Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 08.11.2017, Az.: L 13 AS 37/15

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
08.11.2017
Aktenzeichen
L 13 AS 37/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53652
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 29.01.2015 - AZ: S 28 AS 305/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden kommt eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Leistungsempfängers in Betracht, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungsbereich wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird (Anschluss u. a. an BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R).

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 29. Januar 2015 geändert.

Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 8. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2014 wird aufgehoben, soweit die Erstattungsforderung den Betrag von 47.748,70 € übersteigt.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zu gelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem der Beklagte die Leistungsbewilligungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2013 aufgehoben hat und die Erstattung gezahlter Leistungen in Höhe von 53.399,10 € verlangt. Hintergrund ist die Feststellung des Beklagten, dass der Kläger in seinen Leistungsanträgen das Zusammenleben mit einer Partnerin und dem gemeinsamen Sohn nicht angegeben hat.

Der Kläger ist 1948 geboren, geschieden und hat mit der 1969 geborenen Frau J. einen 2002 geborenen unehelichen Sohn (K.) Seit seiner Geburt ist der Kläger unter der Anschrift L. in AX/AW gemeldet, Frau J. ist dort seit dem 1. Oktober 2001 gemeldet, der gemeinsame Sohn seit dem 21. Februar 2002 (Geburtsdatum). Unter der genannten Anschrift befindet sich die Hofstelle der zwischenzeitlich verstorbenen Eltern des Klägers. Auf dieser Hofstelle befanden sich im streitbefangenen Zeitraum nach durchgeführten Um-/Ausbaumaßnahmen drei Wohnungen:

Die elterliche Wohnung, die nach dem Tod der Eltern des Klägers (2006 und 2011) von dessen Tochter N. und deren Familie bewohnt wurde (postalische Anschrift: L.),

eine Einliegerwohnung, die der Kläger ursprünglich mit seiner geschiedenen Frau und den Kindern aus dieser Ehe bewohnte, in die im Oktober 2001 Frau J. einzog und in der der gemeinsame Sohn K. aufwuchs (für diese Wohnung sind dingliche Wohnrechte zugunsten des Klägers, Frau J. und des Sohnes K. bestellt; postalische Anschrift: L.),

eine weitere Wohnung in einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude, welche von der Tochter P. des Klägers und deren Familie bewohnt wurde (postalische Anschrift: Q.).

Das Hofgrundstück stand ursprünglich im Alleineigentum des Vaters des Klägers, nach dessen Tod im Jahr 2011 wurde die Schwester des Klägers, Frau R., im Wege der Erbfolge Eigentümerin. Im Jahr 2012 erwarb die Tochter P. das Grundstück.

Der bereits langjährig im Bezug von Arbeitslosenhilfe stehende Kläger stellte am 14. Oktober 2004 bei der seinerzeit zuständigen S. einen formularmäßigen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Er gab als Adresse an: „Q., bei T., AY AX“. Ferner gab er an, dass er alleinstehend sei. Im Hauptantrag bejahte er in der Rubrik „III. Persönliche Verhältnisse der mit dem Antragsteller/der Antragstellerin in einem Haushalt lebenden weiteren Personen“ die Frage danach, ob weitere Angehörige im gemeinsamen Haushalt lebten. Er trug in dieser Rubrik als Haushaltsangehörige seine Tochter P., seinen Schwiegersohn U. und seine Enkel V. und W. ein. In der Rubrik „VIII. Unterhaltspflichtige Angehörige außerhalb der Haushaltsgemeinschaft“ trug er seinen unehelichen Sohn K., geb. 21. Februar 2002, mit der Anschrift L., AY AX ein. Mit seiner Unterschrift im Hauptvordruck versicherte der Kläger, dass die von ihm gemachten Angaben zutreffend seien, und verpflichtete sich, Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. In dem Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gab der Kläger an, er wohne mietfrei bei seiner Tochter („vorübergehende Lösung bis neue Wohnung da ist, dann Zusammenzug m. Freundin“). Als in der Wohnung lebende Personen führte der Kläger in diesem Vordruck erneut neben seiner Person die Tochter P., den Schwiegersohn und die beiden Enkel auf. Im Zusammenhang mit dem Leistungsantrag des Klägers gab die Tochter P. mit Datum vom 10. Oktober 2004 eine formularmäßige Erklärung ab, wonach sie den in ihrer Haushaltsgemeinschaft lebenden Kläger nicht finanziell unterstütze. Aufgrund dieser Angaben bewilligte die D. dem Kläger mit Bescheid vom 30. November 2004 Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 in Höhe der Regelleistung (345 € monatlich). In dem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass der Berechnung der Leistung die bei Antragstellung angegebenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zugrunde lägen. Dem Bescheid war ferner ein Merkblatt beigefügt, in dem u. a. darauf hingewiesen wurde, dass der Kläger ohne Aufforderung verpflichtet sei, jede Änderung in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die für den Anspruch auf die Leistung erheblich sei, dem zuständigen Träger unverzüglich mitzuteilen.

Unter dem 12. Mai 2005 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II unter Verwendung eines hierfür von dem Beklagten vorgesehenen einseitigen Vordrucks. Er verneinte eingetretene Änderungen und unterschrieb die folgende formularmäßige Erklärung:

Ich weiß, dass ich wegen Betruges bestraft werden kann, wenn ich wissentlich falsche oder unvollständige Angaben mache oder Tatsachen dem X. nicht melde, die für die Berechtigung zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II wichtig sein können (insbesondere Veränderungen des Einkommens und der Familienverhältnisse bzw. in der Haushaltsgemeinschaft). Ich bin darauf hingewiesen worden, dass der Fachdienst Soziales bei einem Betrug oder Betrugsversuch umgehend Strafanzeige erstatten wird.

Mit Bescheid vom 23. Mai 2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juni bis 30. November 2005 in Höhe der monatlichen Regelleistung von 345 €. Der Bescheid enthielt - wie alle nachfolgend dem Kläger erteilten Bewilligungsbescheide des Beklagten - den folgenden Hinweis:

Sie sind verpflichtet, jede Änderung in Ihren Familien-, Einkommens-, Vermögens- oder Aufenthaltsverhältnissen, und in den Verhältnissen der mit Ihnen zusammenlebenden Angehörigen, dem D. - X. - unverzüglich mitzuteilen (z. B. Erhöhung der Einkünfte, Änderung der Vermögensverhältnisse, Arbeitsaufnahme, Schulentlassung, Wohnungswechsel, Krankenhausaufenthalt).

In der  Folgezeit stellte der Kläger jeweils vor Ablauf des Bewilligungszeitraums Weiterbewilligungsanträge, wobei er stets als Adresse „Q., AY AX.“ angab. Zunächst verwendete der Kläger den von dem Beklagten vorgesehenen Antragsvordruck, in dem er stets eingetretene Änderungen verneinte. Später stellte er formlose Weiterbewilligungsanträge (erstmals im November 2007) und teilte darin ausdrücklich mit, dass sich in seinen persönlichen Verhältnissen nichts geändert habe. Aufgrund dieser Folgeanträge wurden dem Kläger Leistungen nach dem SGB II jeweils in Höhe der gesetzlichen Regelleistung bzw. (ab 1. Januar 2011) des gesetzlichen Regelbedarfs für Alleinstehende wie folgt bewilligt:

Bescheid vom 14. November 20051. Dezember 2005 bis 31. Mai 2006
Bescheid vom 10. Mai 20061. Juni bis 30. November 2006
Bescheid vom 29. November 20061. Dezember 2006 bis 31. Mai 2007
Bescheid vom 5. Juni 20071. Juni bis 30. November 2007
Bescheid vom 15. November 20071. Dezember 2007 bis 31. Mai 2008
Bescheid vom 5. Mai 20081. Juni bis 30. November 2008
Bescheid vom 19. November 20081. Dezember 2008 bis 31. Mai 2009
Bescheid vom 14. Mai 20091. Juni bis 30. November 2009
Bescheid vom 23. November 20091. Dezember 2009 bis 31. Mai 2010
Bescheid vom 17. Mai 20101. Juni bis 30. November 2010
Bescheid vom 12. November 20101. Dezember 2010 bis 31. Mai 2011
Änderungsbescheid vom 10. März 20111. Januar bis 31. Mai 2011
Bescheid vom 9. Mai 20111. Juni bis 30. November 2011

Auf den am 31. Oktober 2011 eingegangenen formlosen Folgeantrag, in dem der Kläger wiederum eine Änderung in den „persönlichen und finanziellen Verhältnissen“ verneinte, forderte der Beklagte von dem Kläger einen mehrseitigen Formantrag an, der am 16. November 2011 ausgefüllt und unterschrieben einging. Darin gab der Kläger - wie zuvor - als Adresse „Q., AY AX“ an. Als weitere Personen in seiner Haushaltsgemeinschaft trug er seine Tochter P., den Schwiegersohn U. sowie den Enkel W. ein. Als Angehörige außerhalb des gemeinsamen Haushalts führte er seinen Sohn K. auf. Mit seiner Unterschrift vom 14. November 2011 gab der Kläger folgende formularmäßige Erklärung ab:

Ich bestätige, dass die vorstehenden Angaben vollständig und richtig sind. Ich bin ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass ich alle Änderungen und Angaben - besonders der Einkommens- und Vermögensverhältnisse - gem. §§ 60 - 67 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB-AT) - dem D. - mitzuteilen habe.

Ich weiß, dass ich wegen Betruges bestraft werden kann, wenn ich wissentlich falsche Angaben mache oder Tatsachen dem Fachdienst Arbeit nicht melde, die für die Berechtigung zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II wichtig sein können (insbesondere Veränderungen der Einkommens- und der Familienverhältnisse bzw. in der Haushaltsgemeinschaft). Ich bin darauf hingewiesen worden, dass der D. bei einem Betrug oder Betrugsversuch umgehend Strafanzeige erstatten wird.

Ich weiß, dass ich dann zu Unrecht gezahlte Leistungen nach dem SGB II erstatten muss.

Mit Bescheid vom 17. November 2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger daraufhin Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 31. Mai 2012 in Höhe von 364 € bzw. - ab dem 1. Januar 2012 - 374 € monatlich.

Für den Folgezeitraum ab dem 1. Juni 2012 reichte der Kläger auf Anforderung des Beklagten wiederum einen Formularantrag ein, in dem er gleichlautende Angaben wie in dem vorherigen Antrag machte und der gleichlautende formularmäßige Erklärungen enthielt. Die Weiterbewilligung erfolgte daraufhin mit Bescheid vom 5. Juni 2012 für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juni bis 30. November 2012 in Höhe von 374 € monatlich.

Den gleichen Antragsvordruck verwendete der Kläger für die Folgeantragstellung für die Zeit ab dem 1. Dezember 2012, gab darin nunmehr allerdings als Adresse „L, AY AX“ an, die Rubrik „Weitere Personen in der Haushaltsgemeinschaft“ wurde von ihm durchgestrichen, Eintragungen nahm er hier ebenso wenig vor wie in der Spalte „Lebens- oder Ehepartner/partnerin“. Beigefügt war ein handschriftliches Schreiben vom 15. November 2012, in dem der Kläger auf eine persönliche Vorsprache am 15. November 2012 Bezug nahm und unter Vorlage des Testaments seines Vaters angab, er habe seit dessen Tod Wohnrecht in der Wohnung L., AY AX. Eine letzte Leistungsbewilligung erfolgte daraufhin mit Bescheid vom 16. November 2012 für den Bewilligungszeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 31. Mai 2013 in Höhe von 374 € bzw. - ab dem 1. Januar 2013 - 382 € monatlich, wobei die Leistung für den Monat Mai 2013 von der Z. aufgrund einer ab dem 1. Mai 2013 bewilligten Altersrente erstattet wurde.

Mit Schreiben vom 30. Mai 2013 wandte sich der Schwiegersohn des Klägers, U., an den Beklagten mit dem Betreff „Verdacht auf unrechtmäßiges Beziehen von Sozialleistungen“ und teilte mit, dass er den Verdacht habe, dass der Kläger Sozialleistungen erschleiche. Dieser wohne mit seiner Lebensgefährtin J. seit über 16 Jahren in einer Einliegerwohnung auf der Hofstelle in AA. (Adresse: L., AY AX). Während sich der Kläger um den gemeinsamen Haushalt kümmere, gehe Frau J. ganztägig arbeiten als Bürokraft bei der Firma AB.. Auch der gemeinsame Sohn K. wohne mit in der Wohnung. Auf der gleichen Hofstelle habe auch er - Herr U. - mit seiner Familie seine Wohneinheit unter der Adresse Q., AY AX. Aufgrund eines Postbotenwechsels seien in letzter Zeit vermehrt an den Kläger adressierte Briefe in ihren Briefkasten eingeworfen worden, welche jeweils den Adresszusatz „wohnhaft bei T.“ getragen hätten. Klarzustellen sei, dass der Kläger nicht bei ihnen, der Familie T/U., wohne. Er wohne mit seiner Lebensgefährtin J. und dem gemeinsamen Sohn K. schon seit vielen Jahren in einer gemeinsamen Wohnung. Zwar habe es vor einigen Jahren „den Wunsch/das Abkommen“ gegeben, bei ihnen einen Raum zu beziehen, da es Beziehungsprobleme zwischen dem Kläger und Frau J. gegeben habe. Es sei faktisch dazu aber nicht gekommen, da sich die Beziehungsprobleme doch recht schnell („kleiner 4 Wochen“) in Luft aufgelöst hätten. Der Beklagte veranlasste daraufhin einen Hausbesuch, welcher am 24. Juni 2013 durchgeführt wurde. In dem Bericht des Außendienstes vom 25. Juni 2013 wird als Ergebnis der Überprüfung festgehalten, dass der Kläger mit seiner Lebensgefährtin J. und dem gemeinsamen Sohn K. in einer Wohnung lebe. Nach Angaben des Klägers seien die beiden seit drei Monaten wieder zusammen. Bis dahin seien sie zwei Jahre getrennt gewesen. Während dieser Zeit habe Frau J. mit dem gemeinsamen Sohn in dem Haus gewohnt und der Kläger habe für sich eine Wohnung in AF. angemietet gehabt. Der Kläger sei um Nachweise für die zweijährige Trennung (z. B. Mietvertrag) gebeten worden. Diese wolle er nachreichen.

Der Beklagte forderte daraufhin von dem Kläger umfangreiche Unterlagen an, auch über Frau J.. und den gemeinsamen Sohn K., worauf sich die jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers bei dem Beklagten meldete und Akteneinsicht beantragte. Diese wurde mit der Einschränkung gewährt, dass das Schreiben des Schwiegersohns U. vom 30. Mai 2013 nicht übersandt wurde. Zum Stand der Ermittlungen teilte der Beklagte der Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 28. August 2013 mit, dass der Kläger im Zeitraum des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II zumindest zeitweise in eheähnlicher Gemeinschaft mit Frau J. gelebt habe. Der gemeinsame Sohn K. habe sich ebenfalls im Haushalt aufgehalten. Dies habe der Kläger nicht angegeben. Möglicherweise habe er daher Leistungen zu Unrecht erhalten, weil Einkommen und Vermögen der Frau J. und des Sohnes bei der Berechnung des Leistungsanspruches nicht berücksichtigt worden seien. Auf die Unterlagenanforderung des Beklagten ließ der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 5. September 2013 mitteilen, er habe gegenüber dem Außendienst nicht erklärt, dass er eine Wohnung in AF. angemietet habe. Es handele sich wohl um ein Missverständnis. Klarzustellen sei, dass das Objekt über insgesamt drei Wohnungen verfüge. In der einen Wohnung unter Anschrift L. lebe er zusammen mit Frau J. und dem Sohn entsprechend den ihnen vom Vater eingeräumten Wohnrechten. Das in den Akten als schriftlichen Hinweis eines Nachbarn bezeichnete Schreiben sei ihm - dem Kläger - im Rahmen des Hausbesuchs zur Kenntnis gebracht worden. Dies datiere nach seiner Erinnerung vom 30. Mai 2013 und weise als Aussteller Herrn U. aus. Hinsichtlich der Unterlagenanforderung sei mitzuteilen, dass eine Ummeldebescheinigung bereits deshalb nicht vorgelegt werden könne, weil der Beklagte „von einem anderen Sachverhalt“ ausgehe. Ferner sei er - der Kläger - nicht in der Lage, Unterlagen über Frau J. vorzulegen.

Mit Schreiben vom 10. September 2013 gab der Beklagte dem Kläger erneut Gelegenheit, sich zum Sachverhalt zu äußern. Es sei davon auszugehen, dass in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2013 eine Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kläger, Frau J. und dem Sohn K. bestanden habe. Der gemeinsame Haushalt mit Frau J. habe bereits seit dem 1. Oktober 2001 bestanden, am 21. Februar 2002 sei der gemeinsame Sohn K. geboren worden. Soweit der Kläger seine Behauptung, nicht durchgehend mit Frau J. in einem Haushalt gelebt zu haben, aufrechterhalten wolle, möge er mitteilen, in welchem konkreten Zeitraum er in einer anderen Wohnung gelebt habe. Hierauf ließ der Kläger mitteilen, dass eine Stellungnahme nicht erfolgen werde, da eine vollständige Akteneinsicht in die Verwaltungsvorgänge nicht gewährt worden sei, das Schreiben des Informanten vom 30. Mai 2013 sei ihm nicht zur Verfügung gestellt worden.

Nachdem ein Auskunftsersuchen an Frau J. zu ihren Einkommensverhältnissen erfolglos geblieben war, erstellte deren Arbeitgeber auf Anforderung des Beklagten eine Einkommensbescheinigung für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Mai 2013 mit dem Hinweis, dass für das Jahr 2005 keine Daten vorlägen. Mit Schreiben vom 13. März 2014 hörte der Beklagte den Kläger zu einer Aufhebung der Bewilligungsbescheide für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2013 und zur Zurückforderung von Leistungen in Höhe von insgesamt 53.943,69 € an und teilte zum Sachverhalt mit, dass der Kläger seit dem 1. Januar 2005 in einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau J. und K. gelebt habe und die erteilten Bescheide auf Angaben beruhten, die er vorsätzlich oder grob fahrlässiger in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Hierzu ließ der Kläger mitteilen, dass ihm eine sachgerechte Äußerung nicht möglich sei, da ihm eine vollständige Akteneinsicht nicht gewährt worden sei. Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Mai 2014 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2013 ab und hob mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom selben Tag die Bescheide vom 30. November 2004, 23. Mai 2005, 14. November 2005, 10. Juni 2006, 29. November 2006, 5. Juni 2007, 15. November 2007, 5. Mai 2008, 19. November 2008, 14. Mai 2009, 23. November 2009, 17. Mai 2010, 12. November 2010, 9. Mai 2011, 17. November 2011, 5. Juni 2012 und 16. November 2012 - gestützt auf § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 SGB II und §§ 330, 335 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) - für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2013 auf und forderte die gezahlten Leistungen einschließlich der Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung (17.827,10 €) in Höhe von insgesamt 53.399,10 € zurück. Zur Begründung gab der Beklagte an, ihm sei bekannt geworden, dass der Kläger mit Frau J. und dem gemeinsamen Sohn K. seit Beginn des Leistungsbezugs nach dem SGB II zusammen in einem Haushalt gelebt habe. Es habe damit eine Bedarfsgemeinschaft i. S. des § 7 Abs. 3 SGB II bestanden. Dies sei bei der Leistungsgewährung nicht berücksichtigt worden, so dass der Kläger Leistungen nach dem SGB II zu Unrecht erhalten habe. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da er vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und ließ zur Begründung vortragen, es sei nicht ersichtlich, aufgrund welchen Sachverhalts der Beklagte zur Annahme einer Bedarfsgemeinschaft gelangt sei. Es werde nochmals vollständige Akteneinsicht beantragt. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2014 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Dem Kläger sei mehrfach Akteneinsicht gewährt worden. Aus den Aktenunterlagen sowie der bisherigen Korrespondenz ergebe sich, was ihm aufgrund welcher Erkenntnisse vorgeworfen werde. Zu dem Vorwurf, dass er mit Frau J. und dem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe, habe er zu keinem Zeitpunkt Stellung genommen. Zu der vom Außendienst protokollierten Angabe anlässlich des Hausbesuchs am 24. Juni 2013, dass er mit Frau J. erst seit drei Monaten wieder zusammenlebe und sie zuvor zwei Jahre getrennt gewesen seien, habe er - der Kläger - mitgeteilt, dass es sich dabei um ein Missverständnis handeln müsse. Dementsprechend lägen bislang auch keine Nachweise darüber vor, dass der Kläger oder Frau J. in dem betroffenen Zeitraum an einem anderen Ort als unter Anschrift L. in Langwedel wohnhaft gewesen seien. Das Einkommen der Frau J. als Partnerin des Klägers sei bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen. Frau J. sei vollzeitig erwerbstätig und verfüge über ein Nettoeinkommen zwischen ca. 1.500 € (2006) und 1.900 € (2013) zuzüglich eines 13. Monatsgehalts und zusätzlichen Urlaubsgelds. Da die Wohnung L. in AX mietfrei bewohnt werde, fielen nur die Regelbedarfe an. Im Kalenderjahr 2006 habe der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft bei monatlich 829 € (jeweils 311 € für Frau J. und den Kläger und 207 € für K.), im Kalenderjahr 2013 bei monatlich 945 € (jeweils 345 € für Frau J. und den Kläger und 255 € für K.) gelegen. Hieraus sei ersichtlich, dass das Einkommen der Frau J. ausgereicht habe, um ihren eigenen Lebensunterhalt sowie denjenigen des Kindes und des Klägers vollumfänglich sicherzustellen. Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft habe damit nicht vorgelegen, so dass Leistungen nach dem SGB II nicht hätten beansprucht werden können. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da er in den Antragsvordrucken durchgängig nicht angegeben habe, dass er mit Frau J. und dem Sohn in einem Haushalt lebe. Er habe damit zumindest grob fahrlässig unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht. Die Verpflichtung zur Erstattung der erbrachten Leistungen ergebe sich aus § 50 Abs. 1 SGB X. Beigefügt war eine Aufstellung über die überzahlten Leistungen und die überzahlten Sozialversicherungsbeiträge, aufgeschlüsselt nach Leistungsmonaten.

Gegen den ihm am 26. Mai 2014 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 23. Juni 2014 Klage erhoben. Er hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Beklagte sich nicht ansatzweise mit den Voraussetzungen für die Annahme einer Einstehungs- und Verantwortungsgemeinschaft auseinandergesetzt habe. Die von dem Beklagten herangezogenen Meldedaten seien nicht aussagekräftig, da sich zwischenzeitlich die Ausgestaltung des Gebäudes durch Schaffung weiterer Wohnungen verändert habe, so dass unter der Anschrift L. zwei Wohnungen existierten und daneben eine weitere Wohnung unter der Anschrift Q. Einsicht in das Informantenschreiben habe er bislang nicht erhalten, so dass er keine Möglichkeit habe, sich zu dem unterbreiteten Vorwurf zu äußern. Vor diesem Hintergrund sei er im Verwaltungsverfahren auch nicht gehalten gewesen, über den Akteninhalt hinausgehende Erklärungen abzugeben.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2015 hat das Sozialgericht (SG) Stade der Prozessbevollmächtigten eine anonymisierte Fassung des Schreibens des Herrn U. vom 30. Mai 2013 übersandt und mit Gerichtsbescheid vom Folgetag (29. Januar 2015) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte seine Leistungsbewilligungen für den streitbefangenen Zeitraum zu Recht aufgehoben habe. Der Kläger sei nicht hilfebedürftig i. S. des § 9 SGB II gewesen, da er im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin J. gelebt habe. Diese habe über ausreichende Einkünfte aus ihrer Tätigkeit als kaufmännische Angestellte bei einer großen Baufirma verfügt, mit denen sie den Lebensunterhalt für sich, den Kläger und den gemeinsamen Sohn habe sicherstellen können. Nach verständiger Würdigung und vernünftiger Betrachtung des Lebenssachverhalts gehe die Kammer davon aus, dass der Kläger und Frau J. Partner seien. Gegenteiliges hätten beide bislang nicht plausibel dargelegt. Die Partnerschaft werde vielmehr vom Kläger auch nicht bestritten. Sie seien spätestens seit ihrem Zusammenzug in der Einliegerwohnung L. am 1. Oktober 2001 ein Paar. Zu diesem Zeitpunkt sei Frau J. bereits mit dem gemeinsamen Sohn K., der im Februar 2002 zur Welt gekommen sei, schwanger gewesen. Der Einzug von Frau J.  L. in AX sei aus Sicht des Gerichts die bewusste Entscheidung für eine gemeinsame Lebensführung unter einem Dach als Frau und Mann und einem erwarteten Kind gewesen. Schon hieraus sei eine enge Bindung zwischen dem Kläger und Frau J. zu erkennen. Der Kläger lebe mit Frau J. und dem gemeinsamen Sohn auch gemeinsam in einem Haushalt. Nach verständiger Würdigung des Sachverhalts und allgemeiner Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass die Partner zusammen wirtschafteten. Unerheblich sei dabei, dass sie über getrennte Konten verfügten. Schon dadurch, dass die Partner eine gemeinsame Wohnung bewohnten und die Zahlung der Heiz- und sonstigen Nebenkosten untereinander klären und vornehmen müssten, sei die Annahme einer Wirtschaftsgemeinschaft gerechtfertigt. Eine solche erfordere nämlich nähere Absprachen, welche Kosten von wem zu tragen seien. Ferner müssten Absprachen bezüglich des gemeinsamen Kindes erfolgen, z. B. Finanzieren von Hobbys, Fahrten zur Schule, Finanzierung von Lernmaterial etc. Ebenso müsse von den Partnern regelmäßig abgesprochen werden, wer wann die Einkäufe erledige, damit die Versorgung der Familie mit einem Kind weiterhin sichergestellt bleibe. Dass die Partner autark voneinander wirtschafteten, sei weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren zu irgendeinem Zeitpunkt dargestellt worden. Ausweislich des „Schriftsatzes eines Zeugen vom 30. Mai 2013“ dürften die Partner darin übereingekommen sein, dass der Kläger sich um den gemeinsamen Haushalt kümmere, während Frau J. ganztägig arbeiten gehe und damit die Einkünfte der kleinen Familie erwirtschafte. Hierdurch werde ein gemeinsames Wirtschaften der Partner offenkundig, denn auf diese Weise erbringe jeder seinen wirtschaftlichen Beitrag zur Lebensführung. Der wechselseitige Wille, füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen, sei aufgrund der Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a Nr. 1 und 2 SGB II als erfüllt anzusehen. Diese Vermutung sei vom Kläger nicht ansatzweise durch plausiblen Vortrag erschüttert worden. Soweit er im Rahmen des Hausbesuchs am 24. Juni 2013 erklärt habe, seit drei Monaten wieder mit Frau J. zusammen zu leben, wobei sie zuvor zwei Jahre getrennt gewesen wären, glaube das Gericht dem Kläger dies nicht. Abgesehen davon, dass seitens der Prozessbevollmächtigten später von einem Missverständnis gesprochen worden sei, habe der Kläger damit gleichzeitig inzident zugegeben, dass sie in der Zeit bis zur vermeintlichen zweijährigen Trennung tatsächlich ein Paar gewesen seien. Im Übrigen ergäben sich für das Gericht unter Berücksichtigung der Meldedaten keine stichfesten Anhaltspunkte dafür, dass die Partner zu irgendeinem Zeitpunkt jemals getrennt gewesen sein könnten. Ferner hat das SG im Einzelnen ausgeführt, dass der Kläger in seinen Erstanträgen sowie in den Folgeanträgen vorsätzlich unrichtige und unvollständige Angaben gemacht habe und sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen könne. Das Eintragen von falschen Adressen und Familienmitgliedern in ein Antragsformular in Kenntnis der Tatsache, dass man tatsächlich in einer ganz anderen Wohnung mit anderen Familienmitgliedern wohne, erfolge regelmäßig mit Vorsatz und hier einzig mit dem Ziel, einen Irrtum über eine bestehende Leistungsberechtigung bei dem Beklagten zu erregen, um auf diese Weise zu Unrecht steuerfinanzierte Fürsorgeleistungen zu erhalten. Die weiteren Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide lägen vor. Die Verpflichtung zur Erstattung der überzahlten Leistungen ergebe sich aus § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X, diejenige zur Erstattung der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge aus § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i. V. § 335 Abs. 1, 2 und 5 SGB III.

Gegen den ihm am 9. Februar 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12. Februar 2015 Berufung eingelegt. Er rügt diverse Verfahrensfehler des SG, insbesondere eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da ihm das Schreiben des Informanten vom 30. Mai 2013 nicht vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zur Kenntnis gelangt sei. Zudem habe das SG einen Sachverhalt als wahr unterstellt, der keineswegs unstreitig sei. Nachdem er - der Kläger - die Möglichkeit erhalten habe, von dem Informantenschreiben Kenntnis zu nehmen, solle nunmehr zum Sachverhalt Stellung genommen werden. Die Tochter P. habe von ihm und Frau J. im Zusammenhang mit der Finanzierung des Erwerbs der Hofstelle verlangt, einer zugunsten des finanzierenden Kreditinstituts einzutragenden Grundschuld Vorrang vor den zu ihren Gunsten bestehenden Wohnrechten einzuräumen. Hierzu seien weder er noch Frau J. bereit gewesen. Daraufhin sei es zu erheblichen Spannungen gekommen. Der Schwiegersohn U. habe sich nicht nur wegen der fehlenden Baugenehmigung für die Einliegerwohnung, die Gegenstand der Wohnrechte sei, an das Bauamt gewandt, sondern auch den Beklagten eingeschaltet, um ihm - dem Kläger - Schaden zuzufügen. Vor diesem Hintergrund sei es für ihn auch wichtig gewesen, zunächst von dem Inhalt des besagten Schreibens Kenntnis nehmen zu können, bevor er sich zur Sache erkläre. Richtig sei, dass er seinerzeit gegenüber der Außendienstmitarbeiterin erklärt habe, dass er seit ca. drei Monaten wieder mit Frau J. und dem gemeinsamen Sohn zusammenlebe. Weiter habe er gesagt, dass er von ca. Mitte 2003 bis Frühjahr 2004 in AF gewohnt habe. Die diesbezüglichen Angaben würden mithin in dem Prüfbericht des Außendienstes nicht korrekt wiedergegeben. Er habe sich nach der Geburt des Kindes im Jahr 2002 von Frau J. getrennt und sei nach AF. gezogen. Seinerzeit habe er eine Beziehung zu einer Frau AG. aus Weißrussland gehabt. Zeitweise habe er auch in der Pension AH. in AZ gewohnt, und zwar mit Frau AG., mit der er die besagte Beziehung unterhalten habe und bei der es sich um die im Erstantrag erwähnte Freundin handele. Er habe in jenem Antrag wahrheitsgemäß angegeben, dass er bei seiner Tochter, deren Ehemann und den Kindern wohne. Dies habe die Tochter seinerzeit auch bestätigt. In diesem Zusammenhang legt der Kläger eine handschriftliche Bestätigung seiner Tochter P. vom 30. April 2007 vor, in der es heißt, dass der Kläger in der Zeit von April 2004 bis November 2006 bei ihr - Frau T. - unter Anschrift Q., AY AX ständig gewohnt habe. Für welche Zwecke diese Bestätigung ausgestellt worden ist, ist ihr nicht zu entnehmen. Der Kläger trägt weiter vor, dass er sich in der Folge von Frau AG. getrennt habe, nach seiner Erinnerung müsse dies Ende 2006 gewesen sein. Er habe aber keine Lebensgemeinschaft mit Frau J. gebildet, auch wenn er sich um seinen Sohn gekümmert habe, diesen zum Kindergarten/zur Schule gebracht und die Betreuung übernommen habe. Auch habe er sich um seinen Vater gekümmert, der „L.“ nach dem Tod der Mutter im April 2006 allein gelebt habe. Der Vater habe im oberen Trakt ein Zimmer und ein Bad gehabt. Dort habe er - der Kläger - auch zeitweise gewohnt und sich zurückgezogen. Erst ab Dezember 2012 habe er den Versuch unternommen, mit Frau J. wieder eine Lebensgemeinschaft zu bilden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 29. Januar 2015 sowie die Bescheide des Beklagten vom 8. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2014 aufzuheben,

hilfsweise die Bewertung der Richterin AI. anlässlich der am 20. November 2015 durchgeführten Beweiserhebung kundzutun und dem Kläger die Gelegenheit zu geben, hierzu in angemessener Frist Stellung nehmen zu können, weiter hilfsweise, die Beweisaufnahme vom 20. November 2015 vor dem gesamten Senat zu wiederholen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat durch seine Berichterstatterin bzw. seinen Berichterstatter zwei Beweisaufnahmetermine (am 20. November 2015 und 29. August 2017) durchgeführt, in denen der Kläger persönlich gehört und Frau J., Frau P. und Frau R. als Zeuginnen vernommen worden sind. Der minderjährige Sohn K. und der Schwiegersohn U. haben sich im Beweisaufnahmetermin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beweisergebnisses wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist nur teilweise begründet.

Der Beklagte war grundsätzlich berechtigt, die für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2013 erteilten Bewilligungsbescheide über Leistungen nach dem SGB II zurückzunehmen und  - soweit eine Rücknahme erfolgt war - von dem Kläger die Erstattung des gezahlten Arbeitslosengeldes II einschließlich der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu fordern. Für das Erstattungsverlangen hinsichtlich der Rentenversicherungsbeiträge fehlt es indes an einer Rechtsgrundlage. Die erstinstanzliche Entscheidung ist entsprechend abzuändern.

Der angefochtene Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 8. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2014 - der parallel erteilte, denselben Zeitraum betreffende Ablehnungsbescheid vom 8. Mai 2014 geht ins Leere - stellt sich nicht bereits wegen Verstoßes gegen die in § 24 Abs. 1 SGB X normierte Anhörungspflicht als formell rechtswidrig dar. Nach der genannten Vorschrift ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der - wie hier - in Rechte des Betroffenen eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Anhörungspflicht bezieht sich auf die entscheidungserheblichen Haupttatsachen (vgl. z. B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 37/07 R - juris Rn. 12). Der Beklagte hat seinen Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 8. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2014 darauf gestützt, dass der Kläger mit Frau J. und dem gemeinsamen Sohn seit Beginn des Leistungsbezugs in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe und der Kläger insoweit zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Hierzu hatte er dem Kläger - wie aus dem Tatbestand ersichtlich - im Laufe des Verwaltungsverfahrens mehrfach Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Auch hatte der Beklagte - etwa in seinem Schreiben vom 28. August 2013 - darauf hingewiesen, dass es sich nach seiner Bewertung um eine eheähnliche Gemeinschaft mit Frau J. gehandelt habe und bei dieser Sachlage Einkommen und Vermögen sowohl der Frau J. als auch des gemeinsamen Sohnes bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigen gewesen wären. Damit war der Kläger in einem Umfang über die entscheidungserheblichen Tatsachen unterrichtet, dass eine Überraschungsentscheidung ausgeschlossen war und es ihm seinerseits eine Entscheidung darüber möglich war, ob er zur Sache eine Äußerung abgab oder nicht. Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass ihm das Schreiben seines Schwiegersohnes U. vom 30. Mai 2013 im Rahmen der Akteneinsicht nicht zur Verfügung gestellt wurde, hatte er selbst in dem anwaltlichen Schreiben vom 5. September 2013 angegeben, dass ihm dieses Schreiben im Rahmen des Besuchs des Außendienstes zur Kenntnis gebracht worden sei. Mithin war dem Kläger der Inhalt dieses Schreibens sehr wohl bekannt. Dessen ungeachtet hat der Beklagte seine Entscheidung auch nicht auf Tatsachen aus dem fraglichen Schreiben gestützt, die er dem Kläger zuvor nicht seinerseits zur Kenntnis gebracht hatte. Zudem musste sich dem Kläger aufgrund der ansonsten gewährten Akteneinsicht in den kompletten Verwaltungsvorgang ohne weiteres erschließen, dass der Beklagte die Information, dass er - der Kläger - seit Beginn des Leistungsbezug in einem gemeinsamen Haushalt mit Frau J. und dem Sohn gelebt habe, nur dem Schreiben des Schwiegersohns vom 30. Mai 2013 entnommen haben konnte. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vermag der Senat unter diesen Umständen nicht festzustellen.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb materiell rechtswidrig, weil er nicht hinreichend bestimmt i. S. des § 33 Abs. 1 SGB X wäre. Erforderlich ist insoweit, dass der Verfügungssatz des Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen unter Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten danach auszurichten (BSG, Urteile vom 29. November 2012 - B 14 AS 196/11 R - juris Rn. 16 ff., - B 14 AS 6/12 R - juris Rn. 25 ff.; vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 2/13 R - juris Rn. 30 ff.). Diesen Anforderungen genügt der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 8. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2014. Es geht aus ihm klar und unzweideutig hervor, dass der Beklagte die zugunsten des Klägers in bestimmten Zeiträumen erfolgten Leistungsbewilligungen in bestimmten, näher bezeichneten Bescheiden in vollem Umfang aufhebt. Soweit der Beklagte - wie noch auszuführen sein wird - nicht sämtliche für die betreffenden Aufhebungszeiträume relevanten Bewilligungs- und Änderungsbescheide aufgeführt hat, ist dies keine Frage der Bestimmtheit. Dies wirkt sich lediglich auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung aus (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 196/11 R - juris Rn. 18).

Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidung des Beklagten ist § 45 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III und § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II. Danach ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit er rechtswidrig ist und der Begünstigte sich in Anwendung von § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X nicht auf sein Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes berufen kann.

Bei den Bewilligungsbescheiden, die der Beklagte zurückgenommen hat, handelt es sich um rechtswidrige Verwaltungsakte i. S. des § 45 Abs. 1 SGB X.

Leistungen nach dem SGB II kann nach dessen § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 nur beanspruchen, wer hilfebedürftig ist. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 S. 1 SGB II). Zur Bedarfsgemeinschaft gehört nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen oder Vermögen erwartet werden kann (§ 9 Abs. 5 SGB II).

Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass es für den Leistungsanspruch nach dem SGB II von zentraler Bedeutung ist, ob der Anspruchsteller alleinstehend ist oder ob er in einer Bedarfsgemeinschaft oder Haushaltsgemeinschaft mit weiteren Personen lebt. Welcher Sachverhalt im Fall des Klägers in dem streitbefangenen Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2013 vorgelegen hat, muss nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens als offen bezeichnet werden.

Nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Sachaufklärung sind mehrere  Sachverhaltsvarianten als möglich anzusehen, ohne dass der Senat sich die volle Überzeugen vom Vorliegen einer dieser Varianten hat bilden können.

Möglich ist zunächst, dass der Kläger durchgehend seit Beginn des Leistungsbezugs mit Frau J. und dem gemeinsamen Sohn in einer Wohnung gelebt hat. Dann könnte eine Bedarfsgemeinschaft vorgelegen haben, mit der Folge, dass das Einkommen der Frau J. - wie von dem Beklagten vorgenommen - bei der Berechnung des Anspruchs zu berücksichtigen wäre. Für diese Variante sprechen die Angaben in dem Schreiben des Schwiegersohns U. vom 30. Mai 2013 sowie die diese weitgehend bestätigende Zeugenaussage der Tochter P. Der Umstand, dass es zwischen diesen Personen und dem Kläger zu einem Zerwürfnis gekommen ist, spricht nicht zwingend gegen die inhaltliche Richtigkeit der Angaben. Das Zerwürfnis kann vielmehr auch nur der Auslöser dafür gewesen sein, dass der Schwiegersohn nunmehr den wahren Sachverhalt gegenüber dem Beklagten offengelegt hat. Die anderslautenden, aus den Jahren 2004/2007 stammenden schriftlichen Bestätigungen der Zeugin P. über eine Haushaltsaufnahme des Klägers können seinerzeit allein aus familiärer Verbundenheit (falsch) ausgestellt worden sein, so dass sie die jetzige Darstellung der Frau P. nicht ohne weiteres widerlegen. Gegen die Sachverhaltsvariante eines Zusammenlebens mit Frau J. und dem gemeinsamen Sohn im gesamten streitbefangenen Zeitraum spricht aber die Zeugenaussage der Frau J., die die Sachverhaltsdarstellung des Klägers aus dem Berufungsverfahren in wesentlichen Punkten bestätigt hat. Allerdings besteht insoweit ein Widerspruch zu der Einlassung des Klägers, als dieser angegeben hat, im fraglichen Zeitraum in der Wohnung der Frau J. nicht geschlafen zu haben, während diese als Zeugin bekundet hat, der Kläger habe „auch ab und zu bei mir geschlafen“. Die Aussage der Zeugin R. ist wenig ergiebig, da diese ein zumindest zeitweises Wohnen des Klägers außerhalb des Haushalts der Frau J. zwar bestätigt hat, sich aber andererseits darauf zurückgezogen hat, dass ihr die genauen Wohnverhältnisse trotz der durchgeführten Besuche auf der Hofstelle und der zeitweise innegehabten Stellung als Eigentümerin nicht bekannt gewesen seien. Gegen die Sachverhaltsvariante eines durchgehenden Wohnens des Klägers bei Frau J. und dem Sohn spricht allerdings auch ein bedeutsamer Widerspruch zwischen den Angaben des Schwiegersohns U. und der Tochter P.. Während letztere ein - wenn auch kurzes - Wohnen des Klägers in ihrer Wohnung angegeben hat, hat ihr Ehemann in dem besagten Schreiben mitgeteilt, es sei faktisch niemals dazu gekommen.

Ebenso gut möglich erscheint dem Senat, dass der Kläger seit Beginn des Leistungsbezug zunächst tatsächlich - wie im Erstantrag angegeben - in der Wohnung seiner Tochter P. gewohnt hat und dann aus Anlass der Erkrankung der Mutter in die elterliche Wohnung gezogen ist, um dort bis wenige Monate vor Ende des Leistungsbezugs zu wohnen. In dieser Variante kommt für die Zeit des Zusammenlebens eine Haushaltsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen Eltern bzw. seinem Vater i. S. des § 9 Abs. 5 SGB II in Betracht, die einem Leistungsanspruch ebenfalls entgegengestanden haben kann. Für diese Sachverhaltsvariante spricht - mit Einschränkungen (s. oben) - die Aussage der Zeugin J. sowie auch diejenige der Zeugin R., wobei diese allerdings - wie oben dargelegt - eine klare Feststellung hinsichtlich der Wohnverhältnisse des Klägers vermieden hat. Gegen diese Sachverhaltsvariante spricht - neben dem Inhalt des Schreibens des Schwiegersohns und der Zeugenaussage der Tochter - die ursprüngliche Einlassung des Klägers in der Berufungsbegründung, der keineswegs entnommen werden kann, er - der Kläger - habe in den Jahren von 2006 bis 2012/2013, mithin sechs/sieben Jahre, bei seinen Eltern bzw. - nach dem Tod der Mutter - bei seinem Vater gewohnt. Vielmehr ist in der Berufungsbegründung, in der in der Sache nunmehr Stellung genommen werden sollte, nur die Rede davon, dass er - wie bei Antragstellung angegeben - im Hause der Tochter unter der Anschrift Q. gewohnt habe. Ausdrücklich wird sodann vorgetragen, der Vater, um den sich der Kläger gekümmert habe, habe nach dem Tod der Mutter „L.“ allein gelebt. Es wird sodann lediglich erwähnt, dass der Kläger beim Vater - im oberen Trakt in einem Zimmer mit Bad - auch „zeitweise gewohnt und sich zurückgezogen“ habe. Ein Wohnungswechsel im Jahr 2006 noch zu Lebzeiten der Mutter und ein mehrjähriges Wohnen im elterlichen Haushalt werden in der Berufungsbegründung gerade nicht behauptet.

Schließlich erscheint es auch denkbar, dass der Kläger in dem streitbefangenen Zeitraum von mehr als acht Jahren seine Unterkunft auf der Hofstelle mehrfach gewechselt hat und mal in dieser, mal in jener Wohnung gelebt hat, je nachdem, wie sich das Verhältnis zu Frau J. gestaltete.

Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erscheint dem Senat nicht möglich, insbesondere kommen keine weiteren Zeugen in Betracht, die durchgehend seit 2005 auf der Hofstelle gewohnt haben. Die geladenen Zeugen K. und U. haben die Aussage verweigert. Dementsprechend sind auch von Seiten des Klägers in der mündlichen Verhandlung weitere Zeugen oder sonstige Beweismittel nicht benannt worden, auch ist nicht geltend worden, die bereits gehörten Zeugen könnten im Rahmen einer erneuten Vernehmung weitergehende Aussagen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt machen. Vielmehr hatte der Kläger bereits vor Durchführung des zweiten Beweisaufnahmetermins vortragen lassen, dass die von dem Beklagten benannten Zeugen U. und R. überhaupt nichts zum Sachverhalt beitragen könnten (Schriftsatz vom 12. Februar 2016).
Der Senat ist in diesem Zusammenhang nicht verpflichtet, den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsanträgen nachzukommen. Eine (mündliche oder schriftliche) „Bewertung der Richterin AI. anlässlich der am 20. November 2015 durchgeführten Beweiserhebung“, die der Senat den Beteiligten bekanntgeben könnte, existiert nicht. Da die Sitzungsniederschrift mit den protokollierten Aussagen der Zeuginnen dem Kläger vorliegt, kann es nur um den von der damaligen Berichterstatterin gewonnenen persönlichen Eindruck von den Zeuginnen gehen, den diese indes - was auch nicht erforderlich gewesen ist - nicht in der Akte vermerkt hat. Auf die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeuginnen stellt der Senat - wie noch auszuführen sein wird - bei seiner Entscheidung im Übrigen ohnehin nicht ab. Auch besteht keine Verpflichtung, die am 20. November 2015 durchgeführte Beweisaufnahme (Vernehmung der Zeuginnen M. und T.) vor dem gesamten Senat zu wiederholen. Zwar erhebt das Gericht gemäß § 117 SGG Beweis grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung. Ausnahmsweise kann aber der Vorsitzende - bzw. im Berufungsverfahren gemäß § 155 Abs. 4 SGG der Berichterstatter anstelle des Vorsitzenden - Zeugen in geeigneten Fällen bereits vor der mündlichen Verhandlung in einem gesonderten Termin vernehmen (§ 106 Abs. 3 Nr. 4 SGG). Diese Befugnis zur Beweiserhebung durch den Vorsitzenden bzw. den Berichterstatter allein dient dem Zweck, bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Unter Berücksichtigung dieses Gesetzeszwecks hat hier ein geeigneter Fall für eine Vernehmung der Zeugen durch den Berichterstatter vorgelegen, da ohne eine vorherige Aufklärung des Sachverhalts eine Erledigung des Rechtsstreits in einer mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten war. Der Kläger selbst hatte bis in das Berufungsverfahren hinein überhaupt nichts zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen. Hinsichtlich der in dem Bericht des Außendienstes des Beklagten vom 25. Juni 2013 festgehaltenen Einlassung anlässlich des Hausbesuchs hatte er sich auf den Hinweis beschränkt, er sei missverstanden worden, ohne seine Angaben richtig zu stellen. Im Übrigen hatte er sich in dem gesamten Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren zu dem Vorwurf des Beklagten, er habe zu seinen Wohnverhältnissen durchgehend unzutreffende Angaben gemacht, nicht geäußert. Noch in der Berufungsbegründung hatte der Kläger den Sachverhalt letztlich im Unklaren gelassen, sein Tatsachenvortrag zu der entscheidungserheblichen Frage der Wohnverhältnisse beschränkte sich im Wesentlichen darauf, dass seine ursprünglichen Angaben der Wahrheit entsprochen hätten, er in der Folgezeit eine Lebensgemeinschaft mit Frau J. trotz erfolgter Trennung von der Freundin nicht begründet habe und zeitweise auch beim Vater im oberen Trakt gewohnt und sich zurückgezogen habe. Nähere Angaben hatte der Kläger hierzu nicht gemacht. Bei dieser Ausgangslage war vor der mündlichen Verhandlung zunächst eine Aufklärung des Sachverhalts durch Anhörung des Klägers und Vernehmung der in Betracht kommenden Zeugen angebracht.
Das Ergebnis der vor der Berichterstatterin bzw. dem Berichterstatter durchgeführten Beweisaufnahme kann der Senat durch Heranziehung der Sitzungsniederschrift verwerten. Hieran wäre er nur gehindert, wenn er seine Entscheidung auf die fehlende Glaubwürdigkeit eines gehörten Zeugen stützten würde. Dies ist indes nicht der Fall. Der Senat geht im Rahmen seiner Beweiswürdigung davon aus, dass „Aussage gegen Aussage“ steht, mit der Folge, dass er sich anhand der Zeugenaussagen weder von dem Sachverhalt, der den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegt, noch von der Version des Klägers die volle Überzeugung bilden kann.
Es sind - wie ausgeführt - sämtliche verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft, so dass nur eine Beweislastentscheidung in Frage kommt. Zwar trägt grundsätzlich die Behörde die objektive Beweislast für die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids, wenn sie diesen zurücknimmt. Eine Umkehr der Beweislast ist aber gerechtfertigt, wenn eine besondere Beweisnähe zu einem Beteiligten besteht. Das ist anzunehmen, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungssphäre wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 30 m. w. N.). Dementsprechend hat das BSG bei der Prüfung der Erreichbarkeit eines Arbeitslosen entschieden, dass der fehlende Nachweis der hierfür maßgeblichen Tatsachen (nicht mehr nachvollziehbare Dauer und Lage von Auslandsaufenthalten) zu Lasten des Leistungsempfängers gehen kann, wenn die Beweislage maßgeblich auf dessen fehlender Mitteilung beruht (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003 - B 7 AL 56/02 R - juris Rn. 17). So liegt der Fall auch hier. Es ist aufgrund der Unaufklärbarkeit der Wohnverhältnisse des Klägers von dessen fehlender Hilfebedürftigkeit auszugehen, da die entstandene Beweislage maßgeblich auf dessen fehlender Mitwirkung beruht. Auch wenn die (letzte) Sachverhaltsdarstellung des Klägers im Berufungsverfahren, er habe seit der Erkrankung der Mutter in der Wohnung der Eltern gelebt, um die Mutter zu pflegen und - nach deren Tod - den Vater zu betreuen, als wahr unterstellt wird, hätte der Kläger seine Mitwirkungspflichten nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I verletzt. Nach dem Berufungsvorbringen ist die Mutter Anfang 2006 erkrankt und seitdem hat der Kläger in der elterlichen Wohnung gewohnt. Diese während des laufenden Bewilligungszeitraums vom 1. Dezember 2005 bis 31. Mai 2006 eingetretene leistungserhebliche Änderung der Verhältnisse hätte der Kläger danach dem Beklagten Anfang 2006 gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I mitteilen müssen und in seinem Weiterbewilligungsantrag vom 5. Mai 2006 hätte er nicht entgegen seiner aus § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I folgenden Verpflichtung zur Angabe aller leistungserheblichen Tatsachen angeben dürfen, es seien keine Änderungen eingetreten. Auch hätte er die geänderte Anschrift mitteilen müssen. Obwohl in sämtlichen im Laufe der Jahre erteilten Bewilligungsbescheiden des Beklagten stets ein Wohnungswechsel beispielhaft als mitzuteilende Tatsache aufgeführt war, teilte der Kläger den in seinem Fall nach eigener Darstellung Anfang 2006 erfolgten Wohnungswechsel zu keinem Zeitpunkt mit, sondern führte vielmehr noch in seinem am 16. November 2011 bei dem Beklagten eingegangenen formularmäßigen Weiterbewilligungsantrag als Haushaltsangehörige U., P. und W. auf, während er mit diesen Personen nach seiner Sachverhaltsdarstellung im Berufungsverfahren schon seit über vier Jahren nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Soweit der Kläger der Auffassung gewesen sein sollte, dass der Wohnungswechsel auf seinen Leistungsanspruch keinen Einfluss hatte, entband ihn diese subjektive Vorstellung nicht von der Verpflichtung, die geänderten Verhältnisse dem Beklagten mitzuteilen, um diesem als zuständigen Leistungsträger die Prüfung des Leistungsanspruchs zu ermöglichen.
Hätte der Kläger die Änderung der Verhältnisse zeitnah, d. h. Anfang 2006, mitgeteilt, hätten die Wohnverhältnisse ohne weiteres durch Hausbesuch geklärt werden können, auch hätte seinerzeit aufgrund der zeitlichen Nähe - etwa durch Befragung der Familienangehörigen - sehr viel besser ermittelt werden können, wo der Kläger im Jahr 2005 gewohnt hatte. Auch im Rücknahmeverfahren hat der Kläger nicht an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt. Seine vom Außendienst protokollierten mündlichen Angaben anlässlich des Hausbesuchs hat er als Missverständnis bezeichnet, ohne gleichzeitig klarstellen, welche Aussagen er tatsächlich gemacht hatte, und auch sonst hat er - wie bereits ausgeführt - bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Klageverfahren nichts zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen. Angesichts des Umstandes, dass ihm Absender und Inhalt des ihm vorenthaltenen Informantenschreibens nach eigenen Angaben bekannt war, drängt sich der Eindruck auf, dass die mit der nicht vollständig gewährten Akteneinsicht begründete Weigerung, bei der Aufklärung des Sacherhalts mitzuwirken, allein taktisch motiviert gewesen ist und darauf abgezielt hat, den wahren Sachverhalt zu verbergen.
Aufgrund der durch die Verletzung der Mitwirkungspflichten ausgelösten Umkehr der Beweislast ist von einer fehlenden Hilfebedürftigkeit des Klägers im gesamten streitbefangenen Zeitraum auszugehen. Hätte sich im Ausgangsverfahren die Beweissituation von vornherein so dargestellt, wie sie jetzt im Rückforderungsverfahren besteht, hätten auf die Anträge des Klägers Leistungen nach dem SGB II nicht bewilligt werden dürfen, da bei ungeklärten Wohnverhältnissen eines Antragstellers die Frage des Vorliegens einer Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft nicht geprüft werden kann und damit eine Feststellung der Hilfebedürftigkeit nicht möglich ist. Bei bestehender Bedarfsgemeinschaft mit Frau J. und dem gemeinsamen Sohn hätte - wie der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführt hat - wegen bedarfsdeckenden Einkommens der Frau J. Hilfebedürftigkeit nicht vorgelegen. Die Feststellungen des Beklagten zu den Einkommensverhältnissen hat der Kläger auch nicht bestritten. Soweit der Kläger - wie im Berufungsverfahren erstmals behauptet - im weit überwiegenden Teil des Rückforderungszeitraums in der elterlichen Wohnung gelebt hätte, wäre das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II zu prüfen gewesen. Diesbezügliche Feststellungen, insbesondere zu einem gemeinsamen Wirtschaften aus einem Topf, können nach dem Tod der Eltern nicht mehr nachgeholt werden. Auch liegen zu den damaligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eltern keinerlei Unterlagen vor. Die Behauptung des Klägers in dem Schriftsatz vom 16. Oktober 2017, er sei von seinen Eltern über das mietfreie Wohnen hinaus in keiner Art und Weise unterstützt worden, ist offensichtlich unzutreffend. Denn im Termin am 20. November 2015 hat der Kläger auf Befragen angegeben, seine Mutter habe ihm Geld für den Kauf eines PKW zugesteckt.

Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen. Die in Rede stehenden Verwaltungsakte beruhen auf Angaben, die er vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig und unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X). Dies gilt ohne weiteres für die Bewilligungsbescheide, die nach dem  - nach seinen Angaben - Anfang 2006 erfolgten Wohnungswechsel erteilt wurden. Aufgrund der ihm in den Antragsvordrucken und in den Bewilligungsbescheiden gegebenen Hinweise war dem Kläger bekannt, dass es für die Leistungsberechtigung nach dem SGB II darauf ankam, ob und ggf. mit welchen Personen er in einem Haushalt lebte. Gleichwohl gab er in seinen Weiterbewilligungsanträgen den Wohnungswechsel nicht an. Insoweit geht der Senat aufgrund des von dem Kläger gewonnenen persönlichen Eindrucks mit dem SG davon aus, dass der Kläger den Beklagten über die wahren Wohnverhältnisse bewusst im Unklaren gelassen hat, um eine nähere Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu unterbinden. Anhaltspunkte dafür, dass die persönliche Einsichtsfähigkeit des Klägers eingeschränkt gewesen sein könnte, liegen nicht vor. Auch hinsichtlich der Bewilligungsbescheide vom 30. November 2004, 23. Mai 2005 und 14. November 2005 kann sich der Kläger auf Vertrauensschutz nicht berufen. Sind die Wohnverhältnisse des Klägers im Jahr 2005 - wie dargelegt - nicht mehr aufklärbar, lässt sich auch nicht mehr klären, ob der Kläger hinsichtlich der Personen, die in seinem Haushalt lebten, seinerzeit richtige oder unrichtige Angaben gemacht hat. Auch insoweit ist von einer Umkehr der Beweislast zugunsten des Beklagten auszugehen, da - wie ausgeführt - die Unaufklärbarkeit der maßgeblichen Tatsachen darauf zurückzuführen ist, dass der Kläger spätestens seit dem Jahr 2006 unzutreffende Angaben über seine Wohnverhältnisse gemacht hat. Schließlich kann sich der Kläger auch hinsichtlich des Bewilligungsbescheides vom 16. November 2012 nicht auf Vertrauensschutz berufen. Auch wenn er in dem zugrundeliegenden Formantrag nunmehr die richtige Adresse L. angegeben hat, hat er insoweit weiterhin unrichtige Angaben gemacht, als er Frau J. und den gemeinsamen Sohn nicht als Haushaltsangehörige aufgeführt hat.

Die Fristen des § 45 Abs. 3 S. 3 und Abs. 4 S. 2 SGB X hat der Beklagte eingehalten. Insoweit verweist der Senat zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Gerichtsbescheid.

Der Beklagte war nach alledem verpflichtet, seine als rechtswidrig erkannten Bewilligungsbescheide gemäß § 45 Abs. 1 SGB X in vollem Umfang aufzuheben. Ein Ermessensspielraum stand ihm insoweit nicht zu (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB IIII).

Die Verpflichtung zur Erstattung der überzahlten Leistungen folgt aus § 50 Abs. 1 SGB X. Allerdings hat der Beklagte den Änderungsbescheid vom 10. März 2011, mit dem er dem Kläger unter Aufhebung des zuvor erteilten Bewilligungsbescheides vom 12. November 2010 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2011 in veränderter Höhe bewilligte und welcher damit für die Leistungsbewilligung in diesem Zeitraum maßgeblich ist, nicht zurückgenommen. Hieraus folgt, dass der Kläger die in den Monaten Januar bis Mai 2011 gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 1.820 € (5x 364 €) nicht zu erstatten hat. Zu Unrecht erbrachte Leistungen sind nur zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt (mithin hier die maßgebliche Leistungsbewilligung) aufgehoben worden ist (§ 50 Abs. 1 S. 1 SGB X). Dies hat der Beklagte hinsichtlich des Bescheides vom 10. März 2011 versäumt, da dieser Bescheid weder im Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 8. Mai 2014 noch im Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2014 als zurückgenommener Verwaltungsakt aufgeführt ist. Soweit ferner ein Bescheid vom 10. Juni 2006 aufgeführt ist. obwohl der maßgebliche Bescheid tatsächlich vom 10. Mai 2006 datiert, handelt es sich um einen bloßen Schreibfehler. Weitere Fehler in der Berechnung der Erstattungsforderung hinsichtlich des gezahlten Arbeitslosengeldes II sind nicht ersichtlich, insbesondere hat der Beklagte ausweislich der dem Rücknahme- und Erstattungsbescheid beigefügten Aufstellung der überzahlten Leistungen berücksichtigt, dass die Leistungen für den Monat Mai 2013 bereits vom Rentenversicherungsträger erstattet worden waren.

Aus der rückwirkenden Aufhebung der Entscheidungen über die Leistungen und deren Rückforderung folgt zugleich die Verpflichtung des Klägers, dem Beklagten die gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu ersetzen (§ 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i. V. m. § 335 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 SGB III). Für die von dem Beklagten darüber hinaus geforderte Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge ist indes - wie auch das BSG jüngst entschieden hat (Urteil vom 25. Oktober 2017 - B 14 AS 9/17 R -, vgl. Terminbericht Nr. 49/17) - eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II verweist nur auf § 335 Abs. 1, 2 und 5 SGB III (Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge); diese Regelungen betreffen indes nicht die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen (vgl. zu dieser Problematik: Greiser in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 40 Rn. 69; Steinecke in: GK-SGB II, § 40 Rn. 135; Aubel in juris PK-SGB II, § 40 Rn. 52). Die gezahlten Rentenversicherungsbeiträge belaufen sich ausweislich der aktenkundigen Leistungsnachweise (Bl. 343 ff. Verwaltungsakte) auf 2x 936 € (2005 und 2006) und 4x 489,60 € (2007, 2008, 2009 und 2010), insgesamt mithin 3.830,40 €. Der Erstattungsbetrag reduziert sich unter Hinzurechnung des Betrages von 1.820 € (nicht zu erstattende Leistungen für Januar bis Mai 2011) um insgesamt 5.650,40 €, so dass der Kläger nur 47.748,70 € zu erstatten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Wegen des im Verhältnis zur Gesamtforderung nur geringfügigen Obsiegens des Klägers ist eine anteilige Belastung des Beklagten mit den außergerichtlichen Kosten nicht gerechtfertigt.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.