Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 19.03.2014, Az.: L 13 AS 45/14 B
Prozesskostenhilfe; Fehlende hinreichende Erfolgsaussicht; Unzuständigkeit der Sozialgerichte für Schadensersatzklagen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 19.03.2014
- Aktenzeichen
- L 13 AS 45/14 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 14850
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0319.L13AS45.14B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 04.02.2014 - AZ: S 48 AS 1085/13
Rechtsgrundlagen
- § 73a SGG
- § 114 ZPO
- § 44 SGB X
- § 14 SGB I
- Art. 34 GG
- § 839 BGB
Redaktioneller Leitsatz
1. Für eine als "Schadensersatz" wegen verzögerter Sachbearbeitung und zu Unrecht erfolgter Leistungsverweigerung begehrte Geldzahlung sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zuständig.
2. Die Benennung von Anspruchsgrundlagen wie § 44 SGB X bzw. den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch rechtsanalog § 14 SGB I ändert nichts daran, das allenfalls staatshaftungsrechtliche Normen gem. Art. 34 GG, § 839 BGB in Frage kämen.
3. Dafür wiederum ist zwingend der Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit vorgeschrieben.
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 4. Februar 2014 (Prozesskostenhilfe) wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem Senat wird abgelehnt.
Gründe
Die gem. §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwecks Durchführung des Verfahrens mit dem Az. S 48 AS 1085/13 mit einer - in Bezug auf die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs - zutreffenden Begründung abgelehnt, auf die der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen verweist (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Die Sozialgerichtsbarkeit ist für den geltend gemachten Anspruch nicht zuständig.
1. Den geltend gemachten Anspruch hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits im Ausgangspunkt, im an den Antragsgegner gerichteten Schreiben vom 9. Juli 2012, ausdrücklich als "Schadensersatz" wegen verzögerter Sachbearbeitung und zu Unrecht erfolgter Leistungsverweigerung deklariert. Er hat entsprechend Zahlung in Geld gefordert und hat dies mit Schreiben vom 26. Juli 2012 bekräftigt. Noch im Widerspruchsschreiben vom 17. September 2012 hat der rechtskundig vertretene Kläger darauf bestanden, er habe Schadensersatzansprüche geltend gemacht und keinen "Leistungsantrag" gestellt. Ein solcher rückwirkender Leistungsantrag für Zeiträume aus 2009 wäre nach § 44 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB), Zehntes Buch (X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB), Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - auch verspätet gewesen, was dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt gewesen sein dürfte, der seinen Antrag folglich auch nicht in dieser Weise ausgelegt wissen wollte. Dieser auf Schadensersatz gerichtete Anspruch bzw. Antrag war Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2013.
In seinem klagebegründenden Schriftsatz vom 11. Oktober 2013 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Freihaltung des Klägers von seitens der G. ihm gegenüber geltend gemachten Säumniszuschlägen beantragt und dies erneut auf das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gestützt. Diesen Klageantrag hat er am 18. Dezember 2013 in Geld beziffert.
Nach weiteren Ausführungen zu der Frage, ob eine Klageänderung vorliegt - was, wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Schriftsatz vom 22. Januar 2014 wohl zutreffend ausführt, nicht der Fall sein dürfte - hat er sich mit Schriftsatz vom 4. Februar 2014 zur weiteren rechtlichen Begründung erstmals auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen, in der Beschwerdebegründung vom 13. Februar 2014 schließlich auch darauf, der ursprüngliche Antrag des Klägers sei auch als Antrag nach § 44 SGB X zu werten, wobei er sich auf den angefochtenen Beschluss des SG Oldenburg vom 4. Februar 2014 bezieht.
2. Die Klage bietet keine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausreichende (s. dazu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 73a Rdn. 7 m. w. Nachw.) gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit (vgl. § 73a SGG i. V. mit § 114 Zivilprozessordnung -ZPO-). Die Sozialgerichtsbarkeit ist für den geltend gemachten Anspruch, wie das SG Oldenburg zutreffend ausgeführt hat, unzuständig.
a) Der Kläger begehrt eine sozialrechtlich nicht vorgesehene Rechtsfolge (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2000 - B 12 KR 10/99 R -, juris Rdn. 17). Für eine auf Schadensersatz gerichtete Klage, auch wenn sie als Folgenbeseitigung bezeichnet wird, ist die Sozialgerichtsbarkeit nicht zuständig (BSG, Beschluss vom 22. November 2012 - B 3 P 2/12 B - juris Rdn. 15, 17, m. w. Nachw.; Beschluss vom 11. August 1994 - 3 BS 1/93 - juris Rdn. 14).
b) Die nachträgliche Leistungsgewährung im Wege eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X ist - wie dargelegt - einerseits nicht beantragt, andererseits wäre sie auf die Nachgewährung von Grundsicherungsleistungen und nicht auf die Freihaltung von Ansprüchen Dritter gerichtet, was der Kläger indes nicht geltend gemacht hat. Sie ist entgegen der Darstellungen des SG demnach nicht Streitgegenstand des Verfahrens, und auch wenn sie es wäre, bestünde ein abweichender Streitgegenstand als derjenige einer Freihaltung von Ansprüchen Dritter bzw. einer Zahlung von Schadensersatz. Es handelt sich folglich nicht - wie der Kläger meint - lediglich um eine abweichende rechtliche Begründung. Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass eine solche Antragstellung wegen Zeitablaufs nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II auch aussichtslos wäre, so dass auch aus diesem selbständig tragenden Grund die Klage keine Aussicht auf Erfolg bietet.
c) Die geltend gemachte Rechtsfolge hat auch keinen Anknüpfungspunkt im sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist ein vom BSG entwickeltes Rechtsinstitut, das an die Verletzung behördlicher Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten im Sozialrechtsverhältnis anknüpft. Der Anspruch soll als Institut des Verwaltungsrechts eine Lücke im Schadensersatzrecht schließen (BSG, Urteil vom 27. Januar 2000 - aaO. -, juris Rdn. 16, m. w. Nachw.) Er ist dementsprechend niemals auf die Gewährung von Schadensersatz im Sinne einer Kompensationsleistung in Geld, sondern auf Naturalrestitution gerichtet, also auf Vornahme einer Handlung zur Herstellung einer sozialrechtlichen Position im Sinne desjenigen Zustandes, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Die begehrte Amtshandlung muss hierbei ihrer Art nach zulässig sein, wobei nicht alle Voraussetzungen gesetzlich geregelter Amtshandlungen vorzuliegen brauchen; anderenfalls bedürfte es des Herstellungsanspruchs nicht. Ein Schadensersatzanspruch kann indes keine Rechtsfolge des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sein (BSG, Urteil vom 19. Juni 2012 - B 4 AS 142/11 R - juris Rdn. 19; Urteil vom 20. Oktober 2010 - B 13 R 15/10 R - juris Rdn. 40, m. w. Nachw.).
d) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 7. März 2014 auf das Urteil des BSG vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 29/10 R -, denn Streitgegenstand jener Entscheidung war ausdrücklich die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für einen konkreten Zeitraum - dort zwischen Ablauf des vorausgegangenen Bewilligungszeitraums und (verspäteter) Antragstellung - und nicht ein Schadensersatz-, Freihaltungs- oder Folgenbeseitigungsanspruch (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - aaO. - juris Rdn. 1). Seine Auseinandersetzung im gleichen Schriftsatz mit dem Beschluss vom 11. August 1994 - 3 BS 1/93 - ist zwar inhaltlich bis auf einen wesentlichen Punkt im Kern zutreffend, betrifft jedoch nicht den hier zu entscheidenden Fall; der wesentliche Aspekt, in dem die Auseinandersetzung mit dem Beschluss des BSG nicht zutreffend ist, betrifft das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers, das BSG habe dort "allein" die vorliegend nicht zur Entscheidung stehende Frage mehrerer selbständiger und nebeneinander geltend gemachter Klageanträge beurteilt. Dies trifft deswegen nicht zu, weil das BSG dort in deutlicher Klarheit zu verstehen gegeben hat, eine Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für Ansprüche auf Schadensersatz sei nicht begründet (BSG, aaO., Rdn. 14). Hierauf hatte sich der Hinweis des Berichterstatters vom 27. Februar 2014 bezogen. Eine Mehrheit von Ansprüchen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits, ebenso wenig wie die bereits im Ausgangspunkt fehlerhaften Begründungslinien mit § 44 SGB X oder dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch beachtlich sind. Diese sind in keiner Weise einschlägig und können deswegen auch nicht herangezogen werden, um eine nicht gegebene Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit mit der naheliegenden und gewünschten Folge der Kostenfreiheit des Verfahrens zu begründen.
3. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Für das Prozesskostenhilfeverfahren kann Prozesskostenhilfe ebenfalls nicht gewährt werden. Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. mit 114 Satz 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe für die "Prozessführung" gewährt werden. Hierunter ist das eigentliche Streitverfahren zu verstehen, nicht aber das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren, in welchem lediglich über die Gewährung staatlicher Hilfe für den Antragsteller zu befinden ist (st. Rspr. seit Bundesgerichtshof -BGH- Beschluss vom 30. Mai 1984 - VIII ZR 298/83 -, BGHZ 91, 311 ff., juris Rdn. 3 f.; vgl. auch Oberlandesgericht -OLG- Dresden, Beschluss vom 7. Februar 2014 - 23 WF 1209/13 -, juris Rdn. 10, m. w. Nachw.).
Dieser Beschluss ist gem. § 177 SGG nicht anfechtbar.