Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 10.08.2000, Az.: 6 A 296/99

Fahrtenbuch; Geschäftsfahrzeug; Radarfoto

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
10.08.2000
Aktenzeichen
6 A 296/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41866
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Klägerin ist Halterin eines Kraftfahrzeugs des Typs Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen GF-.... Am 28. Mai 1999 (8.36 Uhr) überschritt der Fahrer dieses Fahrzeugs auf der Landesstraße 282 in Eldingen die dort vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 26 km/h. Diese Ordnungswidrigkeit wurde durch ein Geschwindigkeitsmessgerät und ein Foto aufgezeichnet.

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Das Straßenverkehrsamt des Landkreises Celle übersandte im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens am 18. Juni 1999 der Klägerin als Halterin des Kraftfahrzeuges einen Anhörungsbogen, mit dem ihr Gelegenheit gegeben wurde, sich zu dem Vorfall zu äußern. Daraufhin zeigten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 24. Juni 1999 ihre Bevollmächtigung an und baten um Akteneinsicht. Die zur Akteneinsicht überlassenen Verwaltungsvorgänge wurden von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 01. Juli 1999 ohne Beifügung des Anhörungsbogens oder einer Stellungnahme wieder zurückgereicht.

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Am 19. Juli 1999 ersuchte der Landkreis Celle die Bußgeldstelle des Beklagten um Identifizierung des Betroffenen durch Personenvergleich anhand des Fotos bzw. um Ermittlung der für die Ordnungswidrigkeit verantwortlichen Person auf andere Weise. Ein von einem Mitarbeiter des Beklagten laut Vermerk vom 05. August 1999 im Personalbüro der Klägerin geführtes Gespräch ergab keine Hinweise, denn von dort konnten Angaben über den Fahrzeugführer nicht gemacht werden, weil aufgrund der schlechten Qualität des Radarfotos eine Identifizierung des Fahrzeugführers nicht möglich war.

4

Daraufhin stellte der Landkreis Celle das eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren ein, weil der verantwortliche Fahrzeugführer nicht zu ermitteln sei und leitete den Vorgang dem Beklagten zu.

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Mit Bescheid vom 17. September 1999 gab der Beklagte der Klägerin nach vorheriger Anhörung auf, für den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen GF-....oder ein Ersatzfahrzeug für die Dauer von neun Monaten nach Bestandskraft des Bescheides ein Fahrtenbuch zu führen.

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Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung: Der Anhörungsbogen sei erst am 21. Juni 1999, und damit fast einen Monat nach dem Vorfall, übersandt worden, und zu diesem Zeitpunkt sei der Fahrer nicht mehr feststellbar gewesen. Wäre der Anhörungsbogen zeitnah versandt worden, hätte sie - die Klägerin - den Fahrer ermitteln können. Außerdem sei von Seiten der Behörden erstmals am 12. August 1999, und damit sogar erst zweieinhalb Monate nach dem Vorfall, nachgefragt worden, wer der Fahrer gewesen sei. Bei einer Nachfrage innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Vorfall hätte der Fahrer ohne Probleme genannt werden können.

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Die Bezirksregierung Braunschweig wies diesen Rechtsbehelf durch Widerspruchsbescheid vom 03. November 1999 als unbegründet zurück.

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Am 23. November 1999 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und macht ergänzend geltend:

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Das Fahrzeug, mit dem der Verkehrsverstoß begangen worden sei, sei ein Firmenfahrzeug, das von mehreren Fahrern benutzt werde. Bei zeitnaher Übersendung des Anhörungsbogens wäre es möglich gewesen, durch firmeninterne Befragung den Fahrer zu ermitteln. Die Uhrzeit 8.36 Uhr zeige, dass es sich unter Berücksichtigung des Arbeitsbeginns in der Brauerei für das kaufmännische Personal um 7.00 Uhr um eine übliche Geschäftsfahrt auf einer üblichen Strecke im Nahbereich in Richtung Westen gehandelt habe. Eine zeitnahe mündliche Befragung der in Frage kommenden Fahrer wäre sinnvoll gewesen, weil nicht so viele "neue Fahrten zwischendurch" erfolgt wären. Gerade weil die Bildqualität des Radarfotos so schlecht gewesen sei, dass anhand dessen eine Identifizierung des Fahrers nicht möglich gewesen sei, wäre eine rechtzeitige Anhörung erforderlich gewesen. Demnach habe der Beklagte nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um zu ermitteln, wer das Fahrzeug geführt habe. Da sie nicht in der Lage gewesen sei, eine Auskunft zu erteilen, habe sie den Anhörungsbogen auch nicht zurückgesandt. Schließlich verstoße die Anordnung der Fahrtenbuchauflage gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn ein einmaliger Verstoß dieser Größenordnung rechtfertige unter der Berücksichtigung, dass sie eine Vielzahl von Fahrzeugen in Betrieb habe, nicht eine so einschneidende Maßnahme wie die Anordnung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von neun Monaten.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 17. September 1999 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 03. November 1999 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er entgegnet:

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Die verspätete Anhörung sei nicht ursächlich für die Nichtermittlung des Fahrers gewesen. Außerdem handele es sich bei der von der Rechtsprechung entwickelten Frist von zwei Wochen nicht um eine absolute Grenzziehung oder Ausschlussfrist. Nachdem bei der Vorsprache des Vollzugsbeamten im Personalbüro sachdienliche Hinweise nicht hätten gegeben werden können, seien weitere Ermittlungen mangels Aussicht auf Erfolg nicht möglich gewesen. Soweit die Klägerin die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rüge, sei dem entgegen zu halten, dass es sich nicht um einen einmaligen Verstoß gehandelt habe, sondern mit Verfügung vom 12. August 1998 der Klägerin bereits ein Fahrtenbuch auferlegt worden sei, weil der Fahrzeugführer nicht habe ermittelt werden können.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagte Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.

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Rechtsgrundlage der für die Klägerin als Fahrzeughalterin angeordneten Maßnahme des Beklagten ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

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Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in dem genannten Sinne ist darin zu sehen, dass am 28. Mai 1999 mit dem fraglichen Kraftfahrzeug der Klägerin auf der L 282 in Eldingen die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 26 km/h überschritten wurde. In einer Geschwindigkeitsübertretung dieser Größenordnung liegt entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ein erheblicher Verkehrsverstoß, der bereits nach einem erstmaligen Vorfall die Anordnung rechtfertigt, ein Fahrtenbuch zu führen (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - BayVBl 1983, 310; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. vom 09.12.1998, 12 M 5283/98). Des Nachweises einer konkreten Gefährdung durch diesen zu den Hauptunfallursachen rechnenden Verkehrsverstoß bedarf es nicht (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, BVerwGE 98, 227 m.w.N.).

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Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus i.S.d. § 31a StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Polizei regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m.w.N.; Beschl. vom 21.10.1987 - Buchholz, aaO., Nr. 18 m.w.N.; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. vom 09.12.1998, 12 M 5283/98).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand der Behörde angemessen.

22

Nachdem die Prozessbevollmächtigten der Klägerin trotz der ihnen gewährten Akteneinsicht eine Stellungnahme nicht abgegeben und den der Klägerin übersandten Anhörungsbogen nicht zurückgesandt hatten, hatte der Landkreis Celle die Bußgeldstelle des Beklagten mit weiteren Ermittlungen zur Feststellung des Fahrzeugführers beauftragt. Die daraufhin durchgeführte Befragung im Personalbüro der Klägerin ergab keine Hinweise auf die Person des fraglichen Fahrzeugführers. Mangels konkreter Hinweise aus dem Kreis der Fahrzeugbenutzer waren der Ermittlungsbehörde deshalb weitere und nur wenig Aussicht auf Erfolg versprechende Ermittlungen nicht zuzumuten. Soweit die Klägerin sich auf unzureichende Untersuchungen der Behörden beruft, verkennt sie, dass es ihr oblegen hätte, sämtliche Personen zu bezeichnen, denen sie einen Zugriff auf das fragliche Fahrzeug ermöglicht hat. Dieser Verpflichtung aber ist die Klägerin unzweifelhaft nicht nachgekommen, obwohl ihr dies hätte möglich sein müssen. Bei dem Fahrzeug der Klägerin handelt es sich um einen Pkw der gehobenen Klasse mit einem nicht unerheblichen Wert. Das Gericht hält es deshalb für ausgeschlossen, dass die Klägerin ein solches Fahrzeug einem Personenkreis zugänglich macht, der derart zahlreich ist, dass es ihr nicht möglich gewesen sein könnte, die in Betracht zu ziehenden potentiellen Fahrzeugnutzer vollständig zu benennen.

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Die von der Klägerin gegen die Anordnung eines Fahrtenbuchs erhobenen Bedenken erweisen sich auch im Übrigen als nicht begründet. Der Zeitpunkt des Zugangs des Anhörungsbogens bei der Klägerin war nicht ursächlich für die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung. Nach den von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätzen ist eine zeitgerechte Anhörung regelmäßig innerhalb von zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß durchzuführen, weil gewöhnlich mangels besonderer Anhaltspunkte eine Erinnerung an den Vorfall zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr mit der gebotenen Sicherheit geleistet werden könnte; in einem solchen Fall kann die zeitliche Verzögerung der behördlichen Ermittlungshandlung zu einem Verblassen der Erinnerung führen, so dass allein wegen der verspäteten Anhörung eine zuverlässige Erinnerung nicht mehr möglich ist. Eine solche Sachlage war jedoch in diesem Fall nicht gegeben, auch wenn eine Identifizierung des Fahrzeugführers nach dem Radarfoto nicht möglich ist. Hinsichtlich des Personenkreises der Fahrzeugnutzer vermochte die Klägerin jedoch nicht wegen der schlechten Qualität des Radarfotos, sondern wegen fehlender Aufzeichnungen über die Benutzungen des Fahrzeugs keinerlei Angaben zu machen. Der Umstand, dass eine Aufklärung des Verkehrsverstoßes wegen der organisatorischen Unzulänglichkeiten bei der Überwachung des Fahrzeugeinsatzes nicht aufklärbar war, geht insoweit zu Lasten der Klägerin. In einem Geschäftsbetrieb, bei dem - wie ersichtlich bei der Klägerin - einzelne Geschäftsfahrzeuge mehreren Betriebsangehörigen zur Verfügung stehen, ist es Sache der Leitung dieses Geschäftsbetriebs, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat (vgl. VGH Bad.-Würt., Beschl. vom 26.02.1996 - 10 S 294/96 -; VG Braunschweig, Urt. vom 22.04.1999 - 6 A 41/99 -). Die Klägerin hat sich ersichtlich noch nicht einmal bemüht, den möglichen Kreis der Fahrzeugbenutzer gegenüber der ermittelnden Straßenverkehrsbehörde anzugeben, obwohl es sich offenbar um ein allein für Firmenzwecke eingesetztes Fahrzeug gehandelt hat.

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Schließlich verstößt die angefochtene Fahrtenbuchauflage nicht deshalb gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil sich ihre Geltungsdauer auf neun Monate erstreckt. In der Rechtsprechung sind auch ein- und zweijährige Fahrtenbuchauflagen aus ähnlich gewichtigem Anlass stets unbeanstandet geblieben (vgl. VGH Mannheim, Beschl. vom 30.10.1991 - 10 S 2544/91 -, NZV 1992, 167 f. : Auflage von einem Jahr bei Geschwindigkeitsüberschreitung von 27 km/h außerorts; BVerwG, Urt. vom 13.10.1978 - 7 C 77.74 -, DÖV 1979, 408 ff.: Auflage von zwei Jahren bei drei Überschreitungen von 16, 27 und 12 km/h). Erscheint der Verkehrsbehörde zur Erreichung des mit § 31a StVZO erstrebten Zwecks bei einem wiederholten Verkehrsverstoß, der von einem beachtlichen Mangel an Verkehrsdisziplin zeugt, ein Zeitraum von neun Monaten notwendig, so ist dies nicht unangemessen.

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Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.