Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.03.2014, Az.: L 3 KA 14/12
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 05.03.2014
- Aktenzeichen
- L 3 KA 14/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 42396
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 14.09.2011 - AZ: S 65 KA 35/10
Rechtsgrundlagen
- § 106 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 5
- § 106 Abs 5a SGB 5
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Auf die Anfechtungsklage eines Vertragsarztes, die gegen einen ihn belastenden Bescheid im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gerichtet ist, kann lediglich ein Bescheidungsurteil in entsprechender Anwendung des § 131 Abs 3 SGG ergehen.
2. Dem Beschwerdeausschuss ist es bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen verwehrt, von ihm anerkannte Praxisbesonderheiten im Rahmen der Quantifizierung mit erkennbar pauschaler Begründung immer nur zu 50 vH anzuerkennen.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. September 2011 und der Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 2010 aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, über die Wirtschaftlichkeit der von der Klägerin im Jahr 2002 verordneten Arznei- und Heilmittel unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.848 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Richtgrößenregresses.
Die Klägerin nimmt als Fachärztin für Innere Medizin ohne Teilgebietsbezeichnung an der vertragsärztlichen Versorgung in F. teil. 2002 verordnete sie Arznei-, Verband- und Heilmittel iHv 711.230,35 Euro (brutto) und überschritt damit die fachgruppenbezogene Richtgröße um 73,95 vH.
Im Anschluss setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen gegen die Klägerin einen Richt-größenregress iHv 75.288,74 Euro fest. Dabei berücksichtigte der Ausschuss Praxisbesonderheiten der Klägerin iHv 104.704,98 Euro und weitere Abzüge iHv 1.459,48 Euro (Bescheid vom 30. November 2006).
Auf den Widerspruch der Klägerin reduzierte der beklagte Beschwerdeausschuss den Richtgrößenregress auf 24.847,59 Euro. Dafür bereinigte er zunächst die Daten der verwandten Einzelverordnungsstatistik zusätzlich iHv 1.433,05 Euro (wegen fehlerhaft enthaltener Hilfsmittelverordnungen und unklarer Datensätze). Ferner stufte er freiwillig versicherte Patienten, die die Altersgrenze von 65 Jahren überschritten hatten und bisher als „Mitglieder“ (M) bzw „Familienangehörige“ (F) geführt worden waren, als „Rentner“ (R) ein; dies führte zu einem zusätzlichen Differenzbetrag zugunsten der Klägerin iHv 6.495,28 Euro. Außerdem erkannte der Beklagte weitere Praxisbesonderheiten der Klägerin iHv 49.001,12 Euro an (nach den Anl 3.1 und 3.2 der Richtgrößenvereinbarung <RGV>, 50 vH der Verordnungen für die Versorgung von Patienten mit kardiologischen Erkrankungen typischerweise eingesetzter Statine bzw antithrombotischer Mittel). Weitere Besonderheiten seien aber nicht ersichtlich (Bescheid vom 14. Januar 2010).
Hiergegen hat die Klägerin am 27. Januar 2010 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Die Richtgrößenprüfung sei in mehrfacher Hinsicht formell rechtswidrig (treuwidrig späte Einleitung des Prüfverfahrens, falsche Ermittlung und zu späte Veröffentlichung der Richtgrößen für 2002, Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs). Materiell-rechtlich seien die der Richtgrößenprüfung zugrundeliegenden Verordnungsdaten in hohem Maße fehlerhaft (wegen weiterer Datenmängel, fehlender Berücksichtigung von Einmalzahlung der Pharmaindustrie/Retaxierungen/Patientenzuzahlungen). Außerdem sei ihr zu Unrecht der Abschluss einer regressablösenden Individualvereinbarung vorenthalten worden. Schließlich habe der Beklagte die von ihr bereits im Verwaltungsverfahren durch fortlaufende Listen vorgetragenen Praxisbesonderheiten entweder in einem nicht nachvollziehbaren Umfang oder nur unzureichend berücksichtigt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. September 2011 abgewiesen. Zwar sei der Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 2010 mangels einer ausreichenden Begründung iSv § 35 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) formell rechtswidrig; allerdings sei die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt. So habe der Beklagte nicht ausreichend iSv § 35 SGB X dargelegt, weshalb er die von der Klägerin geltend gemachten Praxisbesonderheiten teilweise anerkannt und teilweise nicht anerkannt habe. Der Formmangel sei aber nach § 42 SGB X unbeachtlich, weil eine für die Klägerin günstigere Entscheidung ausgeschlossen sei. Auch die Kammer habe nämlich nicht erkennen können, dass der Beklagte zur Festsetzung eines geringeren Regresses verpflichtet sein könnte. Hinsichtlich der weiteren Einwendungen der Klägerin sei der Bescheid des Beklagten - entgegen ihrer Auffassung - nicht zu beanstanden.
Gegen dieses Urteil (zugestellt am 30. Januar 2012) wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 10. Februar 2012. Sie hält die Entscheidung des SG gleich in mehrfacher Hinsicht für rechtsfehlerhaft. Zunächst habe der Beklagte bei der aus 2001 übernommenen Richtgröße zu Unrecht die Nachtragsvereinbarung zur RGV 2001 vom 31. Juli 2005 (wonach 2001 Richtgrößenprüfungen erst bei einer Regresssumme von mehr als 15.000 Euro durchzuführen seien) und die Ergänzungsvereinbarung vom 13. November 2003 unberücksichtigt gelassen. Außerdem treffe es nicht zu, dass der vom SG erkannte Begründungsmangel im Bescheid des Beklagten unbeachtlich sei. Insbesondere könne das Gericht nicht anstelle des Beklagten entscheiden, ob und in welchem Umfang Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen seien. Ferner treffe es nicht zu, dass der Vortrag zu den Praxisbesonderheiten unsubstantiiert sei. Der Beklagte selbst habe im Vorfeld der Richtgrößenprüfung 2002 an alle betroffenen Ärzte Hinweisblätter versandt, auf denen mögliche Praxisbesonderheiten unter Angabe von Indikation, Patientenname, Versicherungsnummer und Name des verordneten Präparats aufgeführt werden sollten. Eine darüber hinaus gehende Substantiierung sei nicht erforderlich gewesen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass das SG in den Parallelverfahren zu den Richtgrößenregressen 2001 und 2003 die entsprechenden Bescheide des Beklagten wegen der fehlenden Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten (Heilmittelverordnungen nach Anl 3.3 der RGV) aufgehoben habe. Dieselben Praxisbesonderheiten bestünden auch 2002.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. September 2011 und den Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die übrigen Beteiligten stellen keinen Antrag.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
Das SG hat ihre Klage zu Unrecht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin ist daher die Entscheidung des SG und der Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 2010 aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
1. Gegenstand des Verfahrens ist - entsprechend der stRspr des Bundessozialgerichts (BSG) zu Prüfungsverfahren im Bereich der Wirtschaftlichkeit (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 35 und 39) - allein der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom 14. Januar 2010. Die hiergegen gerichtete Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Der Senat schließt sich allerdings nicht der Auffassung des SG an, wonach in Verfahren, die die Rechtmäßigkeit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zum Gegenstand haben, das Anfechtungsbegehren eines Arztes dem Erlass eines Neubescheidungsurteils iSv § 131 Abs 3 SGG entgegenstehen soll. Zwar ist im sozialgerichtlichen Verfahren dem Grunde nach der Ausspruch einer Neubescheidungsverpflichtung nur möglich, wenn der Kläger die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts begehrt (und nicht, wenn er einen belastenden Verwaltungsakt anficht; vgl hierzu die Regelungen in § 131 Abs 1 bis 3 SGG). Von dieser prozessrechtlichen Grundkonzeption des SGG muss hier aber vor dem Hintergrund abgewichen werden, dass dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus den §§ 2 Abs 1, 12 SGB V und mit ihm dem Rechtsinstitut der Wirtschaftlichkeitsprüfung ein hoher Stellenwert für die Aufrechterhaltung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zukommt. Entsprechend betont das BSG in mittlerweile stRspr, dass es der Zielsetzung des Gebots entspricht, dass das Abrechnungs- und Verordnungsverhalten aller Vertragsärzte zu jeder Zeit einer effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegen muss (vgl hierzu ua BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 55; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 51; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53; BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 32; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17). Die inhaltlich und zeitlich umfassende Verpflichtung der Prüfgremien zur Durchführung effektiver Wirtschaftlichkeitsprüfungen bezieht sich daher auch auf solche Verfahren, in denen der Prüfbescheid nach der Erhebung einer Anfechtungsklage durch den davon betroffenen Vertragsarzt von einem Sozialgericht aufgehoben worden ist. Die Auffassung des SG im Urteil vom 14. September 2011, der Beklagte könne nach Aufhebung seines Bescheids uU auch von einer neuen Entscheidung absehen, trifft deshalb gerade nicht zu. Damit ist in solchen Fällen der Ausspruch einer Neubescheidungsverpflichtung letztlich nur der Ausdruck der materiellen Rechtslage im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Aber auch das an die Rechtsschutzgarantie aus Art 19 Abs 4 GG anknüpfende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes macht es erforderlich, in sozialgerichtlichen Verfahren, in denen der Prüfbescheid einer Wirtschaftlichkeitsprüfung angefochten wird, die Verwaltungsentscheidung ggf nicht nur aufzuheben, sondern darüber hinaus noch eine Neubescheidungsverpflichtung für die Prüfgremien auszusprechen. Denn es kann nicht als „effektiv“ in diesem Sinne angesehen werden, wenn die Verfahrensbeteiligten im Anschluss an eine uU mehrere Jahre andauernde sozialgerichtliche Auseinandersetzung darüber, ob die aus einer Wirtschaftlichkeitsprüfung resultierende Honorarkürzung rechtmäßig ist oder nicht, weiterhin im Unklaren darüber gelassen werden, welche Vorgaben im konkreten Einzelfall für die trotz der Gerichtsentscheidung anhaltende Verpflichtung der Prüfgremien zur Überprüfung des Abrechnungs- und Verordnungsverhaltens bestehen. Daher ist es in solchen Fällen auch prozessrechtlich geboten, über den Erlass einer Neubescheidungsverpflichtung den rechtlichen Rahmen für eine rechtmäßige Wirtschaftlichkeitsprüfung des betroffenen Arztes bindend festzulegen.
Der Senat folgt damit der stRspr des BSG, das den Erlass von Bescheidungsurteilen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit unterschiedler Begründung für geboten hält (SozR 2200 § 368n Nr 27; SozR 4-1500 § 141 Nr 1, jeweils mwN).
2. Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben ist die Anfechtungsklage der Klägerin iS der Verurteilung des Beklagten zu einer Neubescheidung begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage der Richtgrößenprüfung ist die Regelung in § 106 Abs 2 S 1 Nr 1, Abs 5a SGB V(hier anzuwenden idF des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes vom 19. Dezember 2001 <ABAG>, BGBl I 3773). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung ua durch eine arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei der Überschreitung fachgruppenbezogener Richtgrößen gemäß § 84 SGB V (ebenfalls anzuwenden idF des ABAG) geprüft. Eine Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 15 vH löst gemäß § 106 Abs 5a S 1 SGB V regelmäßig eine derartige Wirtschaftlichkeitsprüfung aus.
Den sich hieraus ergebenden Maßgaben wird der Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 2010 nicht in vollem Umfang gerecht. Zwar greifen die im Berufungsverfahren noch geltend gemachten Einwendungen der Klägerin gegenüber der Richtgrößenprüfung 2002 größtenteils nicht durch (dazu 3.). Allerdings hat der Beklagte bei der Prüfung die von ihm anerkannte Praxisbesonderheit der Klägerin (kardiologischer Behandlungsschwerpunkt) nur unzureichend berücksichtigt (dazu 4.). Bereits aus diesem Grund muss der streitbefangene Bescheid aufgehoben und der beklagte Beschwerdeausschusses verurteilt werden, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
3. Im Wesentlichen ist die streitbefangene Richtgrößenprüfung aber nicht zu beanstanden.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen dem Prüfungsverfahren für 2002 wirksame Richtgrößen zugrunde.
Für 2002 haben die Beigeladene zu 1. und die Landesverbände der Krankenkassen (KKen) die RGV vom 31. März 2002 abgeschlossen, die im Juli 2002 bekannt gegeben (Nds ÄBl 2002, Heft 7, S 85 ff) und damit wirksam geworden ist (geändert durch die Ergänzungsvereinbarung vom 13. November 2003, Nds ÄBl 2004, Heft 4, S 93 ff). Soweit die RGV 2002 verordnungssteuernde Wirkung hat - insbesondere also in Hinblick auf die in der Anl 1 festgesetzten Richtgrößen - kommt ihr für die vor ihrer Bekanntmachung liegenden Zeiträume allerdings echte Rückwirkung zu, die nach der Rspr des BSG rechtswidrig wäre (SozR 4-2500 § 106 Nr 11; zur im Jahr 2002 abweichenden Rechtslage in Bayern: SozR 4-2500 § 84 Nr 2). Zu Recht haben die Prüfgremien der Richtgrößenprüfung 2002 deshalb die Richtgrößen zugrunde gelegt, die für 2001 in der RGV 2001 (vom 16. September 2000, Nds ÄBl 2000, Heft 12, S 110 ff) vereinbart worden sind. Diese hat - auch für die hier entscheidende Fachgruppe der fachärztlichen Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung - höhere Richtgrößen vorgegeben (umgerechnet 49,62 Euro für die Gruppe M/F - gegenüber 47,65 Euro in der RGV 2002 - bzw umgerechnet 103,30 Euro für die Rentner - gegenüber 92,01 Euro in der RGV 2002). Hierzu können sich die Prüfgremien auf die Übergangsregelung in Art 3 § 2 S 1 ABAG berufen, wonach Richtgrößenprüfungen im Jahr 2002 „auf der Grundlage der Richtgrößenvereinbarung nach § 84 Abs 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung“ erfolgen. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll hierdurch gewährleistet werden, „dass im Jahr 2002 die Prüfungen nach Richtgrößen auf der Grundlage der nach bisherigem Recht getroffenen Richtgrößenvereinbarungen durchgeführt werden. Für den Fall, dass diese Richtgrößenprüfungen wegen Umsetzungsdefiziten in dieser Weise praktisch nicht durchgeführt werden können, sind im Jahr 2002 ersatzweise Prüfungen der in den Jahren zuvor getätigten Arznei- und Heilmittelverordnungen nach Durchschnittswerten (§ 106 Abs 2 Nr 1, 1. Alternative) vorzunehmen“ (BT-Drucks 14/6309 zu § 2, S 11). Mit dieser Regelung trägt der Gesetzgeber ersichtlich dem relativ späten Inkrafttreten des ABAG kurz vor dem Jahreswechsel 2001/2002 und den damit verbundenen Schwierigkeiten Rechnung, zeitgerecht noch vor Beginn des Jahres 2002 hierauf bezogene Richtgrößen zu beschließen. Die Regelung zielt damit auf eine kontinuierliche Richtgrößenprüfung ab, selbst wenn entsprechende Vereinbarungen für 2002 erst im Laufe des Jahres getroffen und publiziert werden und ihre Steuerungsfunktion nicht mehr oder nur noch teilweise erfüllen können.
Auch eine noch weitergehende Begünstigung der 2002 geprüften Ärzte durch Anwendung des 1. Nachtrags zur RGV 2001 (der eine pauschale Reduzierung der Nettoregresssumme um 15.000 Euro vorsieht) kommt vorliegend nicht in Betracht. Hintergrund ist, dass dieser Nachtrag erst am 12. Juli 2005 vereinbart worden ist; er gehört deshalb nicht mehr zu den bei Inkrafttreten des ABAG (zum 1. Januar 2002) geltenden Vereinbarungen der RGV 2001, deren Weitergeltung Art 3 § 2 S 1 ABAG anordnet.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die streitbefangene Richtgrößenprüfung auch auf der Grundlage verlässlicher elektronischer Daten durchgeführt worden.
Nach der stRspr des BSG (SozR 4-2500 § 106 Nr 11; SozR 4-2500 § 84 Nr 2) sind Richtgrößenprüfungen auf der Grundlage gemäß § 296 Abs 3 SGB V von den Krankenkassen elektronisch übermittelter Daten über die vom jeweiligen Vertragsarzt veranlassten Verordnungskosten durchzuführen. Den auf dieser Weise für den einzelnen Vertragsarzt erfassten Verordnungsdaten kommt die Vermutung der Richtigkeit zu; sie begründen den Anscheinsbeweis für das Volumen der von ihm veranlassten Verordnungskosten. Sind in den elektronisch erfassten detaillierten Verordnungslisten offensichtliche Fehler erkennbar oder bringt der geprüfte Arzt anhand eigener Behandlungsunterlagen substantiierte Einwendungen vor, die berechtigte Zweifel an der Richtigkeit einzelner zu seinen Lasten gebuchter Verordnungen begründen, müssen die Prüfgremien dem weiter nachgehen. Sie müssen zudem von Verordnungen, die von begründeten Zweifeln betroffen sind, die Verordnungsblätter bzw Images von den Krankenkassen beiziehen und auf diese Weise ggf festgestellte Fehlbuchungen bereinigen; können einzelne Verordnungsblätter von den Krankenkassen nicht mehr vorgelegt werden, sind nur die hiervon betroffenen Verordnungsbeträge nicht erwiesen und deshalb in Abzug zu bringen. Stellt sich im Rahmen der Einzelüberprüfung der Verordnungslisten allerdings heraus, dass die für den Arzt gemeldeten Verordnungskosten in erheblichem Umfang - dh: wenigstens 5 vH - fehlerhaft sind, ist dem Anscheinsbeweis insgesamt zutreffend elektronisch erfasster Verordnungskosten die Grundlage entzogen. In diesem Fall müssen die vom Arzt tatsächlich veranlassten Verordnungskosten durch individuelle Auswertungen sämtlicher noch vorhandener Verordnungsblätter bzw Images ermittelt werden. Gelingt dies nicht, haben die Prüfgremien einen angemessenen Sicherheitsabschlag von der Regresssumme vorzunehmen (vgl zu alledem: BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11).
Vorliegend hat der Beklagte im Rahmen seiner Vorab-Prüfung (§ 106 Abs 5a S 1 SGB V) die bereits vom Prüfungsausschuss (als „Bereinigung der Bruttoausgaben“ bzw „weitere Abzüge“) herausgerechneten Datensätze iHv insgesamt 8.422,13 Euro bestätigt und anschließend bei seiner eigenen Bescheidung weitere Datenfehler iHv 1.433,05 Euro anerkannt. Wenn der Ausschuss insoweit keine Nachprüfung anhand beigezogener Verordnungsblätter durchgeführt, sondern stattdessen nur den Gesamtbetrag über 9.855,18 Euro in Abzug gebracht hat, entspricht dies zwar nicht der vorangestellt dargelegten Vorgehensweise; die Klägerin wird hierdurch jedoch nicht beschwert. Ein Datenvolumen von mindestens 5 vH, das zur obligatorischen Prüfung der Originalunterlagen geführt hätte, wird angesichts der hier maßgeblichen Basis-Bruttoverordnungskosten von 704.267,70 Euro deutlich unterschritten (Anteil: 1,39 vH).
Im Übrigen löst die lediglich pauschale Behauptung eines Verfahrensbeteiligten, das Verordnungsvolumen sei nicht ordnungsgemäß erfasst worden, keine Verpflichtung zur weiteren Beweiserhebung bzw zur Vorlage versichertenbezogener Verordnungsblätter aus (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11 Rn 31). Aus diesem Grund sind auch die im Klageverfahren von der Klägerin aufgegriffenen Hinweise der Beigeladenen zu 1., zwischen der ersten und der zweiten Datenlieferung über das Brutto-Verordnungsvolumen bestünden erhebliche Abweichungen, nicht relevant. Dies gilt umso mehr, als die Rüge fehlerhafter Daten im Klageverfahren verspätet ist, weil entsprechender Vortrag im Verfahren vor den Prüfgremien erfolgen muss (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19; SozR 4-2500 § 106 Nr 23). Daher kann die Klägerin auch nicht mit ihrem erstmals im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens vorgebrachten Einwand gehört werden, die Verordnungen seien vermehrt auf den Monatsanfang bzw das Monatsende oder einen fiktiven Termin datiert worden bzw wiesen zum Teil nicht den Handelsnamen der Arzneimittel oder den Namen der Versicherten auf.
c) Die Klägerin hat deshalb auch keinen Anspruch darauf, dass die erst im Berufungsverfahren geltend gemachten Praxisbesonderheiten zu nicht näher dargelegten Heilmittelverordnungen aus dem Jahr 2002 noch gesondert berücksichtigt werden.
Hieran kann sich durch den Hinweis der Klägerin, das SG habe diese Praxisbesonderheiten in den Parallelverfahren für 2001 und 2003 bereits anerkannt, nichts ändern. Hintergrund ist, dass jeder Prüfungszeitraum einer gesonderten Beurteilung unterliegt (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19 und Nr 23) und der entsprechende Vortrag der Klägerin für 2002 erkennbar verspätet erfolgt ist.
d) Soweit die Klägerin schließlich schon im Verwaltungsverfahren eingefordert hat, eine Vereinbarung über eine individuelle Richtgröße abzuschließen, bleibt dies vorliegend ohne Folgen.
Die gesetzliche Regelung hierzu (§ 106 Abs 5d S 1 SGB V) ist erst mit Wirkung zum 1. Januar 2004 durch das GMG in Kraft getreten. Da die Vorschrift eine unmittelbare materiell-rechtliche Wirkung entfaltet (nämlich, dass ein zu erstattender Mehraufwand im Falle der Vereinbarung einer individuellen Richtgröße nicht festgesetzt wird), gilt die Vorschrift nach den Maßgaben des intertemporalen Rechts frühestens für die Richtgrößenprüfung des Jahres 2004 (vgl zur Geltung geänderter materiell-rechtlicher Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung für den Zeitraum nach dem Inkrafttreten einer Norm BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18).
4. Allerdings hat der Beklagte bei der streitbefangenen Richtgrößenprüfung die von ihm anerkannte Praxisbesonderheit der Klägerin (kardiologischer Behandlungsschwerpunkt) nur unzureichend berücksichtigt.
a) Bei einer Richtgrößenprüfung nach § 106 Abs 5a S 4 SGB V kommt die Erstattung eines Verordnungsmehraufwands nicht in Betracht, wenn der Mehraufwand durch Praxisbesonderheiten des Arztes begründet ist. Ebenso wie bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach (statistischen) Durchschnittswerten besteht auch bei der Richtgrößenprüfung ein Beurteilungsspielraum der Prüfgremien, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11; SozR 4-2500 § 84 Nr 2). Dabei ist nach der überzeugenden Rechtsprechung des BSG (vgl zum Folgenden BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2) der Begriff der Praxisbesonderheiten in beiden Prüfverfahren gleich zu verstehen. Für eine unterschiedliche Beurteilung finden sich weder Anhaltspunkte im Gesetz noch ergeben sich solche aus der Art der Prüfmethode. Zwar ist für die Richtgrößenprüfung nicht das statistische Verhalten der Vergleichsgruppe maßgeblich, das arztbezogen festgelegte Richtgrößenvolumen basiert jedoch ebenfalls auf einem Durchschnittswert.
Praxisbesonderheiten sind demnach auch bei einer Richtgrößenprüfung anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des jeweiligen Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10; SozR 4-2500 § 84 Nr 2; Urteil vom 5. Juni 2013 - B 6 KA 40/12 R - juris). Dabei obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände der Praxisbesonderheiten und kompensierenden Einsparungen dem Arzt (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19; Urteil vom 5. Juni 2013, aaO, mwN). Er ist gehalten, im Prüfungsverfahren die Umstände geltend zu machen, die sich aus der Atypik seiner Praxis ergeben, aus seiner Sicht auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne Weiteres anhand der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5. Juni 2013, aaO). Der diesbezügliche Vortrag muss substantiiert sein, dh so genau wie möglich (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5. Juni 2013, aaO) und plausibel (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19).
b) Vorliegend hat der Beklagte als Praxisbesonderheiten der Klägerin zutreffend die Verordnung verschiedener Arzneimittel anerkannt, die unter die Indikationsgebiete nach den Anl 3.1 und 3.2 zur RGV 2002 fallen. Als weitere Praxisbesonderheit hat der Ausschuss die Versorgung von Patienten mit kardiologischen Erkrankungen angesehen und daher „die im Rahmen der Behandlung dieser Patientenklientel typischerweise eingesetzten Statine sowie antithrombotischen Mittel Plavix und Iscover“ zu 50 vH herausgerechnet. Alle weiteren, von der Klägerin geltend gemachten Praxisbesonderheiten hat der Ausschuss hingegen nicht berücksichtigt.
(1) Soweit der Beklagte - wie hier - einen Behandlungsschwerpunkt des zu prüfenden Arztes ohne Anfechtung durch die Beigeladenen als Praxisbesonderheit anerkennt, kann in einem sich daran anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren wegen der Bindung des Gerichts an diese Teilentscheidung dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit überhaupt vorgelegen haben. Daran bestehen hinsichtlich der hier anerkannten Praxisbesonderheit (kardiologischer Behandlungsschwerpunkt) zwar erhebliche Zweifel, weil die für Internisten mit der Teilgebietsbezeichnung Kardiologie vereinbarten Richtgrößen deutlich unter denen für Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung liegen; dennoch muss der Beklagte im nächsten Prüfungsschritt den durch die anerkannte Praxisbesonderheit gerechtfertigten Verordnungsumfang quantifizieren, um zu klären, ob unter Berücksichtigung aller Praxisbesonderheiten überhaupt noch eine Überschreitung des jeweiligen Richtgrößenvolumens von 25 vH vorliegt (§ 106 Abs 5a SGB V) bzw wie hoch ggf der dann noch festzusetzende Regressbetrag ist. Wenn eine genaue Bestimmung des auf die anerkannte Praxisbesonderheit entfallenden Verordnungsumfangs nicht möglich ist, haben ihn die Prüfgremien zu schätzen (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 6), wobei ihnen als fachkundig besetzte Gremien ein Beurteilungsspielraum zukommt (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11). Dabei beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle von Beurteilungsspielräumen auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (stRspr; vgl hierzu ua BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 25 mwN).
(2) Vorliegend hat der Beklagte den auf die hier maßgebliche Praxisbesonderheit entfallenden Verordnungsaufwand mit 50 vH des Verordnungsvolumens geschätzt, das auf die von der Klägerin typischerweise eingesetzten Statine und antithrombotischen Mittel entfällt. Zur Begründung der nur anteiligen Anerkennung hat der Ausschuss angeführt, die Behandlung von Patienten mit kardiologischen Erkrankungen stelle grundsätzlich keine Besonderheit in der Facharztgruppe der Klägerin dar. Diese Begründung hat der Senat bislang noch als ausreichend angesehen (vgl hierzu den Senatsbeschluss vom 21. Februar 2011 - L 3 KA 100/10 B ER). Wie jedoch der vorliegende Fall und zusätzlich dem Senat bekannt gewordene Parallelverfahren zeigen, setzt der Beklagte diese Begründung mittlerweile undifferenziert in einer Vielzahl von Richtgrößenprüfungen ein - und zwar unabhängig von der Facharztgruppe, der der zu prüfende Arzt angehört, sowie der von ihm jeweils geltend gemachten Praxisbesonderheiten. Bereits aus diesem Grund sind die entsprechenden Bescheide des Beklagten rechtswidrig. Mit dieser „Pauschalierung“ kommt der Ausschuss seiner im gestuften Prüfungsverfahren der Richtgrößenprüfung bestehenden Verpflichtung zu einer auf ggf amtsermittelten Tatsachen basierenden einzelfallbezogenen Schätzung des unter Berücksichtigung der anerkannten Praxisbesonderheiten noch verbleibenden Verordnungsmehraufwands nicht mehr nach. Denn es ist ihm auch im Rahmen des den Prüfgremien zustehenden Beurteilungsspielraums nicht gestattet, eine sachgerechte Aufbereitung des Sach- und Streitstands und eine konkrete Tatsachenermittlung durch allgemeine Erwägungen zu ersetzen (vgl hierzu BSGE 55, 110 ff [BSG 18.05.1983 - 6 RKa 18/80]; BSG SozR 2200 § 368n Nr 31).
(3) Aus Sicht des Senats verdeutlicht der vorliegende Fall sogar, dass der Beklagte bei der Quantifizierung von ihm anerkannter Praxisbesonderheiten keine auf Tatsachenermittlungen basierende, einzelfallbezogene Schätzung mehr vornimmt. So hat der Ausschuss bereits bei der Richtgrößenprüfung der Klägerin für 2001 einen kardiologischen Behandlungsschwerpunkt als Praxisbesonderheit anerkannt und anschließend ohne weitere Sachverhaltsermittlungen alle in diesem Zusammenhang verordneten Arzneimittel herausgerechnet. Demgegenüber hat er in dem hier streitbefangenen Prüfungsverfahren - wie dargelegt - ohne Angabe einer nachvollziehbaren Begründung nur die Hälfte der „typischerweise“ eingesetzten Statine sowie der antithrombotischen Arzneimittel „Plavix“ und „Iscover“ als Praxisbesonderheit berücksichtigt. Schließlich hat der Ausschuss bei der Richtgrößenprüfung der Klägerin für 2003 die Hälfte aller verordneten antithrombotischen Arzneimittel und eingesetzten Statine als Praxisbesonderheit angesehen, ohne in einem der drei Prüfungsverfahren ermittelt oder dargelegt zu haben, ob und ggf in welchem Umfang der von der Klägerin geltend gemachte Behandlungsschwerpunkt von dem abweicht, was vergleichbare internistische Facharztpraxen ohne Teilgebietsbezeichnung kardiologisch verordnen. Deutlich wird hieran, dass der Beklagte zwar Praxisbesonderheiten dem Grunde nach anerkennt, deren Auswirkungen auf den festgestellten Verordnungsmehraufwand aber ohne gesicherte Tatsachengrundlage iSv § 20 SGB X festlegt. Dies erklärt auch, weshalb hier in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren dieselbe Praxisbesonderheit eines Arztes ohne erkennbaren Grund unterschiedlich quantifiziert worden ist.
(4) Die pauschalierte Vorgehensweise des Beklagten bei der Quantifizierung der von ihm anerkannten Praxisbesonderheiten kann - entgegen der Auffassung des SG - auch nicht als ein unbeachtlicher Verfahrensfehler iSv § 42 SGB X angesehen werden. Hiervon könnte nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur ausgegangen werden, wenn es iS der Verfahrensvorschrift offensichtlich wäre, dass die auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage vorgenommene Quantifizierung des Ausschusses dessen Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte. Wann genau bei dem den Prüfgremien zustehenden Beurteilungsspielraum von einer Offensichtlichkeit in diesem Sinne auszugehen ist, kann hier aber wegen der fehlenden Tatsachenermittlungen des Beklagten dahingestellt bleiben. Die eher willkürlich anmutende und - wie dargelegt - pauschalierte Verwaltungspraxis des Ausschusses bei der Quantifizierung von Praxisbesonderheiten lässt keinen sicheren Rückschluss auf deren tatsächliche Auswirkungen auf den Verordnungsmehraufwand eines Arztes zu. Insoweit liegt es hier auf der Hand, dass die Vorgehensweise des Beklagten seine Entscheidung in der Sache - nämlich hinsichtlich der Höhe des Richtgrößenregresses gegenüber der Klägerin - beeinflusst hat.
c) Im Übrigen aber teilt der Senat die Auffassung des SG, dass wegen des unsubstantiierten Vortrags der Klägerin im Verwaltungsverfahren über die bisher anerkannten Praxisbesonderheiten hinaus keine weiteren zu berücksichtigen sind. Dies gilt insbesondere, soweit die Klägerin geltend gemacht hat, ihre Praxisbesonderheiten nach den Anl 3.1 und 3.2 zur RGV seien nicht in ausreichendem Umfang berücksichtigt worden; denn hierzu legt sie lediglich für sich allein wenig aussagekräftige Listen vor.
5. Nach alledem ist der Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 2010 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beschwerdeausschuss ist daher verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Im Rahmen der Neubescheidung wird der Ausschuss zunächst die ihm im Zusammenhang mit der Quantifizierung anerkannter Praxisbesonderheiten nach § 20 SGB X obliegenden Sachverhaltsermittlungen nachholen müssen, um eine entsprechende Bestimmung oder zumindest Schätzung durchführen zu können. Zu klären ist, wie hoch der Anteil kardiologischer Behandlungen in der Vergleichsgruppe der Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung ist; anschließend ist der ermittelte Wert mit dem entsprechenden Patientenanteil in der Praxis der Klägerin zu vergleichen und darauf basierend die anerkannte Praxisbesonderheit in der Weise zu quantifizieren, dass der durch sie verursachte Mehraufwand in Form der kostenerhöhenden Auswirkungen bestimmt wird (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nrn 23, 41, 43 und 54). Dabei wird der Ausschuss auch auf den Einwand der Klägerin eingehen müssen, dass mehr als die bisher anerkannten Arzneimittelverordnungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem als Praxisbesonderheit anerkannten kardiologischen Behandlungsschwerpunkt stehen.
Nachdem der Ausschuss den auf die hier anerkannte Praxisbesonderheit entfallenden Mehraufwand ermittelt und - ggf unter Berücksichtigung des Verböserungsverbots - quantifiziert hat, wird er sein Ergebnis mit ausreichend nachvollziehbaren Erwägungen darlegen und ergänzend prüfen müssen, ob und in welchem Umfang noch ein von der Klägerin zu erstattender Verordnungsmehraufwand verbleibt.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 154 Abs 1 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des BSG geklärt sind.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf der Anwendung des § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).