Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 29.04.2003, Az.: 4 B 126/03
Voraussetzungen und Umfang eines Anspruchs auf Zahlung einer einmaligen Bekleidungsbeihilfe aufgrund eines besonderen religiösen Anlasses
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 29.04.2003
- Aktenzeichen
- 4 B 126/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 34300
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2003:0429.4B126.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 11 BSHG
- § 12 BSHG
- § 21 Abs. 1a Nr. 7 BSHG
- § 22 Abs. 3 S. 2 BSHG
- § 9 SGB I
- § 155 Abs. 1 VwGO
- § 188 S. 2 VwGO
Fundstellen
- ZfF 2004, 229-230
- info also 2004, 276 (Kurzinformation)
Verfahrensgegenstand
Einmalige Beihilfe (Konfirmationsbekleidung)
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 4. Kammer -
am 29. April 2003
beschlossen:
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zu 2) eine einmalige Beihilfe in Höhe von 150,00 EUR für Konfirmationsbekleidung zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Die Antragsteller zu 1) und 3) haben 2/3 und die Antragsgegnerin hat 1/3 der Kosten des Verfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, den Antragstellern Bekleidungsbeihilfen anlässlich der am 3. Mai stattfindenden Konfirmation des Antragstellers zu 2) zu gewähren, ist hinsichtlich des Konfirmanden selbst [Antragsteller zu 2)] begründet und hinsichtlich seiner Mutter und seiner Schwester [Antragstellerinnen zu 1) und 2 )] unbegründet.
Der Antragsteller zu 2) hat den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen Anordnungsanspruch, die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die materielle Berechtigung seines Begehrens, und damit auch den erforderlichen Anordnungsgrund, die Eilbedürftigkeit seines Begehrens, glaubhaft gemacht.
Er hat bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage einen Anspruch auf die Gewährung einer einmaligen Beihilfe für Konfirmationsbekleidung in Höhe von 150,00 EUR aus §§ 11, 12, 21 Abs. 1 a Nr. 7 BSHG. Nach der Aufgabe der Sozialhilfe, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG; vgl. auch § 9 SGB I), umfasst der notwendige Lebensunterhalt nach § 12 BSHG nicht nur das physiologisch Notwendige, sondern den gesamten zu einem menschenwürdigen Leben erforderlichen Bedarf. Es sind damit auch die herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen zu berücksichtigen, wobei hinsichtlich des Maßstabes darauf Bedacht zu nehmen ist, was sich Personen, deren Einkommen dem im Geltungsbereich der jeweiligen Regelsätze erzielten durchschnittlichen Netto-Arbeitsentgelt unterer Lohngruppen zuzüglich Kindergeld und Wohngeld entspricht (vgl. § 22 Abs. 3 Satz 2 BSHG), aus ihren bescheidenen Mitteln üblicherweise leisten können (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1993 - 5 C 49/90 -, BVerwGE 92, 102 ff.). Es entspricht der Lebenserfahrung und ist allgemeinkundig, dass die Konfirmation in evangelischen Familien aus allen Kreisen der Bevölkerung festlich und bei aller Lockerung auch heute noch ganz überwiegend in dem Anlass entsprechender feierlicher Kleidung begangen wird. Dass in der Kirchengemeinde der Antragsteller etwas Anderes gelten könnte, behauptet auch die Antragsgegnerin nicht. Die Teilnahme des Konfirmanden an der kirchlichen Zeremonie in angemessener Kleidung ist ein Ausdruck der persönlichen Glaubensentscheidung und entspringt dem menschlichen Grundbedürfnis, einmalige und herausragende Ereignisse im persönlichen Leben in einer sich vom Alltäglichen abhebenden Form zu begehen. Fiele der Bedarf für die Beschaffung feierlicher Bekleidung aus dem Leistungsrahmen des notwendigen Lebensunterhalts heraus, ginge für diejenigen Konfirmanden, die auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind, der festliche Charakter der Konfirmation zu einem wesentlichen Teil verloren. Das ist dem Hilfesuchenden nicht zuzumuten.
Die sozialhilferechtlich gebotene Orientierung an Lebensgewohnheiten und Leistungsfähigkeit der unteren Einkommensgruppen (vgl. § 22 Abs. 3 Satz 2 BSHG) bedeutet jedoch, dass die Höhe der einmaligen Leistung an den Kosten angemessener Kleidung einfacher Art auszurichten ist. Die notwendige feierliche Bekleidung für einen Konfirmanden ist unter Ausnutzung günstiger Einkaufsmöglichkeiten für rund 150,00 EUR zu erstehen. Sie besteht nach Ansicht des Gerichts aus einem Anzug oder einer Kombination ( ca. 90,00 EUR) in gedeckten Farben sowie dazu passendem Hemd mit Krawatte (ca. 20,00 EUR) und Schuhen (ca. 40,00 EUR). Hierfür reicht die bereits ausgezahlte Sommerbekleidungsbeihilfe nicht aus, außerdem ist sie nicht für diesen Zweck sondern für Alltagskleidung gedacht. Dass der jugendliche Antragsteller zu 2) schon in seinem vorhandenen Bestand an "Alltagsbekleidung" über derartige Kleidungsstücke verfügt, ist weder dargetan, noch sonst ersichtlich. Anders als bei erwachsenen ist es bei jugendlichen Hilfeempfängern eher unwahrscheinlich, dass sie über "Alltagsbekleidung" verfügen, die - wenn sie noch gut erhalten ist - den Bekleidungserfordernissen der Hauptperson einer Festlichkeit entsprechen könnten.
Der Hinweis der Antragsgegnerin, der Antragsteller zu 2) könne zum Zwecke der Beschaffung von Bekleidung auf die mit Bescheid vom 11. Februar 2003 gewährte Beihilfe zurückgreifen, geht ins Leere, weil diese Beihilfe der Ausrichtung einer bescheidenen Feier dient. Dass die Antragsgegnerin mit diesem Betrag in Höhe von 102,26 EUR daneben auch den notwendigen Bedarf an Konfirmationskleidung des Antragstellers zu 2) abdecken wollte, ergibt sich aus dem genannten Bescheid auch nicht. Im Gegenteil: In ihm wird die Gewährung einer Bekleidungsbeihilfe für die Konfirmation ausdrücklich abgelehnt. Zudem ist in dem Bescheid nur hinsichtlich der für die Taufe gewährten Beihilfe in Höhe von 61,36 EUR, nicht aber in Bezug auf die Konfirmationsbeihilfe, von einer Pauschale die Rede. Schließlich wäre der Betrag für beide Zwecke nicht ausreichend.
Die Antragstellerinnen zu 1) und 3) hingegen haben den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Im Gegensatz zu den Konfirmandinnen und Konfirmanden selbst stehen deren Familienmitglieder nicht im Vordergrund der Zeremonie. Bei ihnen kann sich ein zusätzlicher Bekleidungsbedarf nur ergeben, wenn sie in ihrem vorhandenen Bestand an "Alltagsbekleidung" tatsächlich über keine guterhaltenen und geeigneten Kleidungsstücke verfügen, die ihnen eine würdige Teilnahme als Familienmitglieder an der Konfirmation ermöglichen. Dies aber haben die Antragstellerinnen trotz eines entsprechenden Hinweises des Gerichts nicht dargetan.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 155 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Hachmann
Köhler