Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 06.05.2003, Az.: 3 B 266/03
Eigenheimzulage; Einkommen; Einkommensgrenze; einstweiliger Rechtsschutz; Erlass; Familienzuschlag; Heizung; Kindergartenbeitrag; Kindergeld; Kindertagesstättenbeitrag; Versicherungsbeitrag
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 06.05.2003
- Aktenzeichen
- 3 B 266/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48077
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 76 BSHG
- § 79 BSHG
- § 90 SGB 8
- § 8 WoGG
- § 123 Abs 1 S 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die nach dem Eigenheimzulagengesetz gewährte Eigenheimzulage ist als Einkommen iSv § 76 I BSHG zu berücksichtigen (im Anschluss an OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.11.2002 - 12 ME 784/02).
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kindertagesstättengebühr zum Besuch der Antragstellerin zu 2) im Kindergarten C. in D. ab Mai 2003 in Höhe von monatlich 150,00 EUR in vollem Umfang zu übernehmen.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerinnen und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Den Antragstellerinnen wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und Rechtsanwalt P. aus P. beigeordnet, soweit sie mit ihrer einstweiligen Anordnung die Übernahme der Kindertagesstättengebühren für den Besuch der Antragstellerin zu 2) im Kindergarten C. in D. ab Mai 2003 begehren.
Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.
Gründe
1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, die monatliche Kindertagesstättengebühr für den Besuch der Antragstellerin zu 2) im Kindergarten C. in D. in Höhe von 150,00 EUR ab Mai 2002 in vollem Umfang zu übernehmen, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Zahlung und Übernahme von Geldleistungen, wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird, im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel nur ausgesprochen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht sind und weiterhin glaubhaft gemacht wird, dass die begehrte Hilfe aus existenzsichernden Gründen so dringend notwendig ist, dass der Anspruch mit gerichtlicher Hilfe sofort befriedigt werden muss und es deshalb nicht zumutbar ist, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).
Die Antragstellerinnen haben hinsichtlich der Übernahme der Kindertagesstättengebühr ab dem Monat der gerichtlichen Entscheidung sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Gemäß § 90 Abs. 3 SGB VIII soll bei der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach §§ 22, 24 SGB VIII der dafür geforderte Teilnahmebeitrag oder die Gebühr auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern bzw. dem allein erziehenden Elternteil und dem Kind nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung gelten die §§ 76-79, 84 und 85 BSHG entsprechend, soweit nicht Landesrecht eine andere Regelung trifft (§ 90 Abs. 4 SGB VIII). Nach im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglicher und zulässiger summarischer Prüfung ist den Antragstellerinnen eine monatliche Belastung in Höhe von 150,00 EUR für den Besuch der Antragstellerin zu 2) im Kindergarten C. nicht zuzumuten.
Bei der Überprüfung anhand der o.g. – mangels besonderer landesrechtlicher Regelungen – entsprechend anwendbaren Vorschriften des BSHG ist das anrechenbare Einkommen zu ermitteln und dieses einer speziellen Einkommensgrenze gegenüberzustellen. Das anrechnungsfähige Einkommen ist nicht – wie bei der Gewährung z.B. von laufender Hilfe nach dem BSHG – für die Bedarfsgemeinschaft zu ermitteln. Vielmehr kommt es nach dem Wortlaut von § 90 Abs. 3 SGB VIII und § 79 BSHG lediglich auf das Einkommen des den Kindergarten besuchenden Kindes, hier der Antragstellerin zu 2), und deren (allein erziehender) Mutter, die Antragstellerin zu 1), an (vgl. B. d. Kammer v. 08.01.2002 – 3 B 415/01 -; Schoch, Sozialhilfe: S. 354 ff.). Dementsprechend ist bei der Einkommensberechnung das Einkommen der übrigen im Haushalt lebenden Kinder E. und F. aus Waisenrente sowie Unterhaltsleistungen an den Sohn G. nicht zu berücksichtigen. Demgegenüber ist ein Betrag von monatlich 739,00 EUR Kindergeld als Einkommen der Antragstellerin zu 1) anzusetzen. Insoweit ist im einstweiligen Rechtsschutzantrag ausgeführt worden, dass diese für ihre sechs Kinder insgesamt Kindergeld in Höhe von 999,00 EUR erhält und davon einen Teilbetrag in Höhe von 160,00 EUR an ihren Sohn H. weiterleitet. Kindergeld ist nämlich grundsätzlich Einkommen des Kindergeldberechtigten, hier der Antragstellerin zu 1); es wird nur dann zu anrechenbarem Einkommen eines Kindes, wenn es diesem durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt tatsächlich weitergegeben wird (vgl. Urt. d. erk. Kammer v. 03.04.2003 – 3 A 262/02 – unter Berufung auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte). Darüber hinaus ist weiteres monatliches Einkommen in der Form einer Eigenheimzulage in Höhe von 426,07 EUR zu berücksichtigen. Die Kammer verweist insoweit auf ihren Beschluss vom 29.10.2002 (3 B 271/02), mit dem die Gewährung ergänzender Sozialhilfe für die Antragstellerin zu 1) und ihre Familie abgelehnt worden ist. Dort ist die der Antragstellerin zu 1) nach dem Eigenheimzulagengesetz gewährte Eigenheimzulage in Höhe von jeweils 5.112,92 EUR (10.000,00 DM) für die Jahre 2000 bis 2007 (zu jeweils 1/12, d.h. 426,07 EUR) als Einkommen berücksichtigt worden. Die Anrechnung der Eigenheimzulage als Einkommen ist durch Beschluss des OVG Lüneburg vom 26.11.2002 (12 ME 784/02) bestätigt worden. Für die Berechnung der Einkommensgrenze gemäß § 79 BSHG gilt nichts anderes. Die Antragstellerin zu 1) hat die weitere Zahlung dieser Eigenheimzulage auf Anfrage des Gerichts nicht bestritten.
Das danach zu berechnende Einkommen ist um den gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG zu berücksichtigenden Absetzungsbetrag und die von den Antragstellerinnen zu leistenden Versicherungsbeiträge zu bereinigen. Die vom Antragsgegner vorgenommene Berücksichtigung eines lediglich pauschalen Abzugsbetrages für Versicherungen von bis zu 3 % des Nettoeinkommens kommt nach Ansicht der Kammer nicht in Betracht (vgl. B. d. Kammer v. 08.01.2002, a.a.O.).
Das anrechenbare monatliche Einkommen der Antragstellerinnen ist demnach wie folgt zu bestimmen:
Witwenrente der Antragstellerin zu 1)
(s. Bl. 20 der Gerichtsakte) 375,14 EUR
Arbeitslosenhilfe (s. Bl. 21 der GA) 324,30 EUR
Waisenrente der Antragstellerin zu 2) 158,62 EUR
Kindergeld 739,00 EUR
Eigenheimzulage 426,07 EUR
Gesamteinkommen 2023,13 EUR
abzüglich Absetzungsbetrag gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG 20,50 EUR
abzüglich Versicherungsbeiträge (insgesamt) 66,53 EUR
bereinigtes Gesamteinkommen 1936,10 EUR
Dieses Einkommen übersteigt die nach § 79 BSHG zu ermittelnde Einkommensgrenze nicht. Diese Einkommensgrenze ergibt sich für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aus einem ab 01.07.2002 geltenden Grundbetrag in Höhe von 563,00 EUR. Diesem Grundbetrag sind vier Familienzuschläge in Höhe von jeweils 80 % des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes, d.h. 235,00 EUR, hinzuzurechnen. Insoweit ist davon auszugehen, dass lediglich die im Haushalt der Antragstellerin zu 1) lebenden Kinder B., F., E. und G. trotz ihrer Einkünfte aus Waisenrente oder Unterhalt von der Antragstellerin zu 1) im Sinne von § 79 Abs. 2 Nr. 3 BSHG überwiegend unterhalten werden. Weiterhin sind im Rahmen der Einkommensgrenze die Kosten der Unterkunft anzurechnen, wobei die Kosten der Heizung nicht als Unterkunftsbedarf zu berücksichtigen sind. Die Kammer stellt im summarischen Verfahren in Anbetracht der nicht gänzlich vollständigen Nachweise zu den Unterkunftskosten im einstweiligen Rechtsschutzantrag auf die in ihrem vom OVG Lüneburg bestätigten Beschluss vom 29.10.2002 aufgrund einer Rentabilitätsberechnung angenommenen Hauslasten in Höhe von 856,47 EUR abzüglich monatlich gezahlten Wohngeldes in Höhe von 284,00 EUR ab. In Anbetracht der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.05.1987 – 5 C 36/85 -, FEVS 36, 397 ff.; LPK, BSHG: § 79 Rn. 10) hält sie die pauschale Berücksichtigung des Höchstbetrages nach § 8 WoGG plus 20 % als angemessene Unterkunftskosten iSv § 79 Abs. 2 Nr. 2 BSHG für nicht akzeptabel. Dementsprechend ermittelt sich die Einkommensgrenze wie folgt:
Grundbetrag ab 01.07.2002 | 563,00 EUR |
Familienzuschlag (4 x 235,00 EUR) | 940,00 EUR |
Kosten der Unterkunft (ohne Heizkosten) | 856,47 EUR |
2359,47 EUR | |
abzüglich Wohngeld | 284,00 EUR |
Einkommensgrenze | 2075,47 EUR |
Da das zu berücksichtigende Einkommen die maßgebende Einkommensgrenze nicht übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel für den Besuch der Antragstellerin zu 2) im Kindergarten C. nicht zuzumuten. Vor diesem Hintergrund kommt es auf weitere von der Antragstellerin zu 1) behauptete Zahlungen, wie z.B. 200,00 EUR freiwilligen Unterhaltes an den Sohn H. und Schuldenabtragungen, die im Rahmen von § 84 Abs. 1 BSHG (Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze) zu berücksichtigen wären, nicht (mehr) an. Die Aufbringung der Mittel unterhalb der Einkommensgrenze gemäß § 85 BSHG kommt nicht in Betracht. Für den Fall der Annahme von über der Einkommensgrenze liegendem Einkommen bei zukünftigen Berechnungen verweist die Kammer auf die notwendige Ermittlung des angemessenen Umfangs im Sinne von § 84 Abs. 1 BSHG (vgl. B. d. Kammer v. 08.01.2002, a.a.O., unter Berufung auf die Rechtsprechung des OVG Lüneburg).
Ein Anordnungsgrund liegt ab dem 1. des Monats der gerichtlichen Entscheidung vor, um der Antragstellerin zu 2) den weiteren Besuch des Kindergartens zu ermöglichen. Die Antragstellerinnen haben nicht glaubhaft gemacht, dass besondere Umstände vorliegen, die die Annahme eines Anordnungsgrundes auch für die Übernahme der Kindergartenbeiträge aus der Vergangenheit rechtfertigen könnten. Insoweit ist ggf. nach Erlass eines ablehnenden Widerspruchsbescheides ein Klageverfahren durchzuführen.
Nach alledem ist der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ab Mai 2003 die Kindertagesstättengebühr in Höhe von monatlich 150,00 EUR zu übernehmen und der Antrag im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
2. Den Antragstellerinnen ist Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug zu bewilligen, soweit sie die Übernahme der Kindertagesstättengebühren ab Mai 2003 begehren, da der gestellte Antrag aufgrund der obigen Ausführungen in diesem Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Im Übrigen ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.
Die Kostenentscheidung insoweit beruht auf § 188 Satz 2, § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.