Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.03.2014, Az.: L 3 KA 21/12

Rechtmäßigkeit eines Richtgrößenregresses bei der fachärztlichen Verordnung von Arzneimittel

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
05.03.2014
Aktenzeichen
L 3 KA 21/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 27491
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0305.L3KA21.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
Sozialgericht Hannover - 14. September 2011 - AZ: S 65 KA 361/11

Fundstelle

  • PFB 2014, 320

hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2014 in Celle durch den Richter Pilz - Vorsitzender -, die Richterin Dr. Fiedler, den Richter Dr. Blöcher sowie die ehrenamtlichen Richter D. und E.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. September 2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass dieser verurteilt wird, über die Wirtschaftlichkeit der von der Klägerin im Jahr 2003 verordneten Arznei- und Heilmittel unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.952 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Richtgrößenregresses.

Die Klägerin nimmt als Fachärztin für Innere Medizin ohne Teilgebietsbezeichnung an der vertragsärztlichen Versorgung in F. teil. 2003 verordnete sie Arznei-, Verband- und Heilmittel iHv 792.995,12 Euro (brutto) und überschritt damit die fachgruppenbezogene Richtgröße um 92,85 vH.

Im Anschluss setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen gegen die Klägerin einen Richtgrößenregress iHv 145.687,87 Euro fest. Dabei berücksichtigte der Ausschuss Praxisbesonderheiten der Klägerin iHv 92.345,80 Euro und weitere Abzüge iHv 1.385,56 Euro (Bescheid vom 13. November 2007).

Auf den Widerspruch der Klägerin reduzierte der beklagte Beschwerdeausschuss den Richtgrößenregress auf 12.952,23 Euro. Dafür bereinigte er zunächst die Daten der verwandten Einzelverordnungsstatistik iHv 2.072,88 Euro (wegen fehlerhaft enthaltener Hilfsmittelverordnungen und unklarer Datensätze). Ferner stufte er freiwillig versicherte Patienten, die die Altersgrenze von 65 Jahren überschritten hatten und bisher als "Mitglieder" (M) bzw "Familienangehörige" (F) geführt worden waren, als "Rentner" (R) ein; dies führte zu einem zusätzlichen Differenzbetrag zugunsten der Klägerin iHv 4.517,94 Euro. Außerdem erkannte der Beklagte weitere Praxisbesonderheiten der Klägerin iHv 157.383,10 Euro an (nach den Anl 3.1 und 3.2 der Richtgrößenvereinbarung (RGV), 50 vH der Verordnungen für die Versorgung von Patienten mit kardiologischen Erkrankungen eingesetzter Statine bzw antithrombotischer Mittel, weitere zwei Patienten mit besonderem Versorgungsbedarf). Weitere Besonderheiten seien aber nicht ersichtlich (Bescheid vom 9. Juni 2011; berichtigt durch Bescheid vom 13. Juli 2011).

Die Klägerin hat am 16. Juni 2011 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Die Richtgrößenprüfung sei in mehrfacher Hinsicht formell rechtswidrig (treuwidrig späte Einleitung des Prüfverfahrens, zu späte Veröffentlichung der Richtgrößen für 2003, falsche Ermittlung der Richtgröße für 2003, Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs). Zudem seien die der Richtgrößenprüfung zugrunde gelegten Verordnungsdaten in hohem Maße fehlerhaft, da weitere Datenmängel, Einmalzahlungen der Pharmaindustrie, Retaxierungen und Patientenzuzahlungen nicht gesondert berücksichtigt worden seien. Zudem sei der Klägerin der Abschluss einer regressablösenden Individualvereinbarung vorenthalten worden. Ferner habe der Beklagte die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten intransparent gehandhabt und im Verwaltungsverfahren durch fortlaufende Listen vorgetragene Praxisbesonderheiten nur unzureichend berücksichtigt.

Das SG hat mit Urteil vom 14. September 2011 den Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2011 (unter Benennung des Beschlussdatums) aufgehoben. Zu Unrecht habe der Beklagte in dem Bescheid die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Praxisbesonderheiten der Anl 3 der RGV unberücksichtigt gelassen. Die teilweise unvollständigen Angaben der Klägerin hierzu hätte der Beklagte von Amts wegen nach § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufklären müssen. Im Übrigen sei der Bescheid des Beklagten zwar mangels einer ausreichenden Begründung iSv § 35 SGB X formell rechtswidrig; allerdings sei die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt. So habe der Beklagte nicht ausreichend iSv § 35 SGB X dargelegt, weshalb er die von der Klägerin geltend gemachten Praxisbesonderheiten teilweise anerkannt und teilweise nicht anerkannt habe. Der Formmangel sei aber nach § 42 SGB X unbeachtlich, weil eine für die Klägerin günstigere Entscheidung ausgeschlossen sei. Auch die Kammer habe nämlich nicht erkennen können, dass der Beklagte zur Festsetzung eines geringeren Regresses verpflichtet sein könnte.

Gegen dieses Urteil (zugestellt am 30. Januar 2012) wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung vom 22. Februar 2012 und macht im Wesentlichen geltend, das SG gehe hinsichtlich der unvollständigen Angaben der Klägerin zu ihren Praxisbesonderheiten nach Anl 3 der RGV zu Unrecht von einer Aufklärungsverpflichtung des Ausschusses aus. Im Übrigen habe der Ausschuss die von der Klägerin geltend gemachten Praxisbesonderheiten nahezu vollständig anerkannt; soweit eine Anerkennung nicht erfolgt sei, beruhe dies darauf, dass die Angaben der Klägerin hierzu unsubstantiiert gewesen seien.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. September 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die übrigen Beteiligten stellen keinen Antrag.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat den Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2011 wegen der fehlenden bzw unzureichenden Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten zu Recht aufgehoben.

1.

Gegenstand des Verfahrens ist - entsprechend der stRspr des Bundessozialgerichts (BSG) zu Prüfungsverfahren im Bereich der Wirtschaftlichkeit (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 35 und 39) - allein der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom 9. Juni 2011. Die hiergegen gerichtete Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Der Senat schließt sich allerdings nicht der Auffassung des SG an, wonach in Verfahren, die die Rechtmäßigkeit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zum Gegenstand haben, das Anfechtungsbegehren eines Arztes dem Erlass eines Neubescheidungsurteils iSv § 131 Abs 3 SGG entgegenstehen soll. Zwar ist im sozialgerichtlichen Verfahren dem Grunde nach der Ausspruch einer Neubescheidungsverpflichtung nur möglich, wenn der Kläger die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts begehrt (und nicht, wenn er einen belastenden Verwaltungsakt anficht; vgl hierzu die Regelungen in § 131 Abs 1 bis 3 SGG). Von dieser prozessrechtlichen Grundkonzeption des SGG muss hier aber vor dem Hintergrund abgewichen werden, dass dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus den §§ 2 Abs 1, 12 SGB V und mit ihm dem Rechtsinstitut der Wirtschaftlichkeitsprüfung ein hoher Stellenwert für die Aufrechterhaltung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zukommt. Entsprechend betont das BSG in mittlerweile stRspr, dass es der Zielsetzung des Gebots entspricht, dass das Abrechnungs- und Verordnungsverhalten aller Vertragsärzte zu jeder Zeit einer effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegen muss (vgl hierzu ua BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 55; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 51; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53; BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 32; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17). Die inhaltlich und zeitlich umfassende Verpflichtung der Prüfgremien zur Durchführung effektiver Wirtschaftlichkeitsprüfungen bezieht sich daher auch auf solche Verfahren, in denen der Prüfbescheid nach der Erhebung einer Anfechtungsklage durch den davon betroffenen Vertragsarzt von einem Sozialgericht aufgehoben worden ist. Die Auffassung des SG im Urteil vom 14. September 2011, der Beklagte könne nach Aufhebung seines Bescheids uU auch von einer neuen Entscheidung absehen, trifft deshalb gerade nicht zu. Damit ist in solchen Fällen der Ausspruch einer Neubescheidungsverpflichtung letztlich nur der Ausdruck der materiellen Rechtslage im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Aber auch das an die Rechtsschutzgarantie aus Art 19 Abs 4 GG anknüpfende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes macht es erforderlich, in sozialgerichtlichen Verfahren, in denen der Prüfbescheid einer Wirtschaftlichkeitsprüfung angefochten wird, die Verwaltungsentscheidung ggf nicht nur aufzuheben, sondern darüber hinaus noch eine Neubescheidungsverpflichtung für die Prüfgremien auszusprechen. Denn es kann nicht als "effektiv" in diesem Sinne angesehen werden, wenn die Verfahrensbeteiligten im Anschluss an eine uU mehrere Jahre andauernde sozialgerichtliche Auseinandersetzung darüber, ob die aus einer Wirtschaftlichkeitsprüfung resultierende Honorarkürzung rechtmäßig ist oder nicht, weiterhin im Unklaren darüber gelassen werden, welche Vorgaben im konkreten Einzelfall für die trotz der Gerichtsentscheidung anhaltende Verpflichtung der Prüfgremien zur Überprüfung des Abrechnungs- und Verordnungsverhaltens bestehen. Daher ist es in solchen Fällen auch prozessrechtlich geboten, über den Erlass einer Neubescheidungsverpflichtung den rechtlichen Rahmen für eine rechtmäßige Wirtschaftlichkeitsprüfung des betroffenen Arztes bindend festzulegen.

Der Senat folgt damit der stRspr des BSG, das den Erlass von Bescheidungsurteilen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit unterschiedlicher Begründung für geboten hält (SozR 2200 § 368n Nr 27; SozR 4-1500 § 141 Nr 1, jeweils mwN).

2.

Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben ist die Anfechtungsklage der Klägerin iS der Verurteilung des Beklagten zu einer Neubescheidung begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage der Richtgrößenprüfung ist die Regelung in § 106 Abs 2 S 1 Nr 1, Abs 5a SGB V (hier anzuwenden idF des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes vom 19. Dezember 2001 (ABAG), BGBl I 3773). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung ua durch eine arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei der Überschreitung fachgruppenbezogener Richtgrößen gemäß § 84 SGB V (ebenfalls anzuwenden idF des ABAG) geprüft. Eine Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 15 vH löst gemäß § 106 Abs 5a S 1 SGB V regelmäßig eine derartige Wirtschaftlichkeitsprüfung aus.

Den sich hieraus ergebenden Maßgaben wird der Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2011 nicht in vollem Umfang gerecht. Zwar greifen die im Klageverfahren geltend gemachten Einwendungen der Klägerin gegenüber der Richtgrößenprüfung 2003 größtenteils nicht durch (dazu 3.). Allerdings hat der Beklagte bei der Prüfung von der Klägerin geltend gemachte Praxisbesonderheiten (Heilmittelverordnungen nach Anl 3 der RGV 2003; kardiologischer Behandlungsschwerpunkt) nicht bzw nur unzureichend berücksichtigt (dazu 4.). Bereits aus diesem Grund muss der streitbefangene Bescheid aufgehoben und der beklagte Beschwerdeausschusses verurteilt werden, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

3.

Im Wesentlichen ist die streitbefangene Richtgrößenprüfung aber nicht zu beanstanden.

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen dem Prüfungsverfahren für 2003 wirksame Richtgrößen zugrunde.

Für 2003 haben die Beigeladene zu 1. und die Landesverbände der Krankenkassen (KKen) die RGV vom 13. November 2003 abgeschlossen, die rückwirkend zum 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist (§ 14 Abs 1 RGV 2003). Die verspätete Vereinbarung und Veröffentlichung (im Nds Ärzteblatt (NdsÄBl) 2004, Heft 3, S 73) der RGV 2003 steht deren Anwendbarkeit nicht entgegen, auch wenn die Richtgrößen nach § 84 Abs 6 S 2 SGB V die Vertragsärzte bei ihren Entscheidungen über die Verordnungen von Arznei- und Verbandmitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot leiten sollen und sich aus dieser Steuerungsfunktion die Notwendigkeit ergibt, Richtgrößen bereits vor Jahresbeginn zu vereinbaren (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11). Denn nach der Rechtsprechung des BSG (aaO) ist die rückwirkende Inkraftsetzung von Richtgrößen nur insoweit rechtswidrig, als die neuen Richtgrößen die Rechtsposition der Vertragsärzte verschlechtern. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil die Richtgrößen für 2003 höher sind als die für das Vorjahr vereinbarten. So sind für die hier maßgebliche Fachgruppe der fachärztlichen Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung Richtgrößen für die Gruppe der Mitglieder/Familienangehörige (M/F) iHv 47,95 Euro und für die Gruppe der Rentner (R) iHv 96,53 Euro - jeweils pro Behandlungsfall - vereinbart (gemäß der Änderungsvereinbarung zur RGV 2003 im NdsÄBl 2007, Heft 5, S 72), für 2002 dagegen nur solche über 47,65 Euro bzw 92,01 Euro (vgl hierzu die Anl 1 der RGV 2002, NdsÄBl 2002, Heft 7, S 90).

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die streitbefangene Richtgrößenprüfung auch auf der Grundlage verlässlicher elektronischer Daten durchgeführt worden.

Nach der stRspr des BSG (SozR 4-2500 § 106 Nr 11; SozR 4-2500 § 84 Nr 2) sind Richtgrößenprüfungen auf der Grundlage gemäß § 296 Abs 3 SGB V von den Krankenkassen elektronisch übermittelter Daten über die vom jeweiligen Vertragsarzt veranlassten Verordnungskosten durchzuführen. Den auf dieser Weise für den einzelnen Vertragsarzt erfassten Verordnungsdaten kommt die Vermutung der Richtigkeit zu; sie begründen den Anscheinsbeweis für das Volumen der von ihm veranlassten Verordnungskosten. Sind in den elektronisch erfassten detaillierten Verordnungslisten offensichtliche Fehler erkennbar oder bringt der geprüfte Arzt anhand eigener Behandlungsunterlagen substantiierte Einwendungen vor, die berechtigte Zweifel an der Richtigkeit einzelner zu seinen Lasten gebuchter Verordnungen begründen, müssen die Prüfgremien dem weiter nachgehen. Sie müssen zudem von Verordnungen, die von begründeten Zweifeln betroffen sind, die Verordnungsblätter bzw Images von den Krankenkassen beiziehen und auf diese Weise ggf festgestellte Fehlbuchungen bereinigen; können einzelne Verordnungsblätter von den Krankenkassen nicht mehr vorgelegt werden, sind nur die hiervon betroffenen Verordnungsbeträge nicht erwiesen und deshalb in Abzug zu bringen. Stellt sich im Rahmen der Einzelüberprüfung der Verordnungslisten allerdings heraus, dass die für den Arzt gemeldeten Verordnungskosten in erheblichem Umfang - dh: wenigstens 5 vH - fehlerhaft sind, ist dem Anscheinsbeweis insgesamt zutreffend elektronisch erfasster Verordnungskosten die Grundlage entzogen. In diesem Fall müssen die vom Arzt tatsächlich veranlassten Verordnungskosten durch individuelle Auswertungen sämtlicher noch vorhandener Verordnungsblätter bzw Images ermittelt werden. Gelingt dies nicht, haben die Prüfgremien einen angemessenen Sicherheitsabschlag von der Regresssumme vorzunehmen (vgl zu alledem: BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11).

Vorliegend hat der Beklagte im Rahmen seiner Vorab-Prüfung (§ 106 Abs 5a S 1 SGB V) die bereits vom Prüfungsausschuss (als "weitere Abzüge") herausgerechneten Datensätze iHv 1.385,56 Euro bestätigt und anschließend bei seiner eigenen Bescheidung weitere Datenfehler iHv insgesamt 687,32 Euro anerkannt. Wenn der Ausschuss insoweit keine Nachprüfung anhand beigezogener Verordnungsblätter durchgeführt, sondern stattdessen nur den Gesamtbetrag in Abzug gebracht hat, entspricht dies zwar nicht der vorangestellt dargelegten Vorgehensweise; die Klägerin wird hierdurch jedoch nicht beschwert. Ein Datenvolumen von mindestens 5 vH, das zur obligatorischen Prüfung der Originalunterlagen geführt hätte, wird angesichts der hier maßgeblichen Basis-Bruttoverordnungskosten von 792.995,12 Euro deutlich unterschritten; dies gilt auch, wenn man die bereits im Rahmen der Vorab-Prüfung vor dem Prüfungsausschuss berücksichtigten 7.967,88 Euro einbezieht (Anteil: 1,26 vH).

Im Übrigen löst die lediglich pauschale Behauptung eines Verfahrensbeteiligten, das Verordnungsvolumen sei nicht ordnungsgemäß erfasst worden, keine Verpflichtung zur weiteren Beweiserhebung bzw zur Vorlage versichertenbezogener Verordnungsblätter aus (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11 Rn 31). Aus diesem Grund sind auch die im Klageverfahren von der Klägerin aufgegriffenen Hinweise der Beigeladenen zu 1., zwischen der ersten und der zweiten Datenlieferung über das Brutto-Verordnungsvolumen bestünden erhebliche Abweichungen, nicht relevant. Dies gilt umso mehr, als die Rüge fehlerhafter Daten im Klageverfahren verspätet ist, weil entsprechender Vortrag im Verfahren vor den Prüfgremien erfolgen muss (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19; SozR 4-2500 § 106 Nr 23). Daher kann die Klägerin auch nicht mit ihrem erstmals im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens vorgebrachten Einwand gehört werden, die Verordnungen seien vermehrt auf den Monatsanfang bzw das Monatsende oder einen fiktiven Termin datiert worden bzw wiesen zum Teil nicht den Handelsnamen der Arzneimittel oder den Namen der Versicherten auf.

c) Soweit die Klägerin schließlich schon im Verwaltungsverfahren eingefordert hat, eine Vereinbarung über eine individuelle Richtgröße abzuschließen, bleibt dies vorliegend ohne Folgen.

Die gesetzliche Regelung hierzu (§ 106 Abs 5d S 1 SGB V) ist erst mit Wirkung zum 1. Januar 2004 durch das GMG in Kraft getreten. Da die Vorschrift eine unmittelbare materiell-rechtliche Wirkung entfaltet (nämlich, dass ein zu erstattender Mehraufwand im Falle der Vereinbarung einer individuellen Richtgröße nicht festgesetzt wird), gilt die Vorschrift nach den Maßgaben des intertemporalen Rechts frühestens für die Richtgrößenprüfung des Jahres 2004 (vgl zur Geltung geänderter materiell-rechtlicher Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung für den Zeitraum nach dem Inkrafttreten einer Norm BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18).

4.

Allerdings hat der Beklagte bei der streitbefangenen Richtgrößenprüfung einen Teil der von der Klägerin geltend gemachten Praxisbesonderheiten nur unzureichend berücksichtigt.

a) Dies betrifft zum einen ausgestellte Heilmittelverordnungen nach Anl 3 der RGV 2003; hierzu sind die Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren zwar unvollständig gewesen (insbesondere hat eine patientenbezogene Zuordnung der Verordnungen gefehlt), insoweit hätte der Beklagte den Sachverhalt allerdings von Amts wegen aufklären müssen.

aa) Bei einer Richtgrößenprüfung nach § 106 Abs 5a S 4 SGB V kommt die Erstattung eines Verordnungsmehraufwands nicht in Betracht, wenn der Mehraufwand durch Praxisbesonderheiten des Arztes begründet ist. Ebenso wie bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach (statistischen) Durchschnittswerten besteht auch bei der Richtgrößenprüfung ein Beurteilungsspielraum der Prüfgremien, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11; SozR 4-2500 § 84 Nr 2). Dabei ist nach der überzeugenden Rechtsprechung des BSG (vgl zum Folgenden BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2) der Begriff der Praxisbesonderheit in beiden Prüfverfahren gleich zu verstehen. Für eine unterschiedliche Beurteilung finden sich weder Anhaltspunkte im Gesetz noch ergeben sich solche aus der Art der Prüfmethode. Zwar ist für die Richtgrößenprüfung nicht das statistische Verhalten der Vergleichsgruppe maßgeblich, das arztbezogen festgelegte Richtgrößenvolumen basiert jedoch ebenfalls auf einem Durchschnittswert.

Praxisbesonderheiten sind demnach auch bei einer Richtgrößenprüfung anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des jeweiligen Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10; SozR 4-2500 § 84 Nr 2; Urteil vom 5. Juni 2013 - B 6 KA 40/12 R - [...]). Dabei obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände der Praxisbesonderheiten und kompensierenden Einsparungen regelmäßig dem Arzt (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19; Urteil vom 5. Juni 2013, aaO, mwN). Er ist grundsätzlich gehalten, im Prüfungsverfahren die Umstände geltend zu machen, die sich aus der Atypik seiner Praxis ergeben, aus seiner Sicht auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne Weiteres anhand der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5. Juni 2013, aaO). Der diesbezügliche Vortrag muss substantiiert sein, dh so genau wie möglich (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5. Juni 2013, aaO) und plausibel (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19).

Die - wie dargelegt - gesteigerte Mitwirkungspflicht im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen befreit die Prüfgremien aber nicht von ihrer Verpflichtung, den zugrunde liegenden Sachverhalt ggf von Amts wegen (§ 20 SGB X) aufzuklären. Nach der stRspr des BSG betrifft dies beispielsweise Fälle, in denen die vom Arzt geltend gemachten Praxisbesonderheiten offenkundig sind (vgl hierzu Clemens in: [...]PK SGB V, 2. Aufl 2012, § 106 Rn 151 mwN). Ferner sind Prüfverfahren betroffen, in denen Anlass zu der Annahme besteht, dass der Arzt seinen bisherigen Vortrag ergänzen kann. Dann müssen die Prüfgremien ihm hierzu auch Gelegenheit geben und uU sogar auf die Möglichkeit der Zurückweisung verspäteten Vorbringens hinweisen (Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Mai 2014, § 106 Rn 547 mwN).

bb) Diesen Maßgaben ist der Beklagte in Bezug auf die Heilmittelverordnungen der Klägerin nach der Anlage 3 der RGV 2003 nicht ausreichend nachgekommen.

Bei dieser Bewertung hat der Senat berücksichtigt, dass bei den in der Anl 3 zur RGV 2003 aufgeführten Arznei- und Heilmittel eine deutlich geringere Mitwirkungspflicht für den verordnenden Arztes besteht. Rechtssystematisch ergibt sich das daraus, dass die Verordnungen bereits dann als Praxisbesonderheiten von den Prüfgremien anzuerkennen sind, wenn der Arzt diese "auf dem ( ) zur Verfügung gestellten Formular ( ) unter Angabe des Patienten und der Krankenkasse" bezeichnet (vgl hierzu die Erläuterungen zur Anl 3 der RGV 2003). Damit haben die Vertragspartner der RGV 2003 den zu prüfenden Arzt - zumindest hinsichtlich der in der Anl 3 aufgeführten Arznei- und Heilmittelverordnungen - von der vorangestellt dargelegten Verpflichtung, die besonderen und einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigenden (atypischen) Umstände seiner Praxis gesondert vorzutragen, fast vollständig entbunden.

Unter Berücksichtigung dessen hat es aber auf der Hand gelegen, dass die von der Klägerin im Schreiben vom 31. Juli 2007 angegebenen Verordnungen als eine nach der Anl 3 zur RGV 2003 anzuerkennende Praxisbesonderheit zu berücksichtigen sind. Zwar hat die Klägerin es versäumt, in dem Schreiben neben den Heilmittelverordnungen auch die dazugehörigen Patientennamen anzugeben. Dies hätte aber ohne weiteres nachgeholt werden können. Stattdessen hat der Beklagte weder die noch fehlenden Angaben zu den Heilmittelverordnungen bei der Klägerin erfragt noch auf den Umstand hingewiesen, dass eine Vervollständigung der Angaben nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens präkludiert sein könnte. Daher ist mit dem SG davon auszugehen, dass es der Beschwerdeausschuss insoweit verfahrensfehlerhaft versäumt hat, den der Richtgrößenprüfung zugrunde liegenden Sachverhalt vollständig aufzuklären. Dieser Verfahrensfehler ist auch beachtlich iSv § 42 SGB X, weil er dazu geführt hat, dass im Prüfverfahren eine zugunsten der Klägerin zu berücksichtigende Praxisbesonderheit nicht anerkannt worden ist und damit die Entscheidung des Beklagten in der Sache beeinflusst hat.

b) Zum anderen hat der Beklagte die von ihm bereits anerkannte Praxisbesonderheit der Klägerin (kardiologischer Behandlungsschwerpunkt) nur unzureichend berücksichtigt.

aa) Soweit der Beschwerdeausschuss - wie hier - einen Behandlungsschwerpunkt des zu prüfenden Arztes ohne Anfechtung durch die Beigeladenen als Praxisbesonderheit anerkennt, kann in einem sich daran anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren wegen der Bindung des Gerichts an diese Teilentscheidung dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit überhaupt vorgelegen haben. Daran bestehen hinsichtlich der hier anerkannten Praxisbesonderheit (kardiologischer Behandlungsschwerpunkt) zwar erhebliche Zweifel, weil die für Internisten mit der Teilgebietsbezeichnung Kardiologie vereinbarten Richtgrößen deutlich unter denen für Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung liegen; dennoch muss der Beklagte im nächsten Prüfungsschritt den durch die anerkannte Praxisbesonderheit gerechtfertigten Verordnungsumfang quantifizieren, um zu klären, ob unter Berücksichtigung aller Praxisbesonderheiten überhaupt noch eine Überschreitung des jeweiligen Richtgrößenvolumens von 25 vH vorliegt (§ 106 Abs 5a SGB V) bzw wie hoch ggf der dann noch festzusetzende Regressbetrag ist. Wenn eine genaue Bestimmung des auf die anerkannte Praxisbesonderheit entfallenden Verordnungsumfangs nicht möglich ist, haben ihn die Prüfgremien zu schätzen (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 6), wobei ihnen als fachkundig besetzte Gremien ein Beurteilungsspielraum zukommt (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11). Dabei beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle von Beurteilungsspielräumen auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (stRspr; vgl hierzu ua BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 25 mwN).

bb) Vorliegend hat der Beklagte den kardiologischen Behandlungsschwerpunkt der Klägerin nur teilweise als Praxisbesonderheit anerkannt und den darauf entfallenden Verordnungsmehraufwand mit 50 vH des Verordnungsvolumens eingeschätzt, das auf die von der Klägerin eingesetzten Statine sowie antithrombotischen Mittel entfällt. Zur Begründung der nur anteiligen Anerkennung hat der Ausschuss angeführt, die Behandlung von Patienten mit kardiologischen Erkrankungen stelle grundsätzlich keine Besonderheit in der Facharztgruppe der Klägerin dar. Diese Begründung hat der Senat bislang noch als ausreichend angesehen (vgl hierzu den Senatsbeschluss vom 21. Februar 2011 - L 3 KA 100/10 B ER). Wie jedoch der vorliegende Fall und zusätzlich dem Senat bekannt gewordene Parallelverfahren zeigen, setzt der Beklagte diese Begründung mittlerweile undifferenziert in einer Vielzahl von Richtgrößenprüfungen ein - und zwar unabhängig von der Facharztgruppe, der der zu prüfende Arzt angehört, sowie der von ihm jeweils geltend gemachten Praxisbesonderheiten. Bereits aus diesem Grund sind die entsprechenden Bescheide des Beklagten rechtswidrig. Mit dieser "Pauschalierung" kommt der Ausschuss seiner im gestuften Prüfungsverfahren der Richtgrößenprüfung bestehenden Verpflichtung zu einer auf ggf amtsermittelten Tatsachen basierenden einzelfallbezogenen Schätzung des unter Berücksichtigung der anerkannten Praxisbesonderheiten noch verbleibenden Verordnungsmehraufwands nicht mehr nach. Denn es ist ihm auch im Rahmen des den Prüfgremien zustehenden Beurteilungsspielraums nicht gestattet, eine sachgerechte Aufbereitung des Sach- und Streitstands und eine konkrete Tatsachenermittlung durch allgemeine Erwägungen zu ersetzen (vgl hierzu BSGE 55, 110 ff [BSG 18.05.1983 - 6 RKa 18/80]; BSG SozR 2200 § 368n Nr 31).

Aus Sicht des Senats verdeutlicht der vorliegende Fall sogar, dass der Beklagte bei der Quantifizierung von ihm anerkannter Praxisbesonderheiten keine auf Tatsachenermittlungen basierende, einzelfallbezogene Schätzung mehr vornimmt. So hat der Ausschuss bereits bei der Richtgrößenprüfung der Klägerin für 2001 einen kardiologischen Behandlungsschwerpunkt als Praxisbesonderheit anerkannt und anschließend ohne weitere Sachverhaltsermittlungen alle in diesem Zusammenhang verordneten Arzneimittel herausgerechnet. Demgegenüber hat er bei der Richtgrößenprüfung 2002 ohne Angabe einer nachvollziehbaren Begründung nur die Hälfte der "typischerweise" eingesetzten Statine sowie der antithrombotischen Arzneimittel "Plavix" und "Iscover" als Praxisbesonderheit berücksichtigt. Schließlich hat der Ausschuss bei der hier streitbefangenen Richtgrößenprüfung die Hälfte aller verordneten antithrombotischen Arzneimittel und eingesetzten Statine als Praxisbesonderheit angesehen, ohne in einem der drei Prüfungsverfahren ermittelt oder dargelegt zu haben, ob und ggf in welchem Umfang der von der Klägerin geltend gemachte Behandlungsschwerpunkt von dem abweicht, was vergleichbare internistische Facharztpraxen ohne Teilgebietsbezeichnung kardiologisch verordnen. Deutlich wird hieran, dass der Beklagte zwar Praxisbesonderheiten dem Grunde nach anerkennt, deren Auswirkungen auf den festgestellten Verordnungsmehraufwand aber ohne gesicherte Tatsachengrundlage iSv § 20 SGB X festlegt. Dies erklärt auch, weshalb hier in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren dieselbe Praxisbesonderheit eines Arztes ohne erkennbaren Grund unterschiedlich quantifiziert worden ist.

cc) Die pauschalierte Vorgehensweise des Beklagten bei der Quantifizierung der von ihm anerkannten Praxisbesonderheiten kann - entgegen der Auffassung des SG - auch nicht als ein unbeachtlicher Verfahrensfehler iSv § 42 SGB X angesehen werden. Hiervon könnte nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur ausgegangen werden, wenn es iS der Verfahrensvorschrift offensichtlich wäre, dass die auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage vorgenommene Quantifizierung des Ausschusses dessen Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte. Wann genau bei dem den Prüfgremien zustehenden Beurteilungsspielraum von einer Offensichtlichkeit in diesem Sinne auszugehen ist, kann hier aber wegen der fehlenden Tatsachenermittlungen des Beklagten dahingestellt bleiben. Die eher willkürlich anmutende und - wie dargelegt - pauschalierte Verwaltungspraxis des Ausschusses bei der Quantifizierung von Praxisbesonderheiten lässt keinen sicheren Rückschluss auf deren tatsächliche Auswirkungen auf den Verordnungsmehraufwand eines Arztes zu. Insoweit liegt es hier auf der Hand, dass die Vorgehensweise des Beklagten seine Entscheidung in der Sache - nämlich hinsichtlich der Höhe des Richtgrößenregresses gegenüber der Klägerin - beeinflusst hat.

c) Im Übrigen aber teilt der Senat die Auffassung des SG, dass wegen des unsubstantiierten Vortrags der Klägerin im Verwaltungsverfahren über die bisher anerkannten Praxisbesonderheiten hinaus keine weiteren zu berücksichtigen sind.

5.

Nach alledem ist der Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2011 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Ausschuss ist daher verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Im Rahmen der Neubescheidung wird der Ausschuss zunächst die ihm im Zusammenhang mit der Quantifizierung anzuerkennender bzw bereits anerkannter Praxisbesonderheiten nach § 20 SGB X obliegenden Sachverhaltsermittlungen nachholen müssen. Zu klären ist zum einen, welche Heilmittel die Klägerin in dem hier maßgeblichen Zeitraum nach der Anl 3 der RGV 2003 verordnet hat. Ferner ist zu klären, wie hoch der Anteil kardiologischer Behandlungen in der Vergleichsgruppe der Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung ist; anschließend ist der ermittelte Wert mit dem entsprechenden Patientenanteil in der Praxis der Klägerin zu vergleichen und darauf basierend die anerkannte Praxisbesonderheit in der Weise zu quantifizieren, dass der durch sie verursachte Mehraufwand in Form der kostenerhöhenden Auswirkungen bestimmt wird (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nrn 23, 41, 43 und 54).

Nachdem der Ausschuss den auf diese Praxisbesonderheiten entfallenden Mehraufwand ermittelt und - ggf unter Berücksichtigung des Verböserungsverbots - quantifiziert hat, wird er sein Ergebnis mit ausreichend nachvollziehbaren Erwägungen darlegen und ergänzend prüfen müssen, ob und in welchem Umfang noch ein von der Klägerin zu erstattender Verordnungsmehraufwand verbleibt.

6.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs 1 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf der Anwendung des § 197a Abs 1 S 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).