Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 06.11.2017, Az.: L 8 SO 262/17 B ER
Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Kein Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche bei einem Widerspruch gegen die Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 06.11.2017
- Aktenzeichen
- L 8 SO 262/17 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 37299
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 09.08.2017 - AZ: S 33 SO 198/17 ER
Rechtsgrundlagen
- (2004) § 84 Abs. 1 AufenthG
- (2004) § 2 Abs. 1 FreizügG/EU
- (2004) § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU
- (2004) § 11 Abs. 2 FreizügG/EU
- i.d.F.v. 22.12.2016 § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und S. 4 Hs. 1-2 SGB II
- § 80 Abs. 1 S. 1-2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Die Ausnahme nach § 7 Abs. 1 S. 4 Halbs. 1 SGB II (in der seit dem 29.12.2016 geltenden Fassung) von den Leistungsausschlüssen nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II kann eingreifen, wenn der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG festgestellt wurde, aber gegen die Feststellung Widerspruch erhoben worden ist und der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat. Der Verlustfeststellung kommt insoweit keine Tatbestandswirkung zu.
Redaktioneller Leitsatz
1. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.
2. Die Beurteilung, ob und wo ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden ist, richtet sich in erster Linie nach den tatsächlichen Verhältnissen.
3. Das Bestehen eines Aufenthaltsrechts ist keine Voraussetzung für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland.
4. Der aufenthaltsrechtliche Status eines Antragstellers betrifft vielmehr die Frage, ob ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II eingreift.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 9. August 2017 aufgehoben, soweit mit diesem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.
Der Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 18. Juli 2017 bis zum Eintritt der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides des Beigeladenen vom 31. August 2017, längstens bis zum 28. Februar 2018, zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Der Beigeladene hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Antrag der Antragstellerinnen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Eilverfahrens um die Gewährung lebensunterhaltssichernder Leistungen.
Die 2008 geborene Antragstellerin zu 1 und ihre Mutter, die 1970 geborene Antragstellerin zu 2, haben die bulgarische Staatsangehörigkeit und bewohnen zusammen mit einer weiteren Tochter der Antragstellerin zu 2, der 1994 geborenen E., eine Mietwohnung im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin zu 2 ist seit 2007, die Antragstellerin zu 1 seit ihrer Geburt in Deutschland gemeldet. Die Antragstellerin zu 2 erhält für ihre Töchter Kindergeld in Höhe von jeweils 192,00 EUR monatlich. Die 1994 geborene Tochter, die ebenfalls die bulgarische Staatsangehörigkeit hat, übt eine geringfügige Beschäftigung aus und erzielt hieraus ein monatliches Einkommen von aktuell 449,33 EUR. Sie bezieht ergänzend vom im Beschwerdeverfahren beigeladenen Jobcenter Arbeitslosengeld II, zuletzt sind ihr mit Änderungsbescheid vom 10. Oktober 2017 Leistungen für die Zeit von November 2017 bis Februar 2018 bewilligt worden.
Die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin stellte mit Bescheid vom 8. Dezember 2016 fest, dass die Antragstellerinnen keine Freizügigkeit i.S.d. FreizügG/EU genießen und zum Verlassen des Bundesgebietes verpflichtet sind. Für die Ausreise wurde ihnen eine Frist von einem Monat gesetzt und zugleich die Abschiebung nach Bulgarien angedroht. Der Widerspruch der Antragstellerinnen gegen diesen Bescheid blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid der Freien Hansestadt Bremen vom 15. September 2017). Hiergegen haben die Antragstellerinnen fristgerecht Klage beim Verwaltungsgericht Bremen erhoben, das Klageverfahren ist weiterhin anhängig.
Die Antragstellerinnen bezogen vom Beigeladenen bis Januar 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Den Weitergewährungsantrag lehnte der Beigeladene mit Bescheid vom 23. Januar 2017 mit der Begründung ab, dass sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 2 allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe und sie daher dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfalle. Den Widerspruch der Antragstellerinnen wies der Beigeladene mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2017 zurück.
Gleichzeitig bewilligte er der 1994 geborenen Tochter der Antragstellerin zu 2 vorläufig Leistungen für die Zeit vom 7. Februar bis zum 31. August 2017. Die Antragstellerinnen erhoben gegen den Bescheid vom 23. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen (- S 28 AS 1600/17 -), über die noch nicht entschieden ist.
Einen erneuten am 18. Juli 2017 gestellten Leistungsantrag der Antragstellerinnen lehnte der Beigeladene mit Bescheid vom 31. August 2017 ab. Zur Begründung verwies er wiederum auf den Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Über den am 4. September 2017 hiergegen erhobenen Widerspruch der Antragstellerinnen ist bisher nicht entschieden worden.
Bereits am 7. Februar 2017 hatten die Antragstellerinnen und die 1994 geborene Tochter der Antragstellerin zu 2 beim SG beantragt, den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu verpflichten. Das SG gab dem Antrag statt und verpflichtete den Beigeladenen zur vorläufigen Leistungsgewährung für die Zeit vom 7. Februar bis zum 31. August 2017 (Beschluss vom 3. März 2017 - S 35 AS 272/17 ER -). Der Beschwerde des Beigeladenen gab das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen teilweise statt, indem es den Beschluss des SG aufhob, soweit der Beigeladene zur Leistungsgewährung an die Antragstellerinnen verpflichtet worden war, und lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit ab. Bezogen auf die Leistungsgewährung an die 1994 geborene Tochter blieb die Beschwerde erfolglos (Beschluss vom 17. Mai 2017 - L 15 AS 62/17 B ER -). Zur Begründung führte der 15. Senat des LSG aus, dass die Antragstellerinnen - anders als die weitere Tochter der Antragstellerin zu 2 - dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 unterlägen und die Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht eingreife, weil die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt habe. Für den Leistungsausschluss sei es unerheblich, dass gegen den Feststellungsbescheid der Ausländerbehörde vom 18. Dezember 2016 Widerspruch erhoben worden sei. Bereits die bloße Verlustfeststellung begründe die Ausreisepflicht unabhängig von der Durchsetzbarkeit dieser Verpflichtung. Die Antragstellerinnen hätten auch keinen Anspruch auf Gewährung vorläufiger Leistungen gemäß § 41a Abs. 7 SGB II, das nach dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen sei nicht auf Null reduziert.
Am 6. Juni 2017 beantragten die Antragstellerinnen unter Hinweis auf den Beschluss des LSG vom 17. Mai 2017 Sozialhilfe und hilfsweise Leistungen nach dem AsylbLG. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. Juli 2017 ab. Wegen der Feststellung, dass kein Freizügigkeitsrecht bestehe, könnten keine laufenden Leistungen gewährt werden. Der Gewährung von grundsätzlich in Frage kommenden Überbrückungsleistungen stehe die fehlende Ausreisebereitschaft der Antragstellerinnen entgegen. Auch ein Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG bestehe nicht. Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragstellerinnen Widerspruch, über den bisher nicht entschieden ist.
Am 18. Juli 2017 haben die Antragstellerinnen beim SG einen weiteren Eilantrag gestellt und die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, ihnen für die Zeit ab Eingang des Eilantrages vorläufig Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Hilfsweise sei das beizuladende Jobcenter zur Gewährung vorläufiger Leistungen nach dem SGB II, weiter hilfsweise die Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG zu verpflichten. Sie haben vorgetragen, dass kein Leistungsausschluss eingreife. Sie hätten seit mehr als fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Dem Widerspruch gegen die Verlustfeststellung der Ausländerbehörde komme aufschiebende Wirkung zu, so dass noch keine rechtswirksame Verlustfeststellung existiere.
Das SG hat den Eilantrag mit Beschluss vom 9. August 2017 abgelehnt. Die Antragstellerinnen hätten den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Sozialhilfeleistungen seien nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen, die Voraussetzungen für die Rückausnahme nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII seien nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerinnen hätten auch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG, insbesondere seien sie mangels vollziehbarer Ausreisepflicht nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG leistungsberechtigt. Da Leistungen nach dem SGB II im vorangegangenen Eilverfahren rechtskräftig abgelehnt worden seien, sei eine Beiladung des Jobcenters nicht geboten.
Gegen den Beschluss vom 9. August 2017 richtet sich die am 15. August 2017 eingelegte Beschwerde der Antragstellerinnen, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen.
Die Antragsgegnerin hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Der Beigeladene ist der Auffassung, dass die Antragstellerinnen keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Leistungsvoraussetzung sei gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland, an dem es wegen der Ausreisepflicht der Antragstellerinnen fehle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren und zu den Verfahren S 35 AS 272/17 ER (L 15 AS 62/17 B ER) und S 28 AS 1600/17 sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin und des Beigeladenen verwiesen.
II. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG) und hat teilweise - im tenorierten Umfang - auch in der Sache Erfolg. Das SG hat den gegen die Antragsgegnerin gerichteten Eilantrag zu Recht abgelehnt. Der Beigeladene ist antragsgemäß zu verpflichten, vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
1. Der Eilantrag gegen die Antragsgegnerin ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86bAbs. 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerinnen haben keinen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII glaubhaft gemacht. Nach § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Für das Vorliegen einer dem Grunde nach bestehenden Leistungsberechtigung ist nicht allein auf die Erwerbsfähigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) abzustellen. In die Prüfung ist auch einzubeziehen, ob ein im SGB II normierter Leistungsausschluss - beispielsweise nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II - eingreift. Ist dies der Fall, besteht nach dem SGB II keine Leistungsberechtigung dem Grunde nach (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - juris Rn. 40-43). Die Antragstellerinnen haben vorliegend glaubhaft gemacht, dass sie nach dem SGB II leistungsberechtigt sind (siehe unten).
2. Soweit der Eilantrag gegen den Beigeladenen gerichtet ist, ist er ebenfalls als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig. Es liegt ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG vor. Der Bescheid vom 31. August 2017, mit dem der Beigeladene Leistungen für die Zeit ab dem 1. Juli 2017 abgelehnt hat (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II), ist nicht bestandskräftig geworden, weil die Antragstellerinnen hiergegen fristgerecht Widerspruch erhoben haben. Dass der vorangegangene Eilantrag rechtskräftig abgelehnt worden ist, führt nicht zur Unzulässigkeit des vorliegenden Antrages. Das vorangegangene Eilverfahren betraf einen anderen Zeitraum und steht daher einer Sachentscheidung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 44a). Zudem hat der im Juli 2017 gestellte Leistungsantrag zu einer Zäsur geführt, so dass auch deswegen ein neues streitiges Rechtsverhältnis i.S. des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG vorliegt. Dementsprechend ist der Ablehnungsbescheid vom 31. August 2017 nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des gegen den Bescheid vom 23. Januar 2017 gerichteten Klageverfahrens geworden (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 4 AS 29/12 R - juris Rn. 11). Der Beigeladene kann gemäß § 75 Abs. 5 SGG - die Vorschrift ist auch im Eilverfahren anwendbar (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 75 Rn. 5) - zur Leistungsgewährung verpflichtet werden.
Der gegen den Beigeladenen gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet. Die Antragstellerinnen haben einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 18. Juli 2017 sowie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Es ist glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin zu 2 die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt.
Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die in ihrem Fall bei 67 Jahren liegende Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Es ist davon auszugehen, dass sie erwerbsfähig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II). Nach dem Attest der Psychiaterin Müller-Stratmann vom 20. Dezember 2016 leidet die Antragstellerin zu 2 zwar unter einer generalisierten Angststörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Dies reicht für die Annahme, dass eine Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens dreiStunden täglich krankheits- oder behinderungsbedingt ausgeschlossen ist, aber noch nicht aus. Im Übrigen hat auch der Beigeladene die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin zu 2 bisher nicht in Frage gestellt. Auch eine Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II ist glaubhaft gemacht. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Antragstellerinnen Einkommen erzielen, das ihren gesamten notwendigen Lebensunterhalt abdeckt, oder dass sie nicht geschütztes Vermögen (§ 12 Abs. 2, 3 SGB II) haben (zum Umfang der Hilfebedürftigkeit siehe unten).
Die Antragstellerin zu 2 hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Die Beurteilung, ob und wo ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden ist, richtet sich in erster Linie nach den tatsächlichen Verhältnissen. Das Bestehen eines Aufenthaltsrechts ist keine Voraussetzung für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland. Der aufenthaltsrechtliche Status eines Antragstellers betrifft vielmehr die Frage, ob ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II eingreift (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris Rn. 19; vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 15/15 R - juris Rn. 15). Daher ist es für das Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltes der Antragstellerin zu 2 in Deutschland ausreichend, dass sie sich nicht nur vorübergehend, sondern zukunftsoffen im Stadtgebiet der Antragsgegnerin aufhält.
Die Antragstellerin zu 1 gehört gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zur Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin zu 2. Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist im Übrigen auch die 1994 geborene Tochter der Antragstellerin zu 2, weil sie ebenfalls dem Haushalt der Antragstellerinnen angehört und ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht vollständig aus eigenem Einkommen und Vermögen decken kann.
Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, dass sie keinem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 2 und Art. 5 Abs. 1 Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - BGBl I, 3155, 3158) unterfallen.
Es kann offen bleiben, ob der Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verwirklicht ist. Der Ausschluss ist vorliegend jedenfalls nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben (§ 7 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB II); dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde (Halbsatz 2 der Vorschrift). Die Fünfjahresfrist beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II). Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (§ 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II).
Die Antragstellerinnen haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit mehr als fünf Jahren in Deutschland. Die für den Beginn der Frist maßgebliche Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde erfolgte 2007 bzw. 2008. Für die Beurteilung, in welchem Zeitraum ein gewöhnlicher Aufenthalt bestanden hat, kommt es wiederum - wie bei § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II - nicht auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts an. Die Voraussetzungen, unter denen Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts auf die Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet werden (§ 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II), liegen nicht vor. Ein Unionsbürger (§ 1 FreizügG/EU) kann erst dann ausreisepflichtig sein, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU); bis zu einer solchen Feststellung besteht zumindest auf Grund der generellen Freizügigkeitsvermutung ein Aufenthaltsrecht (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - juris Rn. 34; vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 13/16 - juris Rn. 20).
Die Gegenausnahme nach § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II greift nicht ein. Den Antragstellerinnen kann nicht entgegengehalten werden, dass der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde.
Der Widerspruch und die beim VG Bremen anhängige Klage der Antragstellerinnen gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2017 haben gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung ist nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen.
Insbesondere ist § 84 Abs. 1 AufenthG nicht (entsprechend) anwendbar. Die Vorschrift gehört nicht zu den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes, die gemäß § 11 Abs. 1 FreizügG/EU auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen entsprechende Anwendung finden (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU). § 11 Abs. 2 FreizügG sieht zwar die Anwendung des AufenthG vor, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat und sofern das FreizügG/EU keine besonderen Regelungen trifft. Das AufenthG enthält aber keine Regelung, wonach die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Feststellung, dass ein Aufenthaltsrecht nicht (mehr) besteht, entfällt. Widerspruch und Klage gegen eine Feststellung der Ausländerbehörde nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU hat somit kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung (Kurzidem in BeckOK-Ausländerrecht, Stand 1. August 2017, § 7 FreizügG/EU Rn. 4; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 16). Die Ausländerbehörde hat auch nicht die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet.
Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage gegen einen feststellenden Verwaltungsakt (§ 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO) hat zur Folge, dass aus der Feststellung keine rechtlichen oder tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürfen (Finkelnburg in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Auflage 2017, Rn. 635; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 80 Rn. 28; zu § 86a Abs. 1 SGG: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86a Rn. 5, 6a). Die Antragstellerinnen sind also, solange die aufschiebende Wirkung andauert (vgl. § 80b VwGO), so zu behandeln als sei noch keine Feststellung ergangen. Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass die Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU nicht mehr - anders als nach § 7 FreizügG/EU in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung - die Unanfechtbarkeit, sondern nur noch die Wirksamkeit der Feststellung der Ausländerbehörde voraussetzt (vgl. Kurzidem, a.a.O., § 7 FreizügG/EU Rn. 2). Dies kann sich nur in den Fällen auswirken, in denen mangels Widerspruch oder Klage und wegen Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) keine aufschiebende Wirkung eingetreten ist. Auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt lassen, schränkt den durch die aufschiebende Wirkung bewirkten Rechtsschutz vorliegend nicht ein. Die Vorschrift ist auf die mit Bescheid vom 8. Dezember 2016 getroffene Feststellung nicht anwendbar. Insbesondere kann § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht eingreifen, wenn einem Rechtsbehelf gegen die Feststellung des Nichtbestehens oder Verlustes des Freizügigkeitsrechts aufschiebende Wirkung zukommt (Kurzidem, a.a.O., § 11 FreizügG/EU Rn. 6).
Wegen der aufschiebenden Wirkung der anhängigen Klage kommt dem Bescheid vom 8. Dezember 2016 hier keine Tatbestandswirkung zu. Zwar kommen Entscheidungen der Ausländerbehörde bei der Prüfung von Sozialleistungsansprüchen oftmals Tatbestandswirkungen zu mit der Folge, dass andere Behörden sowie Gerichte an die Entscheidungen gebunden sind (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 - B 14 AS 8/13 R - juris Rn. 10 ff, Urteil vom 28. Mai 2015 - B 7 AY 4/12 R - juris Rn. 11; allgemein: Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, Vor § 39 Rn. 4). Die Tatbestandswirkung kann aber nur an einen bindenden Verwaltungsakt anknüpfen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 - B 1 KR 25/16 R - juris Rn. 11), woran es vorliegend fehlt.
Die Antragstellerinnen unterfallen nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II. Sie gehören nicht zu den Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG. Insoweit kann offen bleiben, ob das AsylbLG überhaupt auf Unionsbürger anwendbar ist (zum Meinungsstand: Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 1 AsylbLG Rn. 43). Die Antragstellerinnen erfüllen ohnehin nicht die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung nach dem AsylbLG, insbesondere sind sie wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2016 nicht vollziehbar ausreisepflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG).
Die Antragstellerinnen haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Bei einem laufende existenzsichernde Leistungen betreffenden Eilverfahren ist ein Anordnungsgrund nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu verneinen, an denen es vorliegend fehlt. Insbesondere ist die 1994 geborene Tochter der Antragstellerin zu 2 nicht in der Lage, mit ihren Mitteln den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft zu decken. Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, dass die Antragstellerinnen von anderen Personen, beispielsweise weiteren Verwandten, eine die Notlage ausschließende Unterstützung erhalten.
Der Senat sieht davon ab, die den Antragstellerinnen vom Beigeladenen zu erbringenden Leistungen der Höhe nach festzusetzen, weil zwischen den Beteiligten insoweit kein Streit besteht. Lediglich erläuternd wird darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage als Bedarfe neben den Regelbedarfen (§ 20 SGB II) ein Mehrbedarf für die dezentrale Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) zu berücksichtigen sind. Soweit für die 1994 geborene Tochter der Antragstellerin zu 2 bei den vorläufigen Leistungen zeitweise höhere als die kopfteiligen Bedarfe für Unterkunft und Heizung anerkannt worden sind (vgl. Bewilligungsbescheid des Beigeladenen vom 11. August 2017), darf der Beigeladene bei den Antragstellerinnen zumindest im Rahmen der hier streitigen vorläufigen Leistungen von einem entsprechend geringeren Bedarf ausgehen. Als Einkommen ist bei der Antragstellerin zu 1 lediglich das Kindergeld anzurechnen (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II), bei der Antragstellerin zu 2 ist kein Einkommen zu berücksichtigen. Das Einkommen der 1994 geborenen Tochter - nach Aktenlage Kindergeld und Erwerbseinkommen - ist allein auf deren eigenen Bedarf anzurechnen, weil ihr Einkommen diesen Bedarf nicht übersteigt.
Bei einer Änderung der Verhältnisse bleibt der Beigeladene zu einer Anpassung der Leistungen berechtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da der Beigeladene erst im Beschwerdeverfahren beigeladen worden ist, ist es nicht gerechtfertigt, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen für das erstinstanzliche Verfahren aufzuerlegen.
Der Antrag der Antragstellerinnen auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen. Wegen der rechtskräftigen Verpflichtung des Beigeladenen, die außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten, besteht für den PKH-Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).