Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.03.2014, Az.: L 13 AS 3/13

Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Keine unterkunftsbedarfsmindernde Berücksichtigung einer Gutschrift bei nicht bekannter Kontenpfändung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
19.03.2014
Aktenzeichen
L 13 AS 3/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 17341
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0319.L13AS3.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 26.10.2010 - AZ: S 39 AS 2357/09

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Oktober 2010 wird aufgehoben.

Der Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 17. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2009 wird aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit seiner durch den Senat zugelassenen Berufung wendet sich der Kläger gegen einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten, mit welchem sie die dem Kläger bewilligten Leistungen für den Zeitraum vom 1. bis 30. Juni 2009 teilweise in Höhe von 113,21 EUR aufgehoben und eine entsprechende Erstattungsforderung gegen den Kläger geltend gemacht hat.

Der 1962 geborene Kläger steht seit 2005 im Leistungsbezug von Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB), Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende -. Er ist Eigentümer einer selbstbewohnten Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche von 43,66 qm in K ... Über weiteres nennenswertes Einkommen oder Vermögen verfügte der Kläger im maßgeblichen Zeitraum nicht.

Mit Bescheid vom 30. März 2009 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2009 monatliche Leistungen in Höhe von 464,21 EUR, hiervon 351,00 EUR als Regelleistung und 113,21 EUR als Kosten für Unterkunft und Heizung.

Das Hauptzollamt L. machte mit am 23. April 2009 bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten eingegangenem Schreiben aufgrund eines Rückzahlungsanspruchs hinsichtlich in früheren Jahren dem Kläger darlehensweise erbrachter Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) einen Auskunftsanspruch geltend. Mit Schreiben vom 11. Mai 2009 übersandte das Hauptzollamt L. der M. eG eine auf den Kläger und dessen Konto bezogene Pfändungs- und Einziehungsverfügung und erklärte die Pfändung aller Forderungen, sonstigen Ansprüche und anderen Rechte des Vollstreckungsschuldners; die Forderung belief sich gemäß der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 8. Mai 2009 auf insgesamt 14.298,60 EUR.

Nahezu zeitgleich mit dieser Pfändungs- und Einziehungsverfügung ging auf dem Girokonto des Klägers bei der N. am 13. Mai 2009 ein Betrag in Höhe von 133,44 EUR ein, der dem Kläger von der Hausverwaltung O. überwiesen wurde. Hierzu hat der Kläger ein auf den 24. März 2009 datiertes Abrechnungsschreiben erhalten, wonach es sich um die Abrechnung von Hausgeld für den Zeitraum des Jahres 2008 handelte. Die Rückzahlung errechnete sich aus der Summe der durch den Kläger erbrachten Abschlagszahlungen an Hausgeld in Höhe von monatlich 91,00 EUR, insgesamt 1.092,00 EUR, abzüglich der auf seinen Miteigentumsanteil entfallenen Ausgaben in Höhe von 954,56 EUR.

Mit Schreiben vom 1. Juli 2009 hörte die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Kläger zu der Auffassung an, das Guthaben stehe in voller Höhe ihr zu, da sie die Abschläge für die Nebenkosten im Jahr 2008 übernommen habe. Aufgrund der im Monat Mai 2009 erhaltenen Rückzahlung in Höhe von 133,44 EUR errechne sich für diesen Monat Mai 2009 für den Kläger ein entsprechend geringerer Leistungsanspruch.

Der Kläger äußerte sich dahingehend, auch er sei der Auffassung, der Betrag stehe der Rechtsvorgängerin des Beklagten grundsätzlich zu. Indes habe er die 133,44 EUR nie erhalten. Das Geld sei vom Zollamt L. gepfändet worden. Die Eigentümerversammlung, die den entsprechenden Abrechnungsbeschluss gefasst habe, habe am 8. April 2009 stattgefunden. Das Protokoll der Eigentümerversammlung sei Ende April zugesandt worden. Nach dem Beschluss bestehe noch eine Frist von einem Monat, die Ungültigkeit des Versammlungsbeschlusses zu beantragen. Erst danach werde das Geld von der Verwaltung auf die Konten überwiesen, soweit es sich um Guthaben handele. In diesem Fall sei der 13. Mai 2009 völlig normal und gut in der Zeit. Einen durchsetzbaren Anspruch auf diesen Termin gebe es jedoch nicht. Seltsamerweise habe zufällig das Zollamt genau in dem Zeitpunkt gepfändet, in dem die Zahlung eingegangen sei. Dieses Ereignis sei etwas ganz Seltenes auf seinem Konto und überhaupt nicht vorhersagbar. Es sei nicht gerade selten, dass die Abrechnung erst im Herbst erstellt werde. Mit der Pfändung aber sei das Geld seinem Zugriff entzogen worden, bevor er je habe darüber verfügen können. Er habe täglich das Konto überprüft, bis zu dem Tag, an dem ihm die Kontrolle über das Konto entzogen worden sei.

Die Rechtsvorgängerin des Beklagten hob aufgrund des vorgenannten Sachverhalts zunächst mit Bescheid vom 21. Juli 2009 die unter dem 30. März 2009 erfolgte Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. bis 31. Mai 2009 teilweise in Höhe von 133,44 EUR auf und forderte einen entsprechenden Betrag vom Kläger zurück. Die Rückforderung stützte sie auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch (SGB), Zehntes Buch (X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -, wonach der Kläger der Verpflichtung zur Mitteilung aller Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich seien, zumindest grob fahrlässig nicht rechtzeitig nachgekommen sei. Auf den Widerspruch des Klägers hob die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Bescheid vom 11. September 2009 den vorgenannten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wieder auf und erließ am 17. September 2009 den hier streitgegenständlichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem sie nunmehr die Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. bis 30. Juni 2009 für den Kläger teilweise in Höhe von 113,21 EUR mit im Wesentlichen gleicher Begründung wie zuvor aufhob. Das Guthaben in Höhe von 133,44 EUR mindere die Kosten für die Unterkunft des Klägers im Juni 2009. Da der Kläger für diesen Monat Kosten für die Unterkunft in Höhe von 113,21 EUR erhalten habe, sei in dieser Höhe eine Überzahlung entstanden.

Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein, den die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2009 zurückwies. Auf die fehlende Verfügungsgewalt aufgrund der Kontopfändung, auf welche der Kläger zur Begründung seines Widerspruchs entscheidend abgestellt hatte, könne nicht abgestellt werden. Die Gutschrift sei am 13. Mai 2009 erfolgt, die Pfändung sei der kontoführenden Bank am 14. Mai 2009 zugestellt worden. Die Gutschrift beim Pfändungsgläubiger sei am 8. Juni 2009 erfolgt. Der Kläger sei somit innerhalb der gesetzlichen Frist von 14 Tagen nicht daran gehindert gewesen, über das Kontoguthaben frei zu verfügen bzw. sei verpflichtet gewesen, die unzulässige Pfändung mit Blick auf die Pfändungsfreigrenze nach § 850 c Zivilprozessordnung (ZPO) abzuwehren, da er unpfändbar sei. Gepfändete Einkommensanteile seien nur dann nicht als "bereite Mittel" zu berücksichtigen, wenn alle erfolgversprechenden gesetzlichen Möglichkeiten genutzt würden, eine überhöhte oder unzulässige Pfändung abzuwehren. Es sei jedoch weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Kläger sich gegen die unzulässige Pfändung gewehrt habe. Die Anrechnung des Betriebskostenguthabens mit einem Teilbetrag in Höhe von 113,21 EUR auf die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Monat Juni 2009 sei somit zu Recht erfolgt.

Der Kläger hat am 19. November 2009 Klage erhoben. Er hat sich darauf berufen, er habe keine Verfügungsgewalt über das an ihn überwiesene Guthaben gehabt, da es umgehend gepfändet worden sei. Daher habe die Überweisung dieses Guthabens seine Hilfebedürftigkeit auch nicht herabgesetzt. Da auch eine Gutschrift rechtlich Einkommen darstelle, sei auf § 11 SGB II abzustellen. Grundvoraussetzung für den Einkommenseinsatz sei die Verfügbarkeit, die vorliegend nicht gegeben gewesen sei. Zudem gälten die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO nicht unbedingt bei Pfändungen von Sozialleistungen. Darüber hinaus dürfte davon auszugehen sein, dass das Guthaben keine Sozialleistung darstelle und damit keinem besonderen Pfändungsschutz unterworfen gewesen sei. Er habe auch nicht für zumindest 14 Tage über den Betrag verfügen können. Die Rechtsvorgängerin des Beklagten hat u. a. darauf verwiesen, durch die Rückführung der Schulden sei selbst unter Berücksichtigung der Pfändung eine Verbesserung der finanziellen Situation des Klägers eingetreten.

Mit Urteil vom 26. Oktober 2010 hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg die Klage mit der tragenden Begründung abgewiesen, Rechtsgrundlage für den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, da der Kläger Einkommen erzielt habe. Bei der Einnahme handele es sich zudem nicht mehr um dem § 11 SGB II unterliegendes Einkommen, sondern die Einnahme sei nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II zu berücksichtigen. Hiernach minderten Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen. Dies habe die Rechtsvorgängerin des Beklagten - in zutreffender Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, der auf diese Vorschrift weiterhin Anwendung finde - korrekt umgesetzt. Dem Kläger sei zwar zuzugestehen, dass er über das Guthaben selber nicht habe verfügen können. Im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II habe die Verfügungsbefugnis jedoch keine Relevanz. Auch ein Guthaben, welches verrechnet werde, entfalte die Wirkung der Minderung der künftigen Aufwendungen. Es komme nicht auf den tatsächlichen Zufluss und die Verfügungsbefugnis über das Guthaben an, sondern allein auf die Tatsache, dass eine Gutschrift erfolgt sei. Im Übrigen sei die Gutschrift im konkreten Fall - wenn auch aus Sicht des Klägers unfreiwillig - zur Schuldentilgung verwendet worden, und diese werde auch im Rahmen des SGB II einkommensmindernd berücksichtigt.

Gegen das seinem vormaligen Prozessbevollmächtigten am 11. November 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. Dezember 2010, einem Montag, Nichtzulassungsbeschwerde - L 13 AS 396/10 NZB - eingelegt, woraufhin der Senat durch Beschluss vom 10. Januar 2013 die Berufung mit der Erwägung des Vorliegens einer Divergenz zum Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 132/11 R - juris Rdn. 22 - zugelassen hat. Das BSG hat dort ausgeführt, dass in Fällen, in denen das Guthaben überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres zu realisieren gewesen sei, bereite Mittel zur Bedarfsdeckung nicht zur Verfügung stünden und die mögliche Folge einer Schuldentilgung hingenommen werden müsse. Damit sei die Aussage des SG, die Verfügungsbefugnis habe keine Relevanz, nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Zur Begründung der Berufung beruft sich der Kläger auf das Urteil des BSG vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 132/11 R - in Verbindung mit dem Umstand, dass er keine Verfügungsgewalt über das Guthaben gehabt habe. Die Gutschrift sei am 13. Mai 2009 erfolgt, und unter dem Datum des 14. Mai 2009, also einen Tag später, sei er von seiner Bank über die Pfändungsverfügung sowie über die Kontosperrung informiert worden. Er habe weder vorhersehen können, wann genau der Verwalter das Guthaben überweisen würde, noch habe er die Pfändungsverfügung vorhersehen können. Er habe somit weder eine Veranlassung noch die Möglichkeit gehabt, das Guthaben vor dem Zugriff des Pfändungsgläubigers zu Gunsten des Beklagten zu schützen. Er habe auch nicht damit gerechnet oder damit rechnen müssen, dass sein Konto gepfändet werden würde. Er habe auch keine Möglichkeiten gehabt, der Pfändung zu entgehen. Ein etwaiger Pfändungsschutz im Sinne des § 850 c ZPO dürfte zudem wohl nicht bestanden haben, da es sich bei dem Guthaben nicht um Arbeitseinkommen gehandelt habe. Das Guthaben aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung sei auch keine unpfändbare Sozialleistung. Daran ändere es auch nichts, wenn es dem Grunde nach der Rechtsvorgängerin des Beklagten zugestanden haben sollte. Das Guthaben habe nach alledem nicht als bereites Mittel zur Verfügung gestanden, sodass seine Rückforderung der zuvor gewährten Kosten für Unterkunft und Heizung nicht hätte erfolgen dürfen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Oktober 2010

und

den Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 17. September 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint weiterhin, das Guthaben aus der Jahresabrechnung 2008 stelle grundsätzlich Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II mit der Sonderregelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II dar. Der Kläger habe zumindest 14 Tage über die Geldleistungen verfügen können. Die Überwachung des Kontos obliege ihm. Er habe auch gewusst, dass ein Guthabenbetrag auf seinem Konto gutgeschrieben werde, und zudem habe die Pfändung eine Verbesserung seiner finanziellen Situation bewirkt, da Schulden zurückgeführt worden seien.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG) und begründet. Der Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 17. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Auf Beklagtenseite ist das Jobcenter als gemeinsame Einrichtung i. S. des § 44 b Abs. 1 Satz 1 SGB II, die mit Wirkung vom 1. Januar 2011 kraft Gesetzes entstanden ist, als Rechtsnachfolger kraft Gesetzes an die Stelle der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten; das Passivrubrum war dementsprechend von Amts wegen zu berichtigen (vgl. Bundessozialgericht -BSG-, Urteile vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 45/09 R - juris Rdn. 12, sowie vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 99/10 R - SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 - juris Rdn. 11).

Der Kläger, der nicht unter die Ausschlusskriterien des § 7 Abs. 1 Satz 2, 3 SGB II fällt, erfüllte im streitgegenständlichen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 4 SGB II; insbesondere war er hilfebedürftig i. S. des § 9 Abs. 1 SGB II. Berechnungsfehler hinsichtlich der für den Monat Juni 2009 gewährten Leistungen der Rechtsvorgängerin des Beklagten sind nicht ersichtlich.

Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 17. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2009 wegen der auf dem Konto des Klägers erfolgten Gutschrift ist rechtswidrig, denn der Kläger verfügte nicht über "bereite Mittel" in entsprechender Höhe.

Nach der Intention des § 9 Abs. 1 SGB II muss ein Anspruchsteller alle Möglichkeiten der Selbsthilfe ausschöpfen. Es wird von ihm erwartet, sich zunächst selber zu helfen, bevor er steuerfinanzierte Grundsicherungsleistungen in Anspruch nimmt. Die insoweit zumutbaren eigenen Anstrengungen müssen indes dazu führen können, dass aus ihnen Mittel zufließen, die zur Bedarfsdeckung im konkreten Zeitpunkt tatsächlich auch zur Verfügung stehen. Soweit ein wirtschaftliches Potential eines Hilfesuchenden zunächst lediglich auf dem Papier besteht, ohne dass er es für seinen Lebensunterhalt verfügbar machen kann, so beseitigt dies nicht die Hilfebedürftigkeit.

Dementsprechend kommt es in entscheidungserheblicher Weise darauf an, dass der Kläger das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung nicht ohne Weiteres realisieren konnte. Die Möglichkeit der Mittelbschaffung durch eigene Anstrengungen ist nur insoweit relevant, als dass diese ohne Weiteres dazu führen würden, dass der Hilfesuchende bereite Mittel hätte, wobei ihm die Realisierung von Forderungen gegen Dritte und die Abwehr von gegen ihn gerichteten Forderungen zunächst grundsätzlich zumutbar ist und ein solches Verhalten von ihm auch erwartet wird. Bestehen aber tatsächliche oder rechtliche Hindernisse, die der Anspruchsteller nicht beeinflussen kann, so ist die Verfügbarkeit der Mittel nicht mehr "ohne Weiteres" gegeben, und die Frage, ob diese einer Hilfebedürftigkeit entgegenstehen, ist dann eine Frage des Einzelfalles.

Es kommt dementsprechend bei Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen in einem "abschließenden Prüfungsschritt" darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als bereites Mittel geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 33/12 R - juris Rdn. 13). Wenn Mittel tatsächlich nicht zur Verfügung stehen, dann haben die tatsächlichen Verhältnisse gegenüber einer nur normativen und als Berechnungsgrundlage zu verstehenden Regelung den Vorrang, wie das BSG in Bezug etwa auf § 2 Abs 3 Alg II-V entschieden hat (BSG, Urteil vom 10. September 2013 - B 4 AS 89/12 R - juris Rdn. 31, m. w. Nachw.) und wie vom 14. Senat des BSG auch kürzlich nochmals bestätigt worden ist (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 14 AS 76/12 R -); für eine Gutschrift im Sinne des § 22 Abs. 3 SGB II (zur Zeit des Leistungsfalles § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II) gelten die Regelungen über die normative Zuordnung eines finanziellen Vorteils als Einkommen in gleicher Weise (vgl. Luik, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 22 Rdn. 144, m. w. Nachw.).

Im konkreten Fall standen dem Kläger bereite Mittel zur Bedarfsdeckung nicht zur Verfügung, da er die Gutschrift nicht "ohne Weiteres" zum Lebensunterhalt einsetzen konnte. Daher muss die Folge einer Schuldentilgung hingenommen werden (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 132/11 R -, juris Rdn. 22). Eine Akzeptanz des allein tatsächlichen Gläubigerhandelns käme zwar der im SGB II grundsätzlich nicht möglichen "freiwilligen" Schuldentilgung gleich; hier indes treffen die Einwände des Klägers im Hinblick auf die auch rechtlich bestehende Schwierigkeit zu, sich gegen die Pfändung erfolgversprechend zu wehren, denn es handelte sich bei der maßgeblichen Gutschrift nicht um eine solche aus vollstreckungsrechtlich besonders geschützten Einkommensarten wie etwa Arbeitsentgelt oder bestimmten Sozialleistungen. Die Argumentation des Beklagten - gepfändete Einkommensanteile seien nur dann nicht als "bereite Mittel" zu berücksichtigen, wenn alle erfolgversprechenden gesetzlichen Möglichkeiten genutzt würden, eine überhöhte oder unzulässige Pfändung abzuwehren - bedarf vor dem Hintergrund der angeführten neueren Rechtsprechung des BSG überdies einer Korrektur. Denn eine solche Gegenwehr muss "ohne Weiteres" zum Erfolg führen können, was hier nicht erkennbar ist (vgl. Harich/Wündrich, Handbuch der Grundsicherung, Münder 2014, Stichwort Bereite Mittel, Rdn. 8).

In diesem Zusammenhang kommt es darüber hinaus auch nicht darauf an, ob der Kläger durch äußerste Sorgfalt die Pfändung der Gutschrift hätte verhindern können, etwa dadurch, dass er im Wissen um seine finanzielle Situation und die bestehende Möglichkeit einer gläubigerseitigen Kontenpfändung vorsorglich dem Verwalter die Weisung erteilt hätte, den Erstattungsbetrag nicht auf sein Konto zu überweisen. Allein entscheidend ist, dass die Gutschrift dem Kläger zu keinem Zeitpunkt tatsächlich zur Bedarfsdeckung zur Verfügung gestanden hat und er diesen Zustand auch nicht "ohne Weiteres", also durch einfach gelagertes und zumutbares Verhalten hätte ändern können; ob sie ihm bei optimalem Verhalten zur Verfügung hätte stehen können, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Dementsprechend ist auch, entgegen den Ausführungen im Senatsbeschluss vom 10. Januar 2013 - L 13 AS 396/10 NZB -, der in Bezug auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ergangen ist, eine Klärung der Frage im Tatsächlichen nicht mehr erforderlich, ob der Kläger das Guthaben durch eine anderweitige Disposition hätte realisieren und für ihn zum Verbrauch verfügbar hätte machen können. Denn der Fall des Klägers lässt sich nicht mit der Konstellation vergleichen, dass ein Leistungsempfänger das tatsächliche Verhalten eines Dritten ungeprüft akzeptiert und dies einer im SGB II grundsätzlich nicht möglichen "freiwilligen" Schuldentilgung gleichkommt (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - aaO. -, juris Rdn. 22). Nach dem Gesamtzusammenhang kann im vorliegenden Fall von einer "freiwilligen" Schuldentilgung oder von einer vergleichbaren Sachlage nicht ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.