Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.10.2014, Az.: 7 KS 79/14

Bemessung des Streitwerts bei der Feststellung des Nichtbestehens der Sorgepflicht gemäß § 9a Abs. 2a AtG

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.10.2014
Aktenzeichen
7 KS 79/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 25673
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:1028.7KS79.14.0A

Fundstellen

  • GewArch 2015, 46
  • NVwZ-RR 2015, 6
  • NVwZ-RR 2015, 318-319

Amtlicher Leitsatz

Der Streitwert in einem Rechtsstreit, in dem die Feststellung des Nichtbestehens der Sorgepflicht nach § 9a Abs. 2a AtG begehrt wird, bemisst sich in Höhe der geschätzten finanziellen Aufwendungen, die dem klagenden Betreiber eines Kernkraftwerks für die Anpassung eines vorhandenen standortnahen Zwischenlagers zum Zwecke der Erfüllung der Sorgepflicht entstünden.

Tenor:

Der Wert des Streitgegenstandes wird vorläufig auf 30.000.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Die Festsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 39 und 40 GKG. Sie orientiert sich an den Vorschlägen unter den Nrn. 1.3, 2.1.4 sowie 6.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11) und knüpft an den seitens der Klägerin zum Zwecke ihrer Streitwertangabe (§ 61 GKG) geschätzten Betrag der Aufwendungen von 50.000.000,-- EUR an, der ihres Erachtens erforderlich ist, um die standortnahen Zwischenlager bei den Kernkraftwerken Grohnde und Unterweser für eine Erfüllung der umstrittenen Verpflichtung gemäß § 9a Abs. 2a AtG anzupassen. Für die Streitwertbemessung ist dieser Betrag allerdings durch § 39 Abs. 2 GKG gedeckelt.

Entsprechend dem Vorschlag unter Nr. 1.3 des Streitwertkatalogs ist eine Feststellungsklage in der Regel ebenso zu bewerten wie eine auf das vergleichbare Ziel gerichtete Anfechtungsklage. Wie die Klägerin selbst erkannt hat (vgl. unter B. I. 3. auf S. 22 ihrer Klageschrift), wäre eine Anfechtungsklage auf ein vergleichbares Ziel gerichtet, mit der sich die Klägerin gegen eine im Rahmen der staatlichen Aufsicht ergangene Anordnung wenden würde, durch die ihr aufgegeben wäre, die umstrittene Verpflichtung gemäß § 9a Abs. 2a AtG zu erfüllen und jene Aufwendungen zu tätigen, die sie geschätzt hat. Würde eine solche Anordnung zwangsweise durchgesetzt werden, so wären zudem in einem selbständigen Vollstreckungsverfahren die geschätzten Kosten der Ersatzvornahme für die Bemessung des Streitwerts maßgeblich (vgl. Nr. 1.7.1 Satz 1 des Streitwertkatalogs). Gegen eine Orientierung an Nr. 2.1.4 des Streitwertkatalogs spricht nicht, dass Nr. 2.1.3 des Streitwertkatalogs für die (ebenfalls eine belastende Regelung darstellende) Untersagung eines Betriebs (auf dem Gebiet der Abfallentsorgung) lediglich einen Streitwert von 1% der Investitionssumme vorsieht. Denn ausweislich der Nr. 2 Satz 2 des Streitwertkatalogs gilt statt des genannten Prozentsatzes der Investitionssumme das geschätzte wirtschaftliche Interesse als maßgebend, wenn mit dem errechneten Prozentwert die Bedeutung der Anfechtung einer belastenden Maßnahme nicht angemessen erfasst wird. Außerdem trifft Nr. 6.1.6 des Streitwertkatalogs für Betriebseinstellungen (d. h. für eine belastende Regelung) im Atomrecht gerade keine nur an einen Bruchteil der Investitionssumme anknüpfende Regelung, sondern sieht ebenfalls vor, den wirtschaftlichen Verlust in voller Höhe anzusetzen.

Das wirtschaftliches Interesse am Streitgegenstand des hiesigen Prozesses stellt sich zudem nicht anders dar, als hätte der Gesetzgeber eine Ermächtigungsgrundlage dafür geschaffen, erteilte atomrechtliche Genehmigungen mit nachträglichen Auflagen zu versehen, die eine Sorgepflicht im Sinne des § 9a Abs. 2a AtG zum Gegenstand haben, und würde die Klägerin derartige Nebenbestimmungen mit einer Anfechtungsklage angreifen (vgl. Nr. 6.1.3 des Streitwertkatalogs). Vielmehr betont die Klägerin selbst (unter B. I. 2. b] auf den Seiten 21 f. ihrer Klageschrift), dass es sich - ihres Erachtens - bei § 9a Abs. 2a AtG um eine sogenannte "self-executing" Norm handele, die nicht auf weitere behördliche Durchführungsakte angewiesen sei. Dann aber kann der mit der Feststellungsklage geführte Angriff auf diese Norm streitwertrechtlich gegenüber der Anfechtung von aufsichtsbehördlichen Verwaltungsakten oder (fiktiven) Nebenbestimmungen, die auf ein vergleichbares Ziel gerichtet sind, nicht rabattiert werden. Die Bedeutung der Sache im Sinne des § 52 Abs. 1 GKG für die Klägerin liegt vielmehr auch im vorliegenden Rechtsstreit darin, bereits als Konsequenz der erstrebten Feststellung die geschätzten Aufwendungen i n s g e s a m t zu ersparen.

Der Anregung der Klägerin, die Streitwertbemessung stattdessen an dem Vorschlag unter Nr. 6.1.2 des Streitwertkatalogs zu orientieren, der (nur) die Aufbewahrungsgenehmigung zum Gegenstand hat, kann nicht gefolgt werden. Denn in denjenigen Fällen, die dieser Vorschlag primär erfasst, liegt die Bedeutung der Sache für den Kläger (lediglich) darin, durch die begehrte Verpflichtung zur Erteilung einer Genehmigung neben anderen auch die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass er Kernbrennstoffe außerhalb der staatlichen Verwahrungen aufbewahren kann. Ist die Aufbewahrungsgenehmigung aber nur eine von vielen notwendigen Voraussetzungen für die Verwirklichung des Investitionsvorhabens, das von einem Gesamtinteresse getragen wird, welches sich in der Investitionssumme spiegelt, so kann für die Streitwertbemessung deshalb überzeugend an nur einen Bruchteil der Investitionssumme angeknüpft werden, weil dieser Bruchteil gleichsam für das Teilinteresse an der Genehmigung als nur einer Voraussetzung für die Verwirklichung des Vorhabens steht. Demgegenüber setzt das mit der hiesigen Klage verfolgte Abwehrinteresse der Klägerin - ihres Erachtens - allein die Existenz der streitgegenständlichen Regelung des § 9a Abs. 2a AtG voraus. Es korreliert folglich in vollem Umfang mit dem durch diese Regelung veranlassten geschätzten Investitionsvolumen, das sich daher für die Streitwertbemessung nicht aufteilen lässt.

Die Kontrollüberlegung, dass der Streit um eine "Nebenpflicht" nicht höher bewertet werden sollte als der Streit um die Genehmigung "der Hauptsache" selbst, führt hier ebenfalls zu keiner anderen Sicht der Dinge. Denn die Verpflichtung nach § 9a Abs. 2a AtG knüpft an die Eigenschaft als "Betreiber von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Energie" an, und nicht etwa an die Eigenschaft als Inhaber einer Genehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen außerhalb der staatlichen Verwahrung in einem standortnahen Zwischenlager. Es wäre daher für die genannte "Kontrollüberlegung" der Vergleich zu dem (fiktiven) "Hauptsache"-Streitwert eines Prozesses um die Erteilung von Anlagengenehmigungen für die beiden in Rede stehenden Kernkraftwerke zu ziehen (Nr. 6.1.1 des Streitwertkatalogs), und nicht etwa der Vergleich zu dem Streitwert eines Prozesses um zwei Veränderungsgenehmigungen im Sinne des § 6 Abs. 4 AtG (Nr. 6.1.2 des Streitwertkatalogs).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 63 Abs. 1 Satz 2 GKG).