Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.10.2014, Az.: 7 PA 33/14

Verallgemeinerung der spezialgesetzlichen Regelvermutungsfristen für einzelne gewerbliche Betätigungen bei bestimmten Straftaten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.10.2014
Aktenzeichen
7 PA 33/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 24923
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:1013.7PA33.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 18.03.2014 - 5 A 249/13

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2015, 25-26
  • NordÖR 2015, 144
  • ZfWG 2015, 156

Amtlicher Leitsatz

Es besteht kein Anlass, die spezialgesetzlichen Regelvermutungsfristen für einzelne gewerbliche Betätigungen von drei und fünf Jahren bei bestimmten Straftaten (§§ 33 c Abs. 2 Nr. 1 2. Halbsatz, 33 d Abs. 3 Satz 2, 33 i Abs. 2 Nr. 1 sowie §§ 34 b Abs. 4 Nr. 1 2. Halbsatz, 34 c Abs. 2 Nr. 1 2. Halbsatz GewO) in Abweichung von den im Bundeszentralregistergesetz geregelten Tilgungs und Verwertungsfristen (§§ 45 ff., 51 BZRG) zu verallgemeinern und gleichsam in eine Zuverlässigkeitsvermutung umzukehren.

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Berichterstatter der 5. Kammer - vom 18. März 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es ihm die Gewährung von Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen die (erweiterte) Gewerbeuntersagung der Beklagten versagt hat, hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens des Klägers (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zu Recht verneint. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses zu Eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Soweit die Beschwerde geltend macht, die Verurteilungen des am 13.04.1990 geborenen Klägers stammten aus den Jahren 2008 und 2009 und dürften daher "... nicht mehr berücksichtigt werden", ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob ein Verwertungsverbot für in der Vergangenheit erfolgte strafrechtliche Verurteilungen bei der im Gewerbeuntersagungsverfahren anzustellenden Prognose über das künftige Verhalten des Antragstellers im Rechtsverkehr besteht, sich nach §§ 51, 52 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG -) richtet. Getilgte oder zu tilgenden Verurteilungen sind - vorbehaltlich des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG - nach § 51 Abs. 1 BZRG grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 21.09.1992 - 1 B 152.92 -, GewArch 1995, 115; Beschl. v. 23.05.1995 - 1 B 78.95 -, GewArch 1995, 377). Wann eine Eintragung über eine Verurteilung zu tilgen ist, bestimmt sich nach §§ 45 ff. BZRG. Bei Eintragung mehrerer Straftaten ist die Tilgung nach § 47 Abs. 3 BZRG grundsätzlich erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung gegeben sind. Dass diese Bedingung vorliegt, wird vom Kläger nicht dargelegt und ist im Hinblick auf den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Gewerbeuntersagungsverfügung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.02.1997 - 1 B 34.97 -, GewA 1997, 242) am 4.10.2013 auch nicht anzunehmen.

Soweit der Kläger vorträgt, beide Verurteilungen seien nach Jugendstrafrecht erfolgt und ihre Verwertung daher "... nur noch eingeschränkt zulässig", ist dies nicht zutreffend. Vielmehr sind auch Jugendstraftaten berücksichtigungsfähig, so lange die entsprechenden - regelmäßig verkürzten (vgl. § 46 Abs. 1 Nrn. 1 - 4 BZRG) - Tilgungsfristen nicht abgelaufen sind. Daher ist der Beklagte vorliegend rechtlich nicht gehindert, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Klägers als Gewerbetreibender auf die strafrechtlichen Verurteilungen der Vergangenheit zurückzugreifen.

Der Ablauf der Tilgungsfrist stellt allerdings nur die äußerste zeitliche Grenze dar, von deren Erreichen ab die Eintragungen dem Antragsteller nicht mehr vorgehalten werden dürfen (Landmann/Rohmer, GewO, Loseblatt, § 35 Rdnrn. 41, 174). Die Regelvermutungsfristen für einzelne Gewerbe in §§ 33 c Abs. 2 Nr. 1 2. Halbsatz, 33 d Abs. 3 Satz 2, 33 i Abs. 2 Nr. 1 sowie §§ 34 b Abs. 4 Nr. 1 2. Halbsatz, 34 c Abs. 2 Nr. 1 2. Halbsatz GewO von drei und fünf Jahren lassen eine gewisse Tendenz erkennen, die Zuverlässigkeit nach verhältnismäßig kurzer Zeit nicht mehr allein wegen Eintragungen im Bundeszentralregister zu verneinen (vgl. Landmann/Rohmer, aaO, § 35 Rdnr. 41 a.E.). Es besteht indes kein Anlass, diese spezialgesetzlichen Regelvermutungen in Abweichung von den im Bundeszentralregistergesetz geregelten Tilgungs- und Verwertungsfristen (§§ 45 ff., 51 BZRG) zu verallgemeinern und gleichsam in eine Zuverlässigkeitsvermutung umzukehren (Nds. OVG, Beschl. v. 29.01.2008 - 7 PA 190/07 -, [...] Rn. 3). Die Prognose, ob und inwieweit längere Zeit zurückliegendes strafrechtliches Fehlverhalten die Annahme andauernder Unzuverlässigkeit rechtfertigt, erfordert vielmehr eine Gesamtwürdigung, in die namentlich Art und Umstände der Straftat und die Entwicklung der Persönlichkeit des Klägers einzubeziehen sind (BVerwG, Beschl. v. 23.05.1995, aaO; Beschl. v. 09.07.1993 - 1 B 105.93 -, GewArch 1993, 414; Nds. OVG, aaO mwN). Aus der Berücksichtigung von Eintragungen im Bundeszentralregister ergibt sich auch kein Schematismus. Denn eine Regelvermutung sieht die Gewerbeordnung abseits der genannten speziellen Regelungen weder in die eine noch in die andere Richtung vor. Die behördliche Entscheidung über die Gewerbeuntersagung ist in jedem Einzelfall auf der Grundlage einer Prognose über das künftige Verhalten des Klägers im Rechtsverkehr zu treffen (BVerwG, aaO; Nds. OVG, aaO). Eine insoweit fehlerhafte Würdigung seitens der Beklagten oder des Verwaltungsgerichts, das sich konkret mit den zu erwartenden Gefährdungen auseinandersetzt, wird indes von der Beschwerde nicht aufgezeigt.

Dass die Gewerbeuntersagung "... auf Dauer" ausgesprochen worden ist, führt - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht zu ihrer Unverhältnismäßigkeit. Zutreffend ist insoweit zwar, dass die Gewerbeuntersagung unbefristet ausgesprochen worden ist. Jedoch sieht § 35 Abs. 6 GewO die Wiedergestattung der Gewerbeausübung auf Antrag vor, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Unzuverlässigkeit nicht mehr gegeben ist. Es liegt damit wesentlich am Kläger selbst, die Voraussetzungen für eine günstigere Beurteilung seiner gewerberechtlichen Zuverlässigkeit in der Zukunft zu schaffen und sich damit den Weg zu einer selbstständigen Gewerbeausübung zu eröffnen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.