Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 16.03.2006, Az.: 4 A 133/03

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
16.03.2006
Aktenzeichen
4 A 133/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44434
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2006:0316.4A133.03.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Stauwehr, das dem Zweck der Ableitung von Wasser in Mühlen- oder Kraftwerksgräben dient, wird nicht deshalb zu einer Anlage, die der Abführung des Wassers dient (§ 98 Abs. 2 Nr. 4 des Niedersächsichen Wassergesetzes), weil es sich mittelbar auf einen ordnungsgemäßen Wasserabfluss auswirkt.

  2. 2.

    Das Niedersächsiche Wassergesetz kennt keinen "schleichenden" Übergang der Unterhaltungspflicht.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Klägers zur wasserrechtlichen Unterhaltung des sog. AE.-Wehrs in S. K..

2

In der Ortslage von S. K. befindet sich im Gewässer AE. auf den Gewässergrundstücken Gemarkung S., Flur , Flurstücke / (Eigentümer: der Beigeladene zu 1.) und / (Eigentümerin: die Beigeladene zu 2.) seit alters eine ca. 50 Meter breite Wehranlage. Unmittelbar oberhalb des Wehrs zweigt rechtsseitig ein mehr als 5 km langer, bis nach AK. verlaufender Mühlengraben ab. Das Wehr diente dem Aufstau von Wasser zum Betrieb der in S. im Besitz der Familie der Beigeladenen zu 3. und 4. befindlichen AD. sowie der Mühle des Müllers AL. in AK.. Heute wird mittels des oberhalb des Wehrs abgeleiteten Wassers durch den Erwerber der AD., den Beigeladenen zu 5., und in einem weiteren, im Jahr 1998 linksseits der AE. errichteten Wasserkraftwerk durch einen nicht am Verfahren beteiligten Betreiber Strom erzeugt.

3

Das möglicherweise zu dieser Zeit bereits seit mehreren hundert Jahren bestehende, aus Holz und Strauchwerk errichtete sog. Strauchwehr wurde im Jahr 1922 durch die Müller AM. V. und AL. zu einer z. T. als Strauchwehr (ca. 30 m), z. T. als Betonwehr (ca. 20 m) ausgestalteten Wehranlage umgebaut. Seine gegenwärtige, massive Form erhielt das Wehr um 1946/48. Nachdem man etwa 1966 erhebliche Mängel an der Anlage festgestellt und ihren Einsturz befürchtet hatte, wurde das Wehr in den Jahren 1970 bis 1972 mit Gesamtkosten von über 1,2 Mio. DM saniert. Träger der Sanierung war der Kläger, der jedoch eine Verpflichtung zur Unterhaltung der Wehranlage bereits seinerzeit ablehnte.

4

Etwa im Jahr 1995 ergaben sich Hinweise auf die erneute Sanierungsbedürftigkeit des Wehrs. Durch die vorliegend streitbefangene Aufsichtsverfügung vom 7.3.2001, die einen unter dem 5.5.2000 als Maßnahme der Gefahrenabwehr erlassenen Bescheid ersetzte, gab der Beklagte dem Kläger unter näherer Konkretisierung der durchzuführenden Maßnahmen auf, die Wehrkrone, den Überlaufrücken, den Schoßboden einschließlich der dort vorhandenen Störkörper und die rechtsseitige Flügelmauer des Wehrs zu sanieren und die Betonoberfläche des Wehrkörpers zu erneuern. Er führte aus, die festgestellten Mängel ließen Undichtigkeiten des Wehrkörpers und schlimmstenfalls die Zerstörung des Wehrs befürchten. Eine Sanierung sei zwingend erforderlich, da ansonsten ein ordnungsgemäßer Wasserabfluss künftig nicht mehr möglich sei. Dem Kläger obliege die Unterhaltungspflicht für das Wehr, weil es sich um eine Anlage handele, die der Abführung des Wassers diene.

5

Hiergegen erhob der Kläger am 12.3.2001 Widerspruch und trug zur Begründung vor, ihm obliege nicht die Pflicht zur Unterhaltung des AE.-Wehrs. Das Wehr sei keine Anlage zur Abführung des Wassers, sondern solle den Wasserabfluss im Gegenteil hemmen. Es diene der Stauung des Wassers zum Zwecke der Wasserkraftnutzung auf beiden Seiten der AE. und zur Unterhaltung von Löschwasser-Entnahmestellen. Es sei eine Anlage "im Gewässer" i. S. d. § 109 des Niedersächsischen Wassergesetzes (NWG) und unterliege daher der Unterhaltungspflicht des Eigentümers. Ein Rechtsakt der Änderung der Unterhaltungspflicht sei nicht ersichtlich.

6

Die Bezirksregierung Braunschweig wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 1.7.2003 zurück und führte aus, die Bebauung in S. habe sich auf die durch den jahrzehntelangen Aufstau entstandene Sohllage der AE. eingestellt. Bei einem Bruch des Wehrs wären große Schäden an der Gewässersohle und den Ufern sowie an Straßen, Brücken und Versorgungsleitungen zu erwarten. Die Unterhaltung des Wehrs diene damit im Wesentlichen der Gewährleistung des schadlosen Wasserabflusses. Der Umstand, dass dem Kläger die Unterhaltung nicht förmlich auferlegt worden sei und dass er sie auch nicht übernommen habe, schließe eine Unterhaltungspflicht nicht aus.

7

Am 31.7.2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertieft seinen bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus, einen schleichenden, stillschweigenden Übergang der Unterhaltungspflicht auf einen neuen Unterhaltungspflichtigen kenne das niedersächsische Wasserrecht nicht. Es gehöre nicht zu seinen Aufgaben, den Fortbestand von Wasserkraftwerken und Löschwasserstellen zu gewährleisten.

8

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 7.3.2001 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 1.7.2003 insoweit aufzuheben, als ihm Unterhaltungsmaßnahmen am AE.-Wehr in S. aufgegeben worden sind.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er führt vertiefend zu seiner Auffassung aus, der Kläger sei zur Unterhaltung der Wehranlage verpflichtet.

11

Die Beigeladenen

12

stellen keine Anträge.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der durch den Kläger und den Beklagten vorgelegten Akten und des Widerspruchsvorgangs der Bezirksregierung Braunschweig Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Kammer stellt klar, dass dieses Urteil die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 7.3.2001 insoweit unberührt lässt, als jener den Bescheid vom 5.5.2000 ersetzt hat; gegen diesen Teil des Bescheides hat sich der Kläger weder im Widerspruchs- noch im Klageverfahren gewandt.

15

Der Beklagte hat gegenüber dem Kläger im Wege einer Aufsichtsverfügung gemäß § 72 Abs. 1 S. 1 des Wasserverbandsgesetzes (WVG) Maßnahmen zur Sanierung des AE.-Wehrs mit der Begründung angeordnet, der Kläger trage die Unterhaltungspflicht für das Wehr. Diese Auffassung teilt das Gericht nicht.

16

Allerdings ist der Kläger - was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist - zur Unterhaltung des Gewässers AE. verpflichtet. Gemäß § 100 Abs. 1 NWG obliegt die Unterhaltung der Gewässer zweiter Ordnung grundsätzlich den in der Anlage genannten Wasser- und Bodenverbänden (Unterhaltungsverbänden). Gemäß Nr. 47 der Anlage zu den §§ 100 bis 102 NWG ("Verzeichnis der Unterhaltungsverbände") umfasst das Verbandsgebiet des Klägers das Niederschlagsgebiet des Gewässers C. bis zum AN. -Bach. Der Kläger ist damit für die AE., die zum Niederschlagsgebiet der C. gehört, unterhaltungspflichtig.

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Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Kläger auch zur Unterhaltung des AE.-Wehrs verpflichtet ist. Gemäß § 98 Abs. 1 S. 1 NWG umfasst die Unterhaltung eines Gewässers u. a. seinen ordnungsgemäßen Abfluss. Maßnahmen der Gewässerunterhaltung sind gemäß § 98 Abs. 2 Nr. 4 NWG insbesondere die Unterhaltung und der Betrieb der Anlagen, die der Abführung des Wassers dienen. Entgegen der Auffassung des Beklagten dient das AE. wehr nicht der Abführung des Wassers und unterfällt daher nicht der genannten Regelung. Vielmehr handelt es sich um eine "Anlage in einem Gewässer", die gemäß § 109 NWG von ihrem Eigentümer zu unterhalten ist.

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Das AE.-Wehr hatte ursprünglich und bis etwa Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ausschließlich die Funktion, den Fluss anzustauen und das Wasser in den Mühlengraben abzuleiten, durch den die AD. und mindestens eine weitere Mühle in AK. mit Wasser versorgt wurden. Das Wehr war daher eine Anlage, die der Rückhaltung, nicht jedoch der Abführung des Wassers der AE. in deren natürlichem Gewässerbett diente. Nach Auffassung der Kammer ist dies auch noch heute der Fall. Der Beklagte führt zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung aus, im Fall einer Zerstörung des Wehrs bestehe infolge der zu erwartenden Absenkung des Wasserspiegels der AE. die Gefahr, dass es zu Schäden in der Gemeinde S. kommen werde, da sich die Ortslage auf die bestehenden Verhältnisse eingestellt habe. Insbesondere sei zu befürchten, dass es zu Uferabbrüchen, zum Einsturz von Häusern und zur Unterspülung der Fundamtente von Brücken kommen werde. Um dies zu verhindern, müsse das Wehr im Interesse eines ordnungsgemäßen Wasserabflusses erhalten werden. Selbst wenn der Eintritt entsprechender Schäden tatsächlich zu befürchten wäre - was bestritten und durchaus nicht zweifelsfrei ist -, würde dies nichts daran ändern, dass das Wehr weder vordringlich noch überhaupt der Abführung des Wassers "dient". Zwar haben sich die örtlichen Verhältnisse seit seiner Errichtung verändert und sein Bestand hat im Laufe der Jahre die Verhältnisse des Gewässers AE. im Bereich der Ortslage S. beeinflusst. Dies führt jedoch nicht dazu, dass es - im Sinne einer Zweckrichtung - der Abführung des Wassers "dient". Das Wehr dient vielmehr weiterhin dem Anstau und der Ableitung von Wasser in den Mühlenkanal und - seit 1999 - in das Einlassbauwerk eines linksseits der AE. errichteten Wasserkraftwerks und entfaltet allenfalls mittelbar Auswirkungen auf die Abführung des Wassers und auf einen ordnungsgemäßen Wasserabfluss im Sinne von § 98 Abs. 1 S. 1 NWG.

19

Im Übrigen wäre der Kläger auch dann nicht unterhaltungspflichtig (geworden), wenn eine über einen längeren Zeitraum hinweg stattfindende Veränderung wasserrechtlich erheblicher Umstände einen (teilweisen) Funktionswandel des AE.-Wehrs herbeigeführt hätte. Das niedersächsische Wasserrecht enthält zur Pflicht, ein Gewässer zu unterhalten, mit den §§ 99 Abs. 1, 100 Abs. 1 und 105 ff. NWG klare Zuordnungen. Die Möglichkeiten, eine bestehende Unterhaltungspflicht zu übertragen oder zu bestimmen, sind in §§ 105 Abs. 4, 106 S. 1, 107 Abs. 2, 108 und 111 S. 2 NWG bzw. in § 118 Abs. 1 NWG ausdrücklich geregelt. Einen "schleichenden" Übergang der Unterhaltungspflicht auf einen anderen Pflichtigen sieht das Niedersächsische Wassergesetz dagegen nicht vor.

20

Auf die in der das niedersächsische Wasserrecht betreffenden Rechtsprechung und Literatur vertretene Auffassung, Anlagen im Sinne von § 98 Abs. 2 Nr. 4 NWG müssten "als technische Einrichtungen besonders betrieben werden können" (Nds. Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 8.10.1998 - 3 L 141/97 -, S. 11 des Urteilsabdrucks und Urteil vom 10.8.1972 - III OVG A 55/71 -, OVGE 29 S. 378; Haupt/Reffken/Rhode, NWG, Stand: April 2005, § 98 Rn. 6), kommt es danach vorliegend nicht entscheidend an. Allerdings hat die Kammer der Möglichkeit, die Anlage zu "betreiben", in ihrer jüngeren Rechtsprechung keine Ausschlag gebende Bedeutung beigemessen und - mit Blick auf ihre Zweckrichtung - auch Gewölbetunnel und Ufermauern als Anlagen im Sinne von § 98 Abs. 2 Nr. 4 NWG angesehen (Urteil vom 1.12.2005 - 4 A 4181/02 -).

21

Nicht von Belang ist des Weiteren, dass der Kläger in den vergangenen Jahren wiederholt Unterhaltungsarbeiten am Wehr durchgeführt hat. Der Kläger hat im Rahmen der 1970 bis 1972 durchgeführten Sanierungsarbeiten zwar als Maßnahmeträger fungiert, dabei jedoch mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht, er sei nicht zur Unterhaltung des Wehrs verpflichtet. Auch aus Anlass der späteren Durchführung verschiedener - im Wesentlichen untergeordneter - Unterhaltungsmaßnahmen hat er zu keiner Zeit eine Pflicht zur Unterhaltung des Wehrs anerkannt.

22

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden für nicht erstattungsfähig erklärt (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil sie keine Anträge gestellt und sich daher keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

23

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

24

Die Kammer lässt die Berufung gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu, weil sie den Fragen, unter welchen Voraussetzungen ein Stauwehr eine Anlage im Sinne von § 98 Abs. 2 Nr. 4 NWG sein kann und ob nach dem niedersächsischen Wasserrecht ein "schleichender" Übergang der Unterhaltungspflicht möglich ist, grundsätzliche Bedeutung zumisst.