Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 08.11.2017, Az.: L 3 KA 80/14
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 08.11.2017
- Aktenzeichen
- L 3 KA 80/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 54275
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 08.08.2014 - AZ: S 24 KA 314/13
Rechtsgrundlagen
- § 106 Abs 2 S 4 SGB 5
- § 298 SGB 5
- § 1922 BGB
- § 1967 BGB
- § 630f BGB
- § 10 SGB 10
- § 8 SGB 10
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Verwaltungsverfahren zur Prüfung von Regressanträgen wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln sind nach dem Tod des Vertragsarztes unter Beteiligung des bzw der Erben fortzusetzen.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 8. August 2014 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 25. April und vom 22. August 2013 verurteilt, über die Anträge der Klägerin vom 21. Dezember 2012 und vom 28. Juni 2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.593 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Arzneimittelregresses.
Die Beigeladene zu 2. ist Ehefrau und Alleinerbin des am 17. Februar 2013 verstorbenen Internisten E., der mit Praxissitz in F. (Landkreis G.) an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen hat. H. hatte in den Quartalen II/2011 bis IV/2012 für die bei der Klägerin versicherte Patientin I. das Arzneimittel Competact verordnet. Hierbei handelt es sich um ein Arzneimittel, das zur Behandlung von Diabetes Typ 2 eingesetzt wird und zwei Antidiabetika kombiniert, darunter den Wirkstoff Pioglitazon.
Die Klägerin beantragte unter dem 21. Dezember 2012 bei der beklagten Prüfungsstelle die Festsetzung von Regressen iHv insgesamt 1.103,75 Euro (für die Quartale II/2011 bis II/2012) und unter dem 28. Juni 2013 einen Regress iHv insgesamt 488,79 Euro (für die Quartale III und IV/2012). Zur Begründung gab sie an, das Präparat Competact sei nach der Anl III Nr 49 der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) nicht verordnungsfähig.
Die Beklagte lehnte die Anträge mit fünf Bescheiden vom 25. April 2013 (Quartale II/2011 bis II/2012) bzw mit zwei Bescheiden vom 22. August 2013 (Quartale III und IV/2012) ab. Da der Vertragsarzt verstorben sei, sei dessen Beteiligtenfähigkeit iSv § 10 S 1 Nr 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) entfallen. Der Regressanspruch als öffentlich-rechtlicher Schadensausgleich sei als höchstpersönlicher Anspruch zu bewerten und gehe deshalb nicht auf den Rechtsnachfolger nach zivilrechtlichen Regeln über. Denn die in Rede stehende Pflichtigkeit sei so stark an die Person des verstorbenen Arztes gebunden, dass sie nicht rechtsnachfolgefähig sein könne.
Hiergegen hat die Klägerin am 24. Mai 2013 (Quartale II/2011 bis II/2012) und am 30. August 2013 (Quartale III und IV/2012) Klagen zum Sozialgericht (SG) erhoben, die dort mit Beschluss vom 8. November 2013 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind. Der Ablehnung der Prüfanträge sei zu widersprechen, weil nach dem Grundsatz der Universalsukzession sämtliche Verbindlichkeiten vererbt würden. Es gehe auch nicht um einen höchstpersönlichen Anspruch, sondern schlicht um eine Geldforderung. Dass sich nunmehr die Erbin im Rahmen der allgemeinen Mitwirkungspflichten zum Streitstoff äußern und zB für sie günstige Praxisbesonderheiten darlegen müsse, um sich gegen das Regressbegehren zu verteidigen, habe sie mit Annahme des Erbes in Kauf genommen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 8. August 2014 abgewiesen. Die Beklagte habe sich zutreffend darauf berufen, dass ein Regressanspruch nicht auf den Erben des Vertragsarztes übergehe, weil das vorrangige Ziel der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) - den Vertragsarzt zur Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes anzuhalten - eine höchstpersönliche Pflicht und ein höchstpersönliches Rechtsverhältnis des Erblassers betreffe.
Gegen diese ihr am 12. August 2014 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 18. August 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass es sich vorliegend um öffentlich-rechtliche Erstattungs- bzw Schadensersatzansprüche handele, die auch gegenüber den Erben durch Verwaltungsakt festgesetzt werden könnten. Inwieweit höchstpersönliche Ansprüche vorliegen sollten, sei dagegen nicht ersichtlich.
Die Klägerin beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 8. August 2014 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verpflichten, über ihre Anträge vom 21. Dezember 2012 bzw vom 28. Juni 2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint weiterhin, die im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung festsetzbare öffentlich-rechtliche Pflichtigkeit des Vertragsarztes sei aufgrund der überwiegend höchstpersönlichen Bindung an den Arzt im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nicht übergangsfähig. Denn die Wirtschaftlichkeitsprüfung verfolge das Ziel, die Vertragsärzte zur Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots anzuhalten. Vorliegend sei auch gerade kein Schadensersatzanspruch betroffen. Die Festsetzung eines Regressanspruchs sei der Beklagten aufgrund der fehlenden Beteiligtenfähigkeit des verstorbenen Vertragsarztes und der höchstpersönlichen Bindung des Vertragsarztes an die festsetzbare öffentlich-rechtliche Pflichtigkeit im Übrigen nicht möglich. Nur der Vertragsarzt könne schließlich auch geltend machen, ob ggf ein Ausnahmefall gemäß § 16 Abs 5 AM-RL vorliege.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Sie schließen sich den Ausführungen der Beklagten an. Die Beigeladene zu 2. führt ergänzend aus, bei Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung sei es erforderlich, sie über Patientendaten und Rezepte zu informieren, damit sie prüfen könne, inwieweit sie gegen Arzneimittelregresse der Klägerin vorgehen könne. Außerdem müsse sie darüber Informationen einholen, wie die Praxis des Erblassers seinerzeit geführt worden sei. Der damit tangierte Grundsatz der ärztlichen Schweigepflicht und die arztbezogene Prüfung stellten eindeutige Indizien dafür dar, dass es sich um eine höchstpersönliche Pflicht des Erblassers handele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts durfte die Beklagte die inhaltliche Bescheidung ihrer Regressanträge nicht unter Hinweis darauf ablehnen, dass der verordnende Vertragsarzt verstorben ist.
I. Die Klagen vom Mai und vom August 2013 sind zulässig.
1. Klagegegenstand sind allein die Bescheide der Beklagten vom 25. April bzw 22. August 2013. Die grundsätzlich vor Klageerhebung gebotene Anrufung des Beschwerdeausschusses war im vorliegenden Fall nicht erforderlich. Denn gemäß § 78 Abs 1 S 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 106 Abs 5 S 8 SGB V (idF des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes <GKV-WSG> vom 26. März 2007 <BGBl I 378>) findet in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren iSv § 106 Abs 5 S 3 SGB V nicht statt. Ein solcher Fall lag hier vor, weil die Anträge der Klägerin auf die Festsetzung einer Ausgleichspflicht wegen der Verordnung des Arzneimittels Competact zur Behandlung von Diabetes Typ 2 gerichtet gewesen ist. Hierfür eingesetzte Glitazone - dazu zählt das in Competact enthaltene Pioglitazon - sind gemäß § 16 Abs 1 der aufgrund § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) beschlossenen AM-RL idF vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009 (zuletzt geändert am 17. Februar 2011) iVm Anl III Nr 49 von der Verordnung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. An der gesetzlich angeordneten Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens ändert nichts, dass der Vertragsarzt durch die AM-RL ausgeschlossene Arzneimittel gemäß § 31 Abs 1 S 4 SGB V und § 16 Abs 5 AM-RL ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen verordnen darf (Bundessozialgericht <BSG> SozR 4-2500 § 106 Nr 45). Auch in Fällen, in denen sich neben dem Ausschluss von Leistungen zusätzliche rechtliche Probleme ergeben - hier: Fortsetzung des Prüfverfahrens nach dem Tod des verordnenden Vertragsarztes -, bleibt es angesichts des eindeutigen Wortlauts in 106 Abs 5 S 8 SGB V beim Ausschluss des Vorverfahrens.
2. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Bescheidungsklage (§§ 54 Abs 1, 131 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz SGG) statthaft. Bei der hier begehrten Festsetzung einer Ausgleichspflicht wegen der Verordnung von Arzneimitteln, die nach dem Gesetz oder den AM-RL von der vertragsärztlichen Verordnung ausgeschlossen sind, steht der Beklagten zwar kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26), was dafür sprechen könnte, dass die Gerichte - wie üblicherweise im Bereich der gebundenen Verwaltung - die Sache grundsätzliche spruchreif machen und den Sachverhalt deshalb vollständig ermitteln müssen; dies könnte für die Statthaftigkeit einer Verpflichtungsklage iSv § 54 Abs 1 SGG sprechen. In der Rspr des BSG (SozR 4-2500 § 106 Nr 31) ist aber anerkannt, dass sich der Kläger in vertrags(zahn)arztrechtlichen Angelegenheiten auf einen Bescheidungsantrag beschränken kann, wenn strittig ist, ob überhaupt ein Verwaltungsverfahren durchzuführen ist oder ob dem ggf Antrags- oder ähnliche Fristen entgegenstehen. Dies ist schon deshalb überzeugend, weil dies der Situation einer Untätigkeitsklage gleichkommt, für die § 131 Abs 3 SGG die bloße Bescheidungsklage vorsieht. Außerdem würde es dem Gewaltenteilungsgrundsatz widersprechen, wenn die Prüfung von Regressansprüchen, die mit den Prüfgremien von Gesetzes wegen besonders sachkundigen Verwaltungsstellen zugewiesen ist, in das gerichtliche Verfahren verlagert werden würde. Für den vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten.
II. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Anträge der Klägerin wegen der Verordnung des Arzneimittels Competact zu prüfen.
1. Rechtsgrundlage für die Prüfung einer wirtschaftlichen Verordnungsweise von Arzneimitteln ist § 106 Abs 2 iVm Abs 4 SGB V (idF des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes <AMNOG> vom 22. Dezember 2010 <BGBl I 2262>), wonach die Prüfungsstelle und (ggf) der Beschwerdeausschuss die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnung von Leistungen prüft. Hierzu gehört gemäß § 106 Abs 2 S 4 SGB V iVm § 33 der in Niedersachsen geltenden Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung ab dem Jahr 2010 (Prüfvereinbarung - PrüfV) auch die auf Antrag (ua einer Krankenkasse) durchzuführende Prüfung, ob der Vertragsarzt unwirtschaftliche Arznei- bzw Heilmittelanwendungen veranlasst hat. Im Rahmen dieser Prüfung hat die Prüfungsstelle zu untersuchen, ob die im Einzelfall vom Vertragsarzt ausgestellte Verordnung von Arzneimitteln unmittelbar gegen gesetzliche Regelungen (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 38) oder gegen Richtlinien (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52) verstößt oder außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung des Präparats erfolgt ist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26). Ist dies zu bejahen, setzt die Prüfungsstelle - auch ohne ausdrückliche Ermächtigung in § 33 PrüfV - eine Ausgleichspflicht in Höhe des der betroffenen Krankenkasse entstandenen Schadens fest (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52, BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 und 27). Dabei steht der Prüfungsstelle weder ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu noch ist vor Festsetzung einer Ausgleichspflicht eine Beratung des Vertragsarztes geboten (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26).
2.a) Der Durchführung eines Verfahrens nach § 106 Abs 2 S 4 SGB V iVm § 33 PrüfV, das ein Verwaltungsverfahren iSv § 8 SGB X ist, steht nicht entgegen, dass mit dem Tod des verordnenden Vertragsarztes ein notwendigerweise am Verwaltungsverfahren zu Beteiligender iSv § 10 SGB X weggefallen ist. Zwar enthält das SGB X - ebenso wie im allgemeinen Verwaltungsverfahren das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) - keine Regelung der Frage, ob das Verwaltungsverfahren fortzusetzen ist, wenn der daran beteiligte Bürger verstorben ist. Es ist aber allgemein anerkannt, dass das Verwaltungsverfahren unter Heranziehung des Rechtsnachfolgers - der in die Beteiligtenrolle nach § 10 SGB X eintritt - fortzusetzen ist, wenn die Rechtsposition, um die es geht, nach den Regeln des materiellen Rechts vererbt worden ist (vgl BSGE 24, 190, 192; Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl, § 9 Rn 206 und § 13 Rn 49 f).
b) Die vorliegend umstrittene Ausgleichspflicht ist entgegen der Auffassung der Beklagten auf die Beigeladene zu 2. übergegangen, sodass diese im Verwaltungsverfahren an die Stelle des Erblassers getreten ist. Dies ergibt sich aus § 1922 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf den bzw die Erben übergeht. Hierzu gehören gemäß § 1967 BGB auch die vom Erblasser herrührenden Schulden. Die genannten Regelungen gelten unabhängig davon, ob der Erblasser Rechte und Pflichten im Privatleben begründet hat oder ob es sich um Ansprüche und Verpflichtungen aus seiner beruflichen Tätigkeit handelt. Auch öffentlich-rechtliche Verpflichtungen unterliegen dem Übergang auf den Erben nach § 1967 (Weidlich in: Palandt, BGB, 76. Aufl, § 1967 Rn 3).
aa) Etwas anderes gilt nur für höchstpersönliche Verpflichtungen, die mit dem Tode des Erblassers erlöschen (W. Schlüter in: Erman, BGB, 13. Aufl, § 1967 Rn 4). Höchstpersönlich ist dabei eine Rechtsbeziehung, die sich nicht von der Person des Trägers lösen lässt und sich in diesem persönlichen Bezug erschöpft (Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> E 64, 105, 110; 125, 325, 334 f). Eine Verpflichtung ist demgegenüber dann nicht höchstpersönlich, wenn ihre Erfüllung auch durch Dritte erfolgen kann und sie damit eine vertretbare Handlung ist (BVerwGE 125, 325, 334 f).
Bei dem hier von der Klägerin geltend gemachten Arzneimittelregress handelt es sich nach stRspr des BSG (SozR 3-2500 § 106 Nr 38; SozR 4-2500 § 106 Nr 9 und Nr 11) um einen besonderen Typus eines - verschuldensunabhängigen - Schadensersatzanspruchs, durch den der Schaden ausgeglichen werden soll, der einer Krankenkasse entstanden ist, weil ein Vertragsarzt zu ihren Lasten rechtlich unzulässige Arzneimittelverordnungen vorgenommen hat. Die darin liegende Pflicht zum Geldersatz kann nicht nur vom Vertragsarzt, sondern auch von dessen Erben erfüllt werden. Allein der Umstand, dass die Ursache für das Entstehen des Ersatzanspruchs in der besonderen vertragsärztlichen Pflichtenposition des Erblassers zu sehen ist, reicht für die Annahme einer „Höchstpersönlichkeit“ nicht aus, weil es nicht auf den Grund, sondern auf die Natur des jeweiligen Anspruchs ankommt. So wird auch nicht in Zweifel gezogen, dass der Erbe eines Arztes für die Schäden aufkommen muss (ua durch Zahlung von Schmerzensgeld), die Patienten entstanden sind, weil der Arzt in vorwerfbarer Weise Behandlungsfehler begangen hat (vgl zB Oberlandesgericht <OLG> Stuttgart, Urteil vom 29. Dezember 1998 - 14 U 33/98; OLG Nürnberg, Urteil vom 15. Februar 2008 - 5 U 103/06; beide juris).
Hieran ändert nichts, dass es auch Zweck der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist, die Funktionstüchtigkeit und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten (Bundesverfassungsgericht <BVerfG> SozR 2200 § 368n Nr 29; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 7). Denn daneben tritt das Ziel, die Höhe vertragsärztlicher Honoraransprüche oder entsprechender Regressansprüche festzusetzen (Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: August 2017, § 106 Rn 37), womit eindeutig vermögensrechtliche Ziele verfolgt werden. Insoweit ist die Situation nicht anders zu bewerten als bei der Rückforderung zu Unrecht gezahlter vertragsärztlicher Honorare im Wege der nachgehenden sachlich-rechnerischen Berichtigung (vgl hierzu bereits das Senatsurteil vom 19. Dezember 2007 - L 3 KA 87/06). Höchstpersönlich wäre demgegenüber die Verpflichtung, sich als Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsprüfung einer Beratung zu unterziehen, weil damit das Ziel verfolgt wird, einem erneuten unwirtschaftlichen Verhalten des Arztes in der Zukunft vorzubeugen (Schlarmann/Hamann, Fortführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach dem Tod des Vertragsarztes, MedR 2016, 955, 957). Eine Beratung als Ergebnis des vorliegenden Verwaltungsverfahrens ist allerdings - wie bereits dargelegt - bei der Prüfung von Arzneimittelregressen im Einzelfall ausgeschlossen.
bb) Dem Übergang einer evtl Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz auf die Beigeladene zu 2. steht auch nicht entgegen, dass der Regressanspruch erst mit der Festsetzung des Regressbetrags durch die Prüfungsstelle entsteht (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 48). Denn nach § 1967 BGB gehen mit dem Erbfall auch solche Pflichten auf den Erben über, die zwar erst nach dem Erbfall entstehen, deren wesentliche Entstehungsgrundlage - hier: die Verordnung des Arzneimittels Competact durch den Verstorbenen J. - schon vor dem Erbfall gegeben war (Bundesgerichtshof <BGH> Z 134, 60, 64; W. Schlüter aaO, Rn 3).
c) Die Beklagte ist der Beigeladenen zu 2. gegenüber auch befugt, über die von der Klägerin beantragte Festsetzung eines Arzneimittelregresses durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Insoweit ist zunächst in der Rspr des BSG (SozR 4-5540 § 48 Nr 2) geklärt, dass die Berechtigung der Prüfgremien, nach § 106 SGB V Schadensersatzansprüche wegen unwirtschaftlichen Verhaltens des Vertragsarztes durch Verwaltungsakt festzusetzen, auch nach dem Ausscheiden des Arztes aus der vertragsärztlichen Versorgung bestehen bleibt. Dies gilt auch im Verhältnis zu einem Rechtsnachfolger des Vertragsarztes, der für Honorarrückforderungen oder Schadensersatzansprüche haftet, die ihren Grund in dessen vertragsärztlicher Tätigkeit haben. Hierzu bedarf es keiner gesonderten gesetzlichen Ermächtigung, weil es sich lediglich um die Abwicklung der zwischen dem Vertragsarzt und der Kassenärztlichen Vereinigung bzw den Prüfgremien bestehenden hoheitlich geprägten Rechtsbeziehungen handelt, die mit dem Erben fortgesetzt werden (BSG SozR 4-2700 § 150 Nr 2; BSGE 24, 190, 192).
3. Es sind auch keine weiteren Umstände ersichtlich, die der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens zur Prüfung eines Arzneimittelregresses entgegenstehen. Dies könnte allerdings der Fall sein, wenn es der Beigeladenen zu 2. nicht möglich wäre, die ihrem verstorbenen Ehemann als Vertragsarzt zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Mitwirkungs- und Verteidigungsrechte (vgl zB § 21 Abs 2 und § 24 SGB X) wahrzunehmen. Hintergrund hierfür ist insbesondere, dass sich der Vertragsarzt, der wegen einer grundsätzlich unzulässigen Verordnung von Arzneimitteln in Anspruch genommen wird, darauf berufen kann, ausnahmsweise liege ein medizinisch begründeter Einzelfall vor, in dem das betreffende Arzneimittel nicht ausgeschlossen ist. Da die hierfür maßgeblichen Vorschriften (§ 31 Abs 1 S 4 SGB V; § 16 Abs 5 AM-RL) insoweit erfordern, dass eine entsprechende Verordnung „mit Begründung“ erfolgt ist, muss sich die Begründung für eine Ausnahmeindikation (zumindest) aus der Dokumentation des Vertragsarztes in den Patientenunterlagen ergeben (Bayerisches LSG, Urteil vom 2. März 2016 - L 12 KA 107/14). Der Beigeladenen zu 2. muss dementsprechend die Möglichkeit eröffnet sein, tatsächlich und rechtlich über die Möglichkeit zu verfügen, die Patientenunterlagen ihres verstorbenen Ehemannes einzusehen und sich daraus ggf ergebende Entlastungsmomente der Beklagten mitzuteilen.
a) Hieran bestehen aber keine Zweifel. So ist zunächst unstreitig, dass die den Arzt gemäß § 630f Abs 3 BGB treffende Pflicht zur Aufbewahrung der Patientenunterlagen nach dessen Tod auf die Erben übergeht (Wagner in: Münchener Kommentar, BGB, 7. Aufl, § 630f Rn 15). Hieran würde sich auch nichts ändern, wenn der Erbe die ärztliche Praxis weiterveräußert. Denn in diesem Fall ist es seine Aufgabe, Abreden mit dem Erwerber der Praxis zu treffen, die es ihm ermöglichen, im Fall einer nachträglichen Wirtschaftlichkeitsprüfung Zugriff auf die Behandlungsunterlagen zu nehmen (vgl Senatsurteil vom 28. Mai 2008 - L 3 KA 49/05). Regelmäßig wird dies durch das sog „Zwei-Schrank-Modell“ ermöglicht, wonach die Behandlungsunterlagen des früheren Arztes (bzw des Erben) von denen des Praxiserwerbers räumlich getrennt zu bleiben haben, sodass der Praxisveräußerer weiterhin die Verfügungsmacht über die Unterlagen behält (vgl hierzu Schlund in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl, § 19 Rn 4a).
b) Der Einsichtnahme des Erben in die Patientenunterlagen des Erblassers stehen auch datenschutzrechtliche Vorschriften nicht entgegen. Maßgeblich ist insoweit § 28 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), selbst wenn das BDSG im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs grundsätzlich keine Anwendung finden sollte (vgl BSG SozR 4-2500 § 295 Nr 2). Denn bei der Frage, ob der Erbe eines Arztes Einsicht in dessen Patientenkartei nehmen kann, handelt es sich nicht um eine spezifische Problematik des SGB V, weil dies gleichermaßen die Unterlagen von Privatpatienten und Patienten betrifft, die Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung sind. Gemäß § 28 Abs 6 Nr 3 BDSG ist die Nutzung von besonderen Arten personenbezogener Daten - hierzu gehören gemäß § 3 Abs 9 BDSG Angaben zur Gesundheit - für eigene Geschäftszwecke auch ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn dies zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Nutzung überwiegt. Dieser Fall liegt hier vor, weil zur „Verteidigung“ iSd Vorschrift auch die in einem Verwaltungsverfahren notwendige Abwehr von auf den eigenen Anspruch bezogenen Gegenansprüchen zu verstehen ist (Schlarmann/Hamann aaO, S 961 mwN).
Auch die ggf erforderliche Übermittlung von Patientendaten zur Begründung einer ausnahmsweise gegebenen Verordnungsfähigkeit des ausgeschlossenen Arzneimittels ist datenschutzrechtlich zulässig. Dies folgt aus § 298 SGB V, wonach die versichertenbezogene Übermittlung von Angaben über ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen im Rahmen eines Prüfverfahrens zulässig ist, soweit die Wirtschaftlichkeit oder Qualität der ärztlichen Behandlung oder Verordnungsweise im Einzelfall zu beurteilen ist. Dies erlaubt die Übermittlung von konkreten Einzelangaben über Versicherte durch die Vertragsärzte (Didong in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl, § 298 Rn 7). Diese Befugnis geht als Folge der Universalsukzession nach § 1922 Abs 1 BGB auf den Erben über.
c) Hieraus ergibt sich im Übrigen auch, dass die Beigeladene zu 2. dadurch, dass sie der Beklagten gegenüber patientenbezogene Umstände zur Darlegung eines Ausnahmefalls vorbringt, keine Verletzung der Schweigepflicht begeht. Aus § 203 Abs 3 S 3 Strafgesetzbuch (StGB) folgt zwar, dass der Erbe eines Arztes wie dieser (gemäß § 203 Abs 1 Nr 1 StGB) verpflichtet ist, ihm bekannt gewordene gesundheitliche Verhältnisse von Patienten nicht unbefugt zu offenbaren. Eine solche Offenbarungsbefugnis iSd § 203 Abs 1 StGB ist aber konkludent der Vorschrift des § 298 SGB V zu entnehmen (LSG Saarland, Urteil vom 1. April 1998 - L 3 Ka 19/96 - juris; Hess in: Kasseler Kommentar, Stand: Juli 2017, § 298 Rn 3).
d) Der Senat muss schließlich nicht entscheiden, ob dem Erben eines Vertragsarztes zuzumuten ist, sich an einem Verwaltungsverfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu beteiligen, wenn es dabei auf die Darlegung von Praxisbesonderheiten (dh einer besonderen Praxisausrichtung bzw einer besonderen Patientenklientel) des verstorbenen Arztes ankommt (zB bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößen). Deshalb kann auch offen bleiben, ob es für den Erben praktikabel ist, sich hierzu ärztlicher Berater zu bedienen (vgl hierzu Schlarmann/Hamann, aaO S 959 ff). Denn vorliegend beschränken sich die Verteidigungsmöglichkeiten der Beigeladenen zu 2. - wie ausgeführt - auf das Darlegen von Gründen für eine ausnahmsweise gegebene Verordnungsfähigkeit, die sich aus der vertragsärztlichen Dokumentation ergeben müssen. Sollten sich hierbei im Einzelfall praktische Schwierigkeiten ergeben (zB weil ärztliche Notizen unleserlich oder in unverständlichen Kürzeln abgefasst sind), ist es Sache der Prüfungsstelle, diesen ggf bei der Sachverhaltswürigung Rechnung zu tragen.
4. Nach alledem ist die Beklagte verpflichtet, den Anträgen der Klägerin nachzugehen und zu prüfen, ob gegenüber der Beigeladenen zu 2. als Alleinerbin des Vertragsarztes J. ein Arzneimittelregress iHv 1.592,54 Euro festzusetzen ist.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm §§ 154 Abs 1 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor. Jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation, in der vom Vertragsarzt nur Ausnahmeindikationen im Einzelfall vorgetragen werden müssten, ergeben sich für die Durchführung eines Prüfverfahrens unter Heranziehung des Rechtsnachfolgers weder rechtliche noch praktische Schwierigkeiten, sodass der Senat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iSv § 160 Abs 2 Nr 1 SGG sieht.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG).