Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.03.2014, Az.: L 3 KA 85/11
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 05.03.2014
- Aktenzeichen
- L 3 KA 85/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 42378
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 10.06.2011 - AZ: S 24 KA 561/08
Rechtsgrundlagen
- Nr 12 AMR
- § 35c SGB 5
- § 91 Abs 9 SGB 5
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Vor Einführung des § 35c SGB V war die Verordnung von Arzneimitteln, die im Rahmen einer Studie erfolgte (hier: Therapieoptimierungsstudie bei Brustkrebs), im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich unzulässig.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 10. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.302 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger war im hier fraglichen Quartal I/2004 Chefarzt der Frauenklinik und DMP-Brustklinik I. und nahm im Rahmen einer Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er wendet sich gegen die Verhängung eines Arzneimittelregresses.
Im Quartal I/2004 behandelte er die bei der zu 2. beigeladenen Krankenkasse versicherte J. K., bei der ein lokal fortgeschrittenes multizentrisches, invasiv-duktulolo-buläres Mammakarzinom rechts diagnostiziert worden war. Vorgesehen war eine neoadjuvante Chemotherapie zur Vorbereitung eines operativen Eingriffs. Die Behandlung der Versicherten erfolgte im Rahmen einer Studie der Phase III (sog Gepartrio-Studie). Deren primäres Ziel war es, die Remissionsrate (pCR-Rate) zu bestimmen, die sich jeweils ergab, wenn Patienten auf die Gabe von zwei Zyklen TAC (Kombination der Zytostatika Docetaxol bzw <synonym> Taxotere, Doxorubicin und Cyclophosphamid) entweder (1.) ungenügend ansprechen und anschließend mit vier Zyklen TAC oder mit vier Zyklen MX oder (2.) genügend ansprechen und anschließend entweder mit sechs oder mit acht Zyklen TAC weiterbehandelt werden. Zu diesem Zweck verordnete der Kläger unter dem 9. März 2004 zu Lasten der Beigeladenen zu 2. 150 mg des Fertigarzneimittels Taxotere zum Preis von 1.312 Euro.
Mit Schreiben vom 29. April 2005 beantragte die Beigeladene zu 2., wegen der Verordnung dieses Präparats einen „sonstigen Schaden“ festzusetzen. Der Kläger machte demgegenüber geltend, die Versicherte sei eine Hochrisiko-Patientin und die gewählte therapeutische Kombination wäre auch ohne Teilnahme an der Studie im Rahmen des onkologischen Qualitätssicherungsprojekts Niedersachsen empfohlen worden.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2007 setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung gegen den Kläger einen Regress iHv 1.302 Euro fest. Die Behandlung sei im Rahmen einer klinischen Studie erfolgt und habe deshalb nicht dem Maßstab des § 2 Abs 1 S 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) entsprochen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, weil es (ua) für einen Ausschluss in Therapieoptimierungsprüfungen eingesetzter Arzneimittel keine Grundlage im SGB V gebe. Die Beigeladene zu 2. könne auch nicht beanstanden, dass das Präparat Taxotere neoadjuvant, also vor der Operation, eingesetzt worden sei. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30. Oktober 2008 zurück. Erprobungen von Arzneimitteln seien gemäß §§ 2 Abs 1 S 2, 63 Abs 4 S 2, 70 SGB V iVm Nr 12 der Arzneimittel-Richtlinien (AMR) unzulässig. Die Behandlung des Patienten sei bei Therapieoptimierungsstudien nicht mehr primäres Ziel der ärztlichen Verordnung, sodass keine die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auslösende Krankenbehandlung vorliege; denn neben den Zielen der Heilung und Linderung stehe zumindest gleichrangig das Interesse, über den Einzelfall hinaus Erkenntnisse zu gewinnen. Die Versorgung der Patientin werde in einem solchen Fall nicht mehr nach individuellen Kriterien, sondern aufgrund des Prüfplans der Studie gestaltet. Die Ziele der Krankenbehandlung nach § 27 Abs 1 SGB V könnten jedoch nur dann erreicht werden, wenn die ärztlichen Maßnahmen auf den einzelnen Patienten abgestimmt und auf diesen bezogen seien.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 13. November 2008 Klage erhoben, die am 17. November 2008 bei dem Sozialgericht (SG) Hannover eingegangen ist. Die Entscheidung des Beklagten lasse sich nicht aus Nr 12 der AMR rechtfertigen, weil dort nur die Erprobung nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechender Präparate gemeint sei, nicht aber zugelassener Arzneimittel wie Taxotere. Ein solcher Ausschlusstatbestand wäre jedenfalls wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht rechtswidrig, weil insbesondere § 137c SGB V und § 8 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) zeigten, dass klinische Arzneimittelstudien zu Lasten der GKV zulässig seien. Die Materialien zu dem am 1. April 2007 in Kraft getretenen § 35c SGB V zeigten außerdem, dass auch vorher schon Studien mit zugelassenen Arzneimitteln im Rahmen ihrer zugelassenen Anwendungsgebiete Gegenstand der Leistungspflicht der GKV gewesen seien. Unrichtig sei ferner die Annahme, dass die ärztlichen Maßnahmen im Rahmen der Therapieoptimierungsstudie nicht auf den einzelnen Patienten abgestimmt und auf diesen bezogen seien. Gegen den Einsatz von Taxotere könne im Übrigen auch nicht der Vorwurf eines Off-Label-Use erhoben werden, weil Taxotere zur Behandlung des hier vorliegenden Brustkrebses arzneimittelrechtlich zugelassen sei. Die Zulassung erstrecke sich auch auf den neoadjuvanten Einsatz im Rahmen einer Chemotherapie. Schließlich sei auch nach der Onkologie-Vereinbarung der Einschluss einer möglichst großen Zahl von Patienten in klinische Studien erwünscht.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. Juni 2011 abgewiesen. Durch die Verordnung des Mittels Taxotere sei ein sonstiger Schaden entstanden, weil das Arzneimittel gem § 12 AMR nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig gewesen sei. Bei der vom Kläger im Rahmen der Gepartrio-Studie vorgenommenen Verordnung habe es sich um die Erprobung des Arzneimittels iS der genannten Richtlinien gehandelt.
Gegen den ihm am 29. Juni 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Juli 2011 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt, zu deren Begründung er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und im Einzelnen das Design der Gepartrio-Studie sowie das bei der Versicherten behandelte Krankheitsbild darlegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 10. Juni 2011 und den Bescheid des Beklagten vom 30. Oktober 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist im Wesentlichen auf die Begründung des angefochtenen Bescheids; spätere Gesetzesänderungen und Äußerungen gesetzgebender Organe seien nicht zu berücksichtigen. Im Übrigen bestünden auch nach dem Vorbringen des Klägers Unterschiede im Verabreichungsschema der Gepartrio-Studie im Vergleich zur Standardbehandlung.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2008 gerichtete Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Zutreffend hat der Beklagte gegen den Kläger einen Regress iHv 1.302 Euro festgesetzt.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 106 Abs 2 SGB V (idF des GKV-Modernisierungsgesetzes <GMG> vom 14. November 2003 <BGBl I 2190>) iVm § 9 Abs 3 und § 12 Abs 6 der Niedersächsischen Vereinbarung zur Wirtschaftlichkeitsüberwachung nach § 106 SGB V idF vom 15. April 2002. Danach können die Krankenkassen in begründeten Fällen die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnungsweise nach Einzelfällen beantragen. Wie in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) mittlerweile geklärt ist, handelt es sich bei Streitigkeiten der vorliegenden Art, bei der inhaltliche Fehler einer Arzneimittelverordnung geltend gemacht werden - insbesondere Verstöße gegen die AMR bzw bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel -, nicht um einen Regress wegen sonstigen Schadens iSd § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), sondern um eine im Rahmen der Einzelfallprüfung festzustellende Unwirtschaftlichkeit (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 und 30). Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen (Urteil vom 17. Oktober 2012 - L 3 KA 106/09).
1. Die Verordnung des Arzneimittels Taxotere durch den Kläger war unzulässig, weil sie im Widerspruch zu den AMR idF vom 31. August 1993 (geändert durch Bekanntmachung vom 11. August 2003) stand. An diese Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) war der Kläger als an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmender Leistungserbringer gebunden, wie sich ab 1. Januar 2004 aus der ausdrücklichen Regelung des § 91 Abs 9 SGB V (idF des GMG) ergibt. In Ziff 12 S 2 AMR ist ausdrücklich bestimmt, dass Erprobungen von Arzneimitteln auf Kosten des Versicherungsträgers unzulässig sind.
Eine entsprechende Erprobung lag hier vor, weil die Verordnung des Präparats Taxotere im Rahmen der Gepartrio-Studie vorgenommen worden ist. Der demgegenüber geltend gemachten Auffassung des Klägers, mit „Erprobung“ seien nur solche Präparate gemeint, die nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen, kann nicht beigepflichtet werden. Dagegen spricht bereits, dass der Ausschluss der Ziff 12 AMR nach deren S 4 auch für Erprobungen „nach der Zulassung des Arzneimittels“ gilt. Auch nach der Rechtsprechung des BSG (vgl SozR 3-2500 § 31 Nr 3; SozR 4-2500 § 137c Nr 2) steht außer Frage, dass die in Ziff 12 AMR angeführte Erprobung alle klinischen Prüfungen nach den §§ 40, 41 Arzneimittelgesetz (AMG) meint.
Ob der Ausschluss der Verordnungsfähigkeit nach Ziff 12 AMR auch dann gilt, wenn das betroffene Fertigarzneimittel im Rahmen der Studie gemäß seiner arzneimittelrechtlichen Zulassung eingesetzt wird (wovon jedenfalls der Gesetzgeber in den Materialien zu § 35c SGB V ausgegangen sein könnte, vgl Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Entwurf des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes <GKV-WSG>, BT-Drs 16 /4247 S 33), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn Taxotere bzw Docetaxel ist hier außerhalb des im Quartal I/2004 bestehenden Zulassungsstatus eingesetzt worden. Wie die insoweit maßgebliche Fachinformation (vgl hierzu BSG-Beschluss vom 15. August 2012 - B 6 KA 13/12 B - juris, mwN) der Herstellerfirma Aventis Pharma (dort Abschn 4.1: Anwendungsgebiete) zeigt, beschränkte sich die im damaligen Zeitraum zugelassene Anwendung von Taxotere zur Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs ohne vorausgegangene Chemotherapie auf die Kombination mit Doxorubicin. Eine Dreierkombination unter Einschluss von Cyclophosphamid war in diesem Zeitraum nicht vorgesehen. Sie ist erst zu einem späteren Zeitpunkt zulässig geworden, was in der Folgezeit eingetretene Änderungen des Anwendungsgebiets zeigen. So ist ausweislich der Roten Liste 2007 im damaligen Zeitpunkt auch eine Kombination von Taxotere mit Doxorubicin und Cyclophosphamid zulässig gewesen, nämlich für die adjuvante Therapie von Patientinnen mit operablem, modal positivem Brustkrebs. Wenn der Kläger demgegenüber in seiner Klagebegründung meint, der „Ausschluss von Kombinationen“ ergebe sich aus den in der Fachinformation genannten Gegenanzeigen und Warnhinweisen, geht er in offensichtlich sachfremder Weise davon aus, jede Arzneimittelkombination, vor der nicht ausdrücklich gewarnt werde, sei auch arzneimittelrechtlich zugelassen. Dass die vorliegend durchgeführte Gepartrio-Studie einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Taxotere beinhaltet, ergibt sich schließlich aus deren Zuordnung zur Phase III, die vor der arzneimittelrechtlichen Zulassung des Arzneimittels durchlaufen wird (vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 5). Eine klinische Prüfung der Phase III liegt insbesondere auch vor, wenn ein zugelassenes Arzneimittel für eine bislang noch nicht zugelassene Indikation geprüft wird (Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Januar 2014, § 35c Rn 41).
Der Verordnungsausschluss nach § 91 Abs 9 SGB V iVm Ziff 12 AMR verletzt auch kein höherrangiges Recht. Zu Unrecht meint der Kläger, aus einzelnen gesetzlichen Vorschriften wie § 137c SGB V oder § 8 KHEntG ableiten zu können, dass die Verordnung von Arzneimitteln im Rahmen klinischer Studien allgemein dem Gesetz entspreche. Den genannten Regelungen sind keine Rechtswirkungen beizumessen, die über den dort jeweils geregelten Teilbereich hinausgehen. Auch das BSG hat festgehalten, dass Grundlagenforschung und klinische Studien grundsätzlich nicht zu Lasten der GKV durchgeführt werden sollen und insbesondere die vertragsärztliche Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels zu Lasten der GKV für die Zeit der klinischen Prüfung ausscheidet (SozR 4-2500 § 137c Nr 2; SozR 3-2500 § 31 Nr 3).
Auch aus § 35c Abs 2 SGB V, wonach Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien haben, ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift ist erst durch das GKV-WSG vom 26. März 2007 (BGBl I 378) eingeführt worden und zum 1. April 2007 in Kraft getreten. Mit der Regelung ist beabsichtigt worden, die Versorgung von Patientinnen und Patienten in bestimmten Fällen gegenüber der bisherigen Rechtslage zu verbessern (BT-Drucks 16/4247 S 32). Dabei ist in § 35c Abs 2 S 3 SGB V eine vorherige Information des G-BA vorgesehen, der gem § 35c Abs 2 S 1 SGB V der Arzneimittelverordnung widersprechen kann. Dies alles schließt es aus, die Vorschrift auf den vorliegenden Fall und damit rückwirkend anzuwenden.
2. Unabhängig hiervon ist die Festsetzung eines Regresses wegen der Verordnung des Arzneimittels Taxotere auch gerechtfertigt, weil ein Fall des unzulässigen Off-Label-Use vorliegt. Nach ständiger Rechtsprechung kann auch ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der GKV in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (grundlegend: BSG SozR 3-2500 § 31 Nr 8). Eine Verwendung außerhalb des Anwendungsgebiets lag - wie dargelegt - im streitbefangenen Quartal in dem kombinierten Einsatz von Taxotere mit Doxorubicin und Cyclophosphamid vor. Ein derartiger Off-Label-Use zu Lasten der Krankenversicherung ist auf Fälle beschränkt, in denen es (1.) um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung geht und in denen (2.) keine andere Therapie verfügbar ist und (3.) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann (BSG aaO). Wie der Kläger selbst im Berufungsverfahren (Schriftsatz vom 25. Februar 2013) dargelegt hat, stand im Verordnungszeitpunkt für die neoadjuvante Chemotherapie des Mammakarzinoms jedoch ein „Standardschema“ zur Verfügung, nämlich der viermalige Ansatz der Wirkstoffkombination EC (Epirubicin und Cyclophosphamid) und danach - postoperativ - die viermalige Gabe von Taxanen wie dem streitbefangenen Taxotere. Im Übrigen lagen aussagekräftige Forschungsergebnisse über die hiervon abweichende Kombination TAC im Quartal I/2004 noch nicht vor, sondern sollten durch die hier durchgeführte Phase III-Studie gerade gewonnen werden.
3. Demgegenüber lag kein Fall vor, in dem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG wegen einer notstandsähnlichen Situation ein erweiterter Behandlungsanspruch der Versicherten aus Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 S 1 GKG folgt (vgl hierzu BVerfGE SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 4; SozR 4-2500 § 106 Nr 30). Übertragen auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln bedeutet dies, dass sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkungen der arzneimittelrechtlichen Zulassung hinaus auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln erstreckt, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 mwN). Voraussetzung hierfür ist ua, dass bei dem Versicherten eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung hierfür nicht zur Verfügung steht (BSG aaO). Auch im vorliegenden Zusammenhang fehlt es aber zumindest an der letztgenannten Voraussetzung, weil für die neoadjuvante Chemotherapie die oben bereits angeführte standardisierte Arzneimittelbehandlung zum Einsatz kommen konnte.
4. Ein Verschulden des verordnenden Arztes ist für die Festsetzung eines Arzneimittelregresses nicht erforderlich. Der Vertragsarzt kann sich auch nicht darauf berufen, dass bei Nicht-Durchführung der regressierten Arzneimitteltherapie Kosten für den Einsatz des Präparats im Rahmen einer anderen Behandlungsart angefallen wären. Schließlich mussten die Prüfgremien vor der Festlegung des Verordnungsregresses auch keine Ermessensentscheidung treffen (zu alledem: BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und Abs 3 sowie § 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG) liegen schon deshalb nicht vor, weil sich die Rechtslage nach Einführung des § 35c SGB V mittlerweile geändert hat.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung des § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).