Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.03.2006, Az.: 2 A 57/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.03.2006
- Aktenzeichen
- 2 A 57/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44444
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2006:0323.2A57.06.0A
Tatbestand:
Aus dem Entscheidungstext
Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Volkszugehörigkeit. Im Jahre 1996 reiste er nach Deutschland und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid vom 30.07.1996 erkannt ihn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Wege des Familienasyls (über seinen Vater, der mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt) als Asylberechtigten an.
Mit Verfügung vom 06.12.2005 leitete die Beklagte das Widerrufsverfahren ein. Mit Bescheid vom 13.01.2006 widerrief die Beklagte die Asylberechtigung des Klägers und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung gab sie an, dass nach der Einbürgerung des Vaters des Klägers dessen Asylrecht gem. § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nicht mehr existiere, so dass die über § 26 AsylVfG abgeleitete Rechtsstellung des Klägers (= Familienasyl) ebenfalls entfallen sei. Ein Fortbestand der Asylanerkennung aus anderen Gründen sei nicht ersichtlich. Bei einer Rückkehr in den Irak hätte der Kläger politische Verfolgung nicht zu befürchten. Im Irak sei nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein eine entscheidende Änderung der Sachlage eingetreten. Auf ein Abschiebungsverbot könne sich der Kläger schließlich nicht berufen.
Hiergegen hat der Kläger am 31.01.2006 Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 13.01.2006 aufzuheben,
hilfsweise,
unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 13.01.2006 diese zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung zu seinen Klagegründen informatorisch angehört worden. Wegen der Einzelheiten seiner Einlassung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Akten des Bundesamtes Bezug genommen.
Diese Unterlagen sind ebenso wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist mit Haupt- und Hilfsanträgen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13.01.2006 ist rechtmäßig, so dass der Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG für einen Widerruf der Rechtsstellung des Klägers sind erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist diese Rechtsposition nach § 26 AsylVfG (Familienasyl) zu widerrufen, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten, von dem die Anerkennung abgeleitet worden ist, erloschen ist. Dies ist hier der Fall, denn die Asylanerkennung des Vaters des Klägers ist gem. § 72 Abs 1 Nr. 3 AsylVfG durch die Einbürgerung in die Bundesrepublik Deutschland erloschen.
Dass dem Kläger bei der Rückkehr in den Irak dort asylerhebliche Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG drohen könnte oder in seinem Fall die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorlägen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Schließlich hat der Kläger auch nicht die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte auf Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Maßgeblich für die Feststellung von Abschiebungshindernissen ist insoweit § 60 Abs. 2 bis 7 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG- Art. 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004, BGBl I, Seite 1950). Derartige Abschiebungshindernisse sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Insbesondere liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vor. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, wobei Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind dieselben wie in dem früheren § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, weshalb auch insoweit auf die hierzu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Die Kammer folgt auch diesbezüglich der zitierten Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, das insoweit ausgeführt hat:
"Der Kläger kann auch keinen Abschiebungsschutz im Rahmen des § 53 Abs. 6 AuslG - nur die Frage stellt sich hier - beanspruchen. Diese Vorschrift setzt das Bestehen einer konkreten Gefahr voraus, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 [BVerwG 17.10.1995 - 9 C 9/95]). Dabei reicht allerdings allein die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden, nicht aus, um eine Gefahr in diesem Sinne zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit besteht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - aaO; BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265 [BVerwG 15.04.1997 - 9 C 38/96]). Eine dem Kläger drohende konkrete Gefahr in diesem Sinne ist derzeit nicht ersichtlich.
Soweit nahezu im gesamten Irak noch eine mehr oder weniger instabile Sicherheitslage (S. 8 ff. d. Lageberichtes des Auswärtigen Amtes v. 6. November 2003) festzustellen ist, insbesondere mit der Gefahr terroristischer Anschläge zu rechnen ist, sind dadurch bedingte Gefahren nur allgemeiner Natur. Dies gilt nicht nur für den Bereich des früheren Zentralstaates, sondern gerade auch für Bagdad, dem Heimatort des Klägers. Zunächst ist zwar festzustellen, dass die innere Sicherheit im Irak durch Terroranschläge, Sabotageakte und Banditenüberfälle - mit Schwerpunkt im arabisch sunnitischen Kerngebiet nördlich und westlich von Bagdad - belastet ist. Weiter hat die Gewaltkriminalität in den Städten zugenommen, weil noch keine effektive Polizeigewalt aufgebaut werden konnte und die Soldaten der internationalen Militärkoalition sich aus Selbstschutzgründen dieser Aufgabe nur zurückhaltend annehmen. Andererseits ist ein landesweiter militärischer und insbesondere organisierter Widerstand gegen die internationale Militärkoalition oder die CPA bislang nicht erkennbar. Einzelne Gewalt- und Terroraktionen - soweit sie überhaupt "politisch" einzuordnen sind - beschränken sich eher auf lokale Bereiche bzw. sind als - wenn auch tragische - Einzeltaten zu bewerten. Gefährdet sind vor allem Polizei- und Sicherheitskräfte. Andererseits gelten Teilregionen im kurdisch bewohnten Norden sowie im mehrheitlich schiitischen Süden als eher befriedet. Unabhängig davon ist allgemein festzustellen, dass die aus Gewaltaktionen der genannten Art entstehenden Gefährdungen gleichsam "blind" jeden treffen können. Eine Situation dieser Art ist gemäß § 53 Abs. 6 AuslG nicht schutzbegründend.
Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen kann auch im Hinblick auf die Versorgungslage im Irak nicht von einer (extremen) existenziellen Gefährdung einzelner Rückkehrer ausgegangen werden. Nach der Wiederaufnahme des "Oil for Food"-Programms auf Grund der UN-Sicherheitsrats-Resolution Nr. 1.483 hat sich die Versorgungslage im Irak spürbar entspannt (S. 10 f des Lageberichts vom 6. November 2003). Hinzu kommt das World-Food-Programm der UN und ähnliche Programme von nicht staatlichen Hilfsorganisationen, der derzeit relativ freie Warenverkehr von und nach dem Irak sowie die Erträge der irakischen Landwirtschaft. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser kann zwar weiterhin örtlich problematisch sein, ohne dass es insoweit aber zu existenziellen Gefährdungen kommt. Allgemein ist festzustellen, dass im kurdischen Norden des Landes die Versorgung mit Wasser besser als im Süden funktioniert.
Angesichts dieser - zwar - nach wie vor angespannten, im Wesentlichen aber doch (landesweit) gesicherten Versorgungssituation im Irak ist mit Existenzgefährdungen Einzelner im Rückkehrfalle nicht zu rechnen. Dies gilt auch für den Kläger, der auch dann, wenn er allein in den Irak zurückkehren wird, dort wie andere gesunde Gleichaltrige leben und als Hochschullehrer beim Wiederaufbau seines Landes mitwirken kann."
Das Nds. OVG hält an den vorstehenden Erkenntnissen auch in neueren Entscheidungen unverändert fest (vgl. Beschl. vom 09.02.2005 - 9 LA 31/05 - und vom 01.03.2005 - 9 LA 46/05). Die Kammer teilt diese Rechtsprechung - auch im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des VG Köln (Urteil vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A) - ausdrücklich.
Die Kammer hat keinerlei erst zu nehmende Hinweise darauf, dass der Kläger wegen irgendwelche Schwierigkeiten von Gewicht nach seiner Einreise in den Irak zu befürchten hätte. Weitere Gründe für das Vorliegen von Abschiebungsverboten sind nicht vorgetragen worden. Soweit vorgetragen wurde, er befürchte Racheakte seines - mittlerweile als deutscher Staatsbürger - in den Irak zurückgekehrten Vaters, mit dem er eine ernstzunehmende Streitigkeit gehabt habe und der ihn mit dem Tode bedroht hätte, hat der Kläger nicht glaubhaft machen können, dass ein solcher Racheakt gegen ihn tatsächlich verübt werden würde. Im Übrigen müsste der Kläger nicht in die Gegend im Irak zurückkehren, wo jetzt sein Vater lebt. Dann bekäme dieser von der Einreise seines Sohnes nichts mit.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.