Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 31.10.2008, Az.: 1 A 181/07
Kein Sachschadensersatz nach Rückwärtsfahren auf dem Parkplatz bei schlechten Sichtverhältnissen; Sachschadensersatz; Fahrlässigkeit, grobe; Rückwärtsfahren; Sichtverhältnisse, schlechte
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 31.10.2008
- Aktenzeichen
- 1 A 181/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45942
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2008:1031.1A181.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 96 NBG
- § 9 V StVO
Fundstelle
- SVR 2009, 395-396
Tatbestand
Die Klägerin erstrebt den Ersatz von Sachschaden.
Sie parkte am 11. Juni 2005 in einem "abgespannten" Zustand nach einer Jubiläumsfeier in X. mit ihrem Geländewagen Toyota RAV 4 (Erstzulassung Aug. 2001) rückwärts aus und übersah hierbei einen hinter ihr stehenden Kleinwagen. Es kam zu einem Schaden am Fahrzeug der Klägerin, der im Kostenvoranschlag eines Autoservices in C. mit 430, 72 EUR angesetzt wurde.
Die Beklagte lehnte die Erstattung des Sachschadens durch Bescheid vom 10. September 2007 mit der Begründung ab, der Unfall sei von der Klägerin grob fahrlässig verursacht worden. Außerdem habe im Zeitpunkt des Unfalls eine Dienstreisegenehmigung gefehlt.
Zur Begründung ihrer am 8. Oktober 2007 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, sie sei am Tag des Unfalls angehalten worden, Materialien von U. nach X. zu transportieren und deshalb mit dem Geländewagen gefahren. Ihre Tätigkeit in X. habe - abgesehen von der schriftlichen Genehmigung vom 10. Juni 2005 - so dienstlichen Charakter gehabt. Beim Ausparken habe sie wegen der bei Geländewagen eingeschränkten Sicht ein hinter ihr stehendes Fahrzeug "schlicht übersehen", was leicht passieren könne. Wenn sie sich beim Ausparken nicht "hinreichend vergewissert" habe, so begründe das noch keine grobe Fahrlässigkeit.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. September 2007 aufzuheben und ihr Ersatz des beantragten Sachschadens zu gewähren,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihren Antrag neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf ihren angefochtenen Bescheid, dessen Gründe sie erweitert und vertieft.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Erstattung eines Sachschadens steht im Ermessen der Beklagten (§ 96 NBG), das allerdings durch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn und den Sinn und Zweck des Gesetzes, von den aus dienstlichen Gründen erlittenen Vermögensschäden in geeigneten Fällen freizustellen, gesteuert und begrenzt wird.
Hier hat die Beklagte die Erstattung eines Sachschadens aus zutreffenden Gründen abgelehnt: Abgesehen davon, dass hier bislang lediglich ein Kostenvoranschlag vorliegt, ist nach Lage der Dinge mit der Beklagten davon auszugehen, dass die Klägerin grob fahrlässig gehandelt hat:
"Allerdings trifft es zu, dass nach der verkehrsrechtlichen Rechtsprechung ( OLG Frankfurt/Main , Beschl.v. 5.6.1978 - 3 Ws (B) 160/78 OwiG -, DAR 1980, 247; KG, Urt.v. 22.11.1982 - 12 U 1819/82 -, VRS 64, 103; OLG Hamburg, Beschl.v. 12.11.1999 - 2 Ss 147/99 -, DAR 2000, 41) und Literatur (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, RdNr. 51 zu § 9 StVO) die Bestimmung des § 9 Abs. 5 StVO, die einem Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren besonders hohe Sorgfaltspflichten auferlegt, auf Parkplätzen und in Parkhäusern nur in eingeschränktem Maße Anwendung finden soll, weil auf Parkplätzen geringere Geschwindigkeiten gefahren werden und auf diesen Verkehrsflächen in besonderem Maße mit rückwärts ausparkenden Fahrzeugen gerechnet werden muss. Dies entbindet den auf einem Parkplatz rückwärtsfahrenden Fahrzeuglenker aber nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls nicht von besonderen Sorgfaltspflichten in Bezug auf das eigene, von ihm gelenkte Fahrzeug; denn das Rückwärtsfahrmanöver stellt einen atypischen Verkehrsvorgang dar, dem wegen der vom Normalbetrieb abweichenden technischen Handhabung des rückwärts sich fortbewegenden Fahrzeuges eine erhöhte Gefährlichkeit anhaftet (vgl. OLG Hamburg, aaO), auch werden die Sichtverhältnisse in der Regel eingeschränkt sein, was zur Vermeidung von Unfällen ebenfalls durch erhöhte Sorgfaltspflichten oder - im Falle von Sichteinschränkungen, insbesondere beim Vorliegen eines sog. toten Winkels - durch die Inanspruchnahme eines Einweisers (vgl. Burmann, in: Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 16. Aufl. 2000, RdNr. 70 zu § 9) kompensiert werden muss." - Beschl. des Nds. OVG v. 15.12.2004 - 2 LA 943/04 - / ähnlich auch Nds. OVG in DÖD 2006, 160.
Die Klägerin hat solche erhöhten Sorgfaltspflichten hier nicht beachtet. Sie räumt ein, dass die Sichtverhältnisse bei ihrem Geländewagen aufgrund der Bauweise erschwert sind. Daher hatte sie schon aus diesem Grunde andere - höhere - Sorgfaltspflichten zu beachten als andere Fahrzeugführer. Sie gesteht zu, den hinter ihr stehenden Kleinwagen "schlicht übersehen" zu haben, weil sie sich nicht "hinreichend vergewissert hatte" (S. 3 d. Schr.v. 17.12.2007). Aufgrund der ihr bei ihrem Fahrzeug bekannten Erschwernisse hätte sich die Klägerin jedoch vor dem potentiell gefährlichen Rückwärtsfahren durch kurzes Aussteigen vergewissern müssen, dass im Rangierbereich ihres Geländewagens keine Hindernisse wie etwa kleinere Fahrzeuge stehen, was besonders auf Parkplätzen nahe liegt. Das war auch deshalb geboten, weil die Klägerin - wie sie vorträgt - nach der ca. 7-stündigen Veranstaltung "ausgesprochen abgespannt" gewesen ist und auf dem Parkplatz niemand war, der sie hätte herauswinken können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.