Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.05.2013, Az.: 9 K 238/12
Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten im Falle des Prozessverlustes als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.R.e. Klage auf Rückabwicklung eines Grundstückskaufvertrags
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.05.2013
- Aktenzeichen
- 9 K 238/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 40070
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2013:0515.9K238.12.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: VI R 31/13
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 S. 1, 2 EStG
- § 33 Abs. 1 EStG
- § 114 ZPO
- § 280 BGB
- § 823 BGB
Fundstellen
- DB 2013, 18
- DStRE 2014, 608-610
- EFG 2013, 1337-1340
- EStB 2013, 383
- KÖSDI 2013, 18560-18561
- PFB 2013, 329-330
Amtlicher Leitsatz
- 1.
War eine gegen den Veräußerer der zum Zeitpunkt der Klageerhebung vermieteten Immobilie gerichtete Klage im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrags Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises gerichtet, sind die Zivilprozesskosten im Falle des Prozessverlustes nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzugsfähig.
- 2.
Für die Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung ist ausreichend, wenn der Steuerpflichtige darlegt, dass seine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht von vornherein aussichtslos und ebenso wenig mutwillig gewesen ist; im Übrigen genügt als genereller Rechtfertigungsgrund für den Abzug das bloße Bestehen des staatlichen Gewaltmonopols (entgegen BMF -Schreiben vom 20. Dezember 2011 IV C 4-S 2284/07/0031:002, 2011/1025909, BStBl. I 2011, 1286).
- 3.
Da die vom BFH gewählte Formulierung weitgehend mit den Tatbestandsvoraussetzungen der Prozesskostenhilfe übereinstimmt, sollten die Rechtsauslegungen des § 114 ZPO hinsichtlich der "hinreichenden Aussicht auf Erfolg" und der "Mutwilligkeit" für die einkommensteuerliche Beurteilung als Argument nutzbar gemacht werden.
- 4.
Ist eine zivilrechtliche Klage schlüssig und tritt das Gericht in die Beweisaufnahme ein, schließen diese Umstände eine Mutwilligkeit der Klageerhebung aus.
Tatbestand
Der Kläger ist ledig und wird einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr erzielte er aus einer Angestelltentätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und daneben aus der Vermietung einer Eigentumswohnung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Mit Kaufvertrag vom 14. Dezember 2005 erwarb der Kläger eine Eigentumswohnung in M., D-Str.. Nach erstmaliger Besichtigung der Wohnung am 3. Januar 2006 rügte er mit Schreiben vom 4. Januar 2006 Mängel an dem erworbenen Objekt und verlangte vom Verkäufer Kaufpreisminderung bzw. Schadenersatz. Daraufhin räumte der Verkäufer ihm kurze Zeit später eine Kaufpreisminderung i.H.v. 26.175 € ein. Darüber hinaus erklärte sich der Verkäufer bereit, einen Renovierungskostenzuschuss i.H.v. 13.000 € zu leisten. Der Kläger erklärte sich damit einverstanden.
Ab dem 1. November 2008 gelang es dem Kläger erstmals, die Wohnung zu vermieten. Das Mietverhältnis wurde jedoch zum 31. Januar 2010 gekündigt. Grund war nach Angaben des Klägers der schlechte Zustand der Wohnung.
Mit der am ...2009 am Landgericht Braunschweig eingereichten Klage, die dort unter dem Az. ... geführt wurde, begehrte der Kläger vom Verkäufer die Rückabwicklung des Kaufvertrages und von der finanzierenden Bausparkasse Schadenersatz im Hinblick auf die Bankenhaftung in den sogenannten Schrottimmobilien-Fällen. In diesen Klageverfahren machte der Kläger u.a. geltend, dass der Vertrag mit dem Verkäufer sittenwidrig gewesen sei wegen eines um mehr als 100 % erhöhten Kaufpreises. Der Verkäufer habe die Unerfahrenheit des Klägers und dessen wirtschaftliche Zwangslage sowie die eigene wirtschaftliche und intellektuelle Überlegenheit ausgenutzt. Der Kläger war außerdem der Auffassung, dass das Rechtsgeschäft auch unter dem Aspekt sittenwidrig gewesen sei, als es aus Sicht des Verkäufers von vornherein auf Täuschung der Bank angelegt gewesen sei. Die Bausparkasse hätte, wenn ihr die tatsächlichen Verhältnisse des Klägers bekannt gewesen seien, den Darlehensvertrag mit dem Kläger nicht angenommen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Klageverfahrens und der Begründung der Klageabweisung wird auf die mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2012 eingereichte Abschrift des Urteils des Landgerichtes Braunschweig vom 10. Januar 2011 Bezug genommen.
In seiner am 11. April 2011 eingereichten Einkommensteuererklärung 2010 beantragte der Kläger die Berücksichtigung von Gerichts- und Anwaltskosten, die ihm wegen des Prozessverlustes entstanden waren, als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 10.796,00 €.
Die erklärten Verluste aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. insgesamt 19.963 € erkannte das beklagte Finanzamt zunächst in voller Höhe nicht an, da dem Kläger infolge der begehrten Rückabwicklung des Kaufvertrages die Einkunftserzielungsabsicht fehle. Daraufhin legte der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 14. Juli 2011 Einspruch ein und wies darauf hin, dass das Landgericht Braunschweig seine Klage auf Rückabwicklung abgewiesen habe und der Rechtsstreit beendet sei. Die Wohnung sei bereits wieder an einen neuen Mieter vermietet worden. Im laufenden Einspruchsverfahren änderte der Beklagte schließlich daraufhin den Einkommensteuerbescheid 2010 und erkannte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. ./. 9.167 € an. Das Finanzamt wies jedoch darauf hin, dass ein Abzug der Gerichts- und Anwaltskosten weder als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung noch als außergewöhnliche Belastungen möglich sei.
Gegen den entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid 2010 vom 24. November 2011 legte der Kläger deshalb erneut Einspruch am 28. November 2011 ein und beantragte weiterhin den Abzug der Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung. Zur Begründung verwies er auf die mittlerweile geänderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10) hin.
Ausweislich des Rubrums des Einspruchsbescheides vom 6. August 2012 entschied der Beklagte über diesen Einspruch vom 28. November 2011 gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 2010 vom 24. November 2011 und wies den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung trug der Beklagte vor, dass ein Abzug der Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen deshalb nicht in Betracht komme, da die geänderte Rechtsprechung des BFH aufgrund einer Weisung des Bundesministeriums der Finanzen über den Einzelfall hinaus nicht anzuwenden sei. Ein Abzug der Gerichts- und Anwaltskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung komme nicht in Betracht, weil die Klage auf Rückzahlung der bereits entrichteten Kaufpreisbeträge Zug um Zug gegen Auflassung des im Grundbuch von Magdeburg verzeichneten Wohnungseigentumsanteils an die Beklagten, also auf Rückabwicklung gerichtet war. Die Prozesskosten seien allein wegen der Wiederherstellung der ursprünglichen Vermögenslage angefallen. Sie beträfen daher die Vermögensebene, nicht die Ebene der Einkunftserzielung.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger sein Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen Folgendes vor: Die Anwalts- und Gerichtskosten seien als außergewöhnlichen Belastung anzuerkennen, denn der Kläger habe sich weder mutwillig noch leichtfertig auf den Prozess eingelassen. Es habe vielmehr bei der vorliegenden Sachlage eine berechtigte Erfolgsaussicht bestanden. Der Kläger beruft sich hierzu auf das Urteil des BFH vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10).
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 14. Juli 2011, geändert durch den Einkommensteuerbescheid vom 24. November 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. August 2012 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer des Klägers dadurch ermäßigt wird, dass der Teil der Aufwendungen i.H.v. 10.796 €, der die dem Kläger zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Auffassung des BFH im Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015) sei nicht zu folgen. Aufwendungen seien nicht bereits dann als zwangsläufig anzusehen, wenn sie auf einer rechtlichen Verpflichtung beruhten. Vielmehr komme es bei der rechtlichen Verpflichtung darauf an, dass der Steuerpflichtige die rechtlichen Gründe nicht selbst gesetzt habe bzw. eine Rechtspflicht aus einer sittlichen oder tatsächlichen Zwangslage heraus eingegangen sei. Entscheidend sei danach zu fragen, ob das Ereignis, dessen Folge die Aufwendungen oder die Verpflichtung zur Bestreitung der Aufwendungen seien, für den Steuerpflichtigen zwangsläufig gewesen sei. Diese Maßstäbe müssten auch für die Aufwendung von Zivilprozesskosten gelten. Auch hier könne nicht nur darauf abgestellt werden, dass im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol die Durchsetzung oder Abwehr von streitigen Ansprüchen nur mit gerichtlicher Hilfe möglich sei. Dieser Aspekt führe nicht dazu, dass unabhängig vom Prozessgegenstand und den Hintergründen des Prozesses jeder mit hinreichender Erfolgsaussicht geführte Zivilprozess als unausweichlich und damit als zwangsläufig im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) anzusehen sei. Denn damit seien auch Aufwendungen für Rechtsstreitigkeiten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, die mit dem notwendigen Lebensbedarf des Steuerpflichtigen nichts zu tun hätten. Es müsse daher auch bei Zivilprozesskosten unter Berücksichtigung der zu dem Prozess führenden Umstände wertend beurteilt werden, ob die Prozessführung für den Steuerpflichtigen zwangsläufig gewesen sei. Deshalb könnten Aufwendungen für einen Zivilprozess nicht als zwangsläufig entstanden angesehen werden, wenn er darauf beruhe, dass der Steuerpflichtige freiwillig einen Anspruch mit dem Ziel seiner Durchsetzung (auch) mit gerichtlicher Hilfe erwerbe und dieser Anspruch nicht mit seinem existenziellem notwendigen Lebensbedarf zusammenhänge. Gegen die geänderte Rechtsprechung des BFH spreche auch, dass die vorgesehene Überprüfung der Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses angesichts der Vielgestaltigkeit und der möglichen rechtlichen und tatsächlichen Komplexität von Zivilprozessen von der Finanzverwaltung im Rahmen der Veranlagung nicht praktikabel durchgeführt werden könne. Die dem Kläger entstandenen Kosten seien nach diesen Maßstäben dem Grunde nach nicht als zwangsläufig anzusehen. Aufgrund der Einlassungen des Klägers in dem Klageverfahren vor dem Landgericht Braunschweig ging es ihm bei dem Kauf der Immobilie, dessen Rückabwicklung er mit dem Klageverfahren begehrt habe, lediglich darum, Bargeld zu erhalten, um seine angespannte finanzielle Situation zu verbessern. Dass er zu diesem Zweck die betreffende Immobilie erwerben sollte, habe er billigend in Kauf genommen. Dabei habe es sich um eine freiwillige Entscheidung des Klägers gehandelt. Er habe sich freiwillig den Risiken der Anspruchsdurchsetzung einschließlich eines Zivilprozesses ausgesetzt. Mit dem notwendigen Lebensbedarf des Klägers habe der Erwerb der Ansprüche und die Prozessführung nichts zu tun gehabt. Die Aufwendungen des Klägers seien daher nach der Erfolglosigkeit der Klage nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist begründet.
Die Beteiligten sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass mit dem Einspruch vom 28. November 2011 das ursprüngliche Einspruchsverfahren (Einspruch vom 14. Juli 2011) lediglich fortgesetzt werden sollte. Danach hat der Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 6. August 2012 - entgegen der widersprüchlichen Formulierung im Rubrum - über den Einspruch vom 14. Juli 2011 entschieden. Das Gericht schließt sich dieser Beurteilung an, da sich diese Rechtsauslegung hinreichend klar aus den Gründen der Einspruchsentscheidung ergibt.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-); der Beklagte hat den Abzug der streitbefangenen Anwalts- und Gerichtskosten als außergewöhnliche Belastungen zu Unrecht versagt.
a. Zu Recht ist der Beklagte zunächst davon ausgegangen, dass die Zivilprozesskosten nicht als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung abgezogen werden können.
Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie bei ihr erwachsen, das heißt, durch die sie veranlasst sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. das BFH-Urteil vom 28. September 2010 IX R 42/09, BFHE 230, 567, BStBl II 2011, 271 [BFH 28.09.2010 - IX R 42/09]). Daran fehlt es, soweit die Aufwendungen durch die Veräußerung des Mietwohnobjekts veranlasst sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 31. Juli 2007 IX R 51/05, BFH/NV 2008, 933, und vom 24. Januar 2012 IX R 16/11, BFH/NV 2012, 1108). Ist auslösendes Moment für die Aufwendungen ausschließlich der Veräußerungsvorgang, stehen sie in keinerlei Zusammenhang mit der Vermietungstätigkeit, auch wenn diese nach einem gescheiterten Veräußerungsversuch weiterläuft (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 19. Dezember 1995 IX R 48/92, BFHE 179, 386, BStBl. II 1996, 198).
Nichts anderes kann im Streitfall gelten. Denn die vom Kläger gegen den Veräußerer der zum Zeitpunkt der Klageerhebung vermieteten Immobilie gerichtete Klage war im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrags Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises gerichtet. Ein irgendwie gearteter Zusammenhang mit der Vermietungstätigkeit bestand nicht. Die Aufwendungen betreffen hier allein die - außerhalb des § 23 EStG - irrelevante private Vermögensebene.
b. Dagegen stellen die Anwalts- und Gerichtskosten entgegen der Auffassung des Beklagten außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG dar.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmten Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
aa. Die Kosten eines Zivilprozesses können nach der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteil des BFH vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10]) unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig entstehen. Entgegen der früheren Rechtsprechung ist für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht auf die Unausweichlichkeit des dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Vielmehr liegt für den Steuerpflichtigen die Unausweichlichkeit bereits darin, dass er - will er sein Recht durchsetzen - im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten muss. Voraussetzung für den Abzug als außergewöhnliche Belastungen ist jedoch, dass sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat (hierzu kritisch Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011 Anm. 5). Demgemäß sind Zivilprozesskosten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Eine nur entfernte, gewisse Erfolgsaussicht reicht nicht aus. Der Erfolg muss mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat das zur Entscheidung berufene Gericht im Wege einer summarischen Prüfung zu untersuchen.
Der Höhe nach sind Zivilprozesskosten nur insoweit abziehbar, als sie notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Gegebenenfalls erlangte Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung sind im Rahmen der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, a. a. O.). Der Abzugszeitpunkt richtet sich nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG, d.h. die außergewöhnliche Belastung ist im Veranlagungszeitraum der Verausgabung steuermindernd zu berücksichtigen (Loschelder in: Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 33 Rz. 5).
bb. Die nach der Rechtsprechungsänderung durch den BFH zwischenzeitlich ergangene Folgerechtsprechung der Finanzgerichte ist den neuen Rechtsgrundsätzen im Wesentlichen gefolgt (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 20. Februar 2013 15 K 2052/12 E, StE 2013, 214, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 14/13, betr. außergewöhnliche Belastungen in Form von Prozesskosten im Zusammenhang mit einem Schadensersatzprozess, der durch Vergleich beendet wird; FG Düsseldorf, Urteil vom 19. Februar 2013 10 K 2392/12 E, [...], Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 16/13, betr. Abzugsfähigkeit von Gerichtskosten und Anwaltskosten anlässlich einer Ehescheidung als außergewöhnliche Belastungen; FG Düsseldorf, Urteil vom 14. Januar 2013 11 K 1633/12 E, StE 2013, 214, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 9/13 betr. Prozesskosten zur Erlangung eines Studienplatzes des Kindes; Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 12. Dezember 2012 4 K 929/12, [...], betr. Einklagen per Werbung übersandter Gewinnzusagen nach § 661a BGB; FG München, Urteil vom 21. August 2012 10 K 800/10, EFG 2013, 451, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 69/12, betr. Kosten eines Ehescheidungsverfahrens als außergewöhnliche Belastungen, mit einer Einschränkung bzgl. Kosten für Scheidungsfolgesachen wie vermögensrechtliche Regelungen, Ehegattenunterhalt/Kindesunterhalt, Umgangsrecht und Sorgerecht; FG München, Urteil vom 20. April 2012 8 K 2190/09, EFG 2013, 453, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 74/12, betr. Kosten eines Berufungsprozesses; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 21. Februar 2012 1 K 75/11, EFG 2013, 523, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 70/12 betr. Anwaltskosten aus einem Scheidungsverbundverfahren als außergewöhnliche Belastung).
cc. Soweit ersichtlich hat alleine das FG Hamburg bislang die Rechtsprechung des BFH dem Grunde nach abgelehnt (Urteil vom 24. September 2012 1 K 195/11, EFG 2013, 41, Rev. eingelegt, Az. des BFH: X R 34/12). Abweichend vom Urteil des BFH vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10], BStBl. II 2011, 1015) seien Zivilprozesskosten nicht grundsätzlich als zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG anzusehen. Auch bei Zivilprozesskosten müsse unter Berücksichtigung der zu dem Prozess führenden Umstände wertend beurteilt werden, ob die Prozessführung für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war. Im dortigen Streitfall wurde die Zwangläufigkeit von Anwalts- und Gerichtskosten für den Fall in Zweifel gezogen, dass der Steuerpflichtige freiwillig einen Anspruch mit dem Ziel seiner Durchsetzung (auch) mit gerichtlicher Hilfe erwirbt.
dd. Auch der Gesetzgeber wollte auf die Rechtsprechungsänderung reagieren. Der Vorschlag des Bundesrates zum JStG 2013, in § 33 EStG als Nichtanwendungsgesetz einen Abs. 3a einzufügen, wurde jedoch seitens der Regierung abgelehnt.
ee. Die Finanzverwaltung hat hinsichtlich des BFH-Urteils vom 12. Mai 2011 einen Nichtanwendungserlass erlassen (BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2011 IV C 4-S 2284/07/0031:002, 2011/1025909, BStBl. I 2011, 1286). Nach der langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs habe bislang in Übereinstimmung mit der Verwaltungsauffassung gegolten, dass Kosten von Zivilprozessen regelmäßig nicht zwangsläufig erwachsen und daher keine außergewöhnlichen Belastungen darstellten. Eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastungen sei nur ausnahmsweise in Betracht gekommen, wenn der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Mit seiner neuen Entscheidung habe der BFH seine Rechtsauffassung geändert und lasse den Abzug von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen dann zu, wenn die Prozessführung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Für eine eindeutige, zuverlässige und rechtssichere Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses bzw. der Motive der Verfahrensbeteiligten stünden der Finanzverwaltung keine Instrumente zur Verfügung. Betroffen von dieser neuen Rechtsprechung sei eine erhebliche Anzahl von Fällen. Im Hinblick auf eine mögliche gesetzliche Neuregelung der steuerlichen Berücksichtigung von Zivilprozesskosten, die auch die rückwirkende Anknüpfung an die bisher geltende Rechtslage einschließe, könnten daher grundsätzlich Prozesskosten auch für eine Übergangszeit nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
ff. Ausgehend von den vorgenannten neuen Rechtsgrundsätzen zur Beurteilung der Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen, denen der Senat folgt, sind die im Streitfall geltend gemachten Anwalts- und Gerichtskosten dem Grunde und der Höhe nach wie beantragt als außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.
Danach reicht es aus, dass der Steuerpflichtige, will er Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung geltend machen, (nur) darlegen muss, dass seine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht von vornherein aussichtslos und ebenso wenig mutwillig gewesen ist, im Übrigen genügt als genereller Rechtfertigungsgrund für den Abzug das bloße Bestehen des staatlichen Gewaltmonopols (so zutreffend: Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011 Anm. 5).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
Die streitigen Zivilprozesskosten betreffen einen Prozess vor dem LG Braunschweig, in dem der Kläger seinen Grundstücksveräußerer und die finanzierende Bank auf Rückabwicklung bzw. Schadenersatz in Anspruch genommen hat. Nach summarischer Prüfung bot die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus Sicht eines verständigen Dritten - bei ex ante Betrachtung - hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Da die vom BFH gewählte Formulierung weitgehend mit den Tatbestandsvoraussetzungen der Prozesskostenhilfe übereinstimmt, sollten nach Überzeugung des Senats die Rechtsauslegungen des § 114 ZPO hinsichtlich der "hinreichenden Aussicht auf Erfolg" und der "Mutwilligkeit" für die einkommensteuerliche Beurteilung als Argument nutzbar gemacht werden (so zutreffend Urbach, Beratersicht zur Steuerrechtsprechung - BeSt - 2011, 31).
Die Klage wurde vom LG Braunschweig soweit ersichtlich als schlüssig angesehen mit der weiteren Folge, dass das Gericht in die Beweisaufnahme eingetreten ist. Dieser Umstand allein schließt die Mutwilligkeit aus (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. März 2013 1 BvR 68/12, 1 BvR 965/12, [...]). Die abweisende Entscheidung des LG basiert zudem auf einer umfassenden Würdigung der Zeugenaussagen (betr. der behaupteten arglistigen Täuschung) und umfangreichen Rechtsausführungen hinsichtlich der Ablehnung eines Schadenersatzanspruches gegen die Beklagten aus Vertrag und Gesetz (§§ 242, 280, 823 BGB).
Anhaltspunkte für eine Mutwilligkeit oder Leichtfertigkeit in Bezug auf die Übernahme des Prozesskostenrisikos vermag der Senat daher nicht zu erkennen.
Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des FG Hamburg (Urteil vom 24. September 2012 1 K 195/11, EFG 2013, 41, Rev.: X R 34/12), das die Anerkennung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen trotz geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung versagt hat, gelangt der Senat zu keinem anderen Ergebnis. Denn das Hamburger Gericht hatte einen Fall zu beurteilen, in dem der Steuerpflichtige einen Anspruch freiwillig - mit dem Ziel seiner Durchsetzung (auch) mit gerichtlicher Hilfe - vom früheren Berechtigten erworben hatte. Der vorliegende Sachverhalt ist anders gelagert. Im Streitfall hat der Kläger eine Immobilie erworben, um damit Mieteinnahmen zu erzielen und nicht um aus dem von ihm zunächst verkannten schlechten Zustands des Objekts später Schadenersatzzahlungen wegen Erwerbs einer Schrottimmobilie zu erlangen.
Abgesehen davon kommt es für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nach der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade nicht mehr auf die Unausweichlichkeit des dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses an (BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, a.a.O.).
Der Senat folgt dem Beklagten auch darin nicht, dass die geänderte BFH-Rechtsprechung abzulehnen sei, weil die Finanzverwaltung die Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses im Veranlagungsverfahren nicht - wie es im Nichtanwendungserlass des BFM vom 20. Dezember 2011 (BStBl I 2011, 1286) heißt - eindeutig, zuverlässig und rechtssicher einschätzen könne. Der Beklagte übersieht, dass die erforderliche summarische Prüfung zu keinem derart eindeutigen Ergebnis führen muss. Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Rechtsverfolgung genügt. Dafür braucht der Erfolg nur ebenso wahrscheinlich wie der Misserfolg zu sein (BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, a.a.O.). Darüber hinaus darf die gleichmäßige Besteuerung der Bürger nach ihrer individuellen Leistungsfähigkeit nicht ohne Weiteres hinter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität zurücktreten. Zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage vor den Zivilgerichten kann sich die Finanzverwaltung ihrer juristisch ausgebildeten Mitarbeiter oder externer Sachverständiger bedienen (so bereits zu Recht: FG Düsseldorf, Urteil vom 20. Februar 2013 15 K 2052/12 E, StE 2013, 214, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 14/13). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Finanzverwaltung die Erfolgsaussichten - ex ante - unter Berücksichtigung mindestens eines erstinstanzlichen zivilrechtlichen Urteils beurteilen kann. Im Regelfall dürften sich hieraus hinreichend klare Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, die Leichtfertigkeit oder Mutwilligkeit einer Klageerhebung zu beurteilen.
Gegen die Höhe der als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennenden Zivilprozesskosten sind Einwendungen vom Beklagten nicht vorgebracht worden und für den Senat auch nicht erkennbar.
Hinsichtlich der Notwendigkeit und Angemessenheit der nach RVG ermittelten Rechtsanwaltsgebühren und die Höhe der Gerichtskosten besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Die Kosten wurden auch im Streitjahr 2010 bezahlt. Anzurechnende Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung oder Erstattungen des Prozessgegners gab es nicht.
Nach alledem hat die Klage in vollem Umfang Erfolg.
Die Neuberechnung bzw. Neufestsetzung der Einkommensteuer 2010 wird dem beklagten Finanzamt gemäß § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) übertragen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung und Fortbildung des Rechts im Hinblick auf die bereits anhängigen Revisionsverfahren (siehe im Einzelnen unter 1. b. bb. u. cc.) zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO).