Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 17.01.2022, Az.: 12 B 8/22
Aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen; Geburtstermin; Risikoschwangerschaft; Rückkehr; Schwangerschaft der Ehefrau; Vater-Kind-Beziehung; Werdender Vater
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 17.01.2022
- Aktenzeichen
- 12 B 8/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59483
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs 1 VwGO
- § 60a Abs 2 S 1 AufnethG
- Art 6 Abs 1 GG
- Art 6 Abs 1 GG
- Art 6 Abs 2 GG
- Art 8 MRK
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Steht eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Eltern und dem Kind erst bevor, sind die Grundsätze zum Schutz der Vater-Kind-Beziehung den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend zu modifizieren und können sich aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 8 EMRK ergeben.
2. Die Annahme solcher Vorwirkungen setzt dabei voraus, dass, wenn die werdenden El-tern verheiratet sind, die Eheleute bereits in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kin-des sicher erwarten lassen.
3. Die Annahme der aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 8 EMRK führt dann, wenn glaubhaft gemacht ist, dass das Kind nach seiner Geburt auch von dem von Abschiebung bedrohten Ausländer betreut werden wird, dazu, dass die Abschiebung auszusetzen ist, wenn nach den im Einzelfall gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit seiner Rückkehr vor dem voraussichtlichen Geburtstermin nicht gerechnet werden kann
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers für 6 Monate auszusetzen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes Abschiebungsschutz.
Der Antragsteller ist am 20.12.1999 geboren und serbischer Staatsangehörigkeit. Er reiste zuletzt am 27.04.2021 über den Grenzübergang Tompa (Ungarn) in den Schengenraum ein und hält sich seitdem im Bundesgebiet auf.
Am 26.07.2021 heiratete der Antragsteller in D. Frau E.. Frau F. ist in Deutschland geboren und im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Mit Schreiben vom 10.02.2021 hat ihr der Antragsgegner die Einbürgerung zugesichert. Mit Bescheid vom 22.11.2021 hat das Innenministerium der Republik Serbien entschieden, die Ehefrau des Antragstellers aus der serbischen Staatsangehörigkeit zu entlassen.
Mit Schreiben vom 25.08.2021 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Dazu legte er neben einer Eheurkunde die Übersetzung einer Bescheinigung des Innenministeriums der Republik Serbien vom 22.03.2021 vor, nach der die Bescheinigung „zur Erlangung der Bürgerrechte im Ausland“ ausgestellt worden war und nachweist, dass der Antragsteller nicht vorbestraft ist. Eine weitere Bescheinigung der Stadt G. in Übersetzung legte der Antragsteller zum Nachweis seiner Staatsangehörigkeit vor.
Mit Schreiben vom 06.09.2021 wies der Antragsgegner den Antragsteller darauf hin, dass er ein Visum zur Familienzusammenführung bei der zuständigen Botschaft in Serbien beantragen müsse.
Am 04.11.2021 meldete sich der Antragsteller zum 26.07.2021 unter der Adresse seiner Ehefrau in D. an. Am 11.11.2021 erklärte der Antragsteller gegenüber der Stadt D., dass er bereits seit dem 27.04.2021 unter der Adresse wohne.
Mit Bescheid vom 17.11.2021 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur freiwilligen Ausreise bis zum 30.11.2021 auf und drohte ihm für den Fall, dass er der Aufforderung nicht nachkommen würde, die zwangsweise Abschiebung nach Serbien an. Zur Begründung führte er aus: Zwar könne sich der Antragsteller als serbischer Staatsangehöriger für höchstens 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen im Schengenraum frei bewegen. Für einen beabsichtigten längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet benötige er aber ein entsprechendes Visum. Ein solches Visum besitze der Antragsteller nicht, weshalb er zur Ausreise verpflichtet sei. Auch die Einreise des Antragstellers sei schon unerlaubt gewesen, da aufgrund der Eheschließung nur kurz nach der Einreise unterstellt werden müsse, dass der Antragsteller bereits bei seiner Einreise die Absicht gehabt habe, sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten.
Unter dem 10.12.2021 richtete der Antragsgegner ein Abschiebungsersuchen an die Landesaufnahmebehörde.
Der Antragsteller hat am 17.12.2021 zunächst Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 17.11.2021 aufzuheben sowie festzustellen, dass seine Abschiebung bis zur Entscheidung des Antragsgegners über die beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen als ausgesetzt gilt. Am 31.12.2021 hat er außerdem um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Er trägt vor, die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde an seine Ehefrau sei für Januar 2022 vorgesehen. Seine Ehefrau sei zudem schwanger und befinde sich in der 30. Schwangerschaftswoche. Sie leide unter starken Schwangerschaftsbeschwerden und sei auf seine ständige Hilfe angewiesen. Er sei in den letzten Jahren schon mehrmals in Deutschland gewesen und habe jeweils für zwei bis drei Monate in Holle bei Freunden gelebt. Im Zeitpunkt seiner erneuten Einreise sei er noch nicht verheiratet gewesen und habe auch noch keine Heiratsabsicht gehabt. Diese sei erst nach der Einreise entstanden und erst danach seien die erforderlichen Anträge und Vorbereitungen getroffen worden. Auch die Kenntnis von der Schwangerschaft bestehe erst seit dem 06.07.2021. Die Schwangerschaft habe dann zur Eheschließung geführt. Er habe nun einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der durch eine Verfahrensduldung im Wege der einstweiligen Anordnung zu sichern sei. Einstweiliger Rechtsschutz könne zur Sicherung eines Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bei einer Einreise ohne das erforderliche Visum dann erteilt werden, wenn keine Zweifel am Anspruch auf die Titelerteilung oder die Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens bestünden und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich seien, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten. Es bestünden keine Zweifel an seinem Anspruch auf Titelerteilung und es ergebe sich aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK eine Ermessensreduzierung auf Null. Soweit er noch nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfüge, könne von dieser Erteilungsvoraussetzung abgesehen werden. Es sei ihm vor der Einreise nicht möglich und nicht zumutbar gewesen, Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen, da ihm die Gründe für seinen Verbleib in Deutschland noch nicht bekannt gewesen seien. Darüber hinaus habe er sich für einen Sprachkurs angemeldet, der am 21.02.2022 beginne.
Der Antragsteller legt eine Bescheinigung des Gynäkologen H., I., vom 29.11.2021 vor, nach der seine Ehefrau unter starken Schwangerschaftsbeschwerden und körperlichen Einschränkungen leidet. Der Gynäkologe gibt an, sie sei auf die ständige Hilfe des Antragstellers angewiesen und ohne ihn nicht in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Sie benötige ihn auch als psychischen Halt in der für sie sehr belastenden Zeit, weshalb aus ärztlicher Sicht eine Duldung des Antragstellers am Wohnort seiner Ehefrau dringend zu befürworten sei.
Voraussichtlicher Entbindungstermin ist der J..
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, seine Abschiebung vorübergehend auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hat mit Bescheid vom 13.01.2022 den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt vor, der Antragsteller habe keinen Anspruch auf eine vorläufige Aussetzung seiner Abschiebung, es lägen keine Duldungsgründe vor. Dem Antragsteller sei es ungeachtet der bevorstehenden Geburt seines Kindes zumutbar, zur Nachholung des Visumverfahrens freiwillig auszureisen. Das vorgelegte Attest sei nicht geeignet, glaubhaft zu machen, dass die Ehefrau des Antragstellers tatsächlich zwingend auf dessen Hilfe während der Schwangerschaft und gegebenenfalls in der Zeit kurz nach der Entbindung angewiesen sei. In den Blick zu nehmen sei dabei, dass in der Wohnung in D. auch die Eltern und die fünf Schwestern der Ehefrau des Antragstellers gemeldet seien und sich dort wohl auch tatsächlich aufhielten. So könne die benötigte Unterstützung auch von diesen Personen geleistet werden. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller drei Monate nach einer freiwilligen Ausreise wieder visumfrei einreisen könne, sofern er bis dahin nicht über das erforderliche Visum verfügte. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller nach der Beendigung seines rechtmäßigen visumfreien Aufenthalts im Juli 2021 verpflichtet gewesen sei, für drei Monate wieder auszureisen, was er jedoch unterlassen habe. Er hätte nach einer Ausreise das erforderliche Visum einholen können, weshalb er sich nunmehr nicht darauf berufen könne, dass ihm das Einholen eines Visums unzumutbar sei. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne die vorherige Einholung eines Visums scheitere bereits daran, dass der Antragsteller nicht über die erforderlichen Deutschkenntnisse verfüge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Dazu muss der Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen, dass die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch).
Die gerichtliche Entscheidung ist eilbedürftig, da die Abschiebung des Antragstellers eingeleitet worden ist und zeitnah vollzogen werden soll.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es liegen die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
Die Abschiebung des Antragstellers ist aus rechtlichen Gründen unmöglich.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, zuletzt Beschl. vom 09.12.2021 - 2 BvR 1333/21 -, juris Rn. 45, Beschl. vom 05.06.2013 - 2 BvR 586/13 -, juris Rn. 12 m.w.N.; vgl. auch Nds. OVG, Beschl. vom 09.12.2019 - 8 ME 79/19 -).
Das Gericht lässt dahinstehen, ob bereits die Schwangerschaft der Ehefrau des Antragstellers, für die zwar Beschwerden, nicht aber das Risiko einer Früh- oder Fehlgeburt ärztlich attestiert sind, einen genügenden Anlass für die Annahme einer Beistandsgemeinschaft zwischen den Eheleuten ergibt mit der Folge, dass aus Art. 6 Abs. 1 allein aufgrund der Unterstützung der Ehefrau durch den Antragsteller ein rechtliches Abschiebungsverbot folgt (so wohl VG Hannover, Beschl. vom 17.09.2019 - 5 B 3968/19 -, juris; eine Risikoschwangerschaft für die Annahme eines Ausreisehindernisses setzen unter anderem folgende Gerichte voraus: OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. vom 10.12.2014 - 2 M 127/14 -, juris Rn. 6; OVG Saarl., Beschl. vom 26.02.2010 - 2 B 511/09 -, juris Rn. 24; Nds. OVG, Beschl. vom 29.06.2010 – 8 ME 159/10 -, juris Rn. 6 und Beschl. vom 15.09.2008 - 10 ME 328/08 -, juris Rn. 11).
Ein Abschiebungsverbot für den Antragsteller als werdenden Vater ergibt sich mit Blick auf den grundrechtlichen Schutz der Vater-Kind-Beziehung aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 8 EMRK, der ab dem Zeitpunkt seiner Geburt zu gewährleisten sein wird und deshalb bereits jetzt aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück, wenn die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit ist oder Mutter und Kind über gesicherte Aufenthaltsrechte in Deutschland verfügen und ihnen das Verlassen des Bundesgebietes nicht zumutbar ist. In einem solchen Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes hat (vgl. BVerfG, zuletzt Beschl. vom 09.12.2021 - 2 BvR 1333/21 -, Rn. 46; Nds. OVG, Beschl. vom 09.12.2019 - 8 ME 79/19 -; OVG Berlin, Beschl. vom 27.02.2019 - OVG 11 S 7.19 -, juris Rn. 6; OVG Hamburg, Beschl. vom 14.08.2008 - 4 Bs 84/08 -, juris Rn. 5).
Steht die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Eltern und dem Kind erst bevor, sind diese Grundsätze den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend zu modifizieren und können sich aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 8 EMRK ergeben (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 22.05.2018 - 2 BvR 941/18 -, juris Rn. 7; restriktiver Nds. OVG, Beschl. v. 11.01.2018 - 13 ME 1/18 -, V.n.b., Umdruck S. 3 f.). Die Annahme solcher Vorwirkungen setzt dabei voraus, dass, wenn die werdenden Eltern – wie im Falle des Antragstellers und der zukünftigen Kindesmutter – verheiratet sind, die Eheleute bereits in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen (vgl. Sächs. OVG, Beschl. vom 13.01.2021 - 3 B 397/20 -, juris Rn. 18 und Beschl. vom 07.05.2019 - 3 B 102/19 -, juris Rn. 16; OVG Berlin, Beschl. vom 27.02.2019 - OVG 11 S 7.19 -, juris Rn. 6; OVG Hamburg, Beschl. vom 14.08.2008 - 4 Bs 84/08 -, juris Rn. 6 und Bay. VGH, Beschl. vom 11.10.2017 - 19 CE 17.2007 -, juris Rn. 13 sowie VG München, Beschl. vom 19.05.2021 - M 24 E 21.2595 -, juris Rn. 30 fordern bei unverheirateten zukünftigen Eltern zusätzlich die Anerkennung der Vaterschaft; vgl. auch Marx in GK-AuslR, aktueller Stand, § 27 Rn. 79 mit weiteren Rspr.-Nachweisen).
Für das Gericht ist hinreichend glaubhaft, dass der Antragsteller und seine Ehefrau die elterliche Verantwortung sowie die Erziehung und Betreuung ihres Kindes gemeinsam übernehmen werden. Der Antragsteller lebt bereits seit einem dreiviertel Jahr mit seiner Ehefrau in einem Haushalt. Dass sie diesen noch mit den Eltern und Schwestern der Ehefrau teilen, spricht nicht gegen die Annahme der gemeinsamen Kinderbetreuung, sondern ist allenfalls Anzeichen für eine Überbelegung der Wohnung, deren Größe jedoch nicht bekannt ist.
Die Annahme der aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 8 EMRK führt dann, wenn glaubhaft gemacht ist, dass das Kind nach seiner Geburt auch von dem von Abschiebung bedrohten Ausländer betreut werden wird, dazu, dass die Abschiebung auszusetzen ist, wenn nach den im Einzelfall gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit seiner Rückkehr vor dem voraussichtlichen Geburtstermin nicht gerechnet werden kann (vgl. Bay. VGH, Beschl. vom 11.10.2017 - 19 CE 17.2007 -, juris Rn. 13; OVG Hamburg, Beschl. vom 14.08.2008 - 4 Bs 84/08 -, juris Rn. 7 unter Bezugnahme auf weitere Rspr.; VG Hannover, Beschl. vom 17.09.2019 - 5 B 3968/19 -, juris Rn. 18; noch Sächs. OVG, Beschl. vom 02.10.2009 - 3 B 482/09 -, juris Rn. 5; vgl. inzwischen Sächs. OVG, Beschl. vom 13.01.2021 - 3 B 397/20 -, juris Rn. 17 und Beschl. vom 07.05.2019 - 3 B 102/19 -, juris Rn. 16: Abschiebungsschutz ab Eintritt des Mutterschutzes; so auch OVG Berlin, Beschl. vom 27.02.2019 - OVG 11 S 7.19 -, juris Rn. 6; vgl. auch OVG Meck.-Vorp., Beschl. vom 26.07.2021 - 2 M 111/12 -, juris Rn. 11 und VG Karlsruhe, Beschl. vom 13.04.2021 - 10 K 1267/21 -, juris Rn. 20: kein Abschiebungsschutz, wenn Nachholung des Visumverfahrens vor dem Geburtstermin noch möglich). Denn bei einer Wiedereinreise des Ausländers erst nach der Geburt seines Kindes wäre das Kind von dem spezifischen Betreuungsbeitrag seines Vaters ausgeschlossen, der entsprechend der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Erziehungsbeitrags beider Eltern in der ersten Zeit nach der Geburt durch die mütterliche Betreuung nicht ersetzt werden kann (Bay. VGH, Beschl. vom 11.10.2017 - 19 CE 17.2007 -, juris Rn. 14). Das Kind benötigt für seine Persönlichkeitsentwicklung in aller Regel den persönlichen Kontakt zu seinen Eltern und den Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen sowohl zu seiner Mutter als auch zu seinem Vater (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.12.2021 - 2 BvR 1333/21 -, juris Rn. 48). Es ist deshalb jedenfalls in den ersten Jahren nach der Geburt auf beide Elternteile angewiesen (vgl. vgl. OVG Hamburg, Beschl. vom 14.08.2008 - 4 Bs 84/08 -, juris Rn. 7 unter Bezugnahme auf die Rspr. des BVerfG).
Im Falle des Antragstellers ist nicht damit zu rechnen, dass er vor dem Geburtstermin am J. wieder legal nach Deutschland einreisen kann. Eine Einreise vor der Geburt seines Kindes wäre für den Antragsteller nur mit einem Visum zum Ehegattennachzug möglich, welches er in Serbien bei der Deutschen Auslandsvertretung erst noch beantragen müsste. Die Erteilung eines Visums ist – unabhängig von der Frage, wie lange sie derzeit aufgrund der Corona-Pandemie durchschnittlich dauert – aber äußerst unwahrscheinlich. Die gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV notwendige Zustimmung des Antragsgegners dürfte, nachdem der Antragsgegner mit Bescheid vom 13.01.2022 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Antragsteller unter anderem mit dem Verweis auf die fehlenden Deutschkenntnisse des Antragstellers abgelehnt hat, nicht zu erwarten sein.
Dass in Fällen wie dem Vorliegenden der Eindruck entstehen kann, man könne durch eine visumfreie Einreise in den Schengenraum, die nur zu Besuchszwecken erlaubt ist, vollendete Tatsachen schaffen (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 12.11.2013 - 13 ME 190/13 -; Beschl. vom 27.07.2009 - 11 ME 171/09 -), ist eine Erwägung, der bei einer Ehegattentrennung zur Nachholung des Visumverfahrens maßgebliches Gewicht zukommen kann. Bei der Trennung eines Elternteils von seinem – in Abwesenheit geborenen – Kind tritt sie jedoch hinter das Kindeswohl zurück (vgl. auch OVG Berlin, Beschl. vom 27.02.2019 - OVG 11 S 7.19 -, juris Rn. 4).
Da der Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Antragsteller mit Bescheid vom 13.01.2022 abgelehnt hat, liegt auch die weitere Duldungsvoraussetzung aus § 60a Abs. 2 Satz 1 a.E. AufenthG vor.
Das Gericht verpflichtet den Antragsgegner zur Gewährung von Abschiebungsschutz zunächst für 6 Monate, da derzeit nicht ersichtlich ist, auf welche rechtliche Grundlage sich der Aufenthalt des Antragstellers zukünftig stützen lässt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).