Amtsgericht Holzminden
Urt. v. 09.10.2007, Az.: 2 C 144/07 (VIA)

Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen i.R.e. Insolvenz

Bibliographie

Gericht
AG Holzminden
Datum
09.10.2007
Aktenzeichen
2 C 144/07 (VIA)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 56201
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHOLZM:2007:1009.2C144.07VIA.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LG Hildesheim - 15.02.2008 - AZ: 7 S 263/07
BGH - 18.12.2008 - AZ: IX ZR 124/08

In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Holzminden
auf die mündliche Verhandlung vom 25.09.2007
durch
den Richter am Amtsgericht
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Klägerin in dem vor dem Amtsgericht Holzminden geführten Insolvenzverfahren (Az.: ) über das Vermögen der Beklagten die in der Insolvenztabelle unter Nr. 3 eingetragenen Insolvenzforderung in Höhe von 695,15 EUR aus vorsätzlich unerlaubter Handlung zusteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin hat Feststellungsklage gemäß § 184 InsO erhoben.

2

Über das Vermögen der Beklagten wurde am 29.10.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete mit Schreiben vom 28.12.2004 beim Insolvenzverwalter eine Forderung in Höhe von insgesamt 1.573,96 EUR an und führte in dem Schreiben (Abl. Bl. 9 d.A.) u.a. aus:

3

In den Forderungen sind Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 695,15 EUR enthalten, die gemäß § 302 Abs. 1 InsO i. V. mit § 266 a StGB nicht der Restschuldbefreiung unterliegen.

4

Der Insolvenzverwalter und die Beklagte erkannten die Forderung der Klägerin an, die Beklagte aber widersprach dem deliktischen Charakter der Forderung. In der Folgezeit forderte die Klägerin die Beklagte mehrfach auf, ihren Widerspruch zurückzunehmen.

5

Das Insolvenzverfahren ist bislang nicht abgeschlossen.

6

Die Klägerin behauptet, unter dem Vortrag weiterer Einzeltatsachen, die Beklagte habe für den Zeitraum April 2004 bis Juli 2004 die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die bei ihr beschäftigen Arbeitnehmer zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten nicht ausgekehrt. Da sie an ihre Mitarbeiter die Nettolöhne ausgezahlt habe, sei sie verpflichtet gewesen, gegebenenfalls diese Löhne zu kürzen, um die Sicherstellung der Auskehrung der Sozialversicherungsbeiträge zu ermöglichen. Dieser Verpflichtung sei sie nicht nachgekommen.

7

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage a b z u w e i s e n .

9

Sie verteidigt sich nach Maßgabe ihres Klageerwiderungsschriftsatzes vom 29.05.2007 (Bl. 31 d.A.).

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Klage ist begründet.

11

I.

Zulässigkeit:

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Die Voraussetzungen der §§ 256 Abs. 1 ZPO, 184 InsO liegen vor.

13

Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin erst nach Beseitigung des Schuldnerwiderspruchs nach§ 201 Abs. 1 S. 1 und S. 2 InsO aus den Tabellenauszügen wie aus einem Urteil vollstrecken kann. Ein Feststellungsinteresse kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, die Klägerin könne sich einen Titel wegen ihrer Forderung verschaffen, weil der Schuldner allein dadurch, dass er der Einordnung der Forderung als einer solchen aus unerlaubter Handlung widerspricht, deutlich macht, dass er später einer Vollstreckung aus dem Titel widersprechen werde (BGH MDR 2007, 111 [BGH 18.05.2006 - IX ZR 187/04]).

14

Die Klägerin ist schließlich auch nicht daran gehindert, die Forderung erst jetzt geltend zu machen.§ 184 InsO enthält keine Frist, innerhalb der die Feststellungsklage zu erheben ist. Eine analoge Anwendung von § 189 Abs. 1 InsO entfällt, da eine Regelungslücke nicht erkennbar ist. Es ist deshalb in der Rechtsprechung (z.B. OLG Celle Nds. Rpfl. 2003, 310 ff) anerkannt, dass bereits vor der angekündigten Erteilung der Restschuldbefreiung für einen Gläubiger ein Interesse an der Feststellung besteht, dass seine Forderung von der Restschuldbefreiung nicht berührt wird. Überdies bejaht die Rechtsprechung (z.B. LG Dresden 10 O 2038/04; LG Dessau 6 O 475/06, jeweils zitiert nach [...]) ein Feststellungsinteresse auch dann noch, wenn das Insolvenzverfahren bereits abgeschlossen ist.

15

II.

Begründetheit:

16

Bei dem von der Klägerin zur Insolvenztabelle angemeldeten Anspruch in Höhe von 695,15 EUR handelt es sich um einen solchen aus§§ 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 266 a StGB.

17

§ 266 a StGB stellt ein Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB dar. Nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen der Klägerin hat die Beklagte bis zur Schließung ihres Betriebes am 21.07.2007 den bei ihr tätigen Arbeitnehmern den Arbeitslohn in voller Höhe ausgezahlt. Als Betriebsinhaberin wäre sie jedoch verpflichtet gewesen, für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte Rücklagen zu bilden, um die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge abzuführen oder, um diese Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherzustellen, notfalls die Löhne zu kürzen. Damit haben der Beklagten ausreichende Mittel zur Verfügung gestanden, um die Sozialversicherungsabgaben abzuführen. Der ihr nunmehr obliegenden sekundären Darlegungslast genügt das Vorbringen der Beklagten nicht, da es sich nicht ansatzweise dazu verhält, warum ihr trotz dieses Umstandes das Abführen der Sozialversicherungsbeiträge nicht möglich gewesen ist.

18

Zwar entfällt mangels Kausalität ein Schaden, wenn der Insolvenzverwalter die Zahlungen an die Sozialkasse nach der InsolvenzO hätte anfechten können (vgl. zuletzt BGH NJW 2005, 2546 ff [BGH 18.04.2005 - II ZR 61/03]), doch fehlt es hierzu bislang an einem ausreichenden Tatsachenvortrag seitens der Beklagten.

19

Die Forderungshöhe ist unstreitig.

20

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 11 ZPO.

21

Streitwert: 556,12 EUR. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO. Von der Forderung, deren Feststellung beantragt worden ist, wurde ein Abschlag von 20% vorgenommen.