Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 30.04.2003, Az.: 3 B 242/03

Aufhebung; Auflage; Duldung; Einrichtung Identitätsklärung; Modellprojekt X; Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; Wohnsitzauflage

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
30.04.2003
Aktenzeichen
3 B 242/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48076
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei der erstmaligen Anordnung oder Änderung einer Wohnsitzauflage über § 56 Abs. 3 S. 2 AuslG handelt es sich um eine eigenständig anfechtbare Nebenbestimmung, die nach § 44 Abs. 6 AuslG ihre Wirkung nur durch Aufhebung oder Ausreise des Ausländers verliert.

2. Die Nennung einer solchen Wohnsitzauflage in einer neuen Duldung oder Duldungsverlängerung ist daher nur ein Hinweis auf die gemäß § 44 Abs. 6 AuslG noch bestehende Wirkung der erstmaligen Wohnsitzauflage und daher nicht selbständig anfechtbar.

3. Der Betroffene kann jedoch einen Antrag auf Aufhebung, d.h. Rücknahme oder Widerruf gemäß §§ 48, 49 VwVfG der Wohnsitzauflage stellen. Für die dabei vorzunehmende Ermessensentscheidung bei einer Pflicht zur Wohnsitzaufnahme in der Einrichtung "Identitätsklärung" (vormaliges "Modellprojekt X") gelten die Kriterien aus dem Beschluss der Kammer vom 19.12.2002 (3 B 348/02).

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.

Der Streitwert wird auf 1 000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

1. Soweit der Antragsteller im Wege eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO die Feststellung begehrt, dass sein Widerspruch vom 09.03.2003 gegen die seitens der Antragsgegnerin der am 04.03.2003 ausgestellten Duldung beigefügte Wohnsitzauflage aufschiebende Wirkung hat, ist der Antrag bereits unzulässig.

2

Nach Ansicht der Kammer stellt die in der am 04.03.2003 verlängerten Duldung vorgenommene Bestimmung, den Wohnsitz in der Gemeinschaftsunterkunft bei der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerberinnen und Asylbewerber (ZASt) in B. nehmen zu müssen, keine selbständig anfechtbare Regelung im Sinne eines Verwaltungsaktes dar, welche mit jeder (monatlichen) Verlängerung der Duldung neu angefochten werden kann. Die Kammer geht zwar nach wie vor davon aus, dass es sich bei Verfahren gerichtet gegen einer Duldung gemäß § 56 Abs. 3 AuslG hinzugefügte Auflagen nicht um asylverfahrensrechtliche Streitigkeiten handelt, für die gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG der Einzelrichter oder die Einzelrichterin zuständig wäre. Sie folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urt.v. 25.09.1997 - 1 C 6/97 -, NVwZ 1998, 299 ff.) und des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg (Beschl.v. 19.10.2000 - 11 M 3382/00 -; a.A.: VG Hannover, Beschl.v. 15.01.2001 - 10 B 21/01 -). Die Kammer hält jedoch nicht mehr an ihrer Rechtsprechung fest, dass dann, wenn eine neue Duldung mit derselben wiederum selbständig anfechtbaren Auflage ergeht bzw. eine Verlängerung erfolgt, gleichzeitig eine konkludente Aufhebung der ursprünglichen Auflage erfolgt und sich dadurch die vorhergegangene (erstmalig erteilte) Auflage erledigt (vgl. Urt.d.erk.Kammer v. 31.01.2002 - 3 A 292/00 - und vom 29.08.2002 - 3 A 110/02 -).

3

Für den Fall der Änderung einer Wohnsitzauflage für einen Geduldeten stellt sich die rechtliche Situation wie folgt dar: Neben der gesetzlich angeordneten Beschränkung der Geltung einer Duldung auf das Gebiet des Landes (§ 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG) kann die zuständige Ausländerbehörde weitere Auflagen im Ermessenswege anordnen. Dazu können auch Auflagen gehören, die den Wohnsitz des Geduldeten bestimmen bzw. ändern und auf einen bestimmten Ort beschränken (Urt.d.Kammer v.29.08.2002, a.a.O.; OVG Lüneburg, B. vom 12.10.2000 – 11 M 2455/00). Bei der erstmaligen Anordnung bzw. Änderung einer Wohnsitzauflage handelt es sich um eine eigenständig anfechtbare Nebenbestimmung (vgl. BVerwG, Urt.v. 19.03.1996 - 1 C 34.93 -, InfAuslR 1996, 392 ff. für eine räumliche Beschränkung einer Aufenthaltsbefugnis; VG Göttingen, B. v. 14.07.1999 – 3 B 3229/99 -, NVwZ-Beilage I 4/2000, 39). Denn diese Regelung bleibt auch nach Wegfall der Duldung als selbständige Regelung in Kraft, bis sie aufgehoben wird oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist (vgl. § 44 Abs. 6 AuslG). Die dort genannten räumlichen und sonstigen Beschränkungen und Auflagen nach dem Ausländergesetz und nach anderen Gesetzen stellen daher keine inhaltlichen Ausgestaltungen des Aufenthaltstitels bzw. der Duldung dar, sondern hiervon unabhängige Anordnungen, die nur mit ihrer gesonderten Aufhebung oder mit der Erfüllung der Ausreisepflicht des Ausländers erlöschen (vgl. GK Ausländerrecht: § 44 Rdnr. 83 unter Berufung auf die amtliche Begründung in der BT-Drucksache 11/6321, S. 71 ff.). Damit soll verhindert werden, dass ein Ausländer nach Wegfall des Aufenthaltstitels bzw. der Duldung hinsichtlich der angeordneten Beschränkungen und Auflagen besser steht als zuvor (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 16.06.2000 – 4 M 2124/00 -). Dementsprechend kann gegen die erstmalige Wohnsitzauflage bzw. Änderung der Wohnsitzauflage Widerspruch und Anfechtungsklage erhoben werden. Wurde die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet, kann einstweiliger Rechtsschutz im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO bzw. bei nachträglichen Änderungen über § 80 Abs. 7 VwGO beantragt werden. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei der erstmaligen Erteilung einer Wohnsitzauflage bzw. ihrer Änderung um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, dessen Wirksamkeit lediglich durch seine Aufhebung oder die tatsächliche Ausreise des Ausländers entfällt. Demgegenüber ist die Duldung selbst bereits von Gesetzes wegen befristet; die Frist soll ein Jahr nicht übersteigen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Soweit wie im vorliegenden Verfahren Duldungen lediglich für einen Monat erteilt werden und nach Ablauf der Frist jeweils erneuert bzw. verlängert werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 AuslG), ist die in jeder Duldung bzw. Duldungsverlängerung genannte Wohnsitzauflage lediglich eine nicht selbständig anfechtbare Wiederholung der erstmaligen Wohnsitzauflage bzw. Wohnsitzauflagenänderung bzw. lediglich ein Hinweis auf die aufgrund von § 44 Abs. 6 AuslG noch bestehende Wirkung der ursprünglichen Auflage.

4

Diese rechtliche Bewertung führt nicht zu einer Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen. Vielmehr können diese nach Bestandskraft der erstmaligen Anordnung der Wohnsitzauflage bzw. der Wohnsitzauflagenänderung jederzeit einen Antrag auf Aufhebung (vgl. § 44 Abs. 6 AuslG), d.h. Rücknahme oder Widerruf der Wohnsitzauflage gemäß §§ 48, 49 VwVfG (unter Wiederherstellung der ursprünglichen Wohnsitzauflage) stellen. Insoweit steht ihnen ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Aufhebung bzw. bei einer Ermessensreduzierung auf Null ggf. auf die Aufhebung selbst zu. Gegen eine Ablehnung kann Widerspruch und Bescheidungs- bzw. Verpflichtungsklage erhoben werden. Einstweiliger Rechtsschutz kann über § 123 VwGO beantragt werden.

5

Im Rahmen der Prüfung eines Anspruches auf Aufhebung der Wohnsitzauflage sind der Zweck der Ermächtigung für eine Wohnsitzauflage gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG sowie der Zweck der §§ 48, 49 VwVfG gegeneinander abzuwägen. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die Wohnsitzauflage nach wie vor geeignet, erforderlich und angemessen ist. Hinsichtlich der Kriterien dieser Prüfung verweist die Kammer auf ihren

6

Beschluss vom 19.12.2002 zum Aktenzeichen 3 B 348/02, in dem sie der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg folgt (vgl. Beschl.v. 04.09.2001 - 11 MA 2602/01 -).

7

Vor diesem Hintergrund scheitert der Antrag des Antragstellers gerichtet auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die der Duldung vom 04.03.2003 hinzugefügte Wohnsitzauflage bereits daran, dass es sich nicht um eine eigenständig anfechtbare Regelung handelt, die mit dem Widerspruch angefochten werden kann. Gleiches gilt für den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches.

8

Auch soweit der Widerspruch als Antrag auf Aufhebung bzw. Änderung der Wohnsitzauflage und den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO auszulegen ist bzw. insoweit hilfsweise gestellt wurde, hat dieser derzeit in der Sache keinen Erfolg. Die Kammer stellt bei summarischer Prüfung insoweit - wie bereits in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren des Antragstellers zum Aktenzeichen 3 B 348/02 (vgl. Beschl.v. 19.12.2002) - auf die Aufenthaltsdauer des Antragstellers in der Einrichtung „Identitätsklärung“ und das Ergebnis der bisherigen Befragungen ab. Sie hält es derzeit noch für gerechtfertigt, dass seitens der Antragsgegnerin zunächst die nach deren Angaben in kurzer Zeit zu erwartenden Ergebnisse der Beauftragung eines Vertrauensanwaltes abgewartet werden. Sollten sich daraus jedoch für den Antragsteller keine Schlussfolgerungen ergeben, die den Erfolg weiterer Befragungen oder andere erfolgversprechende Maßnahmen erwarten lassen, hält die Kammer die zügige Durchführung der in ihrem Beschluss vom 19.12.2002 genannten Maßnahmen (Befragungen in Bezug auf eine mögliche Herkunft aus Indien; Anfrage an die Deutsche Botschaft in Delhi) für notwendig, um den weiteren Aufenthalt des Antragstellers in der Einrichtung „Identitätsklärung“ zu rechtfertigen.

9

Nach alledem ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der für den Antragsteller negativen Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.

10

2. Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den o.g. Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 1 GKG i.V.m. § 166 VwGO und § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

12

3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 GKG (vgl. Beschl.d.erk.Kammer v.19.12.2002 - 3 B 348/02 -).