Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.07.2024, Az.: 12 ME 58/24

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen persönlicher Ungeeignetheit zum Fahren eines KfZ

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.07.2024
Aktenzeichen
12 ME 58/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 19785
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0718.12ME58.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 08.05.2024 - AZ: 5 B 371/24

Fundstellen

  • DÖV 2024, 938
  • NJW 2024, 3170-3172

Amtlicher Leitsatz

§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG regelt die Aufhebung einer Fahrerlaubnis bei Eignungsmängeln abschließend und steht insoweit einem Rückgriff auf § 48 VwVfG (i. V. m. § 1 NVwVfG) auch dann entgegen, wenn allenfalls die Rücknahme-, nciht aber die Entziehungsvoraussetzungen vorliegen.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 5. Kammer (Einzelrichterin) - vom 8. Mai 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1979 geborene Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin zur Herausgabe eines Führerscheins für die Klasse D, hilfsweise zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis dieser Klasse verpflichtet werden soll.

Ihm wurde im Jahr 2018 die Fahrerlaubnis entzogen. Danach wurde er wiederholt wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt.

Im Januar 2023 stellte er einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis u. a. auch für die Klasse D. Wegen seiner wiederholten Fahrten ohne Fahrerlaubnis forderte die Antragsgegnerin ihn mit Schreiben vom 4. April 2023 gestützt auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf. Das am 1. August 2023 versandte Gutachten der E. GmbH gelangt zu dem Ergebnis, es seien zukünftig weder erhebliche Verstöße des Antragstellers gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen noch die Begehung von Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Fahreignung zu erwarten; weiter gewährleiste er die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen. Dem Gutachten lag nach der sog. "Aktenanalyse" zu Grunde, dass der Antragsteller zuletzt im März 2022 ohne Fahrerlaubnis gefahren sei und sich danach psychologisch habe behandeln lassen. Hingegen war den Gutachtern nach Aktenlage nicht bekannt, dass gegen den Antragsteller inzwischen ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen eines noch im Mai 2023 erfolgten Fahrens ohne Fahrerlaubnis eingeleitet worden war.

Ihm wurde daraufhin die Fahrerlaubnis für die Klassen AM, A1, A, B, BE und L neu erteilt. Außerdem übermittelte die Antragsgegnerin dem F. einen Auftrag zur erneuten Ablegung der theoretischen und praktischen Prüfung für die Klassen C, CE, D1E, D1, D und DE und vermerkte, dass dem Antragsteller bei Vorlage der Prüfbescheinigungen auch die Fahrerlaubnis für diese Klassen zu erteilen bzw. auf Wunsch zunächst ein Vorläufiger Nachweis der Fahrerlaubnis (= VNF) auszuhändigen sei.

Nach Aktenlage bestand der Antragsteller am 29. November 2023 die praktische Prüfung der Klasse D und beantragte am 1. Dezember 2023 bei der Antragsgegnerin die Aushändigung eines VNF. Er übergab dazu Frau G., einer Mitarbeiterin der "Information" bei der Fahrerlaubnisbehörde, seine Prüfbescheinigung sowie seinen bisherigen Führerschein, zahlte die für die Aushändigung des VNF vorgesehene Gebühr und hielt zunächst auch diesen Nachweis in seinen Händen. Die näheren Umstände dieses Geschehens sind aber zwischen den Beteiligten streitig.

Nach den Angaben des Justiziars der Antragsgegnerin ist dem Antragsteller der VNF von Frau G. nicht im Rechtssinne (§ 22 Abs. 4 Satz 6 FeV) ausgehändigt, sondern gleichsam nur "als Laufzettel" mitgegeben worden, um die Angelegenheit bei einer anderen, dafür zuständigen Mitarbeiterin (hier wohl Frau H.) abschließend klären zu lassen. Frau G. habe nämlich Zweifel an der Richtigkeit der Aushändigung gehabt, nachdem sie einen Hinweis im System gelesen habe, wonach der o. a. Prüfauftrag bereits mit Schreiben vom 30. November 2023 wegen des gegen den Antragsteller laufenden Ermittlungsverfahrens zurückgezogen worden sei. Sie habe deshalb seinen bisherigen Führerschein auch nicht entwertet, wie das im Normalfall erfolge, sondern liegen lassen und dem Antragsteller eine Wartenummer für ein klärendes Gespräch mit ihrer Kollegin gegeben.

Der Antragsteller macht hingegen geltend, dass er bereits auf dem Weg zu seinem Kraftfahrzeug gewesen sei, als ihm aufgefallen sei, dass auf dem VNF die für die Personenbeförderung erforderliche Schlüsselzahl 95 gefehlt habe. Er sei daraufhin von sich aus zu Frau H. gegangen.

Jedenfalls wurde dem Antragsteller danach (unstreitig) nach Rücksprache von Frau H. mit einem weiteren Kollegen, Herrn I., der VNF wieder abgenommen. Im Tausch erhielt der Antragsteller seinen bisherigen Führerschein u. a. für die Kassen B und BE zurück sowie das o. a. Schreiben bezüglich der Rücknahme des Prüfauftrages. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass zunächst die rechtskräftige Entscheidung des Strafgerichts abgewartet werden müsse. Dies wurde dem Antragsteller schriftlich bestätigt. Er erhielt auch die entrichtete Gebühr zurück.

Am 7. Februar 2024 wurde der Antragsteller wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Mai 2023 zu einer zweimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Von "Führerscheinmaßnahmen" wurde laut Urteilsbegründung mit "Rücksicht darauf, dass" der Antragsteller "aufgrund eines positiven Medizinisch-Psychologischen Gutachtens seine Fahrerlaubnis inzwischen wiedererlangt und sich in der Hauptverhandlung einsichtig gezeigt habe, ausnahmsweise noch einmal abgesehen."

Zur Begründung seines Eilantrags macht der Antragsteller geltend, dass ihm die Fahrerlaubnis der Klasse D durch Aushändigung des VNF neu erteilt worden sei; eine erneute Aufhebung liege nicht vor. Im Übrigen sei er ohnehin kraftfahrgeeignet. Dies folge schon aus den die Ausführungen im Strafurteil vom Februar 2024, an die die Antragsgegnerin nach § 3 Abs. 4 StVG gebunden sei, jedenfalls aber aus dem Ergebnis der medizinisch-psychologischen Untersuchung.

Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat er in einem Erörterungstermin am 16. April 2024 auf Vorhalt geltend gemacht, er habe bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung zugegeben, "regelmäßig" ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein, und diese Aussage zeitlich nicht eingeschränkt. Dem Gutachter habe deswegen "klar sein müssen", dass er - der Antragsteller - nicht nur in den Situationen, in denen er "erwischt" worden sei, ohne Fahrerlaubnis gefahren sei, sondern dass es weitere Vorfälle dieser Art gegeben habe.

Die Antragsgegnerin hält dem Antrag entgegen, dass selbst bei unterstellter Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse D diese durch die Rückgabe des VNF sowie die Rückerstattung der Gebühr jedenfalls wieder aufgehoben bzw. entzogen worden sei. Die Voraussetzungen für die Annahme der Kraftfahreignung des Antragstellers lägen ohne erneute Begutachtung nicht vor. Denn wenn den Gutachtern bei Erstellung ihres Gutachtens bekannt gewesen wäre, dass er noch im Mai 2023 ohne Fahrerlaubnis gefahren sei, wären sie nicht zu der positiven Prognose gekommen. Dies müsse auch im Hinblick auf die Feststellungen in dem strafgerichtlichen Urteil berücksichtigt werden. Im Übrigen müsse auch der Abschluss zweier weiterer gegen den Antragsteller laufender Strafverfahren (wegen vorsätzlicher Körperverletzung eines Fahrgastes sowie Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt) abgewartet werden.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mangels Anordnungsanspruch abgelehnt. Zwar sei dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse D am 1. Dezember 2023 durch Aushändigung des VNF neu erteilt, diese Fahrerlaubnis aber (am gleichen Tag) rechtmäßig zurückgenommen worden, so dass der auf die Herausgabe eines Führerscheins gerichtete Hauptantrag unbegründet sei. Die Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse D sei rechtswidrig gewesen, weil die Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers, die aufgrund seiner wiederholten Fahrten ohne Fahrerlaubnis bestanden und seine Begutachtung veranlassten hätten, im Dezember 2023 nicht hinreichend ausgeräumt gewesen seien. Denn dazu sei das o. a. Gutachten der E. GmbH ungeeignet, weil es nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruhe. Der Antragsteller habe die Gutachter bewusst in Unkenntnis darüber gelassen, dass er nicht einmal zwei Monate vor der Begutachtung erneut einschlägig straffällig geworden sei. Vielmehr habe er ihnen vorgespiegelt, dass er sich aufgrund von psychologischen Gesprächen verändert habe. Die Kraftfahreignung des Antragstellers folge auch nicht aus § 3 Abs. 4 StVG, da "die Norm das Entziehungs-, nicht aber das Wiedererteilungsverfahren betreffe". Da die Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers fortbestünden und durch ein neues medizinisch-psychologisches Gutachten aufzuklären seien, stehe dem Antragsteller auch nicht der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse D zu.

Zur Begründung seiner Beschwerde beruft sich der Antragsteller darauf, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht annehme, seine Fahrerlaubnis der Klasse D sei konkludent zurückgenommen worden. Es sei für ihn schon nicht erkennbar gewesen und von der Antragsgegnerin auch selbst nicht erklärt worden, dass seine Fahrerlaubnis zurückgenommen werde. Außerdem scheide eine solche Rücknahme ohnehin aus, weil sie durch den vorrangigen - und jedenfalls hinsichtlich der hier streitigen Eignung - abschließenden § 3 StVG über die Entziehung der Fahrerlaubnis verdrängt werde. Im Übrigen wiederholt und vertieft der Antragsteller sein erstinstanzliches Vorbringen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unbegründet.

Das Prüfprogramm in einem - wie hier - § 146 Abs. 4 VwGO unterfallenden Beschwerdeverfahren ist nach ständiger Senatsrechtsprechung ggf. zweistufig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl., § 146, Rn. 43; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. § 146, Rn. 107 f., 115, jeweils m. w. N): In einem ersten Schritt ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Gründe, die die erstinstanzliche Entscheidung tragen, hinreichend in Zweifel gezogen hat. Ist dies der Fall, so ist in einem zweiten Schritt von Amts wegen zu prüfen, ob die Entscheidung aus anderen Gründen zutreffend ist und dabei eine vollumfängliche Prüfung des Antrags auf vorläufigen/einstweiligen Rechtsschutz vorzunehmen.

Hieran gemessen bleibt der Beschwerde der Erfolg versagt, weil der Antragsteller mit seinem zuvor zusammengefasst wiedergegebenen Beschwerdevorbringen zwar die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts für die Ablehnung seines Hauptantrages durchgreifend in Zweifel gezogen hat (a), sich aber die Ablehnung dieses und ebenfalls seines Hilfsantrages bei der deshalb (im Rahmen des § 123 VwGO) gebotenen Prüfung von Amts wegen im Ergebnis als richtig erweist (b).

a) Der Antragsteller rügt zu Recht, dass das Verwaltungsgericht angenommen hat, die (zuvor bejahte) Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klasse D sei wegen Eignungszweifeln im Zeitpunkt der Wiedererteilung zurückgenommen worden. Diese Annahme kann weder rechtlich (aa) noch tatsächlich (bb) überzeugen.

aa) Nach der bereits vom Verwaltungsgericht selbst zutreffend als "wohl herrschend" bezeichneten "obergerichtlichen" Ansicht ist eine Rücknahme der Fahrerlaubnis nach § 48 VwVfG i. V. m. § 1 NVwVfG nämlich jedenfalls insoweit ausgeschlossen, als sie sich auf eine fehlende oder - wie hier wohl vom Verwaltungsgericht angenommene - im Erteilungszeitpunkt zweifelhafte Kraftfahreignung gründet. Denn insoweit erweist sich die Entziehung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG als vorrangige und abschließende Spezialregelung, wie sich u. a. schon aus der Begründung ergibt (vgl. BT-Drs. 13/6914, 68, abgedruckt auch in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 3 StVG, Rn. 4). Soweit das Verwaltungsgericht im Anschluss an eine Einzelrichterentscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg darauf verweist, dass § 3 Abs. 1 StVG in bestimmten Fällen, etwa gerade bei ungeklärter Kraftfahreignung im Erteilungszeitpunkt, ggf. keine Entziehung der Fahrerlaubnis zulasse, trifft dies zu, erlaubt aber nicht den Rückschluss, dass es sich insoweit um eine Lücke handele, die durch den Rückgriff auf § 48 VwVfG zu schließen sei. Vielmehr dürfte der Gesetzgeber diese Möglichkeit durchaus erkannt, aber gleichwohl davon abgesehen haben, auch in diesen Fällen die Fahrerlaubnis zu entziehen bzw. aufzuheben, und dementsprechend im ersten Halbsatz des § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG bewusst die feststehende Ungeeignetheit (im Entziehungszeitpunkt) als Entziehungsvoraussetzung gefordert haben. Weder anfängliche noch nachträglich eingetretene bloße Zweifel an der Kraftfahreignung rechtfertigen damit die Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2005 - 3 C 25/04 -, NJW 1998, 3081, sowie Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 3 StVG, Rn. 24, m. w. N.). Der Gesetzgeber räumt insoweit dem Bestandsinteresse des Betroffenen Vorrang ein und vermeidet so auch Folgeprobleme bei der andernfalls möglichen rückwirkenden Aufhebung einer Fahrerlaubnis. Die Spezialität des § 3 StVG bezieht sich also nicht nur auf seine - im Vergleich zu einer Rücknahme nach § 48 VwVfG - herabgesetzten Voraussetzungen, wie namentlich den Ausschluss von Vertrauensschutz und Billigkeitserwägungen (i. S. d. § 48 VwVfG) bei feststehender Nichteignung, sondern sie wirkt sich jedenfalls in dem aufgezeigten Umfang auch zugunsten des Fahrerlaubnisinhabers aus.

bb) Im Übrigen kann auch tatsächlich nicht angenommen werden, die Mitarbeiter der Straßenverkehrsbehörde der Antragsgegnerin hätten am 1. Dezember 2023 eine zuvor erteilte Fahrerlaubnis (der Klasse D) zurücknehmen wollen. Dies haben sie selbst weder damals erklärt noch nachträglich in ihren Stellungnahmen für sich in Anspruch genommen. Statt ein neues Verwaltungsverfahren einzuleiten und durch Rücknahme zu beenden, wollten sie vielmehr das aus ihrer Sicht noch fortdauernde Wiedererteilungsverfahren bis zur Klärung der aufgekommenen Eignungszweifel aussetzen. Hätten sie tatsächlich die Fahrerlaubnis des Antragstellers wegen Zweifeln an der Kraftfahreignung zurücknehmen wollen, so hätte es außerdem nahegelegen, dies wegen der jedenfalls insoweit unteilbaren (Nicht-)Eignung des Antragstellers insgesamt und nicht lediglich beschränkt auf die Klasse D zu tun. Schließlich handelte es sich für die beteiligten Mitarbeiter der Antragsgegnerin erkennbar um eine außergewöhnliche Angelegenheit, so dass auch deshalb die Annahme fernliegt, sie hätten ohne interne Rücksprache zu der ihnen nicht vertrauten (und ohnehin nicht gegebenen) Maßnahme der Rücknahme einer Fahrerlaubnis gegriffen.

b) Bei der demnach gebotenen eigenständigen Prüfung des Antrags nach § 123 VwGO durch den Senat bleibt dieser sowohl mit dem Haupt- (aa) als auch mit dem Hilfsbegehren (bb) erfolglos.

aa) Zwar dürfte eine - unterstellt - wiedererteilte Fahrerlaubnis der Klasse D auch nicht anderweitig als durch Rücknahme aufgehoben worden sein (1). Auf eine solche Aufhebung kommt es jedoch nicht an, da in diesem Verfahren schon nicht angenommen werden kann, dem Antragsteller sei am 1. Dezember 2023 überhaupt eine solche Fahrerlaubnis wieder erteilt worden (2).

(1) Das Fahrerlaubnisrecht sieht - anders als zumindest teilweise für die Erteilung nach § 22 Abs. 4 Satz 6 FeV durch Aushändigung des Führerscheins - keine "Aufhebung" der Fahrerlaubnis durch Rückerlangung des Führerscheins oder, wie hier, eines VNF vor. Allein durch die Rückforderung des VNF (und des bisherigen Führerscheins) sowie die jeweilige Rückgabe ist eine - unterstellt - wiedererteilte Fahrerlaubnis der Klasse D also nicht unwirksam geworden.

Schließlich kann - entgegen des Beschwerdevorbringens der Antragsgegnerin - in der Rückforderung aus den zuvor angeführten Gründen auch keine konkludente Entziehung i. S. d. § 3 Abs. 1 StVG gesehen werden. Denn die Mitarbeiter der Antragsgegnerin wollten am 1. Dezember 2023, wie dargelegt, lediglich eine verfahrensrechtliche Übergangsregelung bis zur Klärung der aufgekommenen Eignungszweifel treffen, nicht aber diese Zweifel für eine Entziehung ausreichen lassen. Das wäre zudem rechtswidrig gewesen, da eine Entziehung, wie bereits ausgeführt, voraussetzt, dass die fehlende Eignung des Antragstellers feststeht. Hiervon kann nach Aktenlage jedoch nicht ausgegangen werden, und dies haben im Übrigen weder die Antragsgegnerin noch das Verwaltungsgericht angenommen.

bb) Der Aufhebung einer wiedererteilten Fahrerlaubnis der Klasse D bedurfte es hier aber ohnehin nicht, da der Antragsteller schon nicht - wie für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO erforderlich (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 4.11.2021 - 6 AV 9/21 -, juris, Rn. 15) - glaubhaft gemacht hat, dass es am 1. Dezember 2023 überhaupt zu einer solchen, weiterhin wirksamen Wiederteilung gekommen ist.

Nach § 22 Abs. 4 Satz 6 FeV wird die Fahrerlaubnis "durch die Aushändigung des Führerscheins oder, wenn der Führerschein nicht vorliegt, ersatzweise durch eine nur im Inland als Nachweis der Fahrerlaubnis geltende befristete Prüfungsbescheinigung nach Anlage 8a erteilt." Nimmt man allein den Wortlaut der Norm in den Blick, so besagt er für deren - hier umstrittene - zweite Tatbestandsalternative nichts Genaues darüber, auf welche Weise die Fahrerlaubnis "ersatzweise durch eine ... Prüfbescheinigung ... erteilt" wird, nämlich z. B. durch deren Aushändigung, Ausstellung oder Übersendung. Selbst wenn jedoch - was zwar nicht sprachlich, aber inhaltlich naheliegt - annimmt, diese Erteilung erfolge wie im Fall der ersten Tatbestandsalternative durch "Aushändigung", ist damit nicht allein auf diesen Realakt abzustellen. Vielmehr wird durch die Aushändigung schlicht der Inhalt der Fahrerlaubnis bekannt gemacht und sie mit diesem Inhalt nach außen wirksam (Thür. OVG, Beschl. v. 24.2.2005 - 2 EO 1087/03 -, juris, Rn. 32). Ist diese Aushändigung beizeiten mit Einschränkungen bezogen auf die Erteilung der Fahrerlaubnis versehen worden, so sind diese also grundsätzlich wirksam (vgl. VG Regensburg, Beschl. v. 9. 10.2018 - RN 8 S 18.1078 -, juris, Rn. 44). Ob dies auch für gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehene Einschränkungen, wie eine Bedingung oder eine vorläufige Erteilung gilt, kann und muss in diesem Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht geklärt werden.

Gemessen hieran wäre dem Antragsteller zwar auf der Grundlage seiner o. a. Sachverhaltsschilderung am 1. Dezember 2023 die Fahrerlaubnis der Klasse D uneingeschränkt erteilt worden. Dies gilt aber nicht, wenn er den VNF, wie die Antragsgegnerin schriftsätzlich geltend macht, für ihn erkennbar nur als "Laufzettel" erhalten hat. Nach den Angaben von Frau G. in ihrem Vermerk vom 22. März 2024 kommt schließlich - je nach dem genauen Zeitpunkt ihrer erläuternden Erklärungen gegenüber dem Antragsteller - in Betracht, dass die durch Aushändigung des VNF vorgenommene Erteilung der Fahrerlaubnis nur als eine vorläufige oder auflösend bedingte Erteilung bekannt gemacht wurde und Wirksamkeit erlangte. Dementsprechend kommt in Betracht, dass sie sich danach durch eine von Frau G. angekündigte, zu Lasten des Antragstellers durchgeführte weitere Prüfung erledigt hat. Eine demnach zur Aufklärung des Geschehens am 1. Dezember 2023 mutmaßlich erforderliche umfangreiche Beweisaufnahme übersteigt den Rahmen des Verfahrens nach § 123 VwGO. Aus dem Vortrag des Antragstellers sowie den vorliegenden Beweismitteln ergibt sich somit nicht die - mit der "Glaubhaftmachung" geforderte (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl., 2017, Zweiter Teil, Rn. 107, m. w. N.) - überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Bestehens des mit dem Hauptantrag verfolgten Anordnungsanspruchs; denn eine (erneute) Aushändigung des VNF bzw. eines Führerscheins der Klasse D setzt grundsätzlich die feststehende (bereits vorangegangene) Erteilung dieser Fahrerlaubnis voraus. Eine solche Erteilung wäre im hiesigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zwar nur mit dem nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO herabgesetzten Beweismaß zu belegen. Daran mangelt es hier aber gerade.

Geht man davon aus, dass bei einer - insoweit - offenen Ausgangslage ergänzend eine Interessenabwägung geboten ist (in diesem Sinne etwa BVerwG, Beschl. v. 13.10.1994 - 7 VR 10/94 -, juris, Rn. 30; Dombert, a. a. O., Rn. 137, m. w. N.), so fällt diese zu Lasten des Antragstellers aus. Da der Führerschein als Nachweis für den Besitz einer Fahrerlaubnis dient, kann er auch übergangsweise nicht ausgehändigt werden, wenn unklar ist, ob der Betroffene, wie hier der Antragsteller, überhaupt im Besitz der umstrittenen Fahrerlaubnis ist. Hinzu tritt vorliegend, dass es sich um eine Fahrerlaubnis der Klasse D handelt, d. h. das Führen von Fahrzeugen mit einem nochmals erhöhten Gefahrenpotential in Rede steht, und Zweifel gerade an der erforderlichen Kraftfahreignung des Antragstellers bestehen.

bb) Schon wegen dieser, hier nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV durch eine erneute medizinisch-psychologische Untersuchung zu klärenden Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers kann auch seinem auf die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klasse D gerichteten Hilfsbegehren nicht entsprochen werden. Das Gutachten der E. -GmbH beruht aus den insoweit bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend bezeichneten Gründen (S. 16 Abs. 1 des Beschlussabdrucks) nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage, wobei offenbleiben kann, ob der Antragsteller insoweit tatsächlich getäuscht hat. Bei der erneuten Überprüfung wird nicht nur zu klären sein, wie oft und bis wann genau der Antragsteller nach dem Mai 2022 ohne Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge geführt und wieso er dazu im vorherigen Gespräche jedenfalls keine klaren Angaben gemacht hat, sondern auch die Angaben des Antragstellers zu seinen persönlichen Verhältnissen werden kritisch zu hinterfragen sein; so ist nach den Angaben in dem späteren Strafurteil fraglich, ob er - wie im Rahmen der erfolgten Begutachtung zu Grunde gelegt worden ist - seine Tätigkeit als Busunternehmer tatsächlich bis auf Weiteres aufgegeben hat. Wie sich schon aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 4 StVG ergibt, kommt schließlich den Ausführungen in dem Strafurteil zur Kraftfahreignung des Antragstellers keine Bindungswirkung für das Wiedererteilungsverfahren zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 45 Abs. 1 Satz 2 und 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an den Vorschlägen unter Nrn. 1.5 Satz 2, 46.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11); jedenfalls mit seinem Hilfsantrag begehrt der Antragsteller eine Vorwegnahme der Hauptsache.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).