Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.03.2005, Az.: 7 B 770/05

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
14.03.2005
Aktenzeichen
7 B 770/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 43256
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2005:0314.7B770.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Zur Ermessensausübung hinsichtlich der Dauer einer Fahrtenbuchauflage.

Bei einer Verkehrszuwiderhandlung, die nach dem Bußgeldkatalog mit drei Punkten zu ahnden gewesen wäre (z. B. Rotlichtverstoß), ist die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches für die Dauer eines Jahres nicht unverhältnismäßig und insoweit nicht ermessensfehlerhaft.

Gründe

1

Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 24. Februar 2005 erhobenen Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Februar 2005 verfügten Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches ist nach § 80 Abs. 5 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, aber unbegründet.

2

Die Antragsgegnerin hat in dem o.a. Bescheid die sofortige Vollziehung der Fahrtenbuchauflage gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) entfällt.

3

Im Rahmen eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Dabei ist zu prüfen, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind und sich ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung eines belastenden Verwaltungsaktes das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Durchsetzung überwiegt. Bei der in diesem Rahmen zu treffenden eigenen Ermessensentscheidung des Gerichts kommt es maßgeblich darauf an, ob der Rechtsbehelf, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, voraussichtlich Erfolg haben wird. Bei angenommener Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ist dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattzugeben, weil der Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides nicht im öffentlichen Interesse liegen kann. Bei voraussichtlicher Rechtmäßigkeit des Bescheides, wie auch bei vorläufiger Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs als offen, kommt es im Eilverfahren entscheidend darauf an, ob das öffentliche Interesse oder das überwiegende Interesse eines Beteiligten an der sofortigen Vollziehung des Bescheides das Interesse des von dem Bescheid Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs überwiegt.

4

Die Antragsgegnerin hat die von ihr angeordnete sofortige Vollziehbarkeit der Fahrtenbuchauflage nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO in ausreichendem Umfang schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 S. 1 VwGO). Sie hat das erforderliche besondere öffentliche Interesse für die Anordnung der sofortigen Vollziehung darin gesehen, dass im Falle der Nichtvollziehbarkeit der Anordnung bis zu deren Unanfechtbarkeit die Möglichkeit bestehe, dass weitere Verkehrsverstöße begangen würden, die ungeahndet blieben, weil der Fahrzeugführer nicht ermittelt werden könne und wegen der Verfahrensdauer zu befürchten sei, dass die Wirkung der Fahrtenbuchauflage praktisch nicht zur Entfaltung käme, demgegenüber die Belastung für die Antragstellerin, nunmehr sofort ein Fahrtenbuch führen zu müssen, nicht zu erheblich sei. Hierin wird in ausreichender Weise ein besonderes öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung begründet.

5

Die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die von der Antragstellerin erhobene Klage gegen den o.a. Bescheid der Antragsgegnerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird, da die Fahrtenbuchauflage und die damit verbundenen Nebenbestimmungen offensichtlich rechtmäßig sind.

6

Gemäß § 31 a Abs. 1 S. 1 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die für die Fahrzeughalter damit verbundenen Verpflichtungen im Einzelnen ergeben sich aus § 31 a Abs. 2 StVZO.

7

Diese gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches liegen hier erkennbar vor. Zum Begründung im Einzelnen verweist das Gericht in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO auf die Gründe des angefochtenen Bescheides, denen es folgt. Die Verfügung der Antragsgegnerin ist auch nicht ermessensfehlerhaft (§ 114 S. 1 VwGO).

8

Das Vorbringen der Antragstellerin rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht: Zunächst macht sie geltend, im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens sei ihr nicht mitgeteilt worden, dass sie eine Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung des Fahrzeugführers, der mit ihrem Fahrzeug den Verkehrsverstoß begangen hat, habe und dass eine Fahrtenbuchauflage drohe, falls sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme.

9

Es dürfte bereits davon auszugehen sein, dass dieses Vorbringen unzutreffend ist. So trägt die Antragsgegnerin hierzu vor, dass neben dem Zeugenfragebogen ein Mitarbeiter ihres Ermittlungs- und Vollzugsdienstes den Vertreter der Antragstellerin zum Sachverhalt befragt und ihn auf die Möglichkeit einer Fahrtenbuchauflage hingewiesen habe (Vermerk vom 19. Januar 2005). Dem ist die Antragstellerin nicht mehr entgegengetreten. Es sind auch anderweitig keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, an der Richtigkeit der Ausführungen der Antragsgegnerin zu zweifeln. Unabhängig davon ist für die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31 a Abs. 1 S. 1 StVZO nicht Voraussetzung, dass der Fahrzeughalter im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens auf die Möglichkeit einer Fahrtenbuchauflage hingewiesen wurde. Es handelt sich um verschiedene Verfahren, die unterschiedliche Zwecke verfolgen. Während das Ordnungswidrigkeitenverfahren der Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten dient, zielt die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches auf die Abwendung von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des öffentlichen Straßenverkehrs (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 22. Februar 2005 - 12 ME 519/04 -).

10

Weiter trägt die Antragstellerin vor: Das vorgelegte Identifizierungsfoto sei von derartig miserabler Qualität, dass darauf überhaupt nichts zu erkennen sei, so dass keine Möglichkeit bestanden habe, dieses Foto einer bestimmten Person zuzuordnen. Dabei handele es sich bei dem Fahrzeug, mit dem die Verkehrszuwiderhandlung begangen worden sei, um ein Werkstattfahrzeug, das jeder Mitarbeiter zu jeder beliebigen Zeit habe benutzen können, so dass eine Fahreridentifizierung auch anderweitig nicht möglich gewesen sei.

11

Auch diese Einwände greifen nicht durch. Die Feststellung des Fahrzeugführers war trotz angemessener und zumutbarer Ermittlungsmaßnahmen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht möglich im Sinne des § 31 a Abs. 1 S. 1 StVZO. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Nds. OVG (vgl. Beschluss vom 8. November 2004 - 12 LA 72/02 - m.w.N.) haben die Ordnungswidrigkeitenbehörden im Rahmen ihrer Ermittlungstätigkeit dann keinen Anlass zu umfangreichen weiteren Ermittlungen, wenn der Halter des Kraftfahrzeuges, mit dem der Verkehrsverstoß begangen worden ist, nicht hinreichend daran mitgewirkt, den Fahrzeugführer zu bezeichnen. An einer solchen hinreichenden Mitwirkung fehlt es bereits dann, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet und auch sonst keine weiteren Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer macht. Damit hat es für die Ordnungswidrigkeitenbehörde regelmäßig sein Bewenden. Diese Maßstäbe geltend unabhängig davon, ob der zugrunde liegende Verkehrsverstoß fotografisch dokumentiert ist oder nicht (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 2. November 2004 - 12 ME 413/04 -). Vorliegend hat die Antragstellerin weder den Anhörungsbogen zurückgesandt oder sonst weitere Angaben gemacht und damit von Anfang an ihre Mitwirkung an der Feststellung des Fahrzeugführers verweigert. Es ist daher auch nicht entscheidungserheblich, ob die Antragstellerin zunächst keine Akteneinsicht erhalten hat; hierin kann eine hinreichende Mitwirkung nicht gesehen werden.

12

Soweit die Antragstellerin darauf abstellt, dass es sich um ein Betriebsfahrzeug handelt, ist es ihre Sache, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Betriebsfahrzeug benutzt hat, wenn ein solches Fahrzeug mehreren Betriebsangehörigen zur Verfügung steht. Zwar steht es einem Unternehmen frei, entsprechende Aufzeichnungen nicht zu führen; dies hat aber zur Folge, dass regelmäßig - und so auch hier - die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, rechtmäßig ist, wenn nach einem Vorfall sich nicht aufklären lässt, wer mit dem Betriebsfahrzeug den Verkehrsverstoß begangen hat (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 9. Dezember 2004 - 12 ME 490/04 - und Beschluss vom 18. November 2004 - 12 ME 450/04 -).

13

Unabhängig davon teilt das Gericht nicht die Auffassung der Antragstellerin, dass auf dem beim Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbild nichts erkennbar sei und eine Identifizierung des Fahrzeugführers bei einem auf Betriebsangehörige der Antragstellerin beschränkten Personenkreis nicht möglich sei.

14

Die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches ist auch nicht ermessensfehlerhaft im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO. Hiernach ist das Gericht darauf beschränkt, die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin darauf zu prüfen, ob die Fahrtenbuchauflage deshalb rechtswidrig ist, weil die Antragsgegnerin die gesetzlichen Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ermessensfehler sind - insbesondere im Hinblick auf die festgesetzte Dauer der Fahrtenbuchauflage von zwölf Monaten nicht festzustellen. Es unterliegt im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keinen Bedenken, dass die Antragsgegnerin die Dauer der Fahrtenbuchauflage nach der Schwere des zugrunde liegenden Verkehrsverstoßes bestimmt. Je schwerer das mit dem Fahrzeug des Betroffenen begangene Verkehrsdelikt wiegt, desto eher wird es gerechtfertigt sein, dem Fahrzeughalter eine nachhaltige Überwachung der Nutzung des Fahrzeuges zuzumuten. Denn mit zunehmender Schwere des ungeahndet gebliebenen Deliktes wächst das Interesse der Allgemeinheit, der Begehung weiterer Verkehrsverstöße vergleichbarer Schwere entgegenzuwirken. Das Gewicht eines Verkehrsverstoßes ergibt sich regelmäßig aus seiner Gefährlichkeit für die Sicherheit des Straßenverkehrs sowie daraus, in welchem Grad der Fahrzeugführer vorwerfbar gehandelt hat. Es ist daher weiter nicht zu beanstanden, wenn die Behörde bezogen auf die Schwere der Verkehrszuwiderhandlung auf die Punktebewertung nach § 4 Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz in Verbindung mit § 40 Fahrerlaubnisverordnung (FeV), Anlage 13 zur FeV heranzieht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 10 S 1408/01 -, NZV 2002, 431). Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Dauer von sechs Monaten noch im unteren Bereich einer effektiven Kontrolle für eine nachprüfbare Überwachung der Fahrzeugbenutzung und für eine sinnvolle Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes liegt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 3. April 1998 - 12 M 1442/98 -). Wäre die Verkehrszuwiderhandlung nach dem o.a. Punktesystem mit ein oder zwei Punkte in das Verkehrszentralregister einzutragen gewesen, ist regelmäßig eine Dauer der Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten nicht unzumutbar, wenn nicht zusätzliche Umstände des konkreten Falles eine längere Dauer rechtfertigen. Handelt es sich um einen derart gravierenden Verkehrsverstoß, der nach dem Punktesystem mit drei Punkten zu bewerten ist, ist es regelmäßig gerechtfertigt, die Fahrtenbuchauflage für die Dauer von zwölf Monaten anzuordnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1978 - 7 C 49.77 -, VkBl 1979, 209 [Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h innerhalb geschlossener Ortschaft ]; VG Braunschweig, Urteil vom 2. April 2003 - 6 A 602/02 - [Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft]; a. A. wohl VG Lüneburg, Urteil vom 21. Juli 2004 - 5 A 96/03 [Rotlichtverstoß]). Handelt es sich um eine Verkehrszuwiderhandlung, mit der ein Straftatbestand verwirklicht worden ist oder wenn eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, die nach den Bestimmungen der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) nicht nur mit einer Geldbuße, sondern auch mit einem Fahrverbot zu ahnden ist, kommt auch eine mehrjährige Fahrtenbuchauflage in Betracht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Mai 2002, a.a.O. [zweijährige Fahrtenbuchauflage wegen eines sog. qualifizierten Rotlichtverstoßes]).

15

Die Kammer hat bezogen auf den festgestellten Rotlichtverstoß, der nach lfd. Nr. 132 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BKatV mit drei Punkten zu bewerten ist, keine Bedenken dahingehend, dass die Fahrtenbuchauflage für die Dauer von zwölf Monaten das Maß einer effektiven Kontrolle überschreitet und infolgedessen eine übermäßige Belastung der Antragstellerin darstellt. Die hier der Fahrtenbuchauflage zugrunde liegende Verkehrszuwiderhandlung (Rotlichtverstoß) weist stets eine besondere Gefährlichkeit für die Sicherheit des Straßenverkehrs auf, die nicht erst angenommen werden kann, wenn es sich um einen qualifizierten Rotlichtverstoß (lfd. Nrn. 132.1, 132.2 und 132.2.1 Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BKatV) handelt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin zwischenzeitlich irgendwelche Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet wären, etwaige künftige Ermittlungen zu erleichtern.

16

Unter Berücksichtigung der offensichtlichen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides überwiegt das o.a. besondere öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.