Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 15.03.2006, Az.: 3 A 551/03
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 15.03.2006
- Aktenzeichen
- 3 A 551/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44428
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2006:0315.3A551.03.0A
Amtlicher Leitsatz
Zu dem für die Kostenbeteiligung einer Gemeinde maßgeblichen Erschließungsaufwand im Rahmen eines "modifizierten" Erschließungsvertrages/Vorfinanzierungsvertrages gehören regelmäßig auch Zinsen, die der Erschließungsunternehmer für einen Kredit der Erschließungsmaßnahme zu entrichten hat. Ausnahmsweise gilt dies dann nicht, wenn die Vertragsparteien die Erstattung dieser Kosten durch eine entsprechende Abrede ausgeschlossen haben.
Tatbestand:
Zum Sachverhalt:
Die beklagte Gemeinde übertrug der Firma I. durch Erschließungsvertrag vom 30.10.1996 die Durchführung der Erschließung eines durch Bebauungsplan ausgewiesenen Baugeländes einschließlich der erstmaligen Herstellung der im Bebauungsplan festgesetzten Planstraße mit allen Teileinrichtungen. Hinsichtlich dieser Planstraße sah der Vertrag vor, dass die Beklagte dem Unternehmer, der Firma I., die nachgewiesenen Herstellungskosten der Erschließungsanlage durch Zahlung oder Verrechnung erstattet. Die Firma I stellte der Beklagten nach mängelfreier Schlussabnahme für die Herstellung der Planstraße u.a. Kreditzinsen von insgesamt 98.284,66 Euro in Rechnung, die diese erstattete und zu 90% in den umlagefähigen Erschließungsaufwand einstellte. Die Klägerin, die von der Beklagten zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 8.200,67 Euro für die erstmalige und endgültige Herstellung der als Erschließungseinheit abgerechneten Planstraße herangezogen worden war, erkannte in erster Linie die Kreditzinsen nicht an. Sie machte geltend, für die Belastung der Anlieger mit diesen Kosten fehle die Rechtsgrundlage, weil der zwischen der Beklagten und der Firma I. geschlossene Erschließungsvertrag sich nicht zur Erstattung von Kreditzinsen des Unternehmers verhalte.
Die Beteiligten haben auf Vorschlag des Gerichts (Beschluss des Einzelrichter vom 23.02.2006) am 15.03.2006 den nachstehenden Vergleich angenommen:
1. Für die erstmalige und endgültige Herstellung der beiden selbständigen, aber funktionell voneinander abhängigen Erschließungsanlagen "An der S." in der Ortschaft O. (die 81 m lange konventionell ausgebaute Straße A von der "S.Straße" nach Westen einerseits; die daran anschließende, verkehrsberuhigt ausgebaute ringförmige Straße B andererseits), für die mit Beschluss des Rates der Beklagten vom 21.10.2002 die gemeinsame Aufwandsermittlung und -verteilung angeordnet worden ist, ermäßigt die Beklagte - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - den Erschließungsbeitragssatz von 15,4877627 Euro/qm Beitragsfläche auf nunmehr 14,00 Euro/qm Beitragsfläche. Für das mit Bescheid vom 31.03.2003 veranlagte Flurstück 610/4 der Flur 3 Gemarkung O. ergibt sich danach bei einer individuellen Beitragsfläche von 529,5 qm ein festzusetzender Erschließungsbeitrag von 7.413,- Euro. Unter Berücksichtigung der bereits gezahlten Vorausleistungen von 4.712,12 Euro verbleibt ein noch zu zahlender Betrag von 2.700,88 Euro.
2. Da die Klägerin bereits den gesamten im Bescheid der Beklagten vom 31.03.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2003 genannten noch zu zahlenden Betrag von 3.488,65 Euro gezahlt hat, überweist die Beklagte der Klägerin den im Hinblick auf Ziffer 1 überzahlten Differenzbetrag von 787,77 Euro auf ein von ihr zu benennendes Konto.
3. Die Kosten des Verfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens - letztere bezogen auf einen Gegenstandswert von 8.200,77 Euro und eine 7,5/10Geschäftsgebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO - tragen die Beklagte zu 1/10 und die Klägerin zu 9/10.
4. Der Wert des Streit- und des Vergleichsgegenstandes beträgt 8.200,77 Euro.
Gründe
Aus den Gründen des Vergleichsvorschlages:
Der hier in Rede stehende Vertrag der Beklagten mit der Firma I. (Unternehmer) vom 30.10.1996 ist nach seinem Regelungsinhalt ein Vertrag, der aufgrund der Abrechnung in § 9 zu einem erschließungsbeitragsfähigen Aufwand der Beklagten führt. Hinsichtlich der im Bebauungsplan Nr. 011 "Schanzenweg" ausgewiesenen Planstraße haben die Vertragschließenden vorgesehen, dass die Beklagte dem Unternehmer die nachgewiesenen Herstellungskosten der Erschließungsanlage durch Zahlung oder Verrechnung erstattet (vgl. § 9 Abs. 1 des Vertrages), so dass ein Erschließungsaufwand bei ihr entsteht, der durch Beitragserhebung refinanziert werden muss. Das Bundesverwaltungsgericht bezeichnet eine solche Vereinbarung als "modifizierten" Erschließungsvertrag (BVerwG, Urteil vom 22.03.1996 - 8 C 17.94 -, NVwZ 1996, 794/797 rechte Spalte), die obergerichtlichen Rechtsprechung und die Literatur als "Vorfinanzierungsvertrag" (OVG Saarlouis, Urteil vom 07.11.1988 - 1 R 322/87 -, DÖV 1989, 861; OVG Münster, Urteil vom 25.01.1994 - 3 A 1721/89 -; OVG Schleswig, Urteil vom 18.12.2002 - 2 L 246/01 -; Rodegra, NVwZ 1997, 633/634 f.). Entgegen der Ansicht der Klägerin gehen die getroffenen Vereinbarungen über einen Werkvertrag - auch als Generalunternehmervertrag - hinaus, weil sie sich nicht auf die Herstellung von Erschließungsanlagen beschränken (so zu Recht OVG Schleswig, Urteil vom 18.12.2002, a.a.O.). In wirtschaftlicher Hinsicht ist der Vertrag vom 30.06.1996 als ein Darlehensvertrag zugunsten der Beklagten anzusehen, um dieser nach Möglichkeit die Zinsverpflichtungen für eine Kreditaufnahme oder die Belastung des Gemeindehaushalts bis zur beitragsmäßigen Abrechnung zu ersparen (so zu Recht Rodegra, a.a.O. S. 635 linke Spalte).
Von dieser Vertragsgestaltung als so genannter Vorfinanzierungsvertrag bzw. "modifizierter" Erschließungsvertrag ausgehend ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung, der das Gericht folgt, geklärt, dass Zinsen für Kreditmittel, die ein Erschließungsunternehmer bei der Durchführung einer vertraglich übernommenen Erschließungsmaßnahme in Anspruch genommen hat, zu dem Erschließungsaufwand gehören, den die Gemeinde dem Unternehmer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erstatten hat, es sei denn, die Vertragsparteien haben die Erstattung dieser Kosten durch eine entsprechende Abrede ausgeschlossen (OVG Münster, Urteil vom 07.06.1988 - 3 A 1465/86 -, Gemeindehaushalt 1989, 165/166). Die Regel, dass der in einem Vertrag verwandte Begriff der "Kosten" umfassend zu verstehen ist und auch Finanzierungszinsen einschließt, ergibt sich aus dem Verständnis, das der Kostenbegriff im Erschließungsbeitragsrecht erfährt. Dieses Verständnis wird durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 21.06.1974 - IV C 41.72 -, BVerwGE 45, 215 ff. = NJW 1974, 2147 [BVerwG 21.06.1974 - BVerwG IV C 41.72]) geprägt, der das Gericht folgt. Danach sind Zinsen für Erschließungsdarlehen vom Grundsatz her zu den Kosten der Erschließung zu zählen, auch wenn sie in dem Katalog des § 128 Abs. 1 BauGB nicht gesondert genannt sind. Der Kostenbegriff ist nämlich in § 128 Abs. 1 BauGB nicht definiert und deshalb nach der allgemeinen Verkehrsauffassung auszulegen. Dies führt zu der Feststellung, dass Darlehenszinsen in den Erschließungsaufwand grundsätzlich einzubeziehen sind. Zinsen für Baudarlehen werden nämlich nicht nur in der Wirtschaft allgemein als Kosten der Baumaßnahme angesehen, sondern auch in dem weiten Bereich der staatlichen Wohnungsbauförderung zu den Kosten der Baumaßnahme gezählt (OVG Münster, Urteil vom 07.06.1988, a.a.O.). Für den Begriff der Kosten im Sinne eines "modifizierten" Erschließungsvertrages bzw. Vorfinanzierungsvertrages gilt nichts anderes. Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung des Gerichts nicht die Vereinbarung der Beteiligten fest, dass bei der finanziellen Abwicklung des Vertrages vom 30.10.1996 Finanzierungszinsen des Unternehmers als Erschließungsaufwand außer Acht bleiben sollten und damit deren (anteilige) Abwälzung auf die Fremdanlieger bzw. auf die Beklagte ausgeschlossen wurde. Damit verbleibt es hier bei der Regel, dass der in § 9 Abs. 1a dieses Vertrages verwandte Begriff der "Kosten" - einer wirtschaftlichen Betrachtung und seiner gesetzlichen Bedeutung folgend - umfassend zu verstehen ist und auch Finanzierungszinsen der Fa I. einschließt.
Gegen die Höhe der der Beklagten von der Fa. I. insgesamt in Rechnung gestellten Zinsen von 98.284,66 Euro, die zu 90% in den umlagefähigen Erschließungsaufwand eingeflossen sind, bestehen grundsätzlich keine Bedenken. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Januar 2000 insgesamt Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag von 49.138.40 Euro (96.106,36 DM) an die Beklagte gezahlt hat. Hätte die Beklagte diesen Betrag an die Fa. I. weitergeleitet, hätte diese ab Februar 2000 in dieser Höhe ihren Fremdfinanzierungsbedarf im Zusammenhang mit der Vorfinanzierung der Straßenbaumaßnahme "Schanzenweg" vermindert. Dem Gesichtspunkt der fiktiven Ersparnis anteiliger Zinskosten hat das Gericht durch die Ermäßigung des Erschließungsbeitragssatzes von rund 15.48 Euro je qm Beitragsfläche auf nunmehr 14,00 Euro je qm Beitragsfläche Rechnung getragen.