Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.05.2013, Az.: 1 K 166/12

Abziehbarkeit von Zahlungen i.R.e. schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs als Sonderausgaben bei unbeschränkter Einkommensteuerpflichtigkeit des Empfängers

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.05.2013
Aktenzeichen
1 K 166/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 41337
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2013:0516.1K166.12.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 07.07.2014 - AZ: X B 135/13

Fundstellen

  • DStR 2014, 6
  • DStRE 2014, 707-712
  • EFG 2013, 1490-1494
  • ErbStB 2013, 367
  • FamRZ 2013, 1848

Amtlicher Leitsatz

Zahlungen im Rahmen eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs sind nur als Sonderausgaben abziehbar, wenn der Empfänger unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob Zahlungen aufgrund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs als Sonderausgaben abgezogen werden können.

2

Der Kläger ist verheiratet und wird im Streitjahr mit seiner jetzigen Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

3

In der Zeit vom 1977 bis 1992 war der Kläger mit der australischen Staatsangehörigen A verheiratet. Im November 1991 hatten der Kläger und die A eine notarielle Scheidungsfolgenvereinbarung getroffen. Hierin ist unter anderem ausgeführt:

4

"4. Versorgungsausgleich

5

Die Parteien haben während der Zeit des ehelichen Zusammenlebens Versorgungsanwartschaften weder bei der BfA noch bei der LVA begründet. Da die Begründung eigener Rentenanwartschaften bei der BfA für die Erschienene zu 1. nicht interessengerecht ist, vereinbaren die Parteien gemäß § 1408 BGB für die bei der X AG begründeten Rentenanwartschaften den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich.

6

Der Erschienen zu 2. verpflichtet sich, mit Eintritt des Versorgungsfalls auf Seiten der Erschienenen zu 1. eine monatliche Ausgleichsrente von mindestens 17,85 % seiner Bruttorente an die Erschiene zu 1. zu leisten; dies entspricht auf derzeitiger Basis einem Betrag von DM ......; die bis zum Eintritt des Versorgungsfalls erfolgten Veränderungen der betrieblichen Altersrente wirken sich auf die Höhe der Ausgleichsrente vollen Umfanges aus.

7

...

8

Für den Fall, dass die X AG zu einem späteren Zeitpunkt, vor Bezugsberechtigung der Erschienenen zu 1., mit Wirkung für die in dieser Vereinbarung betroffene Altersrente die Realteilung einführen sollte, werden die Parteien auch im Nachhinein die Realteilung der Versorgungsanwartschaften durchführen.

9

..."

10

In ihrem Scheidungsantrag von Anfang 1992 hatte die A erklärt, sie beabsichtige nach Australien zurückzukehren.

11

Das Amtsgericht ... genehmigte im Scheidungsurteil vom ... die Vereinbarung über den Versorgungsausgleich nach § 1587o Bürgerliches Gesetzbuch a. F. (BGB).

12

Nach Angaben des Klägers verzog A bereits im Jahr 1994 dauerhaft nach Australien.

13

Mit Schreiben vom ... wies der Kläger die X GmbH auf das Bestehen des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs hin und teilte als Kontoverbindung von A mit: "Dresdner Bank, BLZ 200 800 00, KTO ...". Daraufhin bestätigte die X GmbH mit Schreiben vom ..., dass sie die in der notariellen Scheidungsfolgenvereinbarung enthaltene Abtretung der Pensionsbezüge von monatlich 17,85 % der Bruttorente an A mit Wirkung vom 1. Juni 2010 beachten werde. Da die Pension des Klägers monatlich im Voraus überwiesen werde, erfolge die erste Zahlung an A in Höhe von ...... € mit der Abrechnung Ende Mai auf das vom Kläger angegebene Konto.

14

Im Mai 2010 stellte der Kläger einen Antrag auf Lohnsteuer-Ermäßigung wegen der aufgrund des Versorgungsausgleichs an A zu leistenden Zahlungen, dem der Beklagte stattgab. Angaben zum Wohnort von A enthielten weder der Antrag noch die diesem beigefügten Unterlagen.

15

Ausweislich der Entgeltabrechnung des Klägers für Dezember 2010 überwies die X GmbH auf das Konto der A bei der Dresdner Bank, Konto-Nr. ..., BLZ 200 800 00 einen Betrag in Höhe von ...... €.

16

In seiner Einkommensteuererklärung 2010 beantragte der Kläger die Ausgleichszahlungen in Höhe von insgesamt ...... € als Sonderausgaben zu berücksichtigen. In der Anlage Unterhalt gab er als Wohnsitzstaat der A Australien an.

17

Im Einkommensteuerbescheid 2010 vom ... lehnte der Beklagte die steuerliche Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen ab. Er führte aus, eine Berücksichtigung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG in der Fassung des Jahressteuergesetz (JStG) 2010 vom 8. Dezember 2010, BGBl I 2010, 1768 (künftig EStG 2010) scheide aus, da A nicht unbeschränkt steuerpflichtig sei.

18

Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein mit der Begründung, § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 sei wegen unzulässiger unechter Rückwirkung verfassungswidrig. Die Voraussetzung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht der ausgleichsberechtigten Person habe der Gesetzgeber erst durch das JStG 2010 eingeführt. Es handele sich um eine unzulässige unechte Rückwirkung, da die belastenden Rechtsfolgen erst nach der Verkündung des Gesetzes am 8. Dezember 2010 eingetreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst worden seien.

19

Im Übrigen verstoße § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 auch gegen die Kapitalverkehrsfreiheit, die gemäß Art. 63 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), ehemals Art. 56 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) auch zwischen Mitgliedsstaaten der EU und Drittstaaten besonderen Schutz genieße.

20

Mit Bescheid vom ... wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Von einer rückwirkenden Umgestaltung des Steuerrechts und von der Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens könne keine Rede sein. Wie sich aus der Gesetzesbegründung (Bundestag Drucksache - BT-Drs. - 17/2249 S. 50 und 51) ergebe, habe der Gesetzgeber mit der Ergänzung der Vorschrift lediglich eine redaktionelle Klarstellung beabsichtigt.

21

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger weiterhin, die an A geleisteten Zahlungen in Höhe von ...... € als Sonderausgaben zu berücksichtigen.

22

Bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung sei er davon ausgegangen, dass die Zahlungen entsprechend der damaligen, eindeutigen Rechtslage abzugsfähig seien. Diese Rechtslage sei auch im Erlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20. Juli 1981 (IV B 1 - S 1900 - 25/80, BStBl I 1981, 567) bestätigt gewesen.

23

Die inländische Bankverbindung habe ihm A nach der Scheidung zur Erbringung der Unterhaltzahlungen mitgeteilt. Mangels anderweitiger Mitteilung habe er dieses Konto auch gegenüber der X GmbH angegeben, die dann die Zahlungen hierauf vornahm. Seit 2011 leiste die X GmbH die Zahlungen direkt auf ein australisches Konto der P.

24

Es sei ihm zwar nicht möglich, einen Steuerbescheid vom A vorzulegen, da er schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr habe. Die empfangenen Versorgungsleistungen unterlägen aber dem Grunde nach der Besteuerung in Australien. Der Kläger reichte insoweit ein Memorandum des australischen Steuerberaters David Ross ein. Der Besteuerungsumfang bei A sei ohnehin irrelevant. Die Abzugsfähigkeit setze weder die tatsächliche Besteuerung noch die Besteuerung dem Grund nach bei der ausgleichsberechtigten Person voraus. Allein maßgebend - aber auch ausreichend - sei, dass der Kläger Teile seines bereits versteuerten Einkommens weiterzuleiten habe und ihm diese nicht mehr zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung stünden. Seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sei durch die Zahlung an A gemindert. Bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 müsse er etwas voll versteuern, was letztlich wirtschaftlich gar nicht bei ihm verbleibe. Dies widerspreche einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

25

§ 10 Abs.1 Nr. 1b EStG 2010 sei aufgrund unzulässiger unechter Rückwirkung verfassungswidrig. Bis zum Veranlagungszeitraum 2009 sei eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht auf Seiten der ausgleichsberechtigten Person nicht gefordert gewesen. Vom Veranlagungszeitraum 2010 an sei erstmals insoweit das Korrespondenzprinzip durch gesetzliche Normierung eingeführt und somit eine zusätzliche materiell-rechtliche Abzugsvoraussetzung geschaffen worden.

26

Es handele es sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht lediglich um eine redaktionelle Klarstellung. Die bloße Bezeichnung als redaktionelle Klarstellung, bzw. denklogisch damit zuvor als "redaktionelles Versehen", enthebe den Rechtsanwender nicht von der Pflicht zu prüfen, ob es sich aufgrund der Rechtswirkung nicht in Wahrheit doch um eine unzulässige unechte Rückwirkung handele. Redaktionelle Versehen des Gesetzgebers seien nach ständiger Praxis lediglich falsche Bezugnahmen oder falsche Satzanschlüsse. Dies könne aber für den vorliegenden Fall nicht gelten, weil ein neues Tatbestandsmerkmal als zusätzliche Voraussetzung eingefügt worden sei. Vor der Änderung habe jeder Rechtsanwender davon ausgehen können und dürfen, dass der Abzug der Versorgungsleistungen unabhängig vom Wohnort der Ausgleichsberechtigten war. Maßgebend seien ausschließlich die persönlichen steuerlichen Verhältnisse des Ausgleichspflichtigen gewesen.

27

Eine vermeintliche - vom Beklagten behauptete - teleologische Auslegung könne niemals zu einer Extension führen, die die Schaffung einer zusätzlichen materiell-rechtlichen Abzugsvoraussetzung nachträglich rechtfertigen könne. Bislang sei insoweit das Korrespondenzprinzip - anders als beispielsweise beim Sonderausgabenabzug für wiederkehrende Versorgungsleistungen in § 10 Abs. 1 Nr. 1a in der Fassung des JStG 2008, BGBl. I 2008, 3150 (künftig EStG 2008) - gerade nicht gesetzlich normiert gewesen. Darin zeige sich auch, dass das Korrespondenzprinzip als solches nicht zu den tragenden Säulen des Sonderausgabenabzugs gehöre, sondern nur dann, wenn dies gesetzlich ausdrücklich angeordnet sei. Sonderausgaben seien Privatausgaben, die nur dann bei der Einkommensteuer abziehbar seien, wenn das Gesetz dies wegen der unvermeidbaren Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausdrücklich vorsehe. Die wirtschaftliche Belastung aus einer Zahlung aufgrund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs treffe den Ausgleichspflichtigen stets, unabhängig davon, welchen Steuerstatus der Ausgleichsberechtigte habe. Das Korrespondenzprinzip decke sich daher nicht mit der Auslegung der Vorschrift unter teleologischen und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Gerade deshalb sei bislang zu Recht und europarechtskonform ausdrücklich nur an die persönlichen und steuerlichen Verhältnisse des Ausgleichsverpflichteten angeknüpft worden.

28

Die belastende Rechtsfolge sei erst nach ihrer Verkündung am 8. Dezember 2010 eingetreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst worden. Es liege daher eine unechte Rückwirkung vor.

29

Diese sei auch unzulässig. Zwar könne der Gesetzgeber eine rückwirkende Anwendung steuerverschärfender Gesetze anordnen, aber nur dann, wenn die verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensposition des Steuerpflichtigen nicht angegriffen werde. Die belastende Wirkung einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens bedürfe stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit. Dies gelte auch, wenn der Gesetzgeber das Einkommensteuerrecht während des laufenden Veranlagungsverfahrens umgestalte und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn beziehe. Der Normadressat müsse eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sei. Die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 werde dem nicht gerecht. Eine besondere Begründung und Nennung etwaiger öffentlicher Interessen sowie eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seien nicht erfolgt.

30

Eine Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 führe zudem zu einer Verletzung Gleichheitsgebotes gemäß Art. 3 Grundgesetz (GG). Ausgleichsverpflichtete könnten die Zahlungen als Sonderausgaben abziehen, wenn der Empfänger unbeschränkt steuerpflichtig sei, nicht aber, wenn der Empfänger nicht unbeschränkt steuerpflichtig sei. Der Ausgleichspflichtige habe keinen Einfluss auf die Entscheidung des Ausgleichsberechtigten, wo dieser seinen Wohnsitz nehme, also auch nicht darauf, ob dieser unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei oder nicht. Der Ausgleichsverpflichtete bleibe aber unabhängig vom Wohnort des Berechtigten zur Zahlung verpflichtet. Im Vergleich zu einem Ausgleichsverpflichten mit Empfänger im Inland werde der Kläger damit schlechter gestellt.

31

Zudem liege eine Ungleichbehandlung gegenüber den Fällen des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs und folglich eine dem Gleichheitsgebot gemäß Art. 3 GG entgegenstehende ungleiche Behandlung gleicher Sachverhalte, nämlich der Versorgung nach Ehescheidung, vor.

32

Eine Versagung des Sonderausgabenabzugs verletze darüber hinaus den im Versorgungsausgleichsrecht bestehenden Halbteilungsgrundsatz, da dem Kläger infolge des Nichtabzugs als Sonderausgaben und somit einer faktischen Besteuerung der geleisteten Ausgleichszahlungen letztlich weniger als die Hälfte der bis zur Ehescheidung 1992 erworbenen Betriebsrentenansprüche verbliebe. Dies wiege umso schwerer als der Kläger bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung im Jahr 1992 gerade darauf vertraut habe, dass die bei Eintritt des Versorgungsfalls zu leistenden Ausgleichszahlungen steuerrechtlich auch in Zukunft als Sonderausgaben berücksichtigt werden könnten, ohne dass es auf den Wohnsitz der Ausgleichsberechtigten ankomme. Gerade im Hinblick darauf habe er mit der A eine Ausgleichsquote von 17,85 % vereinbart, ansonsten hätte diese aufgrund der zu berücksichtigen Steuerfolgen niedrigerer ausfallen müssen.

33

Im Übrigen verstoße § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 auch gegen Gemeinschaftsrecht. Zwar erweitere § 1a Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 den Anwendungsbereich von § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 auf Familienangehörige aus der Europäischen Union (EU) oder aus einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) anwendbar ist, indem er für diese eine unbeschränkte Steuerpflicht fingiere. § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 verstoße aber gegen die Kapitalverkehrsfreiheit, die gemäß Art. 63 AEUV auch zwischen Mitgliedsstaaten der EU und Drittstaaten besonderen Schutz genieße.

34

Der Begriff der Kapitalverkehrsfreiheit sei weit zu fassen. Schon nach dem Wortsinn bedeute "Kapitalverkehr" lediglich die Bewegung von Kapital von einem Ort an den anderen. Kapitalverkehr umfasse alle auf Geld- und Sachkapital bezogenen Transaktionen, die nicht direkt durch den Waren- und Dienstleistungsverkehr bedingt seien.

35

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) habe in ständiger Rechtsprechung (zuletzt im Urteil vom 27. Januar 2009 C-318/07 - Persche -, DStR 2009, 207 [EuGH 27.01.2009 - Rs. C-318/07]) der Nomenklatur im Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG einen Hinweischarakter zuerkannt, da der Begriff "Kapitalverkehr" im Sinne von Artikel 56 Abs. 1 EGV im Vertrag nicht definiert sei. In seinem Urteil vom 19. September 2010 X R 33/08 (BFHE 231, 108 [BFH 15.09.2010 - X R 33/08], BStBl II 2001, 637 [BFH 20.06.2000 - VIII R 32/98]) habe der Bundesfinanzhof (BFH) die durch dieses EuGH-Urteil bestimmte Ausweitung des Schutzbereichs auch bereits umgesetzt und angewandt.

36

Wenn die Nomenklatur aber nur Hinweischarakter besitze und zudem die dort enthaltene Aufzählung gemäß ihrer Einleitung nicht erschöpfend sei, könne folglich auch deren Gliederung nicht verbindlich sein. In einer Gesamtschau werde klar, dass die Rubrik XIII des Anhangs I der Richtlinie 88/361/EWG als "Auffangrubrik" fungiere. In der Rubrik XIII setze sich die Aufzählung der Kapitalbewegungen mit persönlichem Charakter fort. Darüber hinaus seien die dort aufgezählten Schadensersatzleistungen grundsätzlich nie auf freiwilliger Basis, sondern nur bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen, die auf gesetzlicher oder vertraglicher Basis fußten, zu erbringen. Gleiches müsse für die hier streitigen Zahlungen im Rahmen des Versorgungsausgleichs gelten, denn diese basierten auf der notariell beurkundeten Scheidungsfolgenvereinbarung und seien daher Leistungen, denen sich der Kläger nicht entziehen könne. Daher seien die Zahlungen unter den Begriff "sonstiger Kapitalverkehr" der Rubrik XIII zu subsumieren, und zumindest unter "F. Verschiedenes" einzuordnen.

37

Der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne des Art. 63 AEUV sei damit eröffnet.

38

Eine nationale Steuerregelung, die in § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht der ausgleichsberechtigten Person zur Bedingung des Sonderausgabenabzugs mache und damit ausgleichspflichtige Personen, die an eine nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Person Zahlungen zu leisten hätten, steuerlich schlechter behandle als ausgleichspflichtige Personen, die an eine unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Person zu leisten hätten, stelle eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.

39

In seinem Urteil vom 17. November 2011 2 K 507/07 E (EFG 2012, 114) habe das Finanzgericht Münster unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 31. März 2011 C-450/09, DStR 2011, 664 [BFH 18.01.2011 - X R 14/09]) entschieden, dass die vom dortigen Kläger gezahlten dauernden Lasten trotz des entgegenstehenden Wortlautes des § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a. F. zu erfassen seien, da andernfalls die europarechtlich garantierte Kapitalverkehrsfreiheit nach Artikel 63 AEUV verletzt werde. Übertrage man die vom EuGH und dem Finanzgericht Münster aufgestellten Rechtsgrundsätzen auf den vorliegenden Fall, so sei auch hier die europarechtlich geschützte Kapitalverkehrsfreiheit verletzt, da die vom Kläger geleisteten Zahlungen nur deshalb nicht als Sonderausgaben berücksichtigt würden, weil die ausgleichsberechtigte Person in einem Drittstaat wohne. Die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV erstrecke sich ausdrücklich auch auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedsstaaten und Drittländern. Letztendlich halte eine wortgetreue Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 aber auch in Deutschland Ansässige davon ab, angemessene Scheidungsfolgenvereinbarungen mit ihren ehemaligen Ehepartnern zu treffen, die aufgrund freier und vom Ausgleichsverpflichteten nicht beeinflussbarer Entscheidung ihren Wohnsitz außerhalb der EU/EWR wählten.

40

Eine derartige Beschränkung sei gemäß Art. 63 AEUV grundsätzlich verboten. Sie sei vorliegend auch in keiner Weise gerechtfertigt. Der EuGH habe in seinem Urteil vom 27. Januar 2009 (C-318/07, DStR 2009, 207) ausdrücklich festgestellt, dass sich der Besteuerungsmitgliedstaat für die Rechtfertigung einer nationalen Regelung auf das Erfordernis, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten, nicht berufen könne, wenn es dem Steuerpflichtigen völlig verwehrt sei, ausreichende Nachweise zu erbringen, anhand derer die Steuerbehörden des Besteuerungsmitgliedsstaates eindeutig und genau prüfen könnten, ob die entsprechenden Voraussetzungen für die nationale Steuerregelung, die der Steuerpflichtige beanspruche, tatsächlich vorlägen (vgl. auch BFH-Urteil vom 15. September 2010 X R 33/08, BFHE 231, 108, BStBl II 2011, 637 [BFH 15.09.2010 - X R 33/08]).

41

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze könne § 10 Abs. 1 Nr. 1b in Verbindung mit § 1a Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 nur so ausgelegt werden, dass auch Ausgleichszahlungen im Rahmen des Versorgungsausgleichs, die an eine ausgleichsberechtigte Person ohne Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat der EU oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums erfolgten, als Sonderausgaben abgezogen werden könnten, soweit nachgewiesen werden könne, dass die Besteuerung bei der ausgleichsberechtigten Person (Korrespondenzprinzip) gewährleistet sei.

42

Am Vorwurf eines Verstoßes gegen das Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit hält der Kläger nach Darstellung des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung nicht mehr fest.

43

Der Kläger beantragt,

44

den Einkommensteuerbescheid 2010 vom ... in der Fassung vom ... und der Einspruchsentscheidung vom ... dahingehend zu ändern, dass weitere Sonderausgaben in Höhe von ...... € berücksichtigt werden.

45

Der Beklagte beantragt,

46

die Klage abzuweisen.

47

Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass sich die Frage einer unechten Rückwirkung bei der Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 nicht stelle, denn der Gesetzgeber habe klar zum Ausdruck gebracht, dass er das Tatbestandsmerkmal der "unbeschränkten Steuerpflicht des Zahlungsempfängers" nur aus Gründen der redaktionellen Klarstellung eingefügt habe. Er habe mithin nicht eine gesetzliche Neuregelung, sondern nur die Präzisierung der bestehenden Rechtslage beabsichtigt.

48

Ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit liege ebenfalls nicht vor, weil deren Schutzbereich bereits nicht eröffnet sei. Mangels einer Definition des Begriffs "Kapitalverkehr" habe der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung der Nomenklatur im Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG einen Hinweischarakter zuerkannt, wobei die in ihr enthaltene Aufzählung gemäß ihrer Einleitung nicht erschöpfend sei. Die vom Kläger vorgenommenen Zahlungen im Rahmen des Versorgungsausgleichs könnten jedoch nicht den in der Richtlinie aufgeführten Kapitalbewegungen zugerechnet werden. Zwar sei dem Kläger zuzustimmen, dass der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit nicht nur dann betroffen sei, wenn Kapitalbewegungen in Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgten, auch Kapitalbewegungen ohne Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit könnten in den Schutzbereich fallen. So habe der EuGH im Urteil vom 27. Januar 2009 C-318/07 (DStR 2009, 207) entschieden, dass der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit auch bei einem Kapitaltransfer aus altruistischen Motiven eröffnet sei. Dieses Urteil des EuGH und das Urteil des BFH vom 15. September 2010 X R 33/08 (BFHE 231, 108 [BFH 15.09.2010 - X R 33/08], BStBl II 2001, 637 [BFH 20.06.2000 - VIII R 32/98]) bezögen sich aber gleichwohl direkt oder mittelbar auf die Nomenklatur des Anhangs I der Richtlinie 88/361/EWG und erweiterten diese nicht grenzenlos. Die Entscheidungen hätten nur zu einer Erweiterung auf Kapitalbewegungen geführt, die mit der Begrifflichkeit des o.g. Anhangs verwandt bzw. unter diesen Oberbegriff subsumierbar seien. Welche Kapitalbewegungen durch die Grundfreiheit schützenswert seien könnten, ergebe sich aufgrund ihres "Hinweischarakters" aus den in der Richtlinie aufgestellten Orientierungshilfen. Zahlungen im Rahmen des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs fänden in der Nomenklatur der Rubrik XI des Anhangs I der Richtlinie 88/361/EWG keine direkte Nennung. Es gebe auch kein Anhaltspunkt, dass die vom Kläger geleisteten Zahlungen unter einem der im Anhang genannten Oberbegriffe eingeordnet werden könnten oder die Einordnung an einem vielleicht zu engen Wortlautverständnis eines der im Anhang I genannten Begriffe scheitern würde.

49

Der Kläger habe zudem bislang nicht nachgewiesen, dass die Zahlungsempfängerin die Zahlungen in Australien versteuert habe.

Entscheidungsgründe

50

Die Klage ist unbegründet.

51

I. Der Beklagte hat zu Recht die an A aufgrund des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs geleisteten Zahlungen nicht als Sonderausgaben angesetzt.

52

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 sind Ausgleichszahlungen im Rahmen des Versorgungsausgleichs nach den §§ 20, 21, 22 und 26 des Versorgungsausgleichsgesetzes (VersAusglG), §§ 1587f, 1587g, 1587i BGB und § 3a des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich, soweit die ihnen zu Grunde liegenden Einnahmen bei der ausgleichspflichtigen Person der Besteuerung unterliegen, abziehbar, wenn die ausgleichsberechtigte Person unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 findet dabei ungeachtet dessen Anwendung, ob der Versorgungsausgleich noch vor dem 31. August 2009 auf Grundlage der alten zivilrechtlichen Regelungen oder nach diesem Zeitpunkt auf Basis des VersAusglG abgewickelt wird (vgl. Grün, NWB 2010, 1751).

53

A als ausgleichsberechtigte Person lebte in Australien und war nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Damit lagen die Voraussetzungen für einen Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 nicht vor.

54

II. Die Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2010 scheitert im Streitfall auch nicht daran, dass diese Regelung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre oder gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen würde.

55

II.1. Insbesondere liegt keine unzulässige steuerliche Rückwirkung vor.

56

Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes - BVerfG - (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 10. Oktober 2012 1 BvL 6/07, BGBl I 2012, 2344 mit umfangreichen Verweisen) auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte. Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind.

57

Eine Rechtsnorm entfaltet "echte" Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Normen mit echter Rückwirkung sind grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig.

58

Eine unechte Rückwirkung ist demgegenüber anzunehmen, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"). Sie ist grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen. Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG). Sofern eine Steuerrechtsnorm nach diesen Grundsätzen über den Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum unechte Rückwirkung entfaltet, gelten für deren Vereinbarkeit mit der Verfassung im Verhältnis zu sonstigen Fällen unechter Rückwirkung gesteigerte Anforderungen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass rückwirkende Regelungen innerhalb eines Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums, die danach der unechten Rückwirkung zugeordnet werden, in vielerlei Hinsicht den Fällen echter Rückwirkung nahe stehen. Freilich ist auch in diesem Fall eine unechte Rückwirkung nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 2/04, 2 BvL 14/02, 2 BvL 13/05, BGBl I 2010, 1296, BVerfGE 127, 1). Die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde andernfalls den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, vor jeder Enttäuschung zu bewahren (vgl. BVerfG-Beschluss vom 8. März 1983, 2 BvL 27/81, BVerfGE 63, 312, BStBl II 1983, 779 [BVerfG 08.03.1983 - 2 BvL 27/81]). Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 8. Dezember 2009, 2 BvR 758/07, BVerfGE 125, 104).

59

Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte innerhalb des nicht abgeschlossenen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen der Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Soweit daher an zurückliegende Sachverhalte innerhalb des nicht abgeschlossenen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums angeknüpft wird, ist diese unechte Rückwirkung mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 2/04, 2 BvL 14/02, 2 BvL 13/05, BGBl I 2010, 1296, BVerfGE 127,1). Dabei ist das enttäuschte Vertrauen, dann geringer zu werten, wenn die vertraglich getroffenen Vereinbarungen längere Zeiträume betreffen. Zwar mag es für die Vereinbarung solcher längerfristigen Zeiträume für die Beteiligten gute Gründe geben. Indes liegt es dann ferner, auf den Fortbestand des geltenden Steuerrechts zu vertrauen, und näher, mit vertraglichen Klauseln auch die Verteilung des Risikos künftiger Steuerverschärfungen zu regeln (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31).

60

Allerdings bedarf der Gesetzgeber besonderer Gründe, wenn er einen aus der ursprünglichen Disposition noch nach Maßgabe alten Rechts erwachsenen konkreten Vermögensbestand durch tatbestandliche Rückanknüpfung (teilweise) entwertet (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31). Insofern greift er auf einen Sachverhalt zu, der nach Maßgabe alten Rechts einen gesteigerten Grad an Abgeschlossenheit erreicht hat, wie insbesondere in den Fällen plastisch wird, in denen die Lohnsteuer nach Maßgabe alten Rechts bereits einbehalten war.

61

II.1.a. Vorliegend ist bereits keine steuerliche Rückwirkung zu erkennen. Die Einführung von § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG durch das JStG 2008 und dessen Ergänzung durch das JStG 2010 hat die Rechtslage für den Streitfall nicht verändert.

62

II.1.a.aa. Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Empfängers war bereits vor dem Jahr 2008 notwendige Bedingung für den Sonderausgabenabzug von Leistungen aufgrund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs.

63

Aus dem für die steuerrechtliche Behandlung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs grundlegenden Urteil des BFH vom 18. September 2003 X R 152/97 (BFHE 203, 337, BStBl II 2007, 749 [BFH 18.09.2003 - X R 152/97], [BFH 18.09.2003 - X R 152/97] bestätigt durch BFH-Urteil vom 15. Oktober 2003 X R 29/01, BFH/NV 2004, 478 [BFH 15.10.2003 - X R 29/01]) ergibt sich, dass die Annahme eines Einkünftetransfers maßgeblich (auch) auf dem Umstand beruht, dass die "übertragenen" Einkünfte beim Empfänger der Besteuerung unterliegen. Nach Ansicht des BFH stellen Zahlungen im Rahmen von Scheidungsfolgen nach der Systematik des Einkommensteuerrechts zwar eigentlich Unterhaltsleistungen dar, die beim Verpflichteten nicht abziehbar und beim Berechtigten nicht steuerbar sind. Aufgrund des Umstandes, dass bei der Verneinung eines Einkünftetransfers die steuerlichen sowie die damit zusammenhängenden zivilrechtlichen Folgen nicht angemessen bewältigt werden könnten, sowie zur Herstellung eines angemessenen, weil folgerichtig gleichheitsgerechten Ergebnisses, sah sich der BFH aber veranlasst, einen Einkünftetransfer anzunehmen und dieses Ergebnis rechtstechnisch durch den Abzug als Sonderausgabe (Rente/dauernde Last gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F.) und durch die Versteuerung sonstiger wiederkehrender Leistungen bzw. einer Leibrente umzusetzen. Im Ergebnis, so der BFH, führe dies zu "einem Transfer steuerbarer Einkünfte auf den Versorgungsberechtigten".

64

Demnach galt auch schon vor 2008 ein Korrespondenzprinzip des Inhalts, dass ein Sonderausgabenabzug beim Ausgleichsverpflichteten steuerbare Einkünfte beim Empfänger voraussetzt. Notwendige Bedingung der Steuerbarkeit der Einkünfte beim Empfänger ist aber dessen unbeschränkte Steuerpflicht. Steuerbare Einkünfte sind solche, die der Einkommensteuer unterliegen. Dabei handelt es sich um die Einkünfte, die der Steuerpflichtige während einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während einer beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG). Da Zahlungen aus einem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich keine beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG darstellen, folgt aus der vom BFH vorgegebenen "Transferlösung", dass der Sonderausgabenabzug beim Ausgleichsverpflichteten auch schon vor 2008 nur in Betracht kam, wenn der Empfänger unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war (so auch Fischer in Kirchhof, EStG, 10. Auflage, 2011, § 10 Rn. 14).

65

Die Abzugsfähigkeit der schuldrechtlichen Ausgleichszahlung wurde auch in der Literatur schon vor der Einführung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2008 im Kontext mit der Erfassung als Einkünfte nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 EStG gesehen (vgl. Heinicke in Schmidt, EStG, 11. Auflage, 1992, § 22 Anm. 26. dd. sowie 26. Auflage, 2007, §10 Rn. 65 "Versorgungsausgleich"; Müller, Die Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten infolge der Scheidung und ihre steuerrechtlichen Folgen, DStZ 1995, 264; Rieshaus, Behandlung des eherechtlichen Versorgungsausgleichs, NWB, Fach 3 14831; Fichtelmann, Der Versorgungsausgleich bei geschiedenen Ehegatten, EStB 2007, 17; a. A. aber Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10 EStG Rn. 115, der vor der Änderung durch das JStG 2010 einen Sonderausgabenabzug auch bei Zahlungen an einen mittlerweile im Ausland lebenden früheren Ehegatten bejaht). Die Finanzverwaltung hat im BMF-Schreiben vom 20. Juli 1981 (BStBl I 1981, 567) die Abzugsfähigkeit der Zahlungen aus einem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich ebenfalls im Zusammenspiel mit der Versteuerung als wiederkehrende Bezüge nach § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG dargestellt.

66

II.1.a.bb. Das Erfordernis der unbeschränkten Steuerpflicht des Ausgleichsberechtigten für den Sonderausgabenabzug beim Ausgleichsverpflichteten bestand auch in der Zeit 2008 bis 2010. Die Einführung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG durch das JStG 2008 ohne den erst durch das JStG 2010 ergänzten Zusatz "wenn die ausgleichsberechtigte Person unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist" hat die Rechtslage insoweit nicht geändert.

67

Aufgrund der o.g. Erwägungen war auch während der Geltung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2008 eine Abzugsfähigkeit als Sonderausgaben nur gegeben, wenn der Empfänger unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war (vgl. Fischer in Kirchhof, EStG, 10. Auflage, 2011, § 10 Rn. 14; im Ergebnis auch Grün, Ausgleichszahlungen beim schuldrechtlichen Versorgungsausgleich, NWB 2010, 1751; a.A. Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10 EStG Rn. 115). Aus der Gesetzesbegründung zum JStG 2010 (BT-Drs. 17/2249 S. 51 und - insoweit inhaltsgleich - Bundesrat Drucksache - BR-Drs. - 318/10 S. 75) ergibt sich, dass auch der Gesetzgeber dieser Ansicht war, denn er führt aus, der Sonderausgabenabzug nach § 10 Absatz 1 Nr 1b EStG folge dem sog. Korrespondenzprinzip und setze deshalb die unbeschränkte Steuerpflicht des Berechtigten voraus. Mit der Änderung werde dies nochmals klar herausgestellt. Insoweit handele es sich bei der Ergänzung der Vorschrift um eine redaktionelle Klarstellung. Diese Einschätzung wird auch gestützt durch die Gesetzesbegründung im JStG 2008, in der zur Einführung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2008 dargestellt wird: "Korrespondierend hierzu hat der Ausgleichsberechtigte nach § 22 Nr. 1c EStG die Leistung in voller Höhe der Besteuerung zu unterwerfen." (BT-Drs. 16/6290 S. 54 und BR-Drs. 544/07 S. 67) und zu § 22 EStG: "Die Regelungen nach den neuen Nummern 1b und 1c sollen in Bezug auf die Neuregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a und 1b EStG Rechtssicherheit schaffen und die Korrespondenz zwischen der Abziehbarkeit der Versorgungsleistungen beim Vermögensübernehmer bzw. der Leistungen auf Grund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs beim Zahlungsverpflichteten und der Besteuerung beim Empfänger gesetzlich festschreiben." (BT-Drs 16/6290 S. 55 und BR-Drs. 544/07 S. 68). Hieraus ergibt sich, dass für den Gesetzgeber eine steuerliche Erfassung beim Empfänger maßgeblich war. Sollte aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2008 etwas anderes abgeleitet werden können, wäre der entgegen dem Gesetzeszweck dann zu weit gefasste Wortlaut im Wege der ergänzenden Rechtsfortbildung - sog. teleologische Reduktion oder Restriktion - entsprechend einzuschränken.

68

II.1.b. Selbst wenn - entgegen der o.g. Auffassung des Senates - die Rechtslage vor der Geltung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2008 eine unbeschränkte Steuerpflicht des Empfängers für den Sonderausgabenabzug nicht erforderte, läge keine unzulässige Rückwirkung vor. Da eine entstandene Steuerschuld des Klägers nicht nachträglich abgeändert worden ist, könnte es sich nur um eine unechte Rückwirkung handeln. Diese wäre mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes aber vereinbar.

69

II.1.b.aa. Die Rückwirkung wäre zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich.

70

Mit der Einführung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG durch das JStG 2008 beabsichtigte der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/6290 S. 54 und BR-Drs. 544/07 S. 67) auch nach der Änderung von § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG für Leistungen auf Grund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs unter bestimmten Voraussetzungen den Sonderausgabenabzug zu erhalten. Mit § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG wollte er eine eigenständige Regelung schaffen, die berücksichtigt, in welchem Umfang die der Leistung zugrunde liegenden Einnahmen (z. B. Leibrente nach § 22 EStG oder Einkünfte nach § 19 EStG) der Besteuerung unterliegen. Parallel dafür führte er § 22 Nr. 1c EStG ein, der in Bezug auf die Neuregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG Rechtssicherheit schaffen und die Korrespondenz zwischen der Abziehbarkeit der Leistungen auf Grund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs beim Zahlungsverpflichteten und der Besteuerung beim Empfänger gesetzlich festschreiben sollte (BT-Drs. 16/6290 S. 55 und - BR-Drs. 544/07 S. 69). Der Gesetzgeber wollte mithin die Abzugsfähigkeit von Leistungen auf Grund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs beim Ausgleichsverpflichteten und korrespondierend hierzu die Steuerbarkeit bei Ausgleichsberechtigten explizit regeln. Hierfür war die streitige Norm geeignet und erforderlich.

71

II.1.b.bb Bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit, der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe, bliebe auch die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt.

72

Dem enttäuschten Vertrauen des Klägers ist wegen des langen Zeitraums zwischen dem Abschluss der Vereinbarung und der erstmaligen Zahlung nur eine geringe Bedeutung beizumessen. Im vorliegenden Fall stammt die vertragliche Vereinbarung mit A aus dem Jahr 1992. Der Vereinbarung über den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich war immanent, dass die Zahlungen erst in vielen Jahren erfolgen sollten. Tatsächlich erfolgte eine Zahlung - wie vertraglich vorgesehen - erstmals im Jahr 2010, damit ca. 18 Jahre nach der zivilrechtlichen Vereinbarung. Bei einem derart langen Zeitraum steigt die Wahrscheinlichkeit einer Änderung der maßgeblichen Steuergesetze erheblich, das Vertrauen in den Fortbestand steuerlicher Reglungen ist entsprechend weniger schutzwürdig. Unter diesen Umständen sind an die Rechtfertigung für eine rückwirkende Änderung von Steuergesetzen geringere Ansprüche zu stellen. Der Umstand, dass der Gesetzgeber das Korrespondenzprinzip konsequent umsetzen wollte, reicht daher als Rechtfertigung aus.

73

II.1.b.cc. Dies gilt ebenso für die Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG durch das JStG 2010, soweit man - entgegen der Ansicht des Senates - darin eine Schlechterstellung im Vergleich zum § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2008 erkennen wollte. Insoweit stünde dem Kläger darüber hinaus bereits deshalb kein Vertrauensschutz zu, da er in den Jahren 2008 bis 2010 keine vertraglichen Dispositionen vorgenommen hat.

74

II.1.b.dd. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Beklagte die Lohnsteuer aufgrund der an A zu leistenden Zahlungen ermäßigte, denn in seinem hierauf gerichteten Antrag hatte der Kläger weder mitgeteilt, dass A nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, noch Angaben zum Wohnort von A gemacht. Dem Kläger ist ein Vermögensbestand daher nicht aufgrund des alten Rechts, sondern aufgrund unvollständiger Sachverhaltskenntnis des Beklagten erwachsen, denn dem Kläger hätte, wie oben dargestellt, auch nach alter Rechtslage kein Sonderausgabenabzug zugestanden.

75

II.2. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch keine gegen Art 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung vor.

76

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Im Bereich des Steuerrechts wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers durch das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit begrenzt. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, dass Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch besteuert werden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 16. März 2005, 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268; BFH-Urteil vom 1. Juli 2009, I R 76/08, BFHE 225, 566, 573, BStBl II 2010, 1061 [BFH 01.07.2009 - I R 76/08]). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eine gesetzliche Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn sie entweder von der Interessenlage her gleich liegende Lebenssachverhalte ungleich behandelt oder bei der Behandlung ungleicher Sachverhalte eine sachlich gebotene Differenzierung nicht vornimmt. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, welche Sachverhalte er als gleichwertig und welche er als voneinander verschieden ansieht. Daher kann eine gesetzgeberische Entscheidung mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG nur daraufhin überprüft werden, ob die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise unvereinbar ist, ob also ein sachlicher Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 8. November 2006 I R 69 und 70/05, BFHE 215, 491, 502, BStBl II 2007, 662 [BFH 08.11.2006 - I R 70/05] m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG).

77

II.2.a. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Gesetzgeber die Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht überschritten, indem er die unbeschränkte Steuerpflicht beim Empfänger als Voraussetzung für die steuerliche Abzugsfähigkeit beim Verpflichteten ins Gesetz aufgenommen hat. Das Gericht verkennt nicht, dass die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen unabhängig davon herabgesetzt ist, ob er Zahlungen aufgrund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs an einen unbeschränkt oder einen nicht unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen zahlt. Der Gesetzgeber besitzt aber eine weitreichende Gestaltungsfreiheit, wie er eine namentlich im privaten Bereich liegende Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit beurteilen und ihr Rechnung tragen will (vgl. BVerfG-Beschluss vom 11. Oktober 1977 1 BvR 343/73, 83/74, 183 und 428/75, BVerfGE 47, 1, 30). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers endet erst dort, wo die gleiche oder ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also kein einleuchtender Grund, der sich aus dem Wesen und Zweck der jeweiligen Vorschrift herleiten lässt, für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung besteht (vgl. BVerfG-Beschluss vom 6. Dezember 1983 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325, 354 und BFH-Urteil vom 25. März 1986 IX R 4/83, BFHE 146, 403, BStBl II 1986, 603 [BFH 25.03.1986 - IX R 4/83]). Der Gesetzgeber kann auch finanzpolitische, volkswirtschaftliche, sozialpolitische und steuertechnische Erwägungen zum Anlass nehmen, bestimmte Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln (BVerfG-Beschluss vom 13. März 1979 2 BvR 72/76, BVerfGE 50, 386, 392, BStBl II 1979, 322, 324 [BVerfG 13.03.1979 - 2 BvR 72/76]).

78

Danach stellt sich die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung zwischen einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen und einem nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Empfänger als sachgerecht dar, denn es bestehen vernünftige, aus der Natur der Sache sich ergebende Gründe für die Differenzierung. Mit der Einführung des § 10 Abs. 1 Nr. 1b EStG 2008 und der Klarstellung durch das JStG 2010 wollte der Gesetzgeber lediglich die zuvor bestehende Rechtslage, trotz Änderung der bisher anzuwendenden Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der bis 2007 geltenden Fassung, beibehalten. Eine Ausdehnung der Abzugsfähigkeit auch auf die Fälle, in denen der Empfänger nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, war nicht gewollt und auch nicht geboten. Die steuerliche Abzugsfähigkeit der Zahlungen gründet sich nämlich auf das Vorliegen eines Transfers steuerbarer Einkünfte (vgl. BFH-Urteil 18. September 2003 X R 152/97, BFHE 203, 337, BStBl II 2007, 749 [BFH 18.09.2003 - X R 152/97]). Fehlt es aber an diesem Einkünftetransfer, weil der Empfänger aufgrund seiner fehlenden unbeschränkten Steuerpflicht keine steuerbaren, also einkommensteuerlich zu erfassenden Einkünfte hat, entfällt die Rechtfertigung für eine Abzugsfähigkeit.

79

II.2.b. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch keine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbehandlung gegenüber den Fällen des "öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs" vor.

80

Art. 3 Abs. 1 GG ist nur verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, u.a. also, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BGBl I 2004, 2570, BVerfGE 110, 412 [BVerfG 08.06.2004 - 2 BvL 5/00] und vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BGBl I 2010, 1295, BVerfGE 126, 400).

81

Zwischen dem "öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich" und dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich besteht ein so grundlegender Unterschied, dass dieser eine unterschiedliche steuerliche Handhabung rechtfertigt. Während der Ausgleichberechtigte beim "öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich" ein eigenständiges, vom früheren Ehegatten unabhängiges anteiliges Anrecht gegen den Versorgungsträger erhält, verbleibt dem Ausgleichsverpflichteten beim schuldrechtlichen Versorgungsausgleich das Anrecht in vollem Umfang. Damit verbleibt ihm auch die Chance, möglicherweise nie tatsächlich Ausgleichszahlungen leisten zu müssen. Im Gegenzug hängt die Chance des Ausgleichsberechtigten, jemals Zahlungen zu erhalten, beim schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vom Anrecht des Ausgleichsverpflichteten ab. Fällt dessen Anrecht weg, geht der Anspruchsberechtigte leer aus. Beim "öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich" handelt es sich um eine steuerlich unbeachtliche Vermögensaufteilung infolge der Scheidung, während beim schuldrechtlichen Versorgungsausgleich steuerlich - unter den o.g. Voraussetzungen - ein Einkünftetransfer erfolgen kann (vgl. BFH-Urteil vom 18. September 2003 X R 152/97, BFHE 203, 337, BStBl II 2007, 749 [BFH 18.09.2003 - X R 152/97]).

82

II.2.c. Ob die Ablehnung eines Sonderausgabenabzugs - wie vom Kläger vorgetragen - bei diesem zu einer Verletzung des im Versorgungsausgleichsrecht bestehenden Halbteilungsgrundsatzes führt, kann dahin stehen. Eine solche Verletzung wäre Ausfluss der vom Kläger mit A getroffenen vertraglichen Vereinbarungen. Dem Steuerrecht kommt grundsätzlich nicht die Aufgabe zu, zivilrechtlichen Verträgen zur (möglicherweise) gewünschten Wirkung zu verhelfen.

83

Zudem kann der Senat bereits nicht feststellen, dass dem Kläger im Falle der Ablehnung des Sonderausgabenabzugs tatsächlich weniger als die Hälfte der von ihm während der Zeit der Ehe erwirtschafteten Versorgungsbezüge verbliebe. Dem Senat liegen weder Erkenntnisse bezüglich der Berechnung der monatlichen Ausgleichsrente von mindestens 17,85 % der Bruttorente des Klägers noch bezüglich der Umstände und Gründe, warum der Kläger und A diese so vereinbart haben, vor.

84

II.3. Der Senat kann auch keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht erkennen.

85

Australien ist kein Mitgliedstaat der Europäischen Union. Dementsprechend käme ein Gemeinschaftsrechtsverstoß höchstens dann in Betracht, wenn es sich um einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV und nicht lediglich gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV handeln würde. Denn der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit bezieht sich im Gegensatz zu dem Schutzbereich der anderen Grundfreiheiten, insbesondere der Niederlassungsfreiheit, nicht nur auf die Mitgliedstaaten, sondern auch auf so genannte Drittstaaten (vgl. EuGH-Beschluss vom 6. November 2007 C-415/06, DB 2007, 2747; BFH-Beschluss vom 11. März 2008 I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161).

86

II.3.a. Im Streitfall scheidet ein Verstoß gegen die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit bereits deshalb aus, weil es an einem Kapital- bzw. Geldtransfer zwischen verschiedenen Staaten fehlt. Art. 63 AEUV verbietet nur alle Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Die Zahlungen aufgrund des Versorgungsausgleichs erfolgten im Streitjahr von der X GmbH aber auf ein inländisches Konto der A. Somit handelt es sich um einen rein inländischen Zahlungsvorgang.

87

II.3.b. Im Übrigen wäre auch der Schutzbereich von Art. 63 AEUV nicht eröffnet.

88

Der Begriff des Kapitalverkehrs ist weder in den Gemeinschaftsverträgen, noch im sekundären Gemeinschaftsrecht definiert. Eine genaue Definition hat bisher auch der EuGH vermieden und stattdessen auf das Sekundärrecht verwiesen, insbesondere auf den Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG. Dort heißt es: "Diese Nomenklatur ist keine erschöpfende Aufzählung zur Definition des Begriffes Kapitalverkehr; sie enthält nämlich die Rubrik XIII - F. "Sonstiger Kapitalverkehr: Verschiedenes". Sie ist mithin nicht im Sinne einer Einschränkung des Geltungsbereiches des in Artikel 1 dieser Richtlinie niedergelegten Grundsatzes einer vollständigen Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu verstehen". Dennoch lässt sich aus einer Zusammenschau kapitalverkehrsrelevanter primär- und sekundärrechtlicher Regelungen, der EuGH-Rechtsprechung und aus dem ökonomischen Verständnis des Begriffes entnehmen, dass unter Kapitalverkehr jede über die Grenzen eines Mitgliedsstaates der Gemeinschaft hinweg stattfindende Übertragung von Geld- und Sachkapital zu verstehen ist, die primär zu Anlagezwecken erfolgt (vgl. mit weiteren Erläuterungen Bröhmer in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 63 AEUV Rn. 8 ff).

89

Die hier streitige Zahlung von Geldern aufgrund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs aus einer Scheidungsfolgenvereinbarung fällt unter keine der in Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG ausdrücklich aufgeführten Positionen. Sie unterfällt auch nicht der Rubrik "XIII. Sonstiger Kapitalverkehr: F. Verschiedenes". Aus dem Begriff "sonstiger" ergibt sich, dass in diese Rubrik nur fällt, was nicht bereits bei den zuvor aufgeführten Begriffen unter I. - XII. eingeordnet werden kann. Bei der streitigen Zahlung handelt es sich aber um eine Zahlung mit persönlichem Charakter, sodass die Rubrik XI. "Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter" einschlägig wäre. Die streitige Zahlung aufgrund eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs kann jedoch unter keinen der dort aufgeführten Punkte A. - G. subsumiert werden.

90

Darüber hinaus hat die Zahlung mit Anlagezwecken nichts zu tun, sodass ihre Erfassung in der Auffangrubrik "XIII. Sonstiger Kapitalverkehr: F. Verschiedenes" auch aus diesem Grunde nicht möglich ist.

91

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil vom 27. Januar 2009 C-318/07 (DStR 2009, 207), denn die dort zu beurteilende Sachspende ist mit der hier streitigen Zahlung in keiner Weise vergleichbar.

92

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO)

93

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sind nicht erfüllt. Die bloße Behauptung, eine Norm bzw. deren Auslegung seien verfassungswidrig, begründet keine grundsätzlicher Bedeutung, sofern dies - wie vorliegend - nicht offenkundig ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2013 VIII B 122/12, [...]).