Landgericht Hildesheim
Urt. v. 15.02.2008, Az.: 7 S 263/07

Bindung an Klagefrist bei einer Feststellungsklage eines Gläubigers zur Beseitigung eines Widerspruchs des Schuldners gegen Anmeldung einer Forderung als solche aufgrund vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
15.02.2008
Aktenzeichen
7 S 263/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 38232
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2008:0215.7S263.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Holzminden - 09.10.2007 - AZ: 2 C 144/07 (VIA)
nachfolgend
BGH - 18.12.2008 - AZ: IX ZR 124/08

In dem Rechtsstreit
...
hat die Zivilkammer 7 des Landgerichts Hildesheim
durch
den Vizepräsidenten des Landgerichts Bever,
den Richter am Landgericht Fischer und
den Richter am Landgericht Thomas
auf die mündliche Verhandlung vom 01.02.2008
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 09.10.2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Holzminden wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gebührenstreitwert der Berufung: 695,15 EUR.

Gründe

1

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

2

Die Beklagte hält die Klage auf Feststellung, dass die von der Klägerin zur Insolvenztabelle festgestellte Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt, für unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin würde fehlen, da sie nicht innerhalb der entsprechend § 189 Abs. 1 InsO anwendbaren Ausschlussfrist ihre Klage erhoben habe.

3

Die Beklagte beantragt,

das am 09.10.2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Holzminden (2 C 144/07) abzuändern und die Klage abzuweisen.

4

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

5

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

6

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

7

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

8

1.

Die Feststellungsklage ist nach §§ 256 Abs. 1 ZPO, 184 InsO zulässig.

9

a)

Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin erst nach Beseitigung des Schuldnerwiderspruchs nach§ 201 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO aus den Tabellenauszügen wie aus einem Urteil vollstrecken kann, wobei wegen§§ 201 Abs. 3, 294 Abs. 1, 302 Nr. 1 InsO im Falle der Ankündigung der Restschuldbefreiung wie hier eine Zwangsvollstreckung während der Wohlverhaltensperiode nicht möglich ist und wegen der hier geltend gemachten Ansprüche aus unerlaubter Handlung erst nach Beseitigung des Widerspruchs und nach Entscheidung über die Restschuldbefreiung erfolgen kann.

10

b)

Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin ist gegeben. Die Feststellungsklage nach § 184 InsO ist nach Ansicht der Kammer auch noch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens zulässig.

11

Eine Ausschlussfrist zur Erhebung der Feststellungsklage besteht nicht; sie ist auch nicht in § 184 InsO genannt. Eine entsprechende Anwendung der in § 189 Abs. 1 InsO geregelten Ausschlussfrist kommt mangels vergleichbarer Interessenlage und planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht (vgl. LG Dessau, Urteil vom 26.10.2006, 6 O 475/06, Rn. 24-30 - zitiert nach [...]; LG Aschaffenburg, ZinsO 2006, 1335 Rn. 24 - zitiert nach [...]; a.A. Kießner, in: Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl., § 189 Rn. 26; Hattwig, ZinsO 2004, 636 (637)), so dass die Klägerin berechtigt war, unabhängig vom zeitlichen Abstand von der Bekanntmachung der Schlussverteilung und vom Schlusstermin Klage zu erheben.

12

An einer Vergleichbarkeit fehlt es, weil § 189 InsO - wie § 189 Absatz 2, 3 InsO zeigt - lediglich die Frage der Verteilung der Insolvenzmasse regelt und daher auch allenfalls auf Fälle analoge Anwendung finden kann, in denen es - zumindest mittelbar - um die Verteilung der Insolvenzmasse geht. Bei der Frage, ob ein Anspruch aus unerlaubter Handlung herrührt, geht es hierum aber gerade nicht. Die Beantwortung dieser Frage hat stattdessen - wie § 302 InsO zeigt - allein Auswirkungen auf das Vermögen des Schuldners nach Restschuldbefreiung, also ein Vermögen, das unabhängig von der Insolvenzmasse ist (vgl. LG Aschaffenburg, a.a.O.).

13

Nach § 174 Abs. 2 InsO hat der Gläubiger auch Tatsachen anzugeben, aus denen sich seiner Einschätzung nach ergibt, dass seiner Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt. Es würde, so in den Gesetzesmaterialien BT-Drucksache 14/5680, S. 27 zu Nummer 12, für den Schuldner eine erhebliche Härte bedeuten, wenn er nach erfolgreichem Durchlaufen der Wohlverhaltensperiode erfahren würde, eine Forderung, die unter Umständen seine wesentliche Verbindlichkeit ausmacht, wäre von der Rechtsschuldbefreiung nicht erfasst. Wird die Forderung nicht oder ohne den Hinweis nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet, kann der Gläubiger nach Erteilung der Restschuldbefreiung seine Forderung nicht mehr zwangsweise gegenüber dem Schuldner durchsetzen. Durch die Regelung des § 174 Abs. 2 InsO wird dem Schuldner rechtzeitig die Möglichkeit verschafft die Gefahr einer nicht vollständigen Restschuldbefreiung zu erkennen und schon während des Insolvenzverfahrens eine Klärung der Streitfrage herbeizuführen.

14

Der Schuldner kann isoliert dieser Angabe des Haftungsgrundes widersprechen (Wimmer-Ahrens, Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl., Rz 11 § 302). Das steht zwar der Feststellung der Forderung nicht entgegen, § 178 Abs. 1 S. 2 InsO, es kann aber analog § 184 InsO ein Feststellungsstreit über den Rechtsgrund der Forderung geführt werden. Obsiegt der Schuldner, nimmt die Forderung am Restschuldbefreiungsverfahren teil, obsiegt der Gläubiger, kann er nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode aus dem Tabelleneintrag vollstrecken.

15

Der auf den Haftungsgrund beschränkte Widerspruch des Schuldners verhindert aber nicht die Teilnahme der Forderung an der Verteilung. Das ist der Unterschied zu nicht titulierten und im Prüfungstermin nicht zur Tabelle festgestellten Forderungen, die bei der Verteilung nur gegen den Nachweis der erhobenen Feststellungsklage (§§ 179, 180 InsO) oder durch Aufnahme eines durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenes Verfahren (§ 240 InsO) berücksichtigt werden (Braun, InsO, 2. Aufl., Rz. 3 § 189).

16

Eine gesetzliche Frist zur Klageerhebung besteht nicht, weil § 189 Abs. 1 InsO auf den Widerspruch des Schuldners nicht anwendbar ist.

17

Es liegt aber eben auch keine planwidrige Regelungslücke vor, da im Rahmen der Reform der Insolvenzordnung 2001 keine Klagefrist in § 184 InsO eingeführt worden ist (vgl. LG Dessau, a.a.O., Rn. 26/ vgl. auch Ahrens, a.a.O.). Zudem ist im Rahmen des mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens neu eingeführten § 184 Abs. 2 InsO ersichtlich, dass in bestimmten Fällen der Insolvenzschuldner verpflichtet ist, innerhalb einer bestimmten Frist eine Widerspruchsklage zu erheben. Für die vorliegende Fallgestaltung gilt das nicht.

18

2.

Die Klage ist auch begründet.

19

Die Klägerin hat auch einen Feststellungsanspruch, da die von ihr zur Insolvenztabelle festgestellte Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht. Die Beklagte vorsätzlich gegen die ihr obliegende Pflicht, die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge an die Klägerin abzuführen verstoßen, so dass der Klägerin insoweit ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 266a StGB zusteht.

20

Die Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin nicht entgegengetreten, dass sie noch bis zum 21.07.2007 den bei ihr tätigen Arbeitnehmern den Arbeitslohn in voller Höhe ausgezahlt hat, während sie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge nicht abführte. Ihre Behauptung, entsprechende Zahlungen an die Klägerin hätten der Anfechtung nach der Insolvenzordnung unterlegen, hat die Beklagte nicht substantiiert.

21

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO. Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

22

Der Gebührenstreitwert der Berufung war auf 695,15 EUR festzusetzen; ein prozentualer Abschlag von der in dieser Höhe festgestellten Forderung war nicht vorzunehmen. Denn nur aufgrund der begehrten Feststellung ist es der Klägerin möglich, auch nach Restschuldbefreiung ihre Forderung gegenüber der Beklagten durchzusetzen.

23

IV.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

24

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt vor, wenn eine für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage bisher höchstrichterlich nicht geklärt, klärungsbedürftig- und klärungsfähig ist und wenn sie das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH in NJW 2002, 2957 [BGH 04.07.2002 - V ZR 75/02]). Dies trifft auf die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage zu, ob im konkreten Fall für die Klage auf Feststellung, dass die von der Klägerin zur Insolvenztabelle festgestellte Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt, die in § 189 Abs. 1 InsO geregelte Ausschlussfrist gilt. Diese Frage ist, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht entschieden und wird wie dargelegt nicht einheitlich beantwortet.

Bever
Fischer
Thomas