Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 02.04.2003, Az.: 6 A 602/02

Dauer; Ersatzfahrzeug; Fahrtenbuch; Fahrtenbuchauflage; Geschwindigkeitsübertretung; weitere Fahrzeuge

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
02.04.2003
Aktenzeichen
6 A 602/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48533
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Weigerung des Fahrzeughalters, bei der Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers mitzuwirken, kann nicht durch dessen Überzeugung gerechtfertigt werden, er werde anhand des bei der (hier: Geschwindigkeits-) Übertretung gefertigten Frontfotos (ohnehin) identifiziert. Scheidet eine hinreichend sichere Identifizierung anhand des (hier: unscharfen) Fotos aus, ist die Feststellung des Fahrzeugführers aufgrund der Weigerung des Halters regelmäßig "nicht möglich" im Sinne von § 31a StVZO.

2. Eine Fahrtenbuchanordnung für die Dauer von zwölf Monaten übersteigt das Maß der gebotenen effektiven Kontrolle bei einem Geschwindigkeitsverstoß von mehr als 30 km/h (hier: 33 km/h) regelmäßig nicht und begründet keine übermäßige Belastung.

3. Die Entscheidung der Behörde, die Fahrtenbuchanordnung über das "Tatfahrzeug" und ein Ersatzfahrzeug hinausgehend auch auf alle weiteren (gegenwärtigen und zukünftigen) Fahrzeuge des Halters zu erstrecken, muss einschlägige Ermessenserwägungen erkennen lassen und ist nicht bereits durch die allgemeine Überlegung zu rechtfertigen, andernfalls sei eine Umgehung der Fahrtenbuchanordnung möglich.

4. Unzureichende Erwägungen zur Höhe der Verwaltungsgebühr führen insoweit zur Aufhebung der Kostenentscheidung

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 07.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 09.07.2002 wird aufgehoben, soweit er über die Anordnung eines Fahrtenbuches für den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen D. sowie für ein Ersatzfahrzeug hinausgeht und soweit darin Verwaltungsgebühren in Höhe von 80 Euro festgesetzt worden sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger und der Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Jeder Beteiligte kann eine vorläufige Vollstreckung durch den anderen Beteiligten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der vollstreckende Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6085,62 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

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Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung, für zwei Fahrzeuge zwölf Monate lang Fahrtenbücher zu führen.

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Der Kläger ist Halter zweier Personenkraftwagen. Nach einem vom Landkreis Lüneburg eingeleiteten Bußgeldverfahren soll mit seinem Personenkraftwagen mit dem amtlichen Kennzeichen D. am 03.01.2002 um 18:06 Uhr in der Stadt Lüneburg auf der B 4 - Ostumgehung - die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nach Abzug der Toleranz um 33 km/h überschritten worden sein. Die Ordnungswidrigkeit wurde durch ein geeichtes Geschwindigkeitsmessgerät und ein Frontfoto dokumentiert.

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Unter dem 31.01.2002 übersandte die Bußgeldstelle des Landkreis Lüneburg dem Kläger einen Anhörungsbogen zu der ihm zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit. Daraufhin meldeten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 12.02.2002, mit dem sie um Akteneinsicht baten und erklärten, der Kläger werde sich nur über sie zur Sache einlassen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers erhielt die erbetene Akteneinsicht sowie die von ihnen mit Schreiben vom 04.03.2002 erbetenen Kopien des Messprotokolls und des Eichscheins, und teilten schließlich auf die vom Landkreis Lüneburg mit Schreiben vom 19.03.2002 geäußerte Bitte, den verantwortlichen Fahrzeugführer bis zum 26.03.2002 zu benennen, über seinen amtlich bestellten Vertreter mit, dies könne wegen Urlaub des Bevollmächtigten erst "Ostern" erfolgen. Die Bußgeldstelle ersuchte daraufhin das Einwohnermeldeamt des Wohnorts des Klägers um die Übersendung einer Kopie des Lichtbildes aus dem Einwohnermeldeverzeichnis sowie im Anschluss daran die örtlich zuständige Polizeibehörde, weitere Ermittlungen nach dem Fahrzeugführer anzustellen, insbesondere anhand des bei der Tatbegehung gefertigten Frontfotos festzustellen, ob der Kläger als Fahrer erkennbar sei. Der damit beauftragte Polizeibeamte suchte den Kläger am 02.04.2002 auf und hielt darüber in seinem Bericht vom 03.04.2002 u.a. fest: Der Kläger habe unter Hinweis auf seinen Prozessbevollmächtigten jegliche Äußerung sowie das Anschauen des Frontfotos abgelehnt. Er, der Beamte, habe den Kläger nicht als Fahrzeugführer identifizieren können, da die Gesichtskonturen des Fahrers auf dem Foto sehr schwach und unscharf seien und außerdem der Kopf nur bis zu den Augen sichtbar sei.

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Die Bußgeldstelle stellte daraufhin am 18.04.2002, 17 Tage nach Ostern, das Bußgeldverfahren ein und übersandte ihre Akte dem Beklagten.

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Mit Bescheid vom 07.05.2002 gab der Beklagte dem Kläger auf, für die Dauer von zwölf Monaten für das o.g. Fahrzeug sowie auch für das ebenfalls auf den Kläger zugelassene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen E. sowie für ergänzende oder ersetzende Fahrzeuge ein Fahrtenbuch zu führen. Gleichzeitig setzte er Kosten in Höhe von 85,62 Euro (eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 80 Euro zuzüglich Kosten für die Zustellung des Bescheides in Höhe von 5,62 Euro) fest, wobei er ausführte, nach dem entstehenden Verwaltungsaufwand halte er eine Gebühr in dieser Höhe für angemessen.

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Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch mit der Begründung, es wäre schon anhand des Lichtbildes möglich gewesen, ihn als Fahrzeugführer zu identifizieren.  Darüber hinaus habe er nie in Abrede gestellt, der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen zu sein. Noch bevor die Akte seinem Prozessbevollmächtigten Ende April 2002 wieder vorgelegt worden sei, habe der Landkreis Lüneburg das Verfahren eingestellt.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2002  - zugestellt am 12.07.2002 - wies die Bezirksregierung Braunschweig den Widerspruch zurück.

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Mit der am 30.08.2002 zugleich mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhobenen Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend:

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Die rechtlichen Voraussetzungen für die Fahrtenbuchanordnung lägen schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren verfrüht eingestellt und die Fahrerfeststellung möglich gewesen sei. Mit dem bei ihm am 01.02.2002 eingegangenen Anhörungsbogen sei die Verjährung unterbrochen worden und hätte erst am 01.05.2002 geendet. Der Bußgeldbehörde sei schon anhand des verfügbaren Fotos möglich gewesen, den Kläger als Fahrer zu

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identifizieren. Jedenfalls sei die Anordnung unverhältnismäßig. Das zweite Fahrzeug werde nicht von ihm, sondern ausschließlich von seiner Ehefrau genutzt und eine erstmalige Geschwindigkeitsübertretung von 33 km/h auf einer vierspurigen Ortsumgehung sei kein Delikt, das die getroffene Anordnung rechtfertige.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 07.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 09.07.2002 aufzuheben.

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Der Beklagte hält an der Entscheidung fest und beantragt,

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die Klage zurückzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, da dem Kläger wegen Versäumung der einmonatigen Klagefrist des § 74 VwGO gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen ist. Er hat glaubhaft gemacht, dass die ursprüngliche Klageschrift, die das Gericht nicht erreicht hat, rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post gegeben worden ist. Er hat ferner gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die zur Begründung des Antrags dienenden Tatsachen innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, das die Einhaltung der versäumten Frist vereitelt hat, vorgebracht.

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Die Klage ist im ausgesprochenen Umfang begründet. Soweit die angefochtene Entscheidung des Beklagten sich auch auf den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen E. sowie auf ein diesbezügliches Ersatzfahrzeug und auf weitere, noch nicht angeschaffte Fahrzeuge des Klägers (mit Ausnahme eines Ersatzfahrzeuges für den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen D.) bezieht sowie hinsichtlich der beanspruchten Verwaltungsgebühr in Höhe von 80 Euro ist sie auch in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

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Die weitergehende Klage ist unbegründet, da der Beklagte dem Kläger zu Recht ein Fahrtenbuch für sein Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen D. für die Dauer von zwölf Monaten auferlegt und im Rahmen der Kostenentscheidung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr - GebOSt - vom 26.06.1970 (BGBl. I S. 865, ber. S. 1298), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 11.12.2001 (BGBl. I S. 3617) die Erstattung der für die Bescheidzustellung verauslagten Postzustellungskosten in Höhe von 5,62 Euro festgesetzt hat.

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Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Kläger als Halter des Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen D. angeordnete Fahrtenbuchauflage ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier im genannten Umfang der Fall.

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Eine (erhebliche) Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ist darin zu sehen, dass mit diesem Personenkraftwagen am 03.01.2002 um 18:06 Uhr in der Stadt Lüneburg auf der B 4 - Ostumgehung - die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nach Abzug der Toleranz um 33 km/h überschritten worden ist.

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Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus in Sinne des § 31a Satz 1 StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m. w. N.; Beschl. vom 21.10.1987 - Buchholz, aaO., Nr. 18 m. w. N.; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Nds. OVG, Beschl. vom 17.02.1999 - 12 L 669/99 -, Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand der Behörde angemessen.

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Unerheblich ist insoweit, dass der Anhörungsbogen zur Verkehrsordnungswidrigkeit dem Kläger nicht binnen zwei Wochen nach dem 03.01.2002, sondern erst mit Schreiben vom 31.01.2002 übersandt worden ist. Allerdings wird davon auszugehen sein, dass dem Erfordernis des angemessenen Ermittlungsaufwands grundsätzlich nur dann genügt ist, wenn der Halter unverzüglich (vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls regelmäßig innerhalb von zwei Wochen) von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung in Kenntnis gesetzt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Wird die Anhörung des Halters - aus hier nicht nachvollziehbaren, für die Entscheidung aber auch unmaßgeblichen Gründen - verzögert, ist die Fahrtenbuchauflage gleichwohl indessen z. B. dann nicht ausgeschlossen, wenn - wie hier - feststeht, dass die Verzögerung für die Erfolglosigkeit der Täterermittlung nicht ursächlich gewesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. vom 25.06.1987 - 7 B 139.87 - Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 17; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96; Beschl. vom 14.05.1997 - 3 B 28/97).

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Eine solche Nicht-Ursächlichkeit der verspäteten Anhörung ist hier gegeben, da der Kläger ersichtlich nicht bereit gewesen ist, seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen, so dass auch ein rechtzeitiger Hinweis auf die begangene Verkehrsordnungswidrigkeit nicht zur Fahrerfeststellung geführt hätte. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus Folgendem:

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Aufgrund der eigenen Einlassungen des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten, dessen Erklärungen er gegen sich gelten lassen muss (vgl. §§ 60 OWiG, 164 ff. BGB, 46, 78 ff, 85 ZPO, 60, 67 VwGO, 14 ff. VwVfG; dazu auch BVerwG, Urt. vom 09.10.1973 - V C 110.72 -, BVerwGE 44, 104; Nds. OVG, Beschl. vom 02.03.00 - 12 M 756/00), steht nunmehr fest, dass der Kläger das Fahrzeug zum fraglichen Zeitpunkt selbst gefahren hat und dies auch noch wusste, als er dazu im Ordnungswidrigkeitsverfahren angehört worden ist. Gleichwohl hat er die nach Sachlage offenkundig bereits mit dem Anhörungsformular vom 31.01.2002 (dessen bei der Akte befindliche Entwurfsfassung ersichtlich nicht den gesamten Text des Schreibens wiedergibt) verbindlich an ihn herangetragenen Frage, ob er das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt habe, nicht beantwortet.

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Zwar hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten erklären lassen, er würden sich zur Sache nach Akteneinsicht (Schreiben vom 18.02.2002) und nach Prüfung der näheren Umstände der Geschwindigkeitsmessung äußern (Schreiben vom 04.03.2002) bzw. nach der Urlaubsrückkehr seines Prozessbevollmächtigten am 02.04.2002 den verantwortlichen Fahrzeugführer benennen. Er hat dies indessen selbst nach Ablauf der hierzu gesetzten Frist und auch einer angemessenen Wartefrist nach dem Endes des Urlaubs seines Bevollmächtigten am 02.04.2003 nicht getan und auch den übersandten Fragebogen nicht zurückgesandt. Bereits darin liegt eine Weigerung der Mitwirkung, die weitere Ermittlungen hat überflüssig werden lassen, so dass es auf deren Bewertung nicht mehr ankommt (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 03.06.2002 - 12 LA 469/02 -, Beschl. vom 30.04.2002). Dass er seine Täterschaft nie ausdrücklich geleugnet hat, sagt ebenso wenig etwas gegen die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung wie die Tatsache, dass der Landkreis Lüneburg das Ordnungswidrigkeitsverfahren am 18.04.2002, vor Eintritt der Verfolgungsverjährung am 30.04.2002, eingestellt hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bis zum 30.04.2002 noch hätte ermittelt werden können, haben nicht bestanden.

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Nicht zuletzt mit Blick auf seine Verhaltensweise am 02.04.2003 gegenüber dem ermittelnden Polizeikommissar ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger schließlich nicht beabsichtigt hat, sich zu seiner Verantwortung als Fahrzeugführer zu bekennen. Nachdem sein Prozessbevollmächtigter im Widerspruchschreiben vom 19.06.2002 ausgeführt hat, er habe sich seine diesbezügliche Akte erst "Ende April", mithin kurz vor oder am Tage des Eintritts der Verfolgungsverjährung am 30.04.2002 vorlegen lassen, kann auch seinen in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erklärungen, er sei von der Einstellung des Bußgeldverfahrens gänzlich überrascht worden, nicht die (bezeichnenderweise auch nicht ausdrücklich formulierte) Behauptung entnommen werden, er habe der Bußgeldbehörde noch rechtzeitig vor Verjährungsbeginn mitteilen wollen, wer die festgestellte Geschwindigkeitsübertretung begangen habe.

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Soweit der Kläger geltend macht, er und sein Bevollmächtigter seien spätestens nach der Befragung durch einen Polizeibeamten am 02.04.2002 davon überzeugt gewesen, dass er anhand des bei der Messung angefertigten Frontfotos identifiziert und daraufhin im Ordnungswidrigkeitsverfahren belangt werden würde, kann dem - wie ausgeführt - nicht entnommen werden, allein diese Überzeugung habe ihn gehindert, sich zur Sache einzulassen. Selbst wenn es anders wäre, hätte es umso eher nahegelegen, die von ihm bereits angekündigte Erklärung zur Person des verantwortlichen Fahrers abzugeben.

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Im übrigen fehlt es - sollte es darauf überhaupt noch ankommen - für die behauptete subjektive Überzeugtheit des Klägers an einer hinreichenden Grundlage und kann auch ansonsten nicht angenommen werden, der Landkreis Lüneburg hätte den Fahrer ohne Weiteres auch ohne die Mitwirkung des Klägers ermitteln können.

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Selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, dass er bereits auf Grund der Akteneinsicht durch seinen Bevollmächtigten eine gewisse Basis für die vorgenannte Annahme erhalten hat, würde dies es nicht rechtfertigen anzunehmen, die Rücksendung des Fragebogens bzw. die geforderte und angekündigte Einlassung zur Sache hätte sich nunmehr ohne Weiteres erledigt. Der Kläger behauptet selbst nicht, der ermittelnde Polizeibeamte habe ihm nach Augenscheinseinnahme zu erkennen gegeben, dass er ihn anhand des Fotos mit hinreichender Sicherheit für den verantwortlichen Fahrer halte. Seine im Vermerk vom 04.03.2002 niedergelegten Feststellungen belegen seine gegenteiligen Überlegungen, die auch dem Gericht nachvollziehbar sind. Denn das am 03.01.2002 um 18:06 Uhr, nach Eintritt der Dunkelheit von der gegenüberliegenden Straßenseite angefertigte Foto ist unscharf und zeigt lediglich einen Teil der rechten Gesichtshälfte des Fahrers, der offenkundig (noch bei Dunkelheit) mit heruntergeklapptem Blendschutz gefahren ist, so dass auch der Haaransatz nicht erkannt werden kann. Da besondere Merkmale nicht erkennbar sind, kann auch ein Vergleich dieses Fotos mit dem von der Meldebehörde beschafften Passfoto des Klägers nicht den hinreichend sicheren Schluss begründen, dass der Kläger bereits anhand des Fotos als der für die Geschwindigkeitsübertretung verantwortliche Fahrer identifiziert ist.

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Das dem Kläger im Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeräumte Recht, die Aussage verweigern zu können, um sich nicht selbst belasten zu müssen, steht der Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches nicht entgegen. Ein doppeltes "Recht", nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitsverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht. Ein solches "Recht" widerspräche dem Zweck des § 31 a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen, die auch der Kläger für sich gegenüber anderen in Anspruch nimmt (BVerwG, Beschl. vom 22.06.1995 - 11 B 7/95 -, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 22 = DAR 1995, 459 m. w. Nw.; Beschl. vom 11.08.1999 - 3 B 96.99 - NZV 2000, 385 unter Hinweis auch auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.01.1981 - 1 BvR 116/77 -, BVerfGE 56, 37; vgl. ferner BVerfG, Beschl. vom 07.12.1981 - 2 BvR 1172/81 -, NJW 1982, 586; ständige Rechtsprechung u.a. auch des Nds. OVG, Beschl. vom 30.04.2002 - 12 ME 349/02 m. w. Nw.; Beschl. vom 03.06.2002 - 12 LA 469/02).

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Entgegen der Auffassung des Klägers lässt die angefochtene Fahrtenbuchanordnung in der maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig Ermessensfehler insoweit nicht erkennen, als sie sich auf das "Tatfahrzeug", den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen D. sowie auf ein etwaiges Ersatzfahrzeug erstreckt. Die Anordnung verstößt insoweit insbesondere auch nicht gegen das Übermaßverbot.

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In der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist geklärt, dass bereits eine einmalige Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h regelmäßig eine so erhebliche Verkehrsübertretung darstellt, dass eine Androhung nicht ausreichend, sondern die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit einer Dauer von zumindest sechs Monaten geboten ist, selbst wenn durch die Geschwindigkeitsübertretung, die eine der hauptsächlichen Unfallursachen ist, eine konkrete Gefährdung nicht eingetreten ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, BVerwGE 98, 227 = NZV 1995, 460 m.w.Nw.; Beschl. v. 12.07.1995 - 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402; Beschl. vom 09.09.1999 - 3 B 94.99 -, NZV 2000, 386 [BVerwG 18.10.1999 - BVerwG 3 B 105.99]; Nds. OVG, Urt. vom 08.05.1995, 12 L 7501/94; Beschl. vom 20.04.1998, 12 L 1886/98, m.w.Nw.; Nds. OVG, Beschl. vom 27.06.2000 - 12 L 2377/00; VG Braunschweig, Urt. vom 23.06.1999 - 6 A 103/99 - und vom 10.10.2000 - 322/99). Als Maßnahme der Gefahrenabwehr ergänzt die Fahrtenbuchanordnung die für das fragliche Fahrzeug bestehende Kennzeichnungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2a StVG i.V.m. den §§ 18, 23 StVZO.

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Um die hiernach gebotene nachprüfbare Überwachung der Fahrzeugbenutzung durchführen und den Fahrzeughalter zur zukünftigen Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes anhalten zu können, ist eine gewisse, nicht zu geringe Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Zwölf Monate übersteigen das Maß der gebotenen effektiven Kontrolle bei einem Geschwindigkeitsverstoß der hier gegebenen Größenordnung (33 km/h) nicht und stellen deshalb keine übermäßige Belastung dar. Bereits ein Geschwindigkeitsverstoß, der zu einer Eintragung in das Verkehrszentralregister von einem Punkt führt, rechtfertigt eine Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches von sechs Monaten (vgl. dazu etwa BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, aaO; Nds. OVG Beschl. vom 08.03.1999 - 12 L 976/99 -, Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00 - m. w. Nw.). Bei einem Verstoß, der - wie hier - gemäß Nr. 5.4 der Anlage 13 ("Punktebewertung nach dem Punktsystem") zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung zu einer Eintragung von 3 Punkten im Verkehrszentralregister geführt hätte, verletzt es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht, die Dauer der Fahrtenbuchauflage auf zwölf Monate zu erhöhen (vgl. dazu bereits BVerwG, Urt. vom 13.10.1978 - VII C 49.77 - VkBl. 1979, 209 - zitiert nach Juris; BVerwG, Beschl. vom 23.06.1989 - 7 B 90/89 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 20; VGH Bad.-Württ., Urt. vom 18.06.1991 - 10 S 938/91 - NZV 1991, 445; VG Berlin, Urt. vom 28.05.1998 - 25 A 172.97 -, NZV 1999, 104 [OVG Nordrhein-Westfalen 12.08.1998 - 25 B 3118/97] m. w. Nw.; ebenso Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. A., § 31a StVZO Rn 8).

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Ermessensfehlerhaft ist dagegen die im angefochtenen Bescheid sowie im Widerspruchsbescheid durch nichts begründete Entscheidung des Beklagten, die Fahrtenbuchauflage auch auf das Fahrzeug des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen ... sowie auf ein Ersatzfahrzeug oder gar auf Ergänzungsfahrzeuge zu erstrecken. Dafür besteht kein erkennbarer Anlass. Der Beklagte hat dem Einwand des Klägers, dieses Fahrzeug werde ausschließlich von seiner Ehefrau genutzt, nichts entgegengesetzt und auch ansonsten ist nicht im Ansatz erkennbar, dass auch insoweit ein hinreichender Anlass für die getroffenen Fahrtenbuchanordnung besteht. Die in der mündlichen Verhandlung angeführte generelle Überlegung, es sei anzunehmen, dass andernfalls auf das zweite Fahrzeug ausgewichen werde, ist für sich genommen nicht hinreichend tragfähig, da es einen Erfahrungssatz dieses Inhalts nicht gibt. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, Anhaltspunkte dafür zu liefern und nachvollziehbar bei seinen Ermessenserwägungen zu berücksichtigen, ob und inwieweit auch bei der Benutzung des anderen Autos sowie zukünftig angeschaffter Pkw des Klägers (mit Ausnahme eines Ersatzfahrzeugs für den bei der Tat benutzten Wagen der Marke Volkswagen Sharan) einschlägige Zuwiderhandlungen zu befürchten seien (vgl. dazu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. A., § 31a StVZO Rn. 9 m.w.Nw.).

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Dieser Rechtsmangel führt nicht gemäß §§ 113 Abs. 1, 114 VwGO zu einer vollständigen Aufhebung der Fahrtenbuchanordnung, da sich die Ermessenserwägungen zur Dauer der Fahrtenbuchanordnung von der Frage, auf welche Fahrzeuge des Halters sie sich erstreckt, unterscheiden und trennen lassen (a.A. wohl OVG Münster, Urt. vom 07.04.1977 - XIII A 603/76 -, DAR 1977, 333).

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Auch die Entscheidung des Beklagten vom 07.05.2002 zur Erhebung einer Gebühr für die Fahrtenbuchanordnung in Höhe von 80 Euro ist rechtsfehlerhaft.

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Rechtliche Grundlage für die Kostenfestsetzung ist § 1 der GebOSt i.V.m. Nr. 252 der Anlage zu § 1 GebO. Diese Gebührenordnung hat in § 6a StVG ihre gesetzliche Grundlage. Soweit die Gebührenordnung keine abweichenden Regelungen enthält, ist außerdem gemäß § 6 GebOSt das Verwaltungskostengesetz - VwKG - i.d.F. der Gesetzesänderung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2911) ergänzend anzuwenden.

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Nach Nr. 252 GebOSt ist für eine Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches einschließlich der  Prüfung der Eintragung ein Gebührenrahmen von 21,50 Euro bis 93,10 Euro vorgesehen, innerhalb dessen Grenzen die im Einzelfall angemessene Gebühr nach den in § 9 VwKG aufgestellten Kriterien des Verwaltungsaufwands für die einzelne Amtshandlung und des Wertes des Gegenstands der Amtshandlung zu bestimmen ist. Damit sind der Behörde Maßstabshilfen an die Hand gegeben, die sie bei ihrer (Ermessens-) Entscheidung zu beachten und als Grundlage der Gebührenfestsetzung für den Adressaten erkennbar umzusetzen hat. Insoweit bedarf es allerdings nicht einer bis ins Einzelne gehenden betriebswirtschaftlichen Kostenberechnung, deren Aufwand regelmäßig außer Verhältnis zur Höhe der hier in Betracht zu ziehenden Gebühren stünde. Dem Äquivalenzprinzip in § 9 Abs. 1 VwKG wird vielmehr in der Regel mit einer Pauschalierung des durchschnittlichen Verwaltungsaufwandes und einer typisierenden Wertrelation von Verwaltungsleistung und Nutzen der Amtshandlung genügt, sofern die Gebührenermittlung, deren wesentlichen Gesichtspunkte darzulegen sind, nicht grob übersetzt ist (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Urt. vom 22.04.1981 - 9 OVG A 12/80 - m. w. N.). Hierzu finden sich Hinweise z.B. in dem Runderlass des Nds. Finanzministeriums vom 19. Juni 2001 über Pauschsätze für den Verwaltungsaufwand bei der Gebührenbemessung im staatlichen Bereich (Nds. MBl. 2001, S. 419, zuletzt geändert durch Runderlass vom 18.04.2002, Nds. MBl. 2002, 286).

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Im vorliegenden Fall ist lässt sich jedoch weder der Begründung zur Kostenfestsetzung im angegriffenen Bescheid des Beklagten noch dem Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig entnehmen, nach welchen Kriterien die Behörde die festgesetzte Gebühr für die Fahrtenbuchanordnung einschließlich der Prüfung der Eintragung bemessen hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Beklagte eine angemessene Wertrelation zwischen dem entstandenen Verwaltungsaufwand und dem Gegenstandswert der dem Betroffenen auferlegten Verpflichtung hergestellt hat. Damit fehlt es an den für die Ausführung eines Gebührenrahmens anzustellenden und nachvollziehbar darzulegenden Abwägungen nach § 9 Abs. 1 VwKG. Die bloße Behauptung des Beklagten, er halte den festgesetzten Betrag für angemessen, kann die erforderliche Begründung dafür, warum er dies meint, nicht ersetzten.

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Solche Ermessenserwägungen können, weil ein Ermessen in nachvollziehbarer Weise offensichtlich nicht ausgeübt wurde, auch nicht mehr im Klageverfahren nach § 114 Satz 2 VwGO nachgeholt werden (vgl. BVerwG, Beschl. vom 14.01.1999, NJW 1999, 2912 m.w.N.). Dies führt zur Aufhebung der Kostenfestsetzung, soweit die Verwaltungsgebühr betroffen ist (vgl. dazu im einschlägigen Zusammenhang bereits VG Braunschweig, Urt. vom 23.08.2001 - 6 A 119/01 -, dem Beklagten bekannt).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GKG und entspricht in dieser Höhe der ständigen Rechtsprechung der Kammer sowie des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (250 Euro je Monat der getroffenen Fahrtenbuchanordnung und betroffenem Fahrzeug zuzüglich der streitigen Verwaltungskosten).