Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 02.03.2006, Az.: 4 A 123/04
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 02.03.2006
- Aktenzeichen
- 4 A 123/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44407
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2006:0302.4A123.04.0A
Verfahrensgang
Amtlicher Leitsatz
Bei der Berechnung des Studienguthabens der Inhaber von auf den vorklinischen Studienabschnitt beschränkten Teilstudienplätzen ist die Regelstudienzeit für den Studiengang Medizin gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 der Approbationsordnung für Ärzte zugrunde zu legen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Erhebung von Studiengebühren durch die Beklagte.
Sie studierte vom Wintersemester 2000/2001 bis zum Wintersemester 2002/2003 und damit 5 Semester lang an der Universität O. Soziologie, Germanistik und Philosophie. Zum Sommersemester 2003 erhielt sie im Losverfahren einen Studienplatz im vorklinischen Studienabschnitt des Studiengangs Humanmedizin an der beklagten Universität.
Nach Anhörung der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 21.6.2004 fest, dass sich das Studienguthaben der Klägerin aus 4 Semestern Regelstudienzeit sowie einem Zuschlag von weiteren 4 Semestern zusammensetze, somit 8 Semester betrage und mit Ablauf des Sommersemesters 2004 ausgeschöpft sei. Gleichzeitig setzte sie für das Wintersemester 2004/2005 sowie für jedes weitere Semester, für das sich die Klägerin zurückmelde, Studiengebühren in Höhe von jeweils 500,00 Euro fest. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 21.7.2004 mit der Begründung Widerspruch, die Regelstudienzeit für das Medizinstudium betrage 13 Semester. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 2.8.2004 zurück.
Am 3.9.2004 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie wiederholt ihre Auffassung, es sei eine Regelstudienzeit von 13 Semestern zugrunde zu legen. Um Nachteile zu vermeiden, habe sie die Studiengebühr unter Vorbehalt gezahlt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 21.6.2004 und deren Widerspruchsbescheid vom 2.8.2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, die Klägerin studiere auf einem Teilstudienplatz, so dass ihr weiteres Studium nach Abschluss des vorklinischen Studienabschnittes nicht gewährleistet sei. In einem solchen Fall sei bei der Berechnung der Studiengebührenpflicht die Regelstudienzeit für den vorklinischen Studienabschnitt zugrunde zu legen. Ansonsten würde das Ziel des Gesetzgebers verfehlt, auch die in diesem Studienabschnitt Studierenden zu einem zügigen Studium anzuhalten.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Der Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens der Klägerin steht nicht entgegen, dass sie die streitige Gebühr (zumindest) für das Wintersemester 2004/2005 zwischenzeitlich bezahlt hat. Die Zahlung erfolgte ausdrücklich unter Vorbehalt und beseitigt das Rechtsschutzinteresse nicht, zumal die angefochtenen Bescheide eine Verpflichtung zur Zahlung von Studiengebühren auch für die Zukunft begründen.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 des Nds. Hochschulgesetzes (NHG) erheben die Hochschulen in staatlicher Verantwortung für das Land von den Studierenden für jedes Semester eine Studiengebühr in Höhe von 500,00 Euro, soweit den Studierenden kein Studienguthaben mehr zur Verfügung steht. Das Studienguthaben besteht aus der Höhe der Semesterzahl der Regelstudienzeit eines grundständigen Studienganges zur Erlangung eines berufsqualifizierenden Abschlusses zuzüglich weiterer vier Semester (§ 11 Abs. 1 S. 1 NHG). Für die Berechnung des Studienguthabens ist die Regelstudienzeit des gegenwärtig gewählten Studiengangs, bei einem Parallelstudium der Studiengang mit der längeren Regelstudienzeit maßgeblich (§ 11 Abs. 2 S. 1 NHG). Auf das Studienguthaben werden Studienzeiten an Hochschulen im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes (HRG) angerechnet, soweit für diese Studienzeiten keine Studiengebühren erhoben wurden (§ 11 Abs. 4 S. 1 NHG). Ist für die Erlangung des angestrebten Berufsabschlusses das Studium zweier Studiengänge rechtlich erforderlich, so erhöht sich das Studienguthaben gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 NHG einmalig um die zusätzlich erforderliche Studienzeit.
Die Beklagte ist bei der Berechnung des Studienguthabens zu Unrecht von einer Regelstudienzeit von vier Semestern ausgegangen. Zwar studiert(e) die Klägerin auf einem auf den vorklinischen Studienabschnitt des Studiengangs Humanmedizin beschränkten, "risikobehafteten" Teilstudienplatz, bei dem das Weiterstudium an einer deutschen Hochschule nicht gewährleistet ist (vgl. § 22 Abs. 1 der Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen in Studiengängen, die in das zentrale Vergabeverfahren einbezogen sind - ZVS-Vergabeverordnung - vom 13.5.2005, Nds. GVBl. S. 149; BVerfG, Beschluss vom 21.10.1981 - 1 BvR 802 u. a./78 -, BVerfGE 59, 172, 199 ff.), und sieht § 1 Abs. 3 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte vom 27.6.2002 (BGBl. I S. 2405), zuletzt geändert durch Artikel 71 des Gesetzes vom 21.6.2005 (BGBl. I S. 1818) für diesen Abschnitt des Studiums eine Studienzeit von zwei Jahren vor. Ungeachtet dessen handelt es sich bei dem Studium im vorklinischen Studienabschnitt nicht um einen grundständigen Studiengang zur Erlangung eines berufsqualifizierenden Abschlusses i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 NHG. Auch stellt die Vorgabe einer Studienzeit von zwei Jahren bis zur Ablegung des Physikums bzw. des Ersten Abschnittes der Ärztlichen Prüfung keine Festsetzung der Regelstudienzeit i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 NHG dar. Die Regelstudienzeit für den Studiengang Medizin ist vielmehr gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 der Approbationsordnung einheitlich auf sechs Jahre und drei Monate festgesetzt und daher im Fall der Klägerin noch nicht ausgeschöpft.
Der Umstand, dass im Fall der Zulassung auf einem risikobehafteten Teilstudienplatz nicht gesichert ist, dass das Studium nach dem Ende des vorklinischen Studienabschnitts fortgesetzt werden kann, führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu der Annahme, dass für den vorklinischen Studienabschnitt eine gesonderte Regelstudienzeit zugrunde zu legen ist. Maßgeblich ist vielmehr, dass das Ziel, einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erreichen, nur verwirklicht werden kann, wenn sämtliche Abschnitte des Medizinstudiums erfolgreich absolviert werden. In einem solchen Fall wäre dem Studienguthaben in Anwendung von § 11 Abs. 2 S. 2 NHG selbst dann die zusätzlich erforderliche Studienzeit für den klinischen Studienabschnitt hinzuzurechnen, wenn man den vorklinischen Teil der Ausbildung nicht als bloßen Studienabschnitt, sondern als eigenständigen Studiengang ansehen würde.
Die rechtliche Bewertung durch die Kammer führt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht zu einem vom Gesetzgeber unerwünschten Ergebnis. Da das Studium (nur) im vorklinischen Studienabschnitt für sich allein genommen keinen Sinn macht, wird sich jeder auf einem Teilstudienplatz Studierende, der einen medizinischen Abschluss zu erreichen beabsichtigt, bemühen, möglichst zügig einen Vollstudienplatz zu erlangen. Der Fall, dass Studierende im vorklinischen Studienabschnitt ohne Absolvierung des Physikums viele Semester lang weiter studieren, wird selten eintreten und kann daher vernachlässigt werden. Selbst wenn Studierende jedoch ihr Physikum nicht nach der vorgesehenen Studienzeit, sondern erst später bestehen, würde das Ziel des Gesetzgebers, die Studierenden zu einem zügigen Studium anzuhalten, nicht verfehlt, denn die absolvierten Studienzeiten würden dem Studienguthaben des betreffenden Studierenden zur Last fallen. Sie würden somit letztlich berücksichtigt werden, sofern es dem Studierenden später nicht gelingen sollte, sein Studium innerhalb der gebührenfreien Zeit abzuschließen. Sollten jedoch auf einem Teilstudienplatz Studierende ihr Studium nicht auf einem Vollstudienplatz fortsetzen, sondern es mehrere Semester nach Ablauf der regulären Studienzeit des vorklinischen Studienabschnitts abbrechen, würde sich ein solcher Studienverlauf - was die Erhebung von Studiengebühren betrifft - nicht wesentlich von dem eines von Anfang an auf einen Vollstudienplatz zugelassenen Studierenden unterscheiden, der sein Studium während des klinischen Studienabschnitts aufgibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Kammer lässt die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu, da sie der Frage der Berechnung des Studienguthabens der Inhaber von Teilstudienplätzen im Studiengang Medizin grundsätzliche Bedeutung beimisst.