Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.03.2014, Az.: L 15 AS 393/11

Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Europarechtskonformität und Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses für Ausländer während der ersten drei Monate des Aufenthalts

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.03.2014
Aktenzeichen
L 15 AS 393/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 17340
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0318.L15AS393.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - AZ: S 21 AS 2211/10

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist ein Leistungsanspruch der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 8. Januar bis 15. März 2010.

Die 1967 geborene, erwerbsfähige Klägerin ist I. Staatsangehörige. Sie heiratete am 15. Dezember 2009 in J. einen in K. lebenden L. Staatsangehörigen und hält sich nach ihren Angaben seit dem 16. Dezember 2009 dauerhaft in K. auf. Sie ist im Besitz einer Bescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU), welche als Datum der Anmeldung den 25. September 2009 ausweist. Der 1958 geborene Ehemann der Klägerin verfügt über eine im Jahr 1997 ausgestellte unbefristete Aufenthaltserlaubnis und stand bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend einheitlich als Beklagter bezeichnet) seit dem 1. Januar 2005 im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. In dem hier streitbefangenen Zeitraum übte er keine Erwerbstätigkeit aus. Zuvor hatte er von Oktober 2003 bis Mai 2006 in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und hieraus im Jahr 2005 Nettoeinkommen in Höhe von 160 EUR (Januar bis Mai, August, September), 64 EUR (Oktober), 112 EUR (November) und 128 EUR (Dezember) erzielt. In den Monaten Juni und Juli 2005 sowie im gesamten Jahr 2006 hatte der Ehemann nach den vorgelegten Unterlagen kein Einkommen aus dieser Tätigkeit bezogen. Das Arbeitsverhältnis endete am 1. Juni 2006.

Auf eine am 8. Januar 2010 eingegangene Veränderungsmitteilung, in der die Klägerin als neues Mitglied der Bedarfsgemeinschaft angegeben wurde, erteilte der Beklagte einen (offenbar versehentlich) auf den 2. Januar 2010 datierten Bescheid, mit dem die Leistungsgewährung für die Klägerin abgelehnt wurde. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch gab der Beklagte insoweit statt, als er den Leistungsanspruch für die Zeit ab dem 16. März 2010 anerkannte. Im Übrigen wies er den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die Klägerin in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, mithin in der Zeit vom 16. Dezember 2009 bis 15. März 2010, dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II unterliege (Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2010).

Hiergegen hat die Klägerin am 27. Oktober 2010 Klage erhoben, mit der sie ihren Leistungsanspruch für die Zeit vom 8. Januar bis 15. März 2010 weiter verfolgt hat. Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie aufgrund ihrer Eheschließung am 15. Dezember 2009 mit einem seit fast 20 Jahren in K. lebenden L. Staatsangehörigen seit dem Tag ihrer Einreise, dem 16. Dezember 2009, zu dem Personenkreis gehöre, der ALG II-Leistungen beanspruchen könne.

Mit Urteil vom 4. November 2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II unterlegen. Nach ihrem eigenen Vortrag sei sie am 16. Dezember 2009 in die Bundesrepublik K. eingereist, so dass der Leistungsausschluss bis zum 15. März 2010 greife. In diesem Zeitraum sei die Klägerin auch weder als Arbeitnehmerin noch als Selbständige tätig gewesen. Auch sei sie nicht nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt gewesen. Der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass der Leistungsausschluss nach der genannten Vorschrift nicht für aufenthaltsberechtigte Familienangehörige gelte, die zu im Bundesgebiet schon seit mehr als drei Monaten aufenthaltsberechtigten Ausländern einreisten, folge die Kammer nicht.

Gegen das ihr am 6. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Dezember 2011 Berufung eingelegt, mit der sie ihr bisheriges Begehren weiter verfolgt.

Sie beantragt,

1. das Urteil des SG Bremen vom 4. November 2011 aufzuheben,

2. den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 2. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2010 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 8. Januar bis 15. März 2010 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 2. Januar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2010 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht für den streitbefangenen Zeitraum vom 8. Januar bis 15. März 2010 kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu.

Zwar erfüllte die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die maßgebliche Altersgrenze noch nicht erreicht (Ziffer 1), sie war - hiervon ist in Ermangelung anderslautender Erkenntnisse auszugehen - erwerbsfähig und hilfebedürftig (Ziffer 2 und 3) und sie hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik K. (Ziffer 4). Sie gehörte allerdings zu dem Personenkreis, der nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen ist.

Nach dieser Vorschrift sind Ausländer, die weder in der Bundesrepublik K. Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Mit der Änderung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 1970) hat der Gesetzgeber die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürger-Richtlinie - UBRL) umgesetzt und von der Option des Art. 24 Abs. 2 UBRL Gebrauch gemacht (vgl. hierzu im Einzelnen: Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 37/12 R - Rn. 22). Zweck der Gesetzesänderung war es nach den Gesetzesmaterialien, einen denkbaren Leistungsanspruch von Unionsbürgern auszuschließen, die sich drei Monate lang voraussetzungslos im Bundesgebiet aufhalten dürfen (vgl. BT-Drucksache 16/5065, S. 234).

Die Klägerin war in dem streitbefangenen Zeitraum als "Ausländerin" vom persönlichen Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II erfasst: Es handelte sich bei ihr um eine Ausländerin in den ersten drei Monaten des Aufenthaltshalts. Sie war weder Arbeitnehmerin noch Selbstständige; auch lag keiner der in § 2 Abs. 3 FreizügG/EU geregelten Fallgruppen vor, unten denen dieser Status aufrechterhalten bleibt (vorübergehende Erwerbsminderung durch Krankheit oder Unfall etc.). Auch als "Familienangehörige" unterlag die Klägerin dem Leistungsausschluss in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts. Soweit nach einem Urteil des Bayr. LSG vom 27. Juni 2012 (L 16 AS 449/11 - Rn. 30ff) § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II ermächtigungskonform dahingehend auszulegen ist, dass der Leistungsausschluss für die ersten drei Monate nicht die Familienangehörigen von Ausländern mit Arbeitnehmerstatus betrifft, kann dies nur für den Fall der gemeinsamen Einreise, nicht aber für den Fall des Monate oder Jahre später erfolgenden Familiennachzugs gelten. Die fragliche Norm betrifft nach ihrem Wortlaut nur Ausländer und deren Familienangehörige in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts. Anderslautendes kann auch Art. 24 Abs. 2 UBRL, auf den diese Ausschlussregelung zurückgeht, nicht entnommen werden. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Diese Formulierung kann nur so verstanden werden, dass sich auch der Arbeitnehmer oder Selbstständige, dessen Familienangehöriger der Anspruchsteller ist, in den ersten drei Monaten seines Aufenthalts befinden muss. Dass die in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II normierte Rückausnahme gleichwohl auch für Familienangehörige gelten soll, die nicht mit dem Unionsbürger einreisen, sondern ihm (nach mehr als drei Monaten) nachziehen (vgl. Art. 3 Abs. 1 UBRL und § 3 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU), lässt sich der Regelung nicht entnehmen (a. A. Hackethal in jurisPK, § 7 SGB II Rn. 34; Thie in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 7 Rn. 24 a. E.; jeweils ohne Begründung).

Auch bei einer anderen Auslegung der fraglichen Norm würde sich für den Fall der Klägerin keine anderslautende Beurteilung ergeben, da ihr Ehemann in dem streitbefangenen Zeitraum nicht zu dem Personenkreis der Unionsbürger gehörte, die nach § 24 Abs. 2 UBRL i. V. m. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II bereits in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten. Auch der Ehemann war in dem streitbefangenen Zeitraum weder Arbeitnehmer noch Selbstständiger. Der Arbeitnehmerstatus, den er aufgrund des bis Juni 2006 bestandenen geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses erlangt hatte, ist nicht nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU aufrechterhalten worden. Für eine vorübergehende Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Behinderung (Satz 1 Nr. 1) ist nichts ersichtlich. Eine Berufsausbildung hatte der Ehemann nicht aufgenommen (Satz 1 Nr. 3). Eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit hätte nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU einer Bestätigung durch die zuständige Agentur für Arbeit bedurft (vgl hierzu: Sächsisches OVG, Beschluss vom 20. August 2012 - 3 B 202/12 - Rn. 9). Eine solche Bestätigung ist nicht aktenkundig. Sie kann heute schon aus faktischen Gründen nicht mehr ausgestellt werden. Hieraus folgt zugleich, dass auch frühere Beschäftigungen, die der Ehemann der Klägerin während seines - nach ihren Angaben - langjährigen Aufenthalts in Deutschland womöglich ausgeübt hat, bereits wegen der fehlenden Bestätigung der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit nicht geeignet wären, einen aufrechterhaltenen Arbeitnehmerstatus zu begründen.

Zweifel an der Europarechtskonformität des in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II normierten Leistungsausschlusses für Ausländer und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten des Aufenthalts hat der Senat nicht. Soweit in der Rechtsprechung der Sozialgerichte (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - Rn. 25) auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 4. September 2009 (Rs C-22/08 - Vatsouras/Koupatantze) bezweifelt worden ist, dass es sich bei den Leistungen nach dem SGB II überhaupt um Sozialhilfe im Sinne von Art. 24 Abs. 2 UBRL handelt, ist diese europarechtliche Fragestellung - wohl auch nach der im Vorlagebeschluss vom 12. Dezember 2013 (B 4 AS 9/13 R - Rn. 41) zum Ausdruck kommenden Ansicht des BSG - durch das Urteil des EuGH vom 19. September 2013 (Rs C-140/12 - Brey-, Rn. 58ff) positiv geklärt (vgl. zu dieser Fragestellung ausführlich: Senatsbeschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - Rn. 25ff).

Zweifelhaft kann danach allenfalls noch die Vereinbarung des Leistungsausschlusses mit sekundär- und primärrechtlichen Diskriminierungsverboten sein. Hier ist namentlich das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) i.V.m. Art. 21 AEUV in Betracht zu ziehen. Nach Art. 18 AEUV ist unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Art. 21 Abs. 1 AEUV gewährleistet jedem Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Der EuGH, dem nach Artikel 267 Abs. 1 AEUV die Befugnis vorbehalten ist, über die Vereinbarkeit des europäischen Sekundärrechts mit dem primären Gemeinschaftsrecht zu befinden, hat die Teilhaberechte aus der Unionsbürgerschaft unter den Vorbehalt explizit einschränkender Regelungen gestellt (vgl. Urteile vom 23. März 2004 - C-138/02, Collins, vom 15. Mai 2005 - C-209/03, Bidar, vom 19. September 2013 - C-140/12, Brey). Eine Einschränkung des Rechts aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 21 AEUV ist damit unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Der EuGH hat insbesondere "die Leistungsfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherung" bzw. den "Schutz der öffentlichen Finanzen" als legitimes Ziel des Mitgliedstaates anerkannt. So hat der EuGH beispielsweise ausgeführt (Urteil vom 23. März 2004 - C-138/02, Collins), dass in Bezug auf Leistungen der sozialen Teilhabe eine Diskriminierung gerechtfertigt sei, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhe und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stünde, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt werde. Es stehe auch jedem Mitgliedstaat frei, darauf zu achten, dass die Gewährung von Beihilfen zur Deckung des Unterhalts von Studenten aus anderen Mitgliedstaaten nicht zu einer übermäßigen Belastung werde (EuGH, Urteil vom 15. März 2005 - C-209/03, Bidar).

Mögliche Beschränkungen und Bedingungen im Sinne des Art. 21 Abs. 1 AEUV enthält hier die UBRL (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12, Brey). Insbesondere dem einundzwanzigsten Erwägungsgrund der UBRL ist zu entnehmen, dass dem Aufnahmemitgliedstaat überlassen bleiben soll, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthaltes gewährt. Damit soll die Wahrnehmung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger von der Wahrung der berechtigen Interessen der Mitgliedstaaten abhängig gemacht werden, insbesondere dem Schutz ihrer öffentlichen Finanzen (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12, Brey, Rn. 55 m.w.N.). Soweit in der Literatur die primärrechtliche Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses in den ersten drei Monaten des Aufenthalts unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit diskutiert worden ist, hat der EuGH es in seiner Rechtsprechung für verhältnismäßig gehalten, Mindestaufenthaltsdauern vorzusehen (Urteil vom 23. März 2004 - C-138/02, Collins, Rn. 72). Vor diesem Hintergrund handelt es sich um eine zulässige Typisierung, wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine Integration in die Gesellschaft innerhalb der ersten drei Monate, in denen sich Unionsbürger voraussetzungslos in der Bundesrepublik aufhalten dürfen, typischerweise nicht feststellbar ist (so zutreffend Hofmann/Kummer, ZESAR 2013, 199, 204; im Ergebnis ebenso: Schreiber, info also 2008, 3, 7; a. A. Husmann, NZS 2009, 652, 656).

Aus denselben Gründen scheidet auch ein Verstoß gegen Art. 45 Abs. 2 AEUV aus, dessen Anwendungsbereich das BSG in seinem Vorlagebeschluss vom 12. Dezember 2013 (B 4 AS 9/13 R) zum Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger mit der Begründung als eröffnet angesehen hat, dass es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, auch wenn diese Sozialhilfeleistungen i. S. von Art. 24 Abs. 2 UBRL seien, gleichzeitig auch um Leistungen handele, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichterten. Nach Art. 45 Abs. 1 AEUV ist innerhalb der Union die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. Nach Art. 45 Abs. 2 AEUV ist jegliche auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen untersagt. Die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die auf Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat sind und tatsächliche Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben, können sich nach der Rechtsprechung des EuGH auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen, um eine finanzielle Leistung in Anspruch zu nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll (vgl. Urteil vom 4. Juni 2009 - C-22/08). Soweit es das BSG in seinem o. g. Beschluss (Rn. 48) für fraglich gehalten hat, ob eine zulässige Typisierung vorliegt, wenn die nationale Regelung davon ausgeht, dass für eine nicht im vorhinein eindeutig festgelegte Zeit regelmäßig keine ausreichende Verbindung zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt bestehen kann, kommen diese Bedenken hier nicht zum Tragen, da § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II eine Typisierung für einen eindeutig festgelegten und überschaubaren Zeitraum beinhaltet.

Schließlich lässt sich nach Auffassung des Senats auch ein Verstoß gegen das sekundärrechtliche Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vom 29. April 2004 (VO 883/04) nicht feststellen. Nach dieser Vorschrift haben Personen, soweit die Verordnung gilt und soweit in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Zweifelhaft ist bereits, ob Art. 4 VO 883/04 nach seinem sachlichen Anwendungsbereich auch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen i. S. von Art. 70 VO 883/04 anwendbar ist (erste Vorlagefrage des BSG-Beschlusses vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R) und es sich bei den Leistungen nach dem SGB II überhaupt um solche besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen handelt (verneinend: Senatsbeschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - Rn. 42ff). Jedenfalls würde die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots nach Art. 4 VO 883/2004 keineswegs ohne weiteres zur Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II führen (vgl. auch Thym, NZS 2014, 81, 84). Nach Auffassung des Senats gehen nämlich Art. 7 und 24 UBRL jenem Diskriminierungsverbot als speziellere Regelungen vor, was insbesondere daraus folgt, dass die VO 883/2004 nach der Rechtsprechung des EuGH andere Ziele verfolgt als die UBRL (vgl. hierzu ausführlich: Senatsbeschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - Rn. 61ff m. w. N.). Ferner lässt sich dem jüngst ergangenen Urteil des EuGH zu einer besonderen beitragsunabhängigen Leistung nach österreichischem Recht (Urteil vom 19. September 2013 - C 140/12 -, Brey) nichts dafür entnehmen, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO 883/2004 nationalen Bestimmungen, die Leistungsansprüche anknüpfend an die Staatsbürgerschaft einschränken, generell entgegensteht. Vielmehr hat der EuGH in dieser Entscheidung ausgeführt, dass Art 24 Abs. 2 UBRL eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz vorsehe, indem dem Aufnahmemitgliedstaat erlaubt werde, insbesondere während der ersten drei Monate des Aufenthalts den Anspruch auf Sozialhilfe nicht zu gewähren. Die UBRL eröffne dem Aufnahmemitgliedstaat mithin die Möglichkeit, Unionsbürgern, wenn sie die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, rechtmäßige Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staates nicht unangemessen in Anspruch nehmen (Rn. 56, 59). Damit erweist sich die in dem Vorlagebeschluss des BSG vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R - wiedergegebene Rechtsauffassung als zutreffend, wonach Art. 70 Abs. 4 VO 883/2004, der vorsieht, dass die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen "nach dessen Rechtsvorschriften gewährt werden", dem betreffenden Mitgliedstaat eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot ermöglicht, soweit die Einschränkung selbst im Einklang mit Gemeinschaftsrecht steht (Rn. 39, 40). Bei dem hier in Rede stehenden § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II handelt es sich - wie festgestellt - sowohl um eine zulässige Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 UBRL als auch um eine Norm, die mit europäischem Primärrecht vereinbar ist.

Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II folgt für die Klägerin als polnische Staatsangehörige auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953. Polen gehört schon nicht zu den Unterzeichnern dieses Abkommens.

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II für die ersten drei Monate des Aufenthalts ist schließlich auch mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar. Soweit er auch für den Fall des Nachzugs eines ausländischen Ehegatten zu einem in K. lebenden Ausländer gilt, lässt er sich mit dem durch Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie vereinbaren. Art. 6 Abs. 1 GG begründet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) weder einen grundrechtlichen Anspruch von ausländischen Ehegatten auf Nachzug zu ihren berechtigterweise in der Bundesrepublik K. lebenden ausländischen Ehegatten (Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u. a.) noch (in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip) einen grundrechtlichen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen (Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 BvR 624/01 - Rn. 32). Dies übersieht das Sozialgericht Berlin, wenn es in seinem Urteil vom 18. April 2011 (S 201 AS 45186/09) § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II verfassungskonform dahingehend auslegt, dass er in den Fällen des Ehegattennachzug nicht anwendbar sei. Hinzu kommt, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem im Bundesgebiet lebenden ausländischen Ehepartner grundsätzlich zumutbar ist, die eheliche Lebensgemeinschaft im Ausland herzustellen (Urteil vom 30. März 2010 - 1 C 8/09 - Rn. 45).

Soweit das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Absatz 1 GG i.V.m. Art. 20 Absatz 1 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG dem Grunde nach unverfügbar ist und durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden muss (vgl. Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - Rn. 62 f. m. w. N.), besteht - wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 15. November 2013 (aaO., Rn. 66 ff) näher dargelegt hat - für arbeitsuchende Unionsbürger, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterliegen, ein Anspruch auf die zur Wahrung einer menschenwürdigen Existenz erforderlichen Nothilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), der allerdings wegen seiner Abhängigkeit von einer auf den Einzelfall bezogenen Ermessensentscheidung beim Sozialhilfeträger gesondert geltend zu machen ist (so auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - 13. Senat -, Beschluss vom 18. März 2014 - L 13 AS 363/13 B ER - Rn. 31). Entsprechendes muss für Unionsbürger gelten, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB unterliegen, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt der in Rede stehende Leistungsausschluss verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.