Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 08.11.2017, Az.: L 3 KA 109/15

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
08.11.2017
Aktenzeichen
L 3 KA 109/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54281
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 02.09.2015 - AZ: S 78 KA 505/10
nachfolgend
BSG - 11.09.2019 - AZ: B 6 KA 2/18 R

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der frühere Gesellschafter eines in der Rechtsform der GmbH organisierten Medizinischen Versorgungszentrums kann aus der nach § 95 Abs 2 S 6 SGB V notwendigen Bürgschaft nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden aus der GmbH in Anspruch genommen werden. Nach Ablauf dieser Frist hat der Zulassungsausschuss seine Bürgschaftserklärung herauszugeben.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. September 2015 und der Beschluss des Beklagten vom 9. Juni 2010 aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt festzustellen, dass die Bürgschaftserklärung der G. (vormals: H.) vom 18. Februar 2008 an die Klägerin herauszugeben ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit steht ein Anspruch der Klägerin auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde.

Die Klägerin - eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) - ist Trägerin eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), das seit dem Quartal II/2008 für die Fachgebiete Laboratoriumsmedizin sowie Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Vertragsarztsitz zunächst in I. und aktuell in J. zugelassen ist. Vor Erteilung der Zulassung haben die (Gründungs-)Gesellschafter - darunter die in K. ansässige H. (Amtsgericht <AG> L., HRA M.; im Folgenden: Altgesellschafterin) - jeweils selbstschuldnerische Bürgschaften abgegeben, mit denen sie sich für Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) und der gesetzlichen Krankenkassen gegen die Klägerin aus deren vertragsärztlicher Tätigkeit verbürgt haben; dabei sind die Bürgschaftserklärungen jeweils auch auf Forderungen erstreckt worden, die erst nach Auflösung des MVZ fällig werden. Die unter dem 18. Februar 2008 vom Geschäftsführer der Altgesellschafterin gezeichnete Bürgschaftsurkunde ist dem zu 8. beigeladenen Zulassungsausschuss (ZA) N. vorgelegt worden und befindet sich weiterhin in dessen Besitz.

Im Juli 2009 übertrug die Altgesellschafterin ihr gesamtes Vermögen und ihren gesamten Betrieb an die O. (AG P., im Folgenden: Neugesellschafterin), deren einzige Kommanditisten sie ist. Von der Ausgliederung und Übernahme ausgenommen wurde lediglich die Kommanditbeteiligung der Altgesellschafterin an der Neugesellschafterin (Urkunde Nr Q. des Notars R. in K.). Die Altgesellschafterin änderte ihre Firma in G.; die O. firmierte ebenfalls um und nimmt seither als H. am Rechtsverkehr teil. Die Änderungen bei beiden Gesellschaften sind am 30. Juli 2009 in das Handelsregister eingetragen worden.

Mit Schreiben vom 7. September 2009 zeigten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin dem Beigeladenen zu 8. den eingetretenen Gesellschafterwechsel an. Dazu legten sie ua eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Neugesellschafterin der Klägerin für Forderungen von KÄVen und Krankenkassen gegen das MVZ aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit (einschließlich Forderungen, die erst nach Auflösung des MVZ fällig werden) vor. Gleichzeitig baten sie um Rücksendung der dem ZA bereits vorliegenden Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin im Original an sich und führten dazu aus, dass der Rechtsgrund für die Stellung der Bürgschaft entfallen und die Bürgschaftsurkunde deshalb zurückzugeben sei.

Der Beigeladene zu 8. stellte daraufhin fest, dass die Altgesellschafterin seit dem 30. Juli 2009 keine Gesellschafterin der Klägerin mehr sei und mit der Neugesellschafterin ab demselben Zeitpunkt eine zulässige Leistungserbringerin in die Trägergesellschaft des MVZ eingetreten sei. Die Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin sei Bestandteil der Nachweise des Zulassungsverfahrens des MVZ und verbleibe bei den Akten des ZA N.. Einer Rückgabe von Urschriften, die zum Nachweis in zulassungsrechtlichen Verfahren eingereicht worden sind, stehe die in § 43 Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) normierte Aufbewahrungspflicht entgegen (Beschluss vom 28. Oktober 2009).

Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin Widerspruch, soweit sich der Beigeladene zu 8. „geweigert hat, die Bürgschaftserklärung der S. (Handelsregister Amtsgericht T.) herauszugeben“. Die Bürgschaftserklärung der vom ZA akzeptierten Neugesellschafterin der Klägerin umfasse ohne zeitliche und betragsmäßige Einschränkungen alle denkbaren Forderungen der KÄV und der Krankenkassen gegenüber der Klägerin. Ein über diese Bürgschaft hinausgehendes Sicherungsbedürfnis gebe es nicht; eine „Doppelabsicherung“ sei weder erforderlich noch gesetzlich gerechtfertigt. Vielmehr sei der Zweck der Bürgschaft mit der abgegebenen Bürgschaftserklärung der Neugesellschafterin erfüllt, was zum Erlöschen der Bürgschaftsschuld der Altgesellschafterin geführt habe. Daraus resultiere eine Pflicht zur Rückgabe der Bürgschaftsurkunde an den Bürgen; dementsprechend habe etwa der ZA U. nach einem Gesellschafterwechsel in der Träger-GmbH eines anderen MVZ die Bürgschaftserklärung des dort ausgeschiedenen Gesellschafters sofort zurückgegeben. Schließlich sei die Klägerin von der Altgesellschafterin bevollmächtigt worden, den ihr zustehenden Herausgabeanspruch geltend zu machen.

Mit Beschluss vom 9. Juni 2010 (zur Post gegeben am 13. Juli 2010) hat der beklagte Berufungsausschuss (BA) den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Der alte Gesellschafter hafte aus der Bürgschaftserklärung für alle Forderungen der zu 1. beigeladenen KÄV und der gesetzlichen Krankenkassen gegen die Klägerin, die zu einer Zeit entstanden sind, als er noch Gesellschafter war. Dass daneben uU auch der neue Gesellschafter aufgrund seiner Bürgschaftserklärung für diese Forderungen aus früherer Zeit hafte, ändere daran nichts.

Die Klägerin hat am 13. August 2010 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und dort ergänzend zu ihrer bisherigen Argumentation geltend gemacht, dass die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs als außerordentliche Kündigung der Bürgschaft zu verstehen sei. Als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung der Bürgschaft sei das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einem MVZ anerkannt, sofern die Gesellschafterstellung Anlass für die Übernahme der Bürgschaft gewesen ist, was hier der Fall sei.

Nach einem Hinweis des SG zur Aktivlegitimation hat die Klägerin eine von der Altgesellschafterin und ihr getroffene, auf den 10. Januar 2012 datierte Abtretungsvereinbarung vorgelegt. Darin ist auf die Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin vom 18. Februar 2008 Bezug genommen worden; ferner heißt es dort wörtlich:

„Die Altgesellschafterin tritt hiermit den Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaft nach § 371 BGB an die MVZ Labor V. ab.“

Mit Urteil vom 2. September 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin verfolge ihr Begehren mit dem Hauptantrag zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage. Zwar sei die vordergründig begehrte Herausgabe ein schlichtes Verwaltungshandeln, jedoch sei vor der eigentlichen Herausgabe eine Entscheidung über die Herausgabe zu treffen. Diese Entscheidung sei als Verwaltungsakt zu qualifizieren, weil dem tatsächlichen Handeln eine behördliche Prüfung gesetzlicher Vorgaben vorauszugehen habe. Da die Herausgabe der Urkunde zudem die Rechtsstellung der Gläubiger beeinträchtigen könne, bestehe auch unter dem Aspekt der Rechtssicherheit ein Bedürfnis nach einer Entscheidung durch Verwaltungsakt. In der Sache sei der Klage aus mehreren Gründen der Erfolg zu versagen. Ein Gesellschafterwechsel führe weder zum Erlöschen noch zu einem einseitigen Kündigungsrecht in Bezug auf die alte Bürgschaft. Auch das Hinzutreten eines neuen Bürgen führe nach zivilrechtlichen Grundsätzen ohne Zustimmung des Gläubigers grundsätzlich nicht zu einer Haftungsentlassung des bisherigen Bürgen. Eine solche Zustimmung habe der Beklagte nicht erteilt, und auch aus dem SGB V ergebe sich kein Anspruch auf eine solche Freigabeerklärung. Ferner könne kein Wegfall der Geschäftsgrundlage festgestellt werden, weil sich die Bürgschaft unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Vertragsarztrechts auch auf „verdeckte“ Forderungen beziehe, die erst im Rahmen nachgelagerter Abrechnungs- bzw Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren mit teilweise erheblicher zeitlicher Verzögerung begründet würden. Eine Privilegierung im Vergleich zu Personengesellschaften beim Ausscheiden eines Gesellschafters sei gesetzlich nicht vorgesehen. Im Übrigen sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert, weil sie selbst keine Bürgschaftserklärung abgegeben habe. Nichts anderes ergebe sich aus der im Klageverfahren vorgelegten Abtretungserklärung, weil Gegenstand des Verfahrens der angegriffene Bescheid des Beklagten und damit allein das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten sei. Ob demgegenüber die Altgesellschafterin einen Anspruch auf eine Verwaltungsentscheidung über die Herausgabe der Bürgschaftserklärung habe, sei im Rahmen dieses Verfahrens nicht zu entscheiden. Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Neubescheidung sei unzulässig.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 10. September 2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. Oktober 2015 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Das SG habe verkannt, dass die Klägerin aufgrund der Abtretungsvereinbarung einen eigenen Herausgabeanspruch geltend mache und deshalb aktivlegitimiert sei. Im Übrigen hält sie an ihrer Auffassung fest und führt ergänzend aus, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Bürgschaftserfordernisses in § 95 Abs 2 S 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) das Ziel verfolgt habe, die Gesellschafter eines in der Rechtsform einer juristischen Person organisierten MVZ mit den mit ihrem Privatvermögen haftenden Inhabern einer Einzelpraxis und Gesellschaftern einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) haftungsrechtlich gleichzustellen. Die mit der Entscheidung des SG angenommene „unendliche Haftung“ des Bürgen bedeute aber im Ergebnis eine Schlechterstellung, weil Gesellschafter einer BAG nach ihrem Ausscheiden für die bis dahin begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten analog § 160 Abs 1 Handelsgesetzbuch (HGB) nur zeitlich befristet hafteten. Dem Herausgabeanspruch stehe schließlich auch nicht entgegen, dass der Beklagte nicht im Besitz der Bürgschaftsurkunde sei; der Beklagte habe entweder tenorieren müssen, dass die Bürgschaftserklärung an die Klägerin herauszugeben ist, oder er habe die Bürgschaft beim Beigeladenen zu 8. anfordern müssen, um diese ggf herausgeben zu können.

Unter dem 1. November 2017 haben die Neugesellschafterin und die Klägerin eine schriftliche Abtretungsvereinbarung getroffen, nach deren Inhalt die Neugesellschafterin einen möglichen Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftserklärung vom 18. Februar 2008 an die Klägerin abgetreten und diese die Abtretung angenommen hat.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. September 2015 und den Beschluss des Beklagten vom 9. Juni 2010 aufzuheben,

2. den Beklagten zu verurteilen festzustellen, dass die Bürgschaftserklärung der G. (vormals H.) vom 18. Februar 2008 an die Klägerin herauszugeben ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des SG und vertritt die Auffassung, dass bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit seines Beschlusses auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung abzustellen sei. Zu jenem Zeitpunkt sei die Klägerin aber unter keinem Gesichtspunkt Inhaberin eines Herausgabeanspruchs gewesen. Zudem sei der Beklagte im Hinblick auf die beantragte Herausgabe nicht passivlegitimiert, weil die Urkunde nicht in seinem Besitz sei. Im Übrigen bestehe auch gar kein Herausgabeanspruch. Insbesondere sei die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Altgesellschafterin weiterhin nicht auszuschließen; zB reichten Honorarrückforderungen durchaus ein Jahrzehnt und länger zurück.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist infolge der Abtretung eines in der Person der Neugesellschafterin entstandenen Anspruchs Inhaberin des Anspruchs auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde vom 18. Februar 2008 geworden. Dementsprechend war der mit der Klage angefochtene Beschluss des Beklagten aufzuheben und der Beklagte zu der aus dem Tenor ersichtlichen Feststellung zu verurteilen.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Gegenstand der Klage ist (allein) der Beschluss des Beklagten vom 9. Juni 2010, mit dem der Widerspruch der Klägerin gegen den Beschluss des ZA vom 28. Oktober 2009 zurückgewiesen worden ist. Dabei war der Widerspruch von vornherein beschränkt worden; er richtete sich nur gegen die Feststellung des ZA, dass die Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin Bestandteil der Nachweise des Zulassungsverfahrens des MVZ sei und bei den Akten des ZA N. verbleibe. Aus der Sicht eines verständigen Bescheidadressaten in der Person der Klägerin, die zuvor um Rückgabe der Bürgschaftserklärung gebeten hatte, beinhaltet das die Feststellung, dass die Bürgschaftsurkunde nicht herauszugeben sei. Diese Feststellung ist in der angefochtenen Entscheidung des Beklagten aufgegangen (vgl dazu Bundessozialgericht <BSG> SozR 4-2500 § 95 Nr 28).

Nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung können Fragen der Bürgschaft nach § 95 Abs 2 S 6 SGB V der Klärung durch einen feststellenden Verwaltungsakt zugänglich sein. Eine solche Klärungsfähigkeit und die dazu notwendige Befugnis, Feststellungen durch Verwaltungsakt zu treffen, hat das BSG namentlich angenommen für die Frage, ob eine vorgelegte Bürgschaft für Forderungen von KÄVen und Krankenkassen gegen das MVZ aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit den gesetzlichen Anforderungen entspricht oder welche andere - konkret zu benennende Person - eine solche Bürgschaftserklärung abzugeben hat (BSG aaO). Nichts anderes kann für die Frage gelten, ob die Bürgschaftserklärung (dh die Urkunde, in der diese Erklärung verkörpert ist) eines ausgeschiedenen Gesellschafters herauszugeben ist (so auch Ladurner, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, § 95 SGB V Rn 98 unter Hinweis auf die angefochtene Entscheidung des SG). Denn auch hier kann aufgrund der komplizierten vertragsarztrechtlichen Rechtsbeziehungen effektiver Rechtsschutz nur gewährleistet werden, indem eine Vorab-Klärung des Herausgabeanspruchs durch feststellenden Bescheid ermöglicht wird. Bejaht der ZA einen Herausgabeanspruch, kann diese feststellende Entscheidung von der KÄV sowie den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen angegriffen werden, die Gläubiger der Bürgschaft sind und deren Rechtsposition deshalb durch eine Rückgabe der Bürgschaftsurkunde - die sie rein tatsächlich nicht verhindern könnten, weil sich die Urkunde nicht in ihrem Besitz befindet - berührt wird. Zwar führt die Rückgabe einer Bürgschaftsurkunde als solche grundsätzlich nicht zum Erlöschen der Bürgschaft (vgl Habersack in: MüKo-Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>, 7. Aufl, § 765 Rn 59), jedoch stellt der Besitz des Schuldners am Schuldschein iSd § 371 BGB - der auf die Bürgschaftsurkunde jedenfalls entsprechende Anwendung findet (Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 14. Juli 2004 - XII ZR 352/00, juris Rn 25 - NJW 2004, 3553) - zumindest ein Indiz für das Erlöschen der Schuld dar (vgl Fetzer in: MüKo-BGB, § 371 Rn 4; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - VII ZR 227/07, juris Rn 11 - NJW 2009, 218). Aus alledem folgt ein Bedürfnis, über die Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde vorab durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Eine solche Vorab-Klärung liegt zugleich im Interesse des Trägers des MVZ in der Rechtsform einer GmbH, weil die Abgabe selbstschuldnerischer Bürgschaftserklärungen (oder - nach der seit dem 23. Juli 2015 geltenden Gesetzesfassung - anderer Sicherheitsleistungen nach § 232 BGB) gemäß § 95 Abs 2 S 6 SGB V Voraussetzung für die Zulassung des MVZ ist und die Zulassung zu entziehen ist, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen (§ 95 Abs 6 S 1 SGB V).

Nach dem erkennbaren Interesse der Klägerin zielt die Klage somit auf eine Aufhebung der getroffenen Feststellung und Verpflichtung des Beklagten festzustellen, dass die Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin vom 18. Februar 2008 an die Klägerin herauszugeben ist.

2. Die so verstandene Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Demgegenüber scheidet eine unmittelbar auf Herausgabe der Urkunde gerichtete Leistungsklage schon deshalb aus, weil der nach seiner Anrufung allein prozessführungsbefugte BA nicht im Besitz der Bürgschaftsurkunde ist und deshalb auch nicht zur Herausgabe der Urkunde verpflichtet werden könnte.

3. Die Klage ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere liegen die Klagebefugnis und die Prozessführungsbefugnis der Klägerin vor.

a) Die Klagebefugnis setzt die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte (formelle Beschwer) voraus (vgl Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl, § 54 Rn 9). Das kann hier angenommen werden, nachdem die Klägerin im Verwaltungsverfahren die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde an sich (bzw ihre <Prozess->Bevollmächtigten, die sich ausschließlich für die Klägerin legitimiert hatten) begehrt und der Beklagte ihr gegenüber entschieden hat, dass die Urkunde nicht herauszugeben sei. Ob sie hierdurch tatsächlich in eigenen Rechten betroffen und damit materiell beschwert ist, ist demgegenüber eine Frage der Begründetheit der Klage.

b) Die Klägerin ist auch prozessführungsbefugt, also berechtigt, den Klageanspruch im eigenen Namen geltend zu machen (vgl dazu Keller aaO, Rn 15 vor § 51, § 54 Rn 11). Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese allgemeine Prozessvoraussetzung bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorgelegen hat. Das Gericht prüft von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind. Maßgebend ist, ob das zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der jeweiligen Instanz der Fall ist; fehlten solche Voraussetzungen ursprünglich, genügt also ihr späteres Eintreten (Keller aaO, Rn 20 vor § 51). Aufgrund der mit der Altgesellschafterin und der Neugesellschafterin getroffenen Abtretungsvereinbarungen liegt zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Prozessführungsbefugnis vor. Ob die Klägerin durch eine dieser Abtretungen tatsächlich Inhaberin eines Herausgabeanspruchs geworden und damit aktivlegitimiert ist, ist ebenfalls erst im Rahmen der Begründetheit der Klage zu klären.

II. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Feststellung, dass die Bürgschaftserklärung ihrer Altgesellschafterin an sie - die Klägerin - herauszugeben ist.

1. Die Klägerin ist jedoch nicht aufgrund der unter dem 10. Januar 2012 mit der Altgesellschafterin getroffenen Abtretungsvereinbarung Inhaberin eines Herausgabeanspruchs geworden.

a) Inhaber des Anspruchs auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde nach Erlöschen der Bürgschaftsverpflichtung ist grundsätzlich der Bürge. Ein in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall, in dem der Hauptschuldner die Herausgabe der Urkunde (wahlweise) an sich verlangen kann (vgl dazu BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 aaO, Rn 12 mwN), liegt hier erkennbar nicht vor. Die Klägerin kann einen Herausgabeanspruch deshalb nur durch eine wirksame Abtretung erlangt haben.

b) Die von der Altgesellschafterin als ursprünglicher Bürgin erklärte Abtretung geht jedoch ins Leere, weil die Altgesellschafterin zu keinem Zeitpunkt Inhaberin eines Anspruchs auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde gewesen ist.

aa) Nach § 95 Abs 2 S 6 SGB V(in der hier anwendbaren Fassung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes <VÄndG> vom 22. Dezember 2006, BGBl I S 3439) ist für die Zulassung eines MVZ in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts Voraussetzung, dass die Gesellschafter selbstschuldnerische Bürgschaftserklärungen für Forderungen von KÄVen und Krankenkassen gegen das MVZ aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit abgeben; dies gilt auch für Forderungen, die erst nach Auflösung des MVZ fällig werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist der Gesetzgeber bei Schaffung der Regelung von einer Bürgschaft gemäß § 773 BGB ausgegangen (vgl dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs 16/2474, S 21). Da besondere Regelungen zu solchen Bürgschaftserklärungen weder im SGB V noch in anderen spezifischen Rechtsnormen des Vertragsarztrechts normiert worden sind, finden gemäß § 69 Abs 1 S 3 und 4 SGB V die Vorschriften des BGB entsprechende Anwendung (vgl dazu und zur im Schrifttum umstrittenen Rechtsqualität der Bürgschaft nach § 95 Abs 2 S 6 SGB V ausführlich Ladurner aaO, Rn 91 f).

Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen (§ 765 Abs 1 BGB). Hier ist ein solcher Bürgschaftsvertrag zwischen der Altgesellschafterin der Klägerin und dem Beigeladenen zu 8. dadurch zu Stande gekommen, dass die im Wesentlichen dem Gesetzeswortlaut entsprechende Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin dem Beigeladenen zu 8. zugegangen ist und dieser den Antrag auf Abschluss eines Bürgschaftsvertrages zugunsten Dritter - nämlich der KÄVen und der Krankenkassen - jedenfalls konkludent mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Zulassung des MVZ vom 27. Februar 2008 angenommen hat (vgl auch dazu Ladurner aaO, Rn 92; nach anderer Auffassung erfolgt die Annahmeerklärung erst durch eine tatsächliche Inanspruchnahme des Bürgen durch die KÄV oder bestimmte Krankenkassen, vgl Rehborn/Ossege in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 1. Aufl, § 95 SGB V Rn 103, wonach die Bürgschaftserklärung bis zu diesem Zeitpunkt als unwiderrufliches Angebot zu verstehen sei).

Im vorliegenden Rechtsstreit kann offen bleiben, ob ein Bürgschaftsvertrag mit der Altgesellschafterin wirksam zustande gekommen ist. Denn jedenfalls ist die Verpflichtung aus der Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin - und damit ggf auch aus einem Bürgschaftsvertrag - aus den nachstehend dargelegten Gründen erloschen, sodass die KÄVen und die Krankenkassen daraus keine Rechte mehr herleiten können.

bb) Die Altgesellschafterin ist selbst allerdings nicht Inhaberin eines Anspruchs auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde geworden.

Als Anspruchsgrundlage für einen Herausgabeanspruch kommt - jedenfalls in entsprechender Anwendung - § 371 S 1 BGB in Betracht. Danach kann der Bürge regelmäßig eine Rückgabe der Bürgschaftsurkunde verlangen, sobald die Bürgschaftsverpflichtung erloschen ist (vgl Sprau in: Palandt, BGB, 76. Aufl, § 765 Rn 35; BGH, Urteil vom 14. Juli 2004 aaO; Urteil vom 11. Dezember 1986 - III ZR 268/85, juris).

Dass die Bürgschaftsverpflichtung der Altgesellschafterin schon vor dem - mit der Eintragung der durch Ausgliederungs- und Übernahmevertrag vom 3. Juli 2009 vereinbarten Übertragung von Teilen des Vermögens der Altgesellschafterin auf die Neugesellschafterin in das Handelsregister am 30. Juli 2009 wirksam gewordenen - Gesellschafterwechsel erloschen sein könnte, behauptet die Klägerin selbst nicht; dafür liegen auch keinerlei Anhaltspunkte vor.

Kann die Verpflichtung aus der Bürgschaftserklärung (oder ggf dem Bürgschaftsvertrag) demzufolge frühestens mit oder nach der Eintragung der Vermögensübertragung in das Handelsregister erloschen sein, kommt ein Herausgabeanspruch in der Person der Altgesellschafterin von vornherein nicht mehr in Betracht. Denn mit der Eintragung in das Handelsregister sind (auch) sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Bürgschaftsverhältnis auf die Neugesellschafterin übergegangen.

Mit dem notariell beurkundeten Vertrag vom 3. Juli 2009 haben die Altgesellschafterin und die Neugesellschafterin die Ausgliederung und Übernahme eines Teils des Vermögens der Altgesellschafterin auf die Neugesellschafterin vereinbart. Dabei handelt es sich sowohl nach dem Wortlaut des Vertrages als auch in der Sache um eine Spaltung in Form einer Ausgliederung gemäß § 123 Abs 3 Nr 1 Umwandlungsgesetz (UmwG). Nach dieser Vorschrift kann ein Rechtsträger (übertragender Rechtsträger) aus seinem Vermögen einen Teil oder mehrere Teile ausgliedern zur Aufnahme durch Übertragung dieses Teils oder dieser Teile jeweils als Gesamtheit auf einen bestehenden oder mehrere bestehende Rechtsträger (übernehmende Rechtsträger) gegen Gewährung von Anteilen oder Mitgliedschaften dieses Rechtsträgers oder dieser Rechtsträger an den übertragenden Rechtsträger. Ein solcher Fall liegt hier vor: die Altgesellschafterin hat ihr gesamtes Vermögen und ihren gesamten Betrieb als Gesamtheit auf die Neugesellschafterin gegen Gewährung von Anteilen dieses Rechtsträgers (§ 2 des Vertrages) übertragen. Davon ausgenommen geblieben ist allein die Kommanditbeteiligung der Altgesellschafterin an der Neugesellschafterin (§ 1 Abs 1 des Vertrages). Damit liegt eine sogenannte Totalausgliederung vor, wodurch die Altgesellschafterin zur Holding geworden ist und ihr einziges verbliebenes Vermögen in der Beteiligung an der Neugesellschafterin besteht (vgl dazu Teichmann in: Luther, UmwG, 5. Aufl, § 123 Rn 25; Sickinger in: Kallmeyer, UmwG, 6. Aufl, § 123 Rn 12).

Folge dieser Totalausgliederung ist eine Übertragung auch des Bürgschaftsverhältnisses und aller damit verbundenen Rechte und Pflichten auf die Neugesellschafterin. Bei einer Ausgliederung geht der ausgegliederte Teil des Vermögens einschließlich der Verbindlichkeiten entsprechend der im Spaltungs- und Übernahmevertrag vorgesehenen Aufteilung mit der Eintragung der Spaltung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers jeweils als Gesamtheit auf die übernehmenden Rechtsträger über (§ 131 Abs 1 Nr 1 UmwG). Hinsichtlich der nach dem Spaltungs- und Übernahmevertrag übertragenen Vermögensteile handelt es sich um eine partielle Gesamtrechtsnachfolge, die mit der Eintragung im Handelsregister gegenüber Dritten wirksam wird (vgl dazu näher Sickinger aaO, § 131 Rn 1 ff). Das hat in Bezug auf ein Schuldverhältnis, an dem der übertragende Rechtsträger beteiligt ist und auf das sich die Vermögensübertragung erstreckt zur Folge, dass alle Rechte und Pflichten aus diesem Schuldverhältnis auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen. Davon umfasst sind auch Gestaltungsrechte (wie etwa ein Kündigungsrecht) und solche Rechte, deren Begründungstatbestand zwar schon begonnen hatte, aber noch nicht vollendet war (Teichmann aaO, § 131 Rn 64 ff).

Nach diesen hier maßgebenden Grundsätzen sind die Verpflichtung aus der Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin und ggf der Bürgschaftsvertrag mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten insgesamt auf die Neugesellschafterin übergegangen. Ihr allein konnte etwa ein Recht zur Kündigung eines möglichen Bürgschaftsvertrages zustehen, und ein möglicher Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde könnte allenfalls in ihrer Person entstanden sein. Die zwischen der Klägerin und der Altgesellschafterin getroffene Abtretungsvereinbarung hätte daran nichts geändert, denn der abgetretene Anspruch stand der Altgesellschafterin tatsächlich nicht zu. Ein etwaiger zum Zeitpunkt der Abtretung bereits begründeter Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde wäre auch danach bei der Neugesellschafterin verblieben.

2. Die Klägerin hat jedoch durch die am 1. November 2017 mit der Neugesellschafterin getroffene Abtretungsvereinbarung einen Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin erlangt.

a) An dem Abschluss eines Abtretungsvertrages (§ 398 Abs 1 BGB) sowie an dessen Inhalt bestehen keine Zweifel; das ist auch vom Beklagten nicht infrage gestellt worden.

Entgegen der Auffassung des Beklagten findet diese Änderung der rechtlichen Verhältnisse im vorliegenden Verfahren Berücksichtigung; denn maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einer Verpflichtungsklage ist in der Regel - und so auch hier - der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz (vgl dazu sowie zu möglichen Ausnahmen Keller aaO, § 54 Rn 34 f).

b) Die Abtretung greift auch durch, denn der Neugesellschafterin stand zum Zeitpunkt der Abtretungsvereinbarung ein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde entsprechend § 371 S 1 BGB zu.

aa) Ein Erlöschen der Verpflichtung aus der Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin vom 18. Februar 2008 durch bloßen Zeitablauf scheidet allerdings aus, weil die Erklärung zeitlich nicht befristet worden ist.

bb) Die Verpflichtung aus der Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin ist auch nicht durch ein Entfallen der Hauptschuld erloschen.

Die Verpflichtung des Bürgen ist akzessorischer Natur und erlischt daher grundsätzlich mit dem Erlöschen der Hauptschuld. Dem Erlöschen der Hauptschuld steht es gleich, dass eine Verbindlichkeit, für die die Bürgschaft übernommen worden ist, nicht mehr entstehen kann (vgl Habersack in: MüKo-BGB, 7. Aufl, § 765 Rn 48). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, weil nicht festgestellt werden kann, dass keinerlei Ansprüche der KÄV oder der Krankenkassen gegen das MVZ mehr bestehen bzw entstehen könnten. Dabei gehen die Beteiligten zutreffend davon aus, dass die auf der Grundlage von § 95 Abs 2 S 6 SGB V abgegebene Bürgschaftserklärung auf solche Forderungen gegen die Gesellschaft beschränkt ist, die während der Gesellschafterstellung entstanden sind (ebenso Ladurner aaO, SGB V § 95 Rn 94; Rehborn/Ossege aaO, § 95 SGB V Rn 95; Möller, MedR 2007, 263, 268). Jedoch sind etwa sachlich-rechnerische Richtigstellungen des Honorars des MVZ und daraus resultierende Rückforderungsansprüche uU noch nach Ablauf der regelmäßigen Ausschlussfrist von vier Jahren denkbar (vgl dazu etwa Senatsurteil vom 8. Juni 2016 - L 3 KA 6/13, juris Rn 39 ff - MedR 2017, 73 mwN); derartige Ansprüche gegen das MVZ können daher auch nicht für den Zeitraum ausgeschlossen werden, in dem die Altgesellschafterin noch Gesellschafterin der Klägerin gewesen ist. Aus demselben Grund ist auch der Sicherungszweck der Bürgschaftserklärung nicht entfallen.

cc) Von einem Wegfall des Sicherungszwecks kann auch nicht aus dem Grunde ausgegangen werden, dass mit der Abgabe der Bürgschaftserklärung der Neugesellschafterin ein weiterer selbstschuldnerisch haftender Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 1. und den Krankenkassen einzustehen hat. Dabei ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die Zulassung des MVZ von der Abgabe selbstschuldnerischer Bürgschaftserklärungen aller Gesellschafter der GmbH abhängig ist, dass die mehrfache Absicherung derselben Forderungen im Falle einer Mehrzahl von Gesellschaftern gesetzlich gewollt ist. Nach den obigen Ausführungen ist die Bürgenstellung der Altgesellschafterin im Übrigen aufgrund der Vermögensübertragung auf die Neugesellschafterin übergegangen. Insoweit ist ebenfalls von Gesetzes wegen vorgesehen, dass die Altgesellschafterin für Verbindlichkeiten aus dem Bürgschaftsverhältnis nach Maßgabe des § 133 Abs 3 S 1 UmwG mithaftet, also - für einen begrenzten Zeitraum - neben der Neugesellschafterin in Anspruch genommen werden kann. Damit entspricht die von der Klägerin beanstandete „Doppelabsicherung“ jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen ausdrücklich dem Gesetz.

dd) Ein eventuell zustande gekommener Bürgschaftsvertrag ist auch nicht wirksam gekündigt worden.

Nach allgemeiner Auffassung können unbefristete Bürgschaftsverträge nach einer angemessenen Zeit und mit einer angemessenen Frist ordentlich gekündigt werden; bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kommt zudem eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Ein wichtiger Grund kann das Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft sein, sofern die Gesellschafterstellung Anlass für die Übernahme der Bürgschaft für die Gesellschaftsschuld war (vgl Habersack aaO, § 765 Rn 55 ff mwN).

Ob und ggf unter welchen Voraussetzungen ein Kündigungsrecht auch im Fall einer nach § 95 Abs 2 S 6 SGB V abgegebenen selbstschuldnerischen Bürgschaft besteht, erscheint jedoch zweifelhaft und ist in der Literatur umstritten. Eine Möglichkeit zur Kündigung widerspräche allerdings dem Zweck der Einstandspflicht des Bürgen auch für nach Auflösung des MVZ bekannt und fällig gewordene Verbindlichkeiten. Deshalb wird teilweise gefordert, die Bürgschaft müsse unkündbar sein (vgl Pawlita in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl, § 95 Rn 95; Motz in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 95 Rn 33; Möller, MedR 2007, 236, 267 f; aA Dahm, MedR 2008, 257, 265 f). Dafür spricht, dass die Einräumung eines außerordentlichen Kündigungsrechts für den Fall des Ausscheidens des Bürgen aus der Gesellschaft die Gefahr von Umgehungen der vom Gesetzgeber gewollten und angeordneten Haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten des MVZ begründen würde. Zudem könnte ein solches Kündigungsrecht zu Einschränkungen oder gar einer Gefährdung der vertragsärztlichen Versorgung führen, weil die Zulassung des MVZ und damit seine Berechtigung und Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung vom Vorliegen der Bürgschaftserklärung aller Gesellschafter abhängig ist.

Selbst bei Annahme eines Kündigungsrechts würde es vorliegend aber bereits an einer Kündigungserklärung fehlen. Es ist weder von der Klägerin dargelegt worden noch ersichtlich, dass die Altgesellschafterin oder - nach dem Übergang des Bürgschaftsverhältnisses - die Neugesellschafterin überhaupt eine Kündigung des Bürgschaftsvertrages erklärt hätte. Eine Kündigungserklärung ist auch nicht als „Minus“ in der Bitte der (Prozess-)Bevollmächtigten der Klägerin enthalten, die Bürgschaft zurückzusenden. Dem steht schon entgegen, dass sich die Prozessbevollmächtigten im Verwaltungsverfahren ausschließlich für die Klägerin legitimiert haben; der Klägerin aber stand in keinem Fall ein Kündigungsrecht zu. Soweit nachträglich im Lauf des Widerspruchsverfahrens behauptet worden ist, die Altgesellschafterin habe die Klägerin zur Geltendmachung des Herausgabeanspruchs bevollmächtigt, ändert das nichts, weil das keine Vollmacht zur Erklärung einer Kündigung beinhaltet und auch im Folgenden keine Kündigung des Bürgschaftsvertrages erklärt worden ist. In der Geltendmachung eines vermeintlichen (Herausgabe-)Anspruchs kann zudem nicht ohne Weiteres die Ausübung eines Gestaltungsrechts in Form einer Kündigungserklärung erblickt werden; die Geltendmachung einer Forderung ist gegenüber der Ausübung eines Gestaltungsrechts grundsätzlich kein Mehr, sondern zunächst einmal etwas Anderes.

ee) Die Bürgschaftsverpflichtung der Altgesellschafterin ist jedoch in entsprechender Anwendung des § 160 Abs 1 HGB nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Wirksamwerden der Vermögensübertragung erloschen.

Mit der Einführung des Erfordernisses selbstschuldnerischer Bürgschaftserklärungen der Gesellschafter eines MVZ-Trägers in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts sollten derart organisierte kooperative Versorgungsformen haftungsrechtlich den als Personengesellschaft organisierten kooperativen Organisationsformen (BAG, MVZ in der Freiberuflervariante) gleichgestellt werden. Dazu wird in der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (aaO) insbesondere auf die persönliche gesamtschuldnerische Haftung von Mitgliedern der BAG mit ihrem Privatvermögen Bezug genommen und ausgeführt, diese Haftungserstreckung müsse zum Schutz der Gemeinschaft der anderen in der KÄV durch Pflichtmitgliedschaft organisierten vertragsärztlichen Leistungserbringer und zum Schutz der Solidargemeinschaft der Versicherten auch für Rechtsansprüche von KÄVen und Krankenkassen gelten, womit offenkundig die Ansprüche dieser Institutionen gegen MVZ gemeint sind. In diesem Zusammenhang wird im Schrifttum - soweit ersichtlich: einvernehmlich - die Auffassung vertreten, dass die Bürgschaft nach § 95 Abs 2 S 6 SGB V bei Ausscheiden des Gesellschafters entsprechend der Regelung zur Nachhaftung eines GbR-Gesellschafters bei Ausscheiden aus der GbR (§ 736 Abs 2 BGB iVm § 160 Abs 1 HGB) auf fünf Jahre nach seinem Ausscheiden zeitlich begrenzt sei und nach Ablauf dieses Zeitraums die Bürgschaftsurkunde zurückgegeben werden müsse (vgl Ladurner aaO, Rn 95; Rehborn/Ossege aaO, Rn 96; Möller aaO, 268; offen gelassen von Makoski/Möller, MedR 2007, 524, 526). Dem schließt sich der Senat an; allein diese Auslegung entspricht der vom Gesetzgeber gewollten Gleichstellung der Haftungssituation. Eine darüber hinausgehende oder gar zeitlich unbegrenzte (Weiter-)Haftung würde demgegenüber eine Schlechterstellung der MVZ-Gesellschafter gegenüber ausgeschiedenen Mitgliedern einer BAG bedeuten. Ein solches Ergebnis entspräche weder dem Wortlaut noch dem Zweck der Regelung.

Demzufolge hat die Haftung der Neugesellschafterin aus der Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin mit Ablauf von fünf Jahren nach der Eintragung der Vermögensübertragung in das Handelsregister, hier also mit Ablauf des 30. Juli 2014 geendet. Da innerhalb dieses Zeitraums (und auch darüber hinaus) keine Inanspruchnahme durch die beigeladene KÄV oder andere Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung erfolgt ist, konnte die Neugesellschafterin die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verlangen. Dieses Recht ist durch die wirksame Abtretung auf die Klägerin übergegangen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 154 Abs 1 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen, weil bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob und ggf unter welchen Voraussetzungen nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters eines MVZ-Trägers in der Rechtsform der GmbH die Rückgabe der von ihm abgegebenen Bürgschaftserklärung verlangt werden kann.

Die Bemessung des Streitwerts folgt aus der Anwendung des § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG).