung vom 5. März 2024 hat der Berichterstatter des Senats das Entschädigungsklageverfahren wiederaufgenommen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Ausgangsverfahrens (VG Oldenburg 11 A 2476/21) und die dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Stadt Oldenburg (2 Aktenhefte) verwiesen, die zum Gegenstand der Beratung gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen geringen Umfang begründet.

1. Die Klage ist zulässig.

a) Die Klage wahrt die Wartefrist von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge gemäß § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG. Die Verzögerungsrüge wurde am 29. April 2022 und die Entschädigungsklage am 2. November 2022 erhoben.

b) Die nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs erforderliche Verzögerungsrüge ist auch ihrerseits nicht verfrüht und damit unwirksam erhoben worden. Nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG kann die Verzögerungsrüge frühestens ("erst") erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Maßgeblich ist, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausgangsverfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt. Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf. Da sich der richtige Zeitpunkt aus Sicht des Betroffenen, der regelmäßig keinen Einblick in die inneren Abläufe des Gerichts hat, nur schwer einschätzen lässt, geht es im Kern nur darum, Missbrauchsfälle abzuwehren (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2020 - III ZR 61/20 -, juris Rn. 21; BVerwG, Urt. v. 12.7.2018 - BVerwG 2 WA 1.17 D -, juris Rn. 22 m.w.N.). Für eine derart missbräuchliche Erhebung der Verzögerungsrüge nahezu zehn Monate nach Erhebung der Klage fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

c) Die Klägerin hat auch die Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der das Ausgangsverfahren beendenden Entscheidung oder dessen anderer Erledigung im Sinne des § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gewahrt. Bei Klageerhebung am 2. November 2022 war das Ausgangsverfahren noch nicht abgeschlossen. Dieses endete erst mit Abschluss eines Prozessvergleichs in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2024. Die Erhebung der Entschädigungsklage trotz des noch laufenden Ausgangsverfahren war zulässig. Der früheste Zeitpunkt für die Erhebung der Klage ist allein in § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG geregelt, wonach die Klage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann. Aus § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG folgt zudem, dass die Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des der Klage zugrundeliegenden Verfahrens erhoben werden darf, da nach dieser Vorschrift das Entschädigungsgericht das Verfahren aussetzen kann, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 GVG abhängt, noch andauert.

2. Die Klage ist nur in dem im Tenor bezeichneten geringen Umfang begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 1 GVG wegen einer unangemessenen Verfahrensdauer für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 4. März 2024 (Hauptantrag) oder für den Zeitraum vom 1. April 2022 bis zum 31. Oktober 2022 (Hilfsantrag). Sie kann lediglich verlangen, dass der Senat die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellt.

Nach § 198 Abs. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu die folgenden Grundsätze aufgestellt (BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, BVerwGE 147, 146, 157 ff. - juris Rn. 37 ff.):

"bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der ,unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens' (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 [BVerfG 28.01.2013 - 2 BvR 1912/12] <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn.14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde."

Der Senat folgt diesen - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fortgeführten (vgl. bspw. BVerwG, Beschl. v. 12.3.2018 - BVerwG 5 B 26.17 D -, juris Rn. 6) - Grundsätzen in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. bspw. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2526 f. [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 38 ff.; Gerichtsbescheid d. Senats v. 3.4.2020 - 13 F 315/19 -, V.n.b., Umdruck S. 5 ff.) aus eigener Überzeugung.

Für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es zudem nicht darauf an, ob sich der zuständige Spruchkörper pflichtwidrig verhalten hat, so dass die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer dementsprechend für sich allein keinen Schuldvorwurf für die mit der Sache befassten Richter impliziert (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drs. 17/3802, S. 19). Da es für die Frage der Unangemessenheit der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls ankommt und eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist, benennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drs. 17/3802, S. 18). Der Senat ist aufgrund der dargelegten Grundsätze der Auffassung, dass nicht jede gerichtliche Handlung und jeder Zeitraum, in dem keine nach außen dokumentierten Aktionen des Gerichts stattgefunden haben, im Einzelnen darauf hin überprüft werden müssen, ob hierin eine unangemessene Verzögerung lag oder ob hierin ein gerechtfertigter Zeitraum zur Entscheidungsfindung gesehen werden kann. Dies würde gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit des Richters verstoßen, da die Gewichtung der vielfältigen Verfahren in einem Dezernat und die Frage, wie und zu welchem Zeitpunkt ein konkretes Verfahren gefördert werden soll, grundsätzlich einem Entscheidungsspielraum des Richters unterliegt. Es ist vielmehr unter Berücksichtigung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls dahingehend vorzunehmen, ob es unangemessene Verzögerungen des Verfahrens gegeben hat, die in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Spruchkörpers fallen, wobei einzelne Abschnitte des Verfahrens in den Blick genommen werden können (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2527 [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 47).

Mit § 198 Abs. 1 GVG ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar, noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, BVerwGE 147, 146, 153 ff. - juris Rn. 28 ff.). Jedenfalls ist bei einer Betrachtung und Bewertung der dem jeweiligen Gericht obliegenden Verfahrenshandlungen eine Überlänge des gerichtlichen Verfahrens nicht jeweils bereits ab Entscheidungsreife zu bejahen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtsstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Bereits aus dem Wortlaut "unangemessen" lang folgt, dass nicht die optimale oder "richtige" Länge des Gerichtsverfahrens zu bestimmen ist, sondern eine solche, die den Rahmen des noch Angemessenen überschreitet (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2527 f. [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 48).

Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben erweist sich die Dauer des hier zu beurteilenden erstinstanzlichen Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg, das insgesamt etwa 32 Monate (30.6.2021 - 4.3.2024) lief, als unangemessen.

a) Das Ausgangsverfahren wies einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Streitgegenstand war der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Einbürgerung. Dabei wäre im Falle einer streitigen Entscheidung unter den Einbürgerungsvoraussetzungen insbesondere die Frage der strafrechtlichen Unbescholtenheit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG) einschließlich der ordnungsgemäßen Betätigung des Absehensermessens nach § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG sowie die Frage, ob die Klägerin den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht zu vertreten hatte (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG a. F.), näher zu prüfen gewesen. Auch mit der Möglichkeit einer Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG hätte sich das Verwaltungsgericht - wie bereits der in das Verfahren einbezogene Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 11. August 2021 - auseinandersetzen müssen. Dabei wären etwaige während des gerichtlichen Verfahrens eingetretenen Änderungen nach dem Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO zu ermitteln und zu berücksichtigen gewesen. Dabei handelt es sich um ein bei den für das Staatsangehörigkeitsrecht zuständigen Kammern der Verwaltungsgerichte regelmäßig abzuarbeitendes Prüfungsprogramm.

b) Die Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin ist als allenfalls durchschnittlich einzuschätzen. Entscheidend ist dabei eine objektive, nicht aber eine subjektive Beurteilung des jeweiligen Klägers, es kommt vielmehr auf den verständigen Betroffenen an (vgl. Senatsurt. v. 23.2.2023 - 13 FEK 101/22 -, juris Rn. 43, Senatsurt. v. 25.5.2023 - 13 FEK 484/21 -, juris Rn. 39). Aus diesem Grunde ist der Vortrag der Klägerin, sie messe dem Verfahren besondere Bedeutung zu, weil sie sich als Deutsche empfinde, deutsche Kinder habe und sie mit der Türkei und dem türkischen Staat fast nichts verbinde, eine rein subjektive Einschätzung und damit für die Einordnung der Bedeutung des Verfahrens weitgehend unerheblich. Ihr Prozessverhalten erweckt zudem nicht den Eindruck, als hätte das Ausgangsverfahren eine besondere Bedeutung für die Klägerin gehabt. Wie der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 7. Mai 2024 zutreffend näher darlegt, teilte die Klägerin selbst die für sie günstigen Umständen der (teilweisen) Sicherung ihres Lebensunterhalts (erfolgreicher Abschluss einer Umschulung und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) nur zögerlich und erst auf ausdrückliche Nachfragen des Gerichts mit. Objektive Gesichtspunkte, die ein gesteigertes Interesse der Klägerin an einer schnellen Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründen könnten, hat sie nicht benannt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr wurde bereits ein vorangegangener am 19. Oktober 2006 beim Landkreis Verden gestellter Einbürgerungsantrag mit Bescheid der zuständig gewordenen Ausländerbehörde der Stadt Delmenhorst vom 8. März 2017 (Blatt 45 f. der Beiakte 4) wegen fehlender Mitwirkungshandlungen abgelehnt. Objektiv war der Aufenthalt der Klägerin durch ihre seit Jahren bestehende Niederlassungserlaubnis abgesichert. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen drohten ihr zu keinem Zeitpunkt. Auch das Drohen eines unwiederbringlichen Rechtsverlusts durch die Dauer des Ausgangsverfahrens ist nicht ersichtlich. Vielmehr stiegen die Erfolgsaussichten der auf Einbürgerung gerichteten Klage mit der Dauer des Verfahrens, da das Gewicht der bestehenden strafrechtlichen Verurteilungen durch das sich anschließende Wohlverhalten der Klägerin immer weiter abnahm und die Tilgungsfristen nach dem BZRG für die Klägerin liefen.

c) Das zögerliche Verhalten der Klägerin im Ausgangsverfahren hat dieses nach Auffassung des Senats zudem auch in relevanter Weise verzögert. So hat die Klägerin erst auf die Aufklärungsverfügung des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2022 mit Schriftsatz vom 2. Juni 2022 und damit nach Erhebung der Verzögerungsrüge zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorgetragen. Erst zu diesem Zeitpunkt bestand Klarheit zu den tatsächlichen Umständen der Sicherung des Lebensunterhalts und damit zur Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG a.F. Bei angemessenem Betreiben des Verfahrens hätte zu den Umständen der Lebensunterhaltssicherung spätestens mit der ergänzenden Begründung der Klage unter dem 13. August 2021 vorgetragen werden müssen.

Es ist hingegen aus den Akten nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht im weiteren Verlauf bei früherer Mitteilung der für die Klägerin günstigen Umstände, wie ihre Bemühungen um ihre wirtschaftliche Integration und die zeitweilige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, das Verfahren durch die Erteilung eines gerichtlichen Hinweises an die Beklagte des Ausgangsverfahrens weiter gefördert und früher einer Erledigung zugeführt hätte. Nach der zweiten Verzögerungsrüge der Klägerin vom 17. Januar 2023 forderte die Berichterstatterin des Verwaltungsgerichts erst mit Verfügung vom 12. Oktober 2023 fehlende Seiten aus dem Verwaltungsvorgang an und fragte bei der Klägerin nach, ob die mitgeteilten Einkommensverhältnisse noch aktuell seien. Die Klägerin mag durch ihre Bemühungen um Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ihre Erfolgsaussichten im Ausgangsverfahren gesteigert haben. Daraus kann aber nicht zugleich auf eine Beschleunigung des Ausgangsverfahrens bei früherer Mitteilung dieser Umstände geschlossen werden.

d) Unter Berücksichtigung der zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkten angestellten Bewertungen und der richterlichen Gestaltungsfreiheit wurde das Verfahren zeitweise ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert und erreichte so ab Ende Anfang November 2023 bis zum Abschluss Anfang März 2024, mithin für etwa vier Monate, eine unangemessene Dauer.

Der Zeitraum bis zur Erhebung der (zweiten) Verzögerungsrüge am 17. Januar 2023 ist dabei mit einzubeziehen. Denn einen Zeitpunkt, zu dem die Rüge spätestens erhoben sein muss, legt das Gesetz nicht fest. Auf die Entschädigung bleibt ein Zuwarten deshalb grundsätzlich ohne Einfluss. Aus § 198 Abs. 3 GVG ergibt sich, dass der vor einer wirksam bei dem mit dem Verfahren befassten Gericht erhobenen Verzögerungsrüge verstrichene Zeitraum des Verfahrens vor diesem Gericht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich zeitlich unbefristet einzustellen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.2.2016 - BVerwG 5 C 31.15 D -, juris Rn. 33 mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes; BGH, Urt. v. 26.11.2020 - III ZR 61/20 -, juris Rn. 23 ff.; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 198 Rn. 20; a.A. für den Bereich der Finanzgerichtsbarkeit: BFH, Urt. v. 6.4.2016 - X K 1/15 -, juris Rn. 40 ff.).

Das Ausgangsverfahren war ausgeschrieben, nachdem die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. Juni 2022 (Blatt 55 ff. der Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens) ihre aktuellen Einkommensverhältnisse und ihre Ausbildungssituation mitgeteilt hatte. Dabei handelt es sich nicht um Umstände, die allein für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgeblich waren. Sie waren vielmehr insbesondere auch für die Beantwortung der Frage der Unterhaltssicherung als einer Einbürgerungsvoraussetzung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG in der bis zum 26.6.2024 geltenden Fassung) entscheidungserheblich. Ab diesem Zeitpunkt war dem Verwaltungsgericht Oldenburg im hier zu beurteilenden Einzelfall ein Spielraum für die Gestaltung des Verfahrens und für die Entscheidungsfindung von 18 Monaten zuzugestehen. Dieser Zeitraum trägt dem Umstand Rechnung, dass die Gestaltung des Verfahrens in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und diesem für die rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, derer es für eine Förderung des Verfahrens bis hin zu einer Sachentscheidung bedarf, eine angemessene Zeit einzuräumen ist. Der Umfang des Zeitraums ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit die Ex-ante-Sicht des mit dem Ausgangsverfahren befassten Gerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.8.2017 - BVerwG 5 A 2.17 D -, juris Rn. 34). Angesichts der allenfalls durchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin und ihrem daraus abgeleiteten nur mittelgewichtigen Interesse, Rechtsschutz in einer angemessenen Zeit zu erlangen, der durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens und der zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife Anfang Juni 2022 seit Erhebung der Klage bereits verstrichenen Zeit von elf Monaten, die allerdings maßgeblich auf die zögerlichen Angaben der Klägerin zu den Einbürgerungsvoraussetzungen zurückzuführen ist, geht der Senat davon aus, dass der Kammer des Verwaltungsgerichts ein richterlicher Überdenkens- und Entscheidungszeit- und zugleich -spielraum von 18 Monaten nach dem Ausschreiben des Verfahrens Anfang Juni 2022 zuzugestehen war, innerhalb derer die Kammer zu beurteilen hatte, wie das Verfahren zu fördern und wann es letztlich zu entscheiden war. Nach Ablauf dieses Überdenkens- und Entscheidungszeitraums Anfang November 2023 bestand keine sachliche Rechtfertigung mehr für eine weitere Fortdauer des Verfahrens.

Dieser Entscheidungsspielraum wird nicht dadurch verkürzt, dass die Klage ursprünglich als Untätigkeitsklage erhoben worden ist. Denn die Dauer des behördlichen Verfahrens war maßgeblich dadurch bestimmt, dass die Klägerin dort falsche Angaben zu Vorstrafen und anhängigen Ermittlungs- und Strafverfahren gemacht hatte und die Mitteilung über den Ausgang eines deswegen eingeleiteten (weiteren) Strafverfahrens abgewartet wurde.

Soweit das Verwaltungsgericht bereits in der Verfügung der Berichterstatterin vom 29. April 2022 darauf verwiesen hat, dass ein Entscheidungstermin aufgrund der Vielzahl älterer Verfahren nicht mitgeteilt werden könne, führt dies für den hier zu beurteilenden Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG nicht zu einer Rechtfertigung der Verfahrensverzögerung. Denn einerseits wäre es entweder Aufgabe des Präsidiums gewesen, die zuständige Kammer zu entlasten, oder - bei einer Überlastung des gesamten Gerichts - Aufgabe des Beklagten, zusätzliche Richter einzustellen. Derartige strukturelle Mängel muss sich, wie oben dargestellt, der Staat zurechnen lassen (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2529 [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 56).

Da nach Rücknahme der Klage kein Rechtsmittel statthaft war und sich somit keine zweite Instanz anschloss, konnte die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens nicht durch ein beschleunigt durchgeführtes Verfahren in einer höheren Instanz kompensiert werden (vgl. zu dieser Kompensationsmöglichkeit: BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - BVerwG 5 C 1.13 D -, juris Rn. 12).

e) Die durch die überlange Verfahrensdauer entstandenen immateriellen Nachteile wurden allerdings bereits dadurch großenteils kompensiert, dass die Verfahrensdauer für die Klägerin auch Vorteile mit sich brachte. Aus diesem Grunde ist zur Wiedergutmachung eine Feststellung des Senats ausreichend, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein immaterieller Vermögensnachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Wiedergutmachung auf andere Weise ist danach insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts möglich, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

Bei der in § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG normierten gesetzlichen Vermutungsregelung handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung im Sinne von § 292 Satz 1 ZPO, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 40 m.w.N., und v. 13.4.2017 - III ZR 277/16 -, juris Rn. 21). Diese Vermutungsregel, die sich sowohl auf das Vorliegen eines Nichtvermögensnachteils als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität erstreckt, entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht (vgl. EGMR, Urt. v. 29.3.2006 - 36813/97 - (Scordino/Italien), NJW 2007, 1259 - Rn. 204; vgl. ferner - eine "starke Vermutung" für einen Nachteil i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG annehmend - etwa auch BSG, Urt. v. 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R -, juris Rn. 40). Bei einer gesetzlichen Vermutung des Vorliegens einer Tatsache ist nach der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 173 Satz 1 VwGO entsprechend anzuwendenden Regel des § 292 Satz 1 ZPO in Ermangelung einer anderweitigen gesetzlichen Anordnung der Beweis des Gegenteils zulässig, d.h. der Beweis, dass die vom Gesetz vermutete Tatsache in Wirklichkeit nicht gegeben ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1994 - BVerwG 8 C 4.93 -, juris Rn. 19 m.w.N.). Um die Vermutung im Sinne einer Widerlegung zu entkräften, genügt es aber nicht, sie lediglich zu erschüttern; es muss vielmehr der volle Beweis des Nichtbestehens der vermuteten Tatsache erbracht werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1994 - BVerwG 8 C 4.93 -, juris Rn. 19, und v. 24.8.1990 - BVerwG 8 C 65.89 -, BVerwGE 85, 314, 321 - juris Rn. 18 ff. jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urt. v. 4.2.2002 - II ZR 37/00 -, juris Rn. 7).

In Anbetracht dessen ist im Fall des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils nur dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der von Klägerin gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.6.2020 - BVerwG 5 C 3.19 D -, juris Rn. 12 f.; BGH, Urt. v. 13.3.2017 - III ZR 277/16 -, juris Rn. 21, und v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 41). Dies kann der Fall sein, wenn bei einer Gesamtbewertung der Schluss gerechtfertigt ist, dass die unangemessene Verfahrensdauer entweder als solche nicht nachteilig (oder sogar vorteilhaft) gewesen ist oder es an einem Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensdauer und Nachteil fehlt (vgl. BFH, Urt. 20.11.2013 - X K 2/12 -, BFHE 243, 151 - juris Rn. 26 ff.; BGH, Urt. v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 41).

Im vorliegenden Fall stand einer raschen Einbürgerung der Klägerin das Erfordernis der strafrechtlichen Unbescholtenheit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG) entgegen. Nach Auskunft des Bundesamtes der Justiz vom 23. Dezember 2019 (Blatt 74 der Beiakte 3) an die Beklagte des Ausgangsverfahrens trat bei weiterer Straffreiheit der Klägerin Tilgungsreife der eingetragenen Vorstrafen, die mit insgesamt 100 Tagesätzen den Rahmen des § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 StAG überstiegen, am 3. Juni 2024 ein. Erst zu diesem Zeitpunkt durften die Taten und Verurteilungen der Klägerin nach § 51 Abs. 1 BZRG im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwendet werden. Auch das Absehensermessen des § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG wird maßgeblich durch den beanstandungsfrei verbrachten Zeitraum nach der letzten Tat bestimmt. Aus diesem Grunde erhöhte der mit der Dauer des gerichtlichen Verfahrens verbundene Zeitablauf die Erfolgsaussichten der Klägerin im Ausgangsverfahren erheblich. Dementsprechend erklärte sich die Beklagte in dem in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2024 geschlossenen Vergleich zur Einbürgerung der Klägerin ab April 2024 bereit, sofern die ausstehende Antwort der Staatsanwaltschaft keine weiteren Erkenntnisse zur Bescholtenheit der Klägerin erbringe.

Angesichts dieser durch die Verfahrensdauer erzielten Vorteile im Hinblick auf die Erfolgsaussicht der Klage, die im Ausgangsverfahren nur zögerlich gemachten Angaben der Klägerin zu den Einbürgerungsvoraussetzungen, den relativ kurzen Zeitraum einer unangemessenen Verzögerung von vier Monaten, die durchschnittliche Schwierigkeit des Verfahrens und die allenfalls durchschnittliche Bedeutung des Ausgangsverfahrens für die Klägerin hält der Senat eine Wiedergutmachung durch die Feststellung nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG für ausreichend, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Für eine Entschädigung in Geld ist im vorliegenden Fall daneben kein Raum.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 Satz 2 VwGO, § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.