Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 30.03.2006, Az.: 1 B 132/06

Verbot einer angemeldeten NPD-Versammlung auf Grund vorausgegangener Ausschreitungen bei einer ähnlich gelagerten Demonstration; Notwendigkeit der Inanspruchnahme der Versammlungsteilnehmer der NPD als so genannte Nichtstörer; Beschränkungen des aus Art. 8 GG abzuleitenden Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters; Zulässigkeit einer Versammlungsuntersagung auf Grund polizeilichen Notstands; Unterscheidung zwischen echtem und unechtem polizeilichem Notstand

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
30.03.2006
Aktenzeichen
1 B 132/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 20739
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2006:0330.1B132.06.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 05.05.2006 - AZ: 11 ME 122/06
BVerfG - 10.05.2006 - AZ: 1 BvQ 14/06

Verfahrensgegenstand

Versammlungsverbot
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Werden mehrere Demonstrationen zwar getrennt angemeldet, kann hinsichtlich der Gefährdungslage dennoch eine zusammenschauende Betrachtung geboten sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn beide Veranstaltungen das gleiche Thema haben, gleichzeitig beginnen und schließlich "sternmarschmäßig" zusammengeführt werden sollen.

  2. 2.

    Ein sogenannter unechter polizeilicher Notstand ist im Rahmen des Versammlungsrechts anzunehmen, wenn die Polizei mit den verfügbaren Kräften zwar in der Lage ist, das verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsrecht durchzusetzen, hierzu aber unverhältnismäßige Mittel einsetzen müsste. Das ist etwa dann der Fall, wenn sie Maßnahmen gegen störende Gegendemonstranten ergreifen müsste, die zu solch großen Schäden für Unbeteiligte führen würden, dass sie in einem extremen Missverhältnis zu den Nachteilen stehen würden, die im Vergleich dazu durch ein Verbot der friedlichen Versammlung eintreten.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 1. Kammer-
am 30. März 2006
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller ist der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Er meldete am 19. Januar 2006 eine öffentliche Veranstaltung unter freiem Himmel nebst Aufzug unter dem Thema "Sozialabbau, Rentenklau, Korruption - Nicht mit uns!" für Sonnabend, den 13. Mai 2006 von 12.00 Uhr bis 19.00 Uhr in B. an. Die voraussichtliche Teilnehmerzahl wurde mit 200 bis 300 angegeben. Als Aufzugsroute nannte der Antragsteller: Bahnhofsplatz, Berliner Straße; Auftaktkundgebung: Straßenkreuzung Berliner Straße/Weender Landstraße/Nikolausberger Weg/Weender Straße; Nikolausberger Weg, Humboldtallee, Kreuzbergring, Ewaldstraße, Herzberger Landstraße, Dahlmannstraße; Kundgebung: Eichendorffplatz; Düstere-Eichen-Weg, Herzberger Landstraße; Kundgebung: Theaterplatz; Bühlstraße, Nikolausberger Weg, Berliner Straße; Abschlusskundgebung: Bahnhofsplatz mit anschließender Auflösung. Außerdem teilte der Antragsteller u.a. mit, dass im Zug Handmegaphone und zwei Lautsprecherwagen mitgeführt werden sollen. Es seien insgesamt acht bis zehn Redebeiträge während der stationären Kundgebungen und während des Zuges geplant.

2

Ebenfalls am 19. Januar 2006 meldete Herr C. (Antragsteller im Verfahren 1 B 120/06) eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel mit Umzug (Demonstration) auch unter dem Thema "Sozialabbau, Rentenklau, Korruption - Nicht mit uns!" und für Sonnabend, den 13. Mai 2006 von 12.00 Uhr bis 18.00 Uhr in Göttingen an. Hierzu wurde eine Teilnehmerzahl von 100 bis 200 Personen angegeben. Als Ablauf/Route wurde mitgeteilt: Auftaktkundgebung: Hiroshimaplatz; Keplerstraße, Friedländer Weg, Herzberger Landstraße, Bühlstraße bis Kreuzungsbereich Nikolausberger Weg. Für den weiteren Verlauf wurden drei Varianten angemeldet, die entweder Auflösung der Demonstration A. und Anschluss an die Demonstration des Antragstellers bzw. Kundgebung bis zum Eintreffen der Demonstration des Antragstellers und Anschluss an dessen Demonstration nach Auflösung der Demonstration A. oder - wenn die Demonstration des Antragstellers nicht in absehbarer Zeit eintreffen werde - Fortsetzung der Demonstration A. auf dem Nikolausberger Weg und ggfs. der Berliner Straße bis zur Vereinigung mit der Demonstration des Antragstellers oder, wenn auch dies nicht möglich sein sollte, in umgekehrter Reihenfolge der Straßen des Hinwegs Rückkehr zum Hiroshimaplatz und Auflösung der Veranstaltung dort nach Abschlusskundgebung.

3

Während einer Demonstration der NPD am 29. Oktober 2005 in B., die vom Antragsteller bereits unter dem erneut angemeldeten Thema geleitet wurde, kam es wegen massiver gewalttätiger Ausschreitungen von militanten NPD-Gegnern zu einer polizeilich vorgegebenen Änderung der Demonstrationsroute sowie einer vorzeitigen eigenen Auflösung der Versammlung, nachdem die Teilnehmer der NPD-Demonstration von der umgeleiteten Route eine angemeldete, aber versammlungsrechtlich verbotene Strecke (betrifft den unteren Kreuzbergring) nicht erreicht hatten.

4

Nach Darstellung der zuständigen Polizeidirektion B. war es der Polizei am 29. Oktober 2005 "auch mit fast 4.000 eingesetzten Beamtinnen und Beamten nicht gelungen, das mit einem hohen Maß an krimineller Energie auch gegen Unbeteiligte vorgehende Störerpotenzial zu kontrollieren und damit auch den Bau von Barrikaden - nicht nur entlang der Aufzugstrecke - im Stadtgebiet, die Beschädigung von Einsatzfahrzeugen sowie die Zerstörung privaten und öffentlichen Eigentums wirksam zu unterbinden." Hierzu verweist die Polizei auf die unerwartet hohe Zahl von 5.000 Gegendemonstranten, wovon 500 dem gewaltbereiten autonomen Spektrum zuzuordnen wären, und von weiteren 1.000 gewaltbereiten so genannten Autonomen, die sich im Bereich des Universitätsviertels und entlang der NPD-Aufzugstrecke aufgehalten hätten. Besonders hätten die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen im Bereich des Bahnhofsvorplatzes und des Demonstrationszuges auf der Berliner Straße im Bereich des Ivlahnmals der Synagoge bis zum Weender Tor zur Verhinderung von Übergriffen durch linksautonome Gewalttäter derart viele Polizeikräfte gebunden, dass die Wahrnehmung anderer notwendiger taktischer Aufgaben ganz erheblich erschwert gewesen sei. Zudem habe sich das Universitätsgelände als Brennpunkt erwiesen. Es sei Sammelpunkt einer hohen Zahl von militanten Störern gewesen, die nach Barrikadenerrichtung und Steinwürfen auf dem Gelände hätten untertauchen und sich anschließend neu formieren können. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht der Polizeidirektion B. vom 16. Februar 2006 an die Antraggegnerin (Beiakten A, Untergliederung III S. 2 - 5 und die farbig gestaltete Stadtplanübersicht, dort S. 11) sowie die Zusammenfassung der Brandbekämpfungsmaßnahmen von 12.19 Uhr bis 2.15Uhr des folgenden Tages (dort S. 12-15) Bezug genommen.

5

Für die NPD-Demonstration am 29. Oktober 2005 war nach einer Auflagenverfügung der Antragsgegnerin und den Maßgaben einer Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgerichts genau der Verlauf vorgesehen, den der Antragsteller für den 13. Mai 2006 angemeldet hat. Die Demonstration mit 230 Teilnehmern (darunter Herr A.) begann entsprechend an der Bahnhofsostseite und führte auf der Berliner Straße bis zur Straßenkreuzung mit der Weender Straße und der Weender Landstraße (Weender Tor). Auf Veranlassung der Polizei wurde der Aufzug nicht über den angrenzenden Nikolausberger Weg, sondern über die Weender Landstraße fortgesetzt und schließlich dort im Bereich der Kreuzung mit der Güterbahnhofstraße und dem Kreuzbergring von dem damaligen Versammlungsleiter, dem Antragsteller, aufgelöst. Die verfügte Änderung der Aufzugsroute begründete die Polizeidirektion B. dem Antragsteller gegenüber nachträglich schriftlich mit der Einsatzsituation. Die Inanspruchnahme der Versammlungsteilnehmer des NPD-Aufzugs als nichtverantwortliche Personen i.S.d. § 8 Nds. SOG sei notwendig gewesen. Auf Grund der Vielzahl der entlang der NPD-Aufzugstrecke errichteten und teilweise brennenden Barrikaden - insbesondere im Bereich des Nikolausberger Weges, der Humboldtallee und des Kreuzbergrings - und der daraus resultierenden Unpassierbarkeit der Strecke sowie der Gefährdungssituation für die Gesundheit von unbeteiligten Dritten, der NPD-Versammlungsteilnehmer und der begleitenden Polizeibeamten habe der Gesamteinsatzleiter um 13.25 Uhr entschieden, die Marschroute des NPD-Aufzugs zu verlegen. Der neue Aufzugsweg habe vom Weender Tor über die Weender Landstraße, die Güterbahnhofstraße und den Maschmühlenweg zurück zum polizeilich abgesperrten Bahnhofsvorplatz verlaufen sollen. Gegen 13.40 Uhr erklärte sich der Antragsteller unter Protest bereit, die Demonstration - wie vorgegeben - in nördliche Richtung entlang des Universitätscampus fortzusetzen. Den Versuchen von Autonomen, von dort den NPD-Zug anzugreifen, und den Zustrom von rund 2.000 Personen vom Campusgelände konnte die Polizei durch Kräftekonzentration an der rechten Flanke des Aufzugs entgegenwirken. Weitere Angriffsversuche von militanten NPD-Gegnern - überwiegend in Kleingruppentaktik - im Bereich der Kreuzung Weender Landstraße - Güterbahnhofstraße - Kreuzbergring konnte die Polizei wegen des starken Personenzulaufs nur unter erheblichen Schwierigkeiten abwehren. Darüber hinaus verhinderte die Polizei das Vordringen des NPD-Aufzugs in den Kreuzbergring, das die Teilnehmer durch starkes Drängen in keilförmiger Formation innerhalb eines Zeitraums von rund 45 Minuten immer wieder versuchten. Dieser Teil des Kreuzbergrings gehörte zum angemeldeten Verlauf der Demonstrationsroute, dessen Nutzung die Antragsgegnerin - gerichtlich bestätigt - untersagt hatte. Nachdem gegenüber dem Versammlungsleiter wiederholt verfügt worden war, den nach Änderung der Route vorgeschriebenen Weg fortzusetzen, anderenfalls die Versammlung aufgelöst werde, löste der Antragsteller sie selbst auf. Einsatzkräfte begleiteten die Teilnehmer über die Güterbahnhofstraße, den Maschmühlenweg und die Berliner Straße zum Bahnhofsvorplatz, der während der gesamten Einsatzdauer von Polizeikräften freigehalten worden war. Zeitgleich bewegten sich ca. 2.000 Gegendemonstranten von der Weender Landstraße in Richtung Bahnhof. Eine Blockade von ca. 150 Personen in Höhe des IDUNA-Zentrums löste sich beim Herannahen der Polizeikräfte wieder auf. Als die NPD-Versammlungsteilnehmer den Bahnhof erreichten, wurden an den Absperrungen im Umfeld des Bahnhofs noch ca. 1.100 Gegendemonstranten registriert.

6

Die Antragsgegnerin untersagte mit Bescheid vom 6. März 2006 dem Antragsteller den angemeldeten Aufzug und jede Form einer weiteren Ersatzveranstaltung und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an.

7

Zur Begründung des Versammlungsverbotes führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, der Antragsteller sei stellvertretender Landesvorsitzender der NPD. Nach den Erfahrungen vom 29. Oktober 2005 und nach Auswertung aller hierzu gewonnenen Erkenntnisse sowie den weiteren Erkenntnissen über insbesondere im Internet verbreitete Aufrufe zu den für den 13. Mai 2006 angemeldeten Demonstrationen, komme nur das Verbot der angemeldeten Versammlung in Betracht, denn bei der Durchführung der Versammlung werde die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet. Die Fülle von Rechtsgutverletzungen im Zusammenhang mit der Demonstration am 29. Oktober 2005, die von der Polizei trotz des Aufgebots von fast 4.000 Einsatzkräften nicht hätten verhindert werden können/rechtfertige die sichere Prognose, dass sich die damaligen Ereignisse am 13. Mai 2006 in verschärfter Form wiederholen würden. Diese Gefahr erhöhe sich noch durch die Anmeldung von zwei Demonstrationen, wodurch der Angriffsbereich für gewaltbereite Autonome auf ein vollkommen unübersichtliches Maß erweitert werde. Es sei wegen einschlägiger Aufrufe im Internet von rechtsextremer Seite davon auszugehen, dass eine unvorhersehbare Zahl von Personen aus dem nicht parteigebundenen rechtsextremen Spektrum aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen werde, um die Niederlage der NPD vom 29. Oktober 2005 wett zu machen, und dass damit auch von Seiten der Teilnehmer der Versammlung erhebliche Rechtsverstöße begangen würden. Die Aufrufe begründeten die Annahme, dass in B. aus rechtsextremistischen Reihen nun die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner gesucht werden solle. Dies rechtfertige die Inanspruchnahme des Antragstellers selbst als Verantwortlichen. Daneben legten die Äußerungen, die Ereignisse und das Anmeldeverhalten den Verdacht nahe, dass der Antragsteller das aggressive Verhalten der autonomen Szene bewusst provozieren wolle, und er deshalb auch als Zweckveranlasser heranzuziehen sei, weil die Anmeldung bewusst darauf ziele, das Demonstrationsrecht in B. auf Kosten erheblicher Schäden für unbeteiligte Dritte und unter Inkaufnahme schwerster Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Autonomen und der Polizei zu erzwingen. Außerdem sei der begründete Verdacht gegeben, dass als weiterer Effekt der Demonstration die Diskreditierung des Staates, der Ordnungsbehörden und der Polizei beabsichtigt sei. Dies ergebe sich schon daraus, dass bekanntermaßen die Länge der Route und der beabsichtigte Sternmarsch zu einem Aufzug führten, der mit verhältnismäßigen Mitteln nicht mehr zu schützen sei.Eine weitere Folge der beiden Demonstrationen wäre eine stundenlange Blockade der Göttinger Innenstadt sowie des gesamten (Durchgangs-)Straßenverkehrs durch Polizei und Demonstranten beider Seiten. Schon am 29. Oktober 2005 sei der Verkehrsfluss im Bereich der Innenstadt und auf den beiden Zubringerstraßen B 3 und B 27 nahezu zusammengebrochen. In jedem Falle wäre die Versammlung aus Gründen des polizeilichen Notstands zu verbieten, so dass der Antragsteller als Nichtstörer durch das Verbot der Versammlung in Anspruch zu nehmen sei. Die Erfahrungen vom 29. Oktober 2005 rechtfertigten die Prognose, dass die im Zusammenhang mit den angemeldeten Demonstrationen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden schweren Rechtsgutverletzungen mit dem größtmöglichen Polizeiaufgebot nicht zu verhindern wären. Das Versammlungsverbot sei verhältnismäßig, denn es gäbe kein gleich wirksames, weniger einschneidendes Mittel, um die Gefährdung der Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Eigentum und staatliche Rechtsordnung zu schützen. Weder eine Erteilung von Auflagen noch eine andere Streckenführung oder eine Verkürzung der Route der Demonstration kämen als milderes Mittel in Betracht. Alle diese Maßnahmen könnten die Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht beseitigen. Es sei davon auszugehen, dass die militanten Demonstrationsgegner ihre Rechtsverletzungen erneut auch an Orten begingen, die von der Demonstration gar nicht berührt würden, und auch außerhalb der vorgesehenen Zeitspanne für die Demonstration. Schließlich spreche nach dem Gebot der praktischen Konkordanz der widerstreitenden Rechtsgüter gegen die beabsichtigte Versammlung, dass die Durchsetzung des Rechts auf Versammlungsfreiheit bedeutete, das gesamte Stadtgebiet längerfristig in einen Ausnahmezustand zu versetzen und dabei schwerste Auseinandersetzungen auf Grund massiver linksextremer Ausschreitungen zu riskieren. Dies sei nicht mehr verhältnismäßig.

8

Eine entsprechende Untersagungsverfügung erließ die Antragsgegnerin auch gegenüber Herrn A.. Dieser hat die ihm gegenüber erlassene Untersagungsverfügung mit seiner Klage vom 9. März 2006 (1 A 119/06) angefochten und einen Eilantrag gestellt (1 B 120/06).

9

Am 17. März 2006 hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 6. März 2006 Klage erhoben (1 A 131/06) und die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes beantragt. Der Antragsteller trägt vor: Der Ablauf der NPD-Demonstration vom 29. Oktober 2005 sei für die von ihm angemeldete Demonstration ohne Bedeutung. Darstellungen auf Internetseiten, die er nicht betreibe und die er nicht verfasst habe, brauche er sich nicht zurechnen zu lassen. Veröffentlichungen auf der Home-Page der NPD-B. seien nicht zu beanstanden. Die Ereignisse vom 29. Oktober 2005 brauche er sich ebenfalls nicht anrechnen zu lassen. Er habe eine Demonstration geleitet, die friedlich im Sinne von Art. 8 GG verlaufen sei. Dass die Polizei nicht in der Lage gewesen sei, die gerichtlich bestätigte Route der Demonstration durchzusetzen, sei ein fachlicher Fehler. Die unterschiedlichen Ausgangspunkte und die teilweise unterschiedlichen Routen der beiden Demonstrationen schwächten, wie bereits Herr A. ausgeführt habe, die Wirksamkeit der gewaltbereiten Gegendemonstranten, die sich aufsplittern müssten, wenn sie beide Demonstrationen angreifen wollten. Die Unterstellung, die Teilnehmer seiner Demonstration könnten unfriedlich sein, weise er zurück. Es handele sich um eine bloße Mutmaßung, die für Entscheidungen nach § 15 VersG ohne Belang seien. Die Route seiner Demonstration vom 29. Oktober 2005 sei obergerichtlich bestätigt worden. Nicht einsehbar sei, warum die Polizei nicht im Stande sein sollte, die Innenstadt von B. vor Krawallen zu schützen. Seine Demonstration mit 200 bis 300 Teilnehmern werde den Straßenverkehr nur marginal behindern. Gewaltsame Aktivitäten anderer seien ihm nicht zuzurechnen. Das NPD-Mitglied Hans-Gerd D. habe auf der Demonstration des Herrn A. am 28. Januar 2006 in Lüneburg nicht geäußert, "man wolle marschieren, bis der Staat pleite sei". Bei 1.500 Gewalttätern reiche ein Einsatz von 4.500 Polizeibeamten, dies sei zu leisten. Ein polizeilicher Notstand werde bestritten. Es sei davon auszugehen, dass die Strafverfolgungsmaßnahmen nach dem 29. Oktober 2005 abschreckende Wirkung hätten und eher weniger als 1.500 Gewalttäter am 13. Mai 2006 in B. zu erwarten seien. So seien am 28. Januar 2006 in Lüneburg entgegen den Erwartungen der Behörden nicht 2.000 bis 3.000, sondern insgesamt nur 750 Gegendemonstranten aufgetreten, von denen der überwiegende Teil nicht gewaltbereit gewesen sei. Fahrzeugkontrollen von anreisenden Demonstranten, wenn sie gründlich vorgenommen würden, versprächen durchaus Erfolg. Auch sei ihm bekannt, dass am 29. Oktober 2005 mit der Bahn anreisende Autonome kontrolliert worden seien. Es dränge sich der Verdacht auf, dass die Antragsgegnerin die Internetaufrufe mit strafbarem Inhalt nicht bekämpfe, weil diese das ausgesprochene Verbot stützten. Er werde darauf hinwirken, dass die Teilnehmer seiner Demonstration ganz überwiegend mit Reisebussen oder PKW anreisen würden. Daneben könne er aber eine Anreise per Bahn nicht ausschließen.

10

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 6. März 2006 wiederherzustellen.

11

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

12

Zur Begründung tritt sie dem Vorbringen des Antragstellers entgegen und trägt ergänzend vor, die Versammlung des Antragstellers sei nicht isoliert zu betrachten, sie stelle bereits nach der Anmeldung ein Gesamtkonzept mit der Versammlung von Herrn A. dar. Im Ergebnis müssten beide Demonstrationen so behandelt werden, als handele es sich um eine Einzige. Es komme nicht darauf an, welche Geschehnisse der Vergangenheit der Antragsteller sich zurechnen lassen müsse. Diese Geschehnisse hätten jedoch erhebliche Bedeutung für die Prognose über den Verlauf der angemeldeten Demonstration. Selbst wenn die Polizei in der Lage wäre, die Versammlungen zu schützen, wäre dies nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich und hätte wegen des Streckenverlaufs zur Folge, dass der gesamte Innenstadtbereich zur Sperrzone erklärt werden müsste. Dies würde aber das öffentliche Leben in der Innenstadt mindestens für die Dauer der Demonstration vollkommen zum Erliegen bringen. Weder sie, die Antragsgegnerin, noch die Polizei wären in der Lage, linksautonomen Angriffen mit zumutbaren Mitteln vorzubeugen. Die Polizei werde überwiegend anlassbezogen reagieren müssen. Dies gelte bei der Anreisekontrolle, der Bekämpfung der Kleingruppentaktik, in Bezug auf Sabotageakte zum gesamten Routenverlauf, für die Unterbrechung der Nachrichtenwege und auch im Hinblick darauf, brennenden Barrikaden vorzubeugen. Das habe mit einer Bankrotterklärung der Polizei oder des Rechtsstaates nichts zu tun. Ein Vergleich mit der Demonstration am 28. Januar 2006 in Lüneburg verbiete sich. B. stelle sowohl für die rechtsextreme als auch für die linksextreme Szene eine Herausforderung dar. Auch ein milderes Mittel in Gestalt einer auferlegten Zusammenlegung der beiden Aufzüge, die Herr A. abgelehnt habe, würde lediglich die Demonstrationsstrecke verkürzen, könnte jedoch die befürchteten Ausschreitungen und Rechtsgutverletzungen nicht verhindern. Aus diesen Gründen komme auch eine Verlegung in andere Stadtgebiete nicht in Betracht.

13

Im durchgeführten Erörterungstermin haben insbesondere Vertreter der Polizeidirektion B. im Einzelnen dargelegt, dass die Durchführung der vom Antragsteller und von Herrn A. angemeldeten Versammlungen am 13. Mai 2006 einen der größten Polizeieinsätze des Jahres 2006 in der gesamten Bundesrepublik Deutschland erfordern würde. Die örtlichen Verhältnisse in B. ließen schon aus logistischen Gründen nur den Einsatz von maximal 5.500 bis 6.000 Einsatzkräften zu. Es müssten Polizeikräfte auch aus anderen Bundesländern eingesetzt werden. Allein die Unterbringung der auswärtigen Beamtinnen und Beamten, die maximal in einem Umkreis von 120 Kilometern erfolgen könne, stieße bei Ausnutzung aller Möglichkeiten einschließlich einer Hotelunterbringung von 2.000 Personen damit an die absolute Obergrenze. Ein solches Polizeiaufgebot reiche jedoch wegen der drohenden Gefahren für einen wirksamen Schutz der Demonstrationen und die Gewährleistung der Sicherheit in B. nicht annähernd aus.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten in diesem Verfahren sowie in den Verfahren 1 A 131/06, 1 A 119/06, 1 B 120/06 und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

15

II.

Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht begründet.

16

Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Versammlungsverbotes in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet.

17

Die bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

18

Bei Versammlungen, die - wie hier - auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen versammlungsrechtlichen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen; im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfGE 69, 315, 363 f.; BVerfG, Beschluss vom 21. April 1998, NVwZ 1998, 834 f.). Das der zuständigen Behörde durch § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz -VersG- eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die behördliche Eingriffsbefugnis setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung voraus. Zwischen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Durchführung der Versammlung muss somit ein hinreichend bestimmter Kausalzusammenhang bestehen. Die unmittelbare Gefährdung setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führte. Außerdem müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlagen der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 69, 315, 353 f., 360; BVerfG, Beschluss vom 21. April 1998, a.a.O. und vom 29. März 2002, NVwZ 2002, 983 [BVerfG 29.03.2002 - 1 BvQ 9/02]). Das aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters bezieht sich auch auf Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2001 -1 BvQ 9/01 -, DVBI. 2001, 558). Kommt es zur Rechtsgüterkollision, kann dieses Selbstbestimmungsrecht aber durch Rechte Anderer beschränkt sein. In diesem Fall ist für die wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes zu sorgen. Wird den gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit bei der Planung der angemeldeten Versammlung nicht hinreichend Rechnung getragen, kann die praktische Konkordanz zwischen den Rechtsgütern durch versammlungsrechtliche Auflagen hergestellt werden (BVerfGE 104, 92, 111; BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2005 -1 BvR 961/05 -). Soweit es Störungen des Verkehrs durch die vorgesehene Demonstration betrifft, so sind grundsätzlich die zwangsläufig mit einer Demonstration auch auf öffentlichen Straßen verbundenen Behinderungen des Verkehrs hinzunehmen; insoweit handelt es sich nicht um ein Rechtsgut, das im Sinne der o. g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigt. Dies gilt jedoch nur für Störungen, die gleichsam notwendig mit einer Demonstration verbunden sind, nicht aber für solche, bei denen die Versammlung erst gezielt durch Verkehrsstörungen Aufmerksamkeit hervorzurufen sucht. Versammlungsrechtliche Anordnungen gegen einen Veranstalter kommen auch dann in Betracht, wenn bei einer versammlungsrechtlichen Konfrontation von Versammlung und Gegendemonstration konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der vom Veranstalter angegebene Zweck nur Vorwand und die Provokation von Gegengewalt das eigentliche vom Veranstalter objektiv oder subjektiv bezweckte Vorhaben ist. Dabei darf nicht auf den verfassungsrechtlichen noch tolerierbaren Inhalt der Demonstration als solchen abgehoben werden, sondern lediglich auf über den Inhalt hinausgehende provokative Begleitumstände (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. September 2000, DVBI. 2001, 62 f.). Gegen eine Versammlung als Ganzes kann unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden. Drohen Gewalttaten als Gegenreaktionen auf Versammlungen, so müssen sich behördliche Maßnahmen zwar grundsätzlich gegen die Störer und nicht gegen die friedliche Demonstration richten. Sind solche gewalttätigen Zusammenstöße zu befürchten und nicht durch Maßnahmen gegen die gewaltbereiten Gegendemonstranten abzuwehren, kann aber ein polizeilicher Notstand unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch Maßnahmen gegen die Ausgangsdemonstration rechtfertigen. Dabei muss die Versammlungsbehörde auch prüfen, ob ein polizeilicher Notstand durch Modifikation der Versammlungsmodalitäten entfallen kann, ohne dadurch den Versammlungszweck zu vereiteln (vgl. BVerfGE 69, 315, 355, 360 f.; BVerfG, Beschluss vom 1. September 2000, a.a.O.). Maßnahmen gegen die Versammlung als Nichtverantwortliche müssen auf das sachlich und zeitlich Unumgängliche beschränkt werden (vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Auflage, 2001, Rn. 264).

19

Unter Beachtung dieser Grundsätze erweist sich die hier angefochtene Untersagungsverfügung im Ergebnis voraussichtlich als rechtmäßig. Mit dem Verbot der angemeldeten Demonstration hat die Antragsgegnerin, jedenfalls soweit sie dieses der Sache nach mit einem sog. echten bzw. unechten polizeilichen Notstand begründet und den Antragsteller als Nichtstörer in Anspruch nimmt, zutreffend die hierfür nur ganz ausnahmsweise zu bejahenden Voraussetzungen angenommen und insoweit von dem ihr eingeräumten Ermessen in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Insbesondere kommt hier unter Verhältnismäßigkeitsaspekten eine mildere Maßnahme gegenüber dem Antragsteller nicht in Betracht. Die Antragsgegnerin hat in dem angefochtenen Bescheid und ergänzend im vorliegenden Verfahren detailliert und unter Benennung konkreter und aktueller Umstände und Indizien dargelegt, woraus sie für den Fall der Durchführung der Demonstration des Antragstellers die hohe Wahrscheinlichkeit schwerer Gewalttaten ableitet. Dabei ist auch nach Überzeugung der Kammer eine zusammenschauende Betrachtung mit der zu einem gleichzeitigen Beginn angemeldeten Demonstration des Herrn A. geboten. Zwar sind hier formell zwei Veranstaltungen von zwei verschiedenen Personen angemeldet worden und Herr A. hat einen eigenen Aufstellort sowie eine eigene Route angegeben. Auch hat Herr A. auf Nachfrage der Antragsgegnerin einer (vollständigen) Zusammenlegung seiner Demonstration mit der des Antragstellers widersprochen. Herr A. hat jedoch dasselbe Demonstrationsthema wie der Antragsteller benannt sowie ausdrücklich die beabsichtigte Auflösung seiner Demonstration nach dem Zusammentreffen mit dessen Demonstration und die Fortsetzung im Aufzug des Antragstellers angekündigt. Schließlich ergibt sich aus dem im Rahmen des Erörterungstermins von der Antragsgegnerin vorgelegten Auszug aus dem Störtebeker-Netz, dass der Antragsteller mit Herrn A. auf Grund einer gemeinsamen Planung die beiden Demonstrationen "sternmarschmäßig" zusammenführen will. Die Gefährdungslage kann deshalb nicht isoliert nur jeweils für eine der genannten Versammlungen betrachtet werden.

20

Im Versammlungsrecht darf der polizeiliche Notstand nur zum Schutz von mit Artikel 8 GG gleichwertigen Rechtsgütern und nur unter strikter Wahrung des oben beschriebenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Inanspruchnahme eines Nichtstörers gemäß § 15 VersG führen. Die Prognose einer "unmittelbaren Gefährdung" dieser Rechtsgüter erfordert dabei immer einen hinreichend konkreten Bezug der Erkenntnisse oder Tatsachen zu der geplanten Veranstaltung. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Anzahl der Polizeibeamten zur Durchführung der geplanten Demonstration und zur Sicherung einer polizeilichen Grundversorgung ausreicht, handelt es sich um eine - planerische Elemente enthaltende - Prognoseentscheidung der Versammlungsbehörde, bei der dieser ein Prognosespielraum zusteht, der vom Gericht lediglich daraufhin überprüfbar ist, ob die Prognose unter Berücksichtigung der verfügbaren - und im gerichtlichen Verfahren verifizierbaren -Daten in einer der Materie angemessenen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet worden ist. Ausnahmsweise ist ein Veranstaltungsverbot nach § 15 Abs. 1 VersG dann zulässig, wenn die Polizei entweder nicht in der Lage ist, die öffentliche Sicherheit durch ein Vorgehen gegen gewaltbereite Gegendemonstranten als Störer aufrecht zu erhalten (so genannter echter polizeilicher Notstand), oder wenn Maßnahmen gegen die Störer eine größere Gefahr bzw. größere Schäden für Unbeteiligte hervorrufen würden als Maßnahmen gegen die Nichtstörer (so genannter unechter polizeilicher Notstand). Dabei sind keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, da bei irriger Einschätzung grundsätzlich noch die Möglichkeit einer späteren Auflösung verbleibt. Der so genannte unechte polizeiliche Notstand liegt vor, wenn die Polizei mit den verfügbaren Kräften zwar in der Lage ist, die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte durchzusetzen, hierzu aber Mittel einsetzen müsste, wie z.B. Wasserwerfer, Sonderwagen und Reizstoffe, die auch im Hinblick auf das zu schützende Versammlungsrecht außer Verhältnis stünden und dabei Maßnahmen gegen Störer ergreifen müsste, die zu wesentlich größeren Schäden für Unbeteiligte führen würden, d.h. die Schäden für die öffentliche Sicherheit bei einem Einschreiten gegen die Störer in einem extremen Missverhältnis zu den Nachteilen stehen würden, die im Vergleich dazu durch ein Vorgehen gegen die friedliche Versammlung eintreten (vgl. VG Braunschweig, Urteil vom 29. Juni 2004 -5 A 528/03 m.w.N., ).

21

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sind die Voraussetzungen für die Annahme eines echten polizeilichen Notstandes, also die objektive Unmöglichkeit, die Sicherheit durch Inanspruchnahme der Störer aufrecht zu erhalten, durchaus nahe liegend. Auf jeden Fall ist aber ein unechter polizeilicher Notstand anzunehmen.

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Das Gericht teilt die Prognose der Antragsgegnerin, dass angesichts der Ankündigungen zu der geplanten Demonstration des Antragstellers sowie der des Herrn A. nicht nur in der lokalen Szene, sondern auch durch Internetaufrufe sowohl von links- als auch von rechtsextremer Seite mit schwersten Ausschreitungen und mindestens vergleichbaren, wenn nicht schlimmeren Ereignissen in B. als am 29. Oktober 2005 zu rechnen ist. Es hat sich zwar seinerzeit um eine Veranstaltung der NPD und nicht wie jetzt von Einzelpersonen gehandelt, aber für die Außenwirkung der Demonstrationen ist dieser formelle Unterschied ohne Bedeutung, denn der Antragsteller war selbst am 29. Oktober 2005 für den Zug der NPD Anmelder und Versammlungsleiter und auch Herr A. hat damals mitdemonstriert. Sowohl Herr A. wird als Freier Nationaler politisch der rechtsextremen Seite zugeordnet wie auch der Antragsteller als Funktionär des NPD-Landesverbandes. Insoweit hat die Antragsgegnerin überzeugend darauf hingewiesen, dass eine Konfrontation von Demonstranten und militanter autonomer Szene nicht durch vorbeugende Maßnahmen der Antragsgegnerin oder der Polizei wirkungsvoll gemildert oder verhindert werden könnte, weil dieser Störerkreis Versammlungen niemals anmeldet und entsprechende Verbote missachten würde. Auch Polizeikontrollen im Vorfeld hatten nach den Erfahrungen vom 29. Oktober 2005 weitgehend ihre Wirkung verfehlt. So sind die Autonomen offenkundig unerkannt Tage vor dem Ereignis nach B. gereist und auch wegen ihrer "bürgerlichen" Erscheinung nicht aufgefallen. Auch die Polizei war deshalb am 29. Oktober 2005 durch die sehr große Zahl von rund 1.500 gewaltbereiten Autonomen und deren guter Organisation und Taktik überrascht. Entgegen der Ansicht des Antragstellers kommt es für die Prognose zum 13. Mai 2006 nicht darauf an, ob diese Unkenntnis der Polizei ein fachlicher Fehler war, der die Ausschreitungen am Demonstrationstag mit ermöglicht hat. Fakt ist, dass seinerzeit die beachtliche Zahl von nahezu 4.000 eingesetzten Polizeikräften nicht in der Lage war, den damaligen Demonstrationszug ohne Gefährdung der Demonstrationsteilnehmer über die zugelassene, aber durch brennende Barrikaden blockierte Demonstrationsroute zu führen, was eine Umleitung der Demonstration schon nach einer Strecke von etwa 500 Metern erforderte. Vielmehr wäre es nach Überzeugung des Gerichts ein fachlicher Fehler, wenn die Polizei sich für den 13. Mai 2006 nicht auf eine besonders große Zahl linksextremer Störer einstellen würde. Diese Sicht findet ihre Bestätigung in der Vorausbeurteilung durch die Polizeidirektion B. vom 16. Februar 2006 gegenüber der Antragsgegnerin. Die Polizei hat in jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, warum sie trotz Aufbietung aller möglichen Kräfte wegen der besonderen Verhältnisse in B. auf Grund der zu erwartenden gewalttätigen Aktionen von einer sehr hohen Anzahl linksextremer Autonomer nicht in der Lage sein wird, die Demonstrationen auch nur ansatzweise in deren Verlauf zu schützen und damit die Inanspruchnahme des durch Art. 8 GG geschützten Grundrechts des Antragstellers und möglicher Teilnehmer seiner Demonstration durchzusetzen. Dabei hat die Polizei aus der detaillierten Aufstellung der Geschehnisse am 29. Oktober 2005 die sichere Erwartung abgeleitet, dass mindestens mit einem vergleichbaren Szenario gewalttätiger Aktionen im Bereich der Demonstrationsroute und auch an anderen Orten im Stadtgebiet zu rechnen wäre. Gerade wegen des "Erfolgs" bei der Verhinderung des damals zugelassenen Demonstrationsverlaufs bzw. des "Misserfolgs" der NPD und auch wegen des Symbolcharakters der Stadt B. als "Hochburg der Linken" in der Auseinandersetzung zwischen den Extremen ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 13. Mai 2006 mit einer großem Zahl von Teilnehmern der genannten Demonstrationen zu rechnen. Dies lässt z.B. auch der von der Antragsgegnerin zitierte Aufruf in " erwarten, in dem (noch zum 29. Oktober 2005) die bessere Mobilisierung für den "Mythos B." festgestellt wird, der noch die etwas andere Herausforderung für Aktivisten darstellt. Außerdem werden auch die linksextremen Autonomen voraussichtlich alle Kräfte bündeln und in sehr großer Zahl alles unternehmen, um die Demonstrationen des Antragstellers und von Herrn A. zu stoppen. Die Autonomen werden - wie bereits am 29. Oktober 2005 - erneut überaus gewaltbereit sein und mit einer ähnlichen Taktik Angriffe gegen die Demonstrationen vorbereiten sowie erneut ganze Straßenzüge durch (brennende) Barrikaden blockieren und sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit den Polizeibeamtinnen und Beamten liefern. Die Polizei hat auch noch einmal im Erörterungstermin verdeutlicht, dass aus logistischen Gründen schon wegen bestehender Engpässe bei der Unterbringung maximal 5.500 bis 6.000 auswärtige Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in B. zum Einsatz kommen könnten. Auch wenn ein solches Polizeiaufgebot einen der größten Polizeieinsätze des Jahres im Bundesgebiet bedeuten würde, ließe sich mit dieser Zahl eingesetzter Polizeikräfte die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht und schon gar nicht mit einem verhältnismäßigen Mitteleinsatz garantieren. Durch die weitere Demonstration von Herrn A. würde der potenzielle Angriffsbereich für gewaltbereite Autonome noch erweitert. Auch wenn nur einige Teilnehmer der Demonstration von Herrn A. per Bahn anreisen sollten, bleibt es bei dem Erfordernis, deren Weg vom Bahnhof über die Berliner Straße und die Bürgerstraße bis zum Hiroshimaplatz vor Angriffen Autonomer zu sichern. Hieraus ergibt sich eine ringförmige Umschließung der Göttinger Innenstadt durch die angemeldeten Demonstrationsrouten bzw. den zusätzlichen Weg vom Bahnhof zum Aufstellplatz. Dies würde nach der überzeugenden Erläuterung der Polizei eine Abriegelung der Innenstadt von mindestens 8 bis 18 Uhr bedeuten. Wie auch sonst der private und öffentliche Straßenverkehr in diesem Bereich weiträumig zum Erliegen käme.

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Daneben hat die Antragsgegnerin zur Gefährdungslage überzeugend darauf hingewiesen, dass - anders als bei Demonstrationen der NPD in den Jahren 2001 und 2002, bei denen auch schon schwer wiegende Störungen der Versammlung von linker Seite mit einem erheblichen Polizeiaufgebot unter Kontrolle gehalten werden konnten - sich das Ausmaß dieser Störungen 2005 massiv verändert und es Krawalle mit einer Fülle von Rechtsgutverletzungen gegeben hat. Rund 80 Personen seien so erheblich verletzt worden, dass sie hätten ärztlich behandelt werden müssen. Sogar Feuerwehrleute seien bei der Brandbekämpfung im Bereich einer brennenden Barrikade bedroht worden. Außerdem ist nicht nur Eigentum von unbeteiligten Privatpersonen, angefangen von der Mülltonne bis zu Häusern von Studentenverbinden beschädigt oder zerstört worden. Auch an öffentlichen Einrichtungen und Sachgütern der Antragsgegnerin, der Verkehrs-AG und der Versorgungs-AG sowie insbesondere auch an den Einsatzfahrzeugen von Polizei und Feuerwehr ist erheblicher Sachschaden verursacht worden.

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Dass die Autonomen durch gezielte Einzelaktionen - wie in der Vergangenheit geschehen - versuchen werden, Störungen und Angriffe gegenüber der Versammlung des Antragstellers zu unternehmen, sich mit ihren Aktionen aber nicht darauf beschränken, sondern ihre Ausschreitungen auch auf ursprünglich angemeldete, jedoch nicht zugelassene Straßenzüge und auf andere überhaupt nicht von der Versammlung berührte Straßen und Örtlichkeiten in der Stadt B. erstrecken werden, zeigen nachdrücklich die von der Polizei anlässlich der NPD-Demonstration im Oktober 2005 dokumentierten Rechtsverletzungen. Danach wurden u.a. Steindepots an dem damaligen Streckenverlauf im Bereich des Nikolausberger Weges und des Universitätsgeländes gefunden. Größere Barrikaden befanden sich entlang der bestätigten Demonstrationsroute auf dem Nikolausberger Weg, der Humboldtallee und dem oberen Kreuzbergring. Zusätzliche Barrikaden waren abseits des Demonstrationswegs im unteren Kreuzbergring, der Goßlerstraße, dem Waldweg, dem oberen Nikolausberger Weg und dem Düstere-Eichen-Weg errichtet worden. Außerhalb der Demonstrationsroute lagen auch die drei beschädigten Verbindungshäuser. Eindrucksvoll wird die große Zahl von Übergriffen an verschiedenen Einsatzorten im Stadtgebiet durch die farblich gestaltete Darstellung der Ereignisse im Stadtplanausschnitt (Beiakten A, Untergliederung III S. 11) sowie auch durch die Zusammenstellung des Einsatzaufkommens (Einsatzberichte Feuer) (dort S. 12-14) belegt.

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Dies alles zeigt, dass die unmittelbar drohende massive Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in B. am 13. Mai 2006 nicht durch versammlungsrechtliche Auflagen, insbesondere eine Verkürzung oder Verlegung der Versammlung, ausgeräumt werden könnte. Denn gerade wegen der Unberechenbarkeit der mit Sicherheit stattfindenden Ausschreitungen gegen die Versammlungsteilnehmer, die sich nach den Erfahrungen vom 29. Oktober 2005 auf den Demonstrationsbereich, aber ebenso sicher auch auf alle anderen zentralen und für den Demonstrationszweck gleichwertigen Gebiete der Stadt erstrecken würden, kommt nur das vollständige Verbot der angemeldeten Versammlungen in Betracht. Insoweit liegt eine völlig veränderte Ausgangslage für die Beurteilung gegenüber Oktober 2005 vor, als die jetzt vom Antragsteller angemeldete Demonstrationsroute gerichtlich bestätigt worden ist.

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Da das angefochtene Versammlungsverbot schon wegen des nach den Maßgaben eines versammlungsrechtlichen Eilverfahrens festgestellten polizeilichen Notstands ausgesprochen werden durfte, kommt es für die Entscheidung in diesem Verfahren nicht mehr darauf an, ob das Verbot auch aus anderen Gründen tragfähig wäre. Die Kammer braucht sich deshalb insbesondere nicht mit der Argumentation der Antragsgegnerin zu beschäftigen, ob von den Teilnehmern der angemeldeten Versammlung schwer wiegende Rechtsverstöße begangen würden oder ob der Antragsteller mit seiner Versammlung bewusst das aggressive Verhalten der autonomen Szene provozieren will und deshalb auch als sog. Zweckveranlasser in Anspruch genommen werden könnte.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.