Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.10.2014, Az.: 8 ME 120/14

Berücksichtigung eines möglichen Erlasses der Beitragsschuld bei der Frage der Rechtmäßigkeit einer Beitragserhebung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.10.2014
Aktenzeichen
8 ME 120/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 25580
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:1029.8ME120.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 03.09.2014 - AZ: 5 B 9292/14

Fundstellen

  • DStR 2014, 13
  • NWB 2014, 3786
  • NWB direkt 2014, 1332

Amtlicher Leitsatz

Die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung hängt nicht davon ab, ob ein Erlass der Beitragsschuld nach §§ 105, 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LHO in Betracht kommt.

Tenor:

  1. I.

    Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 5. Kammer (Einzelrichterin) - vom 3. September 2014 wird zurückgewiesen.

  2. II.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands des Beschwerdeverfahrens wird auf 983,54 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Leistungsbescheide über Beitragsrückstände für das Jahr 2013 und das 1. Quartal des Jahres 2014.

Der Antragsteller ist seit 2003 Mitglied beim Antragsgegner. Er war bis Ende 2012 in einer Rechtsanwaltssozietät in B. tätig. Infolge der Auflösung der Sozietät verminderte sich das Einkommen des Antragstellers aus anwaltlicher Tätigkeit erheblich.

Der Antragsgegner setzte mit Bescheid vom 7. Januar 2013 den monatlichen Beitrag ab dem 1. Januar 2013 auf 548,10 EUR fest. Der Berechnung des Beitrags legte er ein beitragspflichtiges Einkommen des Antragstellers in Höhe von mindestens 5.800 EUR je Monat im Jahr 2011 zugrunde. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller Klage erhoben mit dem Begehren, den Bescheid aufzuheben und den zu leistenden Beitrag unter Berücksichtigung des von ihm seit dem 1. Januar 2013 erzielten beitragspflichtigen Einkommens neu festzusetzen.

Mit Bescheid vom 7. Januar 2014 setzte der Antragsgegner den monatlichen Beitrag ab dem 1. Januar 2014 auf 562,28 EUR fest. Er ging dabei von einem beitragspflichtigen Einkommen des Antragstellers in Höhe von mindestens 5.950 EUR je Monat im Jahr 2012 aus. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Klage.

Da der Antragsteller seit dem 1. Januar 2013 keine Beiträge zahlte, erließ der Antragsgegner gegen den Antragsteller unter dem 10. April 2014 zum einen einen Leistungsbescheid über die rückständigen Beiträge für das Jahr 2013 in Höhe von 6.577,20 EUR zzgl. Säumniszuschlag und Kosten in Höhe von 134,99 EUR und zum anderen einen Leistungsbescheid über rückständige Beiträge im 1. Quartal 2014 in Höhe von 1.686,84 EUR zzgl. Säumniszuschlag in Höhe von 33,74 EUR.

Der Antragsteller zahlte am 15. April 2014 und am 6. Mai 2014 an den Antragsgegner insgesamt einen Betrag von 4.787,29 EUR.

Gegen die Leistungsbescheide hat der Antragsteller am 7. Mai 2014 Klage erhoben und zugleich beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Leistungsbescheide betreffend Beitragsrückstände für das Jahr 2013 in Höhe von 3.113,28 EUR (nach Abzug von Beitragszahlungen in Höhe von 3.463,92 EUR) und betreffend Beitragsrückstände für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2014 in Höhe von 820,86 EUR (nach Abzug von Beitragszahlungen in Höhe von 865,98 EUR) anzuordnen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Bei Berücksichtigung seines im Jahr 2013 erzielten Einkommens aus anwaltlicher Tätigkeit ergebe sich lediglich ein monatlicher Beitrag in Höhe von 288,66 EUR. Bei der Festsetzung des Beitrags könne entgegen der Regelung in § 24 Abs. 7 der Satzung des Antragsgegners nicht auf die Höhe des Einkommens des vorletzten Jahres abgestellt werden, weil er ein niedrigeres Einkommen in dem betreffenden Beitragsjahr nachgewiesen habe. Dieses niedrigere Einkommen müsse jedenfalls im Sinne eines Härtefalls berücksichtigt werden. Die Vollstreckung der noch rückständigen Beiträge von rd. 4.000 EUR gefährde die Existenz seiner Rechtsanwaltskanzlei.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 3. September 2014 abgelehnt. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergäben sich keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Leistungsbescheide des Antragsgegners. Der Antragsteller könne - schon aus Gründen der Gleichbehandlung - nicht beanspruchen, dass abweichend von den allgemein geltenden Satzungsregelungen das Einkommen im jeweiligen Beitragsjahr für die Bemessung der Beitragshöhe zugrunde gelegt werde. Die Ablehnung des Antragsgegners, den Beitrag härtefallbedingt zu reduzieren, sei nicht zu beanstanden. Eine Weiterverfolgung des Beitragsanspruchs durch den Antragsgegner sei nur dann ausgeschlossen, wenn sie zu einer Existenzgefährdung des Beitragspflichtigen führte. Dass vorliegend die Vollstreckung eines Betrag in Höhe von 3.934,14 EUR zu einer Existenzgefährdung führen könnte, sei nicht substantiiert vorgetragen worden und sei insbesondere nicht den vorgelegten Unterlagen für das Jahr 2013 mit einem Einkommen von 36.655,19 EUR zu entnehmen, zumal die Ehefrau des Antragstellers mit 20.174 EUR im Jahr 2011 kein ganz unerhebliches Einkommen erzielt habe. Auf die Einzelheiten der vom Antragsteller geltend gemachten finanziellen Notlage sowie die Vorhersehbarkeit derselben komme es daher nicht mehr an.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung sich die Entscheidung des Senats zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen eine Änderung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf die teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Leistungsbescheide des Antragsgegners vom 10. April 2014 betreffend Beitragsrückstände des Jahres 2013 und des 1. Quartals 2014 abgelehnt. Dieser Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.

Ein solcher Antrag hat nur Erfolg, wenn die vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes vorerst verschont zu bleiben, einerseits und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung andererseits zugunsten des Antragstellers ausfällt. Ein solches überwiegendes Interesse kann in den Fällen, in denen dem Rechtsbehelf - wie hier nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, weil die Beiträge zum beklagten Versorgungswerk "Abgaben" im Sinne dieser Bestimmung sind (vgl. Senatsbeschl. v. 13.11.2011 - 8 ME 173/11 -, [...] Rn. 10) - von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zukommt, nur dann angenommen werden, wenn der Rechtsbehelf des Antragstellers offensichtlich oder doch zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird oder wenn sonstige Umstände gegeben sind, die es rechtfertigen, ausnahmsweise - in Abweichung von der gesetzlich getroffenen Wertung - dem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 -, [...] Rn. 21 f.; BVerwG, Beschl. v. 14.4.2005 - BVerwG 4 VR 1005.04 -, [...] Rn. 10 ff.; Senatsbeschl. v. 13.11.2011, a.a.O.).

Nach Maßgabe dessen überwiegt bei der im gerichtlichen Aussetzungsverfahren vorzunehmenden Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Leistungsbescheide. Denn nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung bestehen keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Leistungsbescheide und damit Erfolgsaussichten einer Klage gegen diese.

Die Leistungsbescheide vom 10. April 2014 stützen sich auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über das Rechtsanwaltsversorgungswerk Niedersachsen - RVNG - vom 14. März 1982 (Nds. GVBl. S. 65) in der Fassung des Gesetzes vom 22. Januar 2014 (Nds. GVBl. S. 28). Danach setzt das Versorgungswerk die Pflichtbeiträge durch Bescheid fest. Die Verpflichtung des Antragstellers zur Zahlung der in den Bescheiden des Antragsgegners vom 7. Januar 2013 für das Jahr 2013 und vom 7. Januar 2014 für das Jahr 2014 festgesetzten Pflichtbeiträge ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 RVNG in der Fassung des Gesetzes vom 7. Oktober 2010 (Nds. GVBl. S. 462) in Verbindung mit § 24 Abs. 1 der Satzung des Antragsgegners vom 4. September 1996 (Nds. Rpfl. 1997, S. 241) in der Fassung der Änderungssatzung vom 16. November 2009 (Nds. Rpfl. 2009, S. 389).

Der Antragsteller kann nicht mit dem Einwand durchdringen, dass die angefochtenen Bescheide rechtswidrig seien, weil er lediglich verpflichtet sei, einen ermäßigten Beitrag nach § 24 Abs. 6 Satz 1 der Satzung zu zahlen. Nach dieser Vorschrift tritt abweichend zu § 24 Abs. 1 der Satzung für Mitglieder, deren Bruttoeinkommen (die gesamten Einnahmen aus selbständiger anwaltlicher und notarieller Tätigkeit nach Abzug der Betriebsausgaben, jedoch ohne Abzug von Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und Steuerfreibeträgen) und Bruttoarbeitsentgelt aus Rechtsanwaltstätigkeit die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erreicht, für die Bestimmung des Beitrags an die Stelle der Beitragsbemessungsgrenze nach §§ 159, 160 SGB VI das jeweils nachgewiesene Bruttoarbeitseinkommen und Bruttoarbeitsentgelt. Nach § 24 Abs. 7 Buchst. a) der Satzung ist der hierfür erforderliche Einkommensnachweis durch Vorlage des Einkommensteuerbescheides oder, solange dieser noch nicht vorliegt, vorläufig durch Vorlage einer Bescheinigung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe oder durch sonstigen geeigneten Nachweis, jeweils für das vorletzte Kalenderjahr, zu erbringen. Diese in der Satzung festgelegten Voraussetzungen für einen ermäßigten Beitrag hat der Antragsteller bei Erlass der angefochtenen Bescheide aber nicht erfüllt. Dies wird auch vom Antragsteller mit seiner Beschwerde nicht in Zweifel gezogen.

Soweit der Antragsteller vorträgt, dass die von ihm geltend gemachte Beitragsreduzierung nicht zu Lasten der Mitglieder des Versorgungswerkes, sondern allein zu seinen Lasten gehe, weil das Versorgungswerk nach dem offenen Deckungsplanverfahren arbeite, so rechtfertigt dieser Umstand nicht, abweichend von der gesetzlich getroffenen Wertung in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Leistungsbescheide zukommen zu lassen. Denn es steht den Rechtsanwälten in Niedersachsen nicht frei, Mitglied des Antragsgegner zu werden (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 RVNG) und in welcher Höhe sie durch ihre Beiträge eine Versorgung aufbauen (vgl. § 6 RVNG in Verbindung mit § 24 der Satzung).

Die vom Antragsteller erhobenen Einwände gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ablehnung einer härtefallbedingten Beitragsreduzierung durch den Antragsgegner sei nicht zu beanstanden, sind in diesem Verfahren von vorneherein unerheblich. Denn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Leistungsbescheide hängt nicht davon ab, ob die Voraussetzungen für einen (teilweisen) Erlass der Beitragsschuld nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV oder § 105 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LHO nicht vorgelegen haben. Zwar hat der Senat im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit von Satzungsbestimmungen eines berufsständischen Versorgungswerkes über die Erhebung eines Mindestbeitrags entschieden, dass auch ohne ausdrückliche Regelung in der Satzung ergänzend allgemeine Regelungen zur Stundung, zur Niederschlagung und zum Erlass von Beiträgen anzuwenden sind, wobei er zuletzt offen gelassen hat, ob sich die Voraussetzungen für einen solchen Beitragserlass wegen einer besonderen Härte aus dem für die gesetzliche Sozialversicherung geltenden § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV, wie er in seinem Urteil vom 26. Februar 1997 - 8 L 4716/95 - angenommen hat, oder aus § 105 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LHO ergeben (Senatsbeschl. v. 13.10.2011, a.a.O.). Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass nach der Satzung zu zahlende Beiträge vom Versorgungswerk nicht festgesetzt werden dürften, wenn zugleich ein Erlass der Beiträge in Betracht kommt. Vielmehr ist unabhängig davon in einem gesonderten Verfahren über einen vom Betroffenen zu stellenden Erlassantrag vom Versorgungswerk zu entscheiden (vgl. Senatsbeschl. v. 10.4.2012 - 8 PA 32/12 -, V.n.b.; v. 11.2.2011 - 8 LA 259/10 -, [...] Rn. 18).

Unabhängig davon vermag der Senat aktuell beim Antragsteller einen Härtefall, der einen teilweisen Erlass der geschuldeten Beiträge nach den genannten Bestimmungen fordert, nicht zu bejahen. Eine Weiterverfolgung des Beitragsanspruchs des Antragsgegners ist hiernach nur dann ausgeschlossen, wenn sie zu einer Existenzgefährdung des Antragstellers führen würde (Senatsbeschl. v. 13.10.2011, a.a.O.). Hiervon kann derzeit aber nicht ausgegangen werden. Mit den angefochtenen Leistungsbescheiden hat der Antragsgegner Beiträge und Nebenforderungen in Höhe von insgesamt 8.432,77 EUR festgesetzt. Hierauf hat der Antragsteller bereits Zahlungen in Höhe von insgesamt 5.364,61 EUR geleistet (vgl. Aufstellung der Zahlungen im Schriftsatz des Antragsgegners vom 10.10.2014, Bl. 117 der Gerichtsakte), sodass lediglich ein Betrag in Höhe von 3.068,16 EUR noch offen ist. Dass mit der Weiterverfolgung dieses restlichen Betrags eine Existenzgefährdung des Antragstellers verbunden wäre, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen, zumal der Antragsteller aufgrund seiner verminderten Einnahmen im Zuge der Auflösung der Sozietät durch Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 des Finanzamtes Hildesheim vom 23. September 2014 aktuell eine Steuererstattung in Höhe von 4.190,25 EUR erhalten hat. Ferner ist mit einzustellen, dass die vom Antragsteller ab Januar 2015 zu entrichteten Beiträge deutlich sinken werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 Satz 1 Halbsatz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordöR 2014, 11).