Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 02.01.2023, Az.: 12 B 3819/22

Abwägung; Anordnung der sofortigen Vollziehung; Ausweisung; Bewährung; Bleibeinteresse; Einreise- und Aufenthaltsverbot; Ermessensausfall; generalpräventiv; sexueller Missbrauch; Spezialpräventiv; Wiederholungsfahr

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
02.01.2023
Aktenzeichen
12 B 3819/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 10669
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:0102.12B3819.22.00

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ziffer 6 des Bescheides des Antragsgegners vom 12.08.2022 wird angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen seine Ausweisung.

Der Antragsteller ist am D. geboren und kolumbianischer Staatsangehöriger. Er ist seit dem E. mit der deutschen Staatsangehörigen F. verheiratet, mit der er in Kolumbien zwei Kinder (G., geboren am H., und I., geboren am J.) adoptiert hat. Die Familie lebte bis zum Jahr 2014 in Kolumbien. Im September 2014 begründete zunächst die Ehefrau mit den Kindern ihren Wohnsitz in K.; Anfang 2015 reiste sodann der Antragsteller mit einem Visum zum Familiennachzug in das Bundesgebiet ein. Im Jahr 2016 zog die Familie nach L., wo die Ehefrau des Antragstellers die Apotheke ihres Vaters übernahm. Der Antragsteller kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt. Er besitzt seit dem 05.03.2015 eine Aufenthaltserlaubnis, die der Antragsgegner zuletzt am 22.02.2018 bis zum 21.02.2023 verlängert hat.

Der Antragsteller war seit dem 18.07.2019 in Untersuchungshaft und wurde am 16.01.2020 rechtskräftig vom Landgericht M. wegen sexuellen Missbrauchs von zwei Kindern in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

Mit Schreiben vom 20.07.2021 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu der von ihm beabsichtigten Ausweisung an. Der Antragsteller nahm unter dem 19.11.2021 dahingehend Stellung, dass nach den Feststellungen der Justizvollzugsanstalt N. in Fällen wie dem seinen eine Wiederholungsgefahr ausgesprochen gering sei. Dies gelte in seinem Fall in besonderem Maße, da er familiär gestützt werde. Er habe sich nicht von seiner Ehefrau getrennt. Es solle die eheliche Lebensgemeinschaft nach der Haftentlassung nur nicht in einer gemeinsamen Wohnung fortgeführt werden, um seine Familie in L. vor Anwürfen Dritter zu schützen. Seine Ehefrau und auch die Kinder würden auch während der Haft engen Kontakt zu ihm halten. Im Rahmen der Abwägung sei deshalb der Schutz von Ehe und Familie vorrangig. Soweit noch Behandlungsbedürftigkeit bei ihm bestehe, komme er dem nach. Er absolviere wöchentlich deliktsorientierte Therapiestunden, um die Anlasstaten aufzuarbeiten. Auch habe er sich mittlerweile mit den Opfern finanziell geeinigt und diesen eine angemessene Entschädigung gezahlt. Er sei für die Taten bestraft worden, weshalb eine Abschiebung als weitere "Konsequenz" weder tat- noch schuldangemessen wäre.

Unter dem 07.12.2021 wurde von der Anstaltspsychologin der Justizvollzugsanstalt N., Psychologieoberrätin O., ein Lockerungsgutachten erstellt, aufgrund dessen dem Antragsteller Lockerungen gewährt wurden.

Unter dem 16.03.2022 beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung. Daraufhin beauftragte die 1. Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht N. mit Beschluss vom 21.06.2022 den forensischen Sachverständigen Dr. P. mit einem Gutachten zu der Frage einer weiteren Gefahr durch den Antragsteller. Der Sachverständige legte sein Gutachten unter dem 27.07.2022 vor.

Mit Bescheid vom 12.08.2022 wies der Antragsgegner den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1und 2), befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot als Folge der Ausweisung auf 4 Jahre nach erfolgter Ausreise (Ziffer 3), forderte den Antragsteller für den Fall, dass eine Abschiebung aus der Strafhaft nicht möglich sein würde, zur Ausreise innerhalb von 7 Tagen nach der Entlassung aus der Strafhaft auf (Ziffer 4) und drohte ihm gleichzeitig die Abschiebung nach Kolumbien an (Ziffer 5). "Die Abschiebung, vorbehaltlich ihrer Durchführung," befristete der Antragsgegner auf 36 Monate (Ziffer 6). Zur Begründung führte der Antragsgegner aus: der Antragsteller erfülle mehrere besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen. In der Abwägung überwiege grundsätzlich das Ausweisungsinteresse die Bleibeinteressen eines Ausländers, wenn dieser wie der Antragsteller mehrere der gesetzlich normierten schwerwiegenden Ausweisungsinteressen durch die Begehung diverser Straftaten erfülle. Bei der Prognose zur Wiederholungsgefahr seien an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden sei. Die vom Antragsteller verübten Straftaten seien im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedeln. Gerade der sexuelle Missbrauch von Kindern sei sehr persönlichkeits- und sozialschädlich, der Schutz von Kindern vor solchen Straftaten sei eine wichtige Aufgabe und ein Grundinteresse der Gesellschaft. Ein weiterer Aufenthalt des Antragstellers stelle eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass er erneut erheblich straffällig werde. Selbst eine erfolgreich absolvierte Therapie besage noch nicht, dass der Antragsteller nunmehr als auf Dauer geheilt angesehen werden könne. Die Rückfallquote bei Sexualdelikten sei auch nach einer erfolgreichen Therapie erfahrungsgemäß hoch. Dem Urteil des Landgerichts M. sei zu entnehmen, dass der Antragsteller bewusst und planvoll gehandelt habe. Er habe das Vertrauen der Schulfreunde seines Sohnes ausgenutzt und gegen den ausdrücklich erkennbaren Willen der beiden Kinder an ihnen sexuelle Handlungen vorgenommen. Die Kinder seien aufgrund der Geschehnisse psychisch beeinträchtigt und befänden sich weiterhin in psychologischer Behandlung. Der Antragsteller habe die sexuelle Selbstbestimmung und seelische Unversehrtheit von Kindern verletzt, einer Opfergruppe, die aufgrund ihres Entwicklungsstandes in besonders hohem Maße vulnerabel und auf den Schutz der Rechtsordnung angewiesen sei. Darüber hinaus seien beim Antragsteller während des Ermittlungsverfahrens Datenträger mit Kinder- und Jugendpornografie beschlagnahmt worden, was dafür spreche, dass der Antragsteller eine pädophile Neigung habe. Dies rechtfertige es, an die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten nur geringe Anforderungen zu stellen und einen genügenden spezialpräventiven Anlass für die Ausweisung anzunehmen. Der Aufenthalt des Antragstellers gefährde auch im Hinblick auf generalpräventive Erwägungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine Ausweisung des Antragstellers setze ein deutliches Signal, dass der Schutz von Minderjährigen in der Rechtsordnung der Bundesrepublik hochrangig sei und derartige Delikte nicht nur strafrechtliche, sondern auch ausländerrechtliche Konsequenzen hätten. Der Antragsteller könne ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse in Anspruch nehmen. Er besitze eine Aufenthaltserlaubnis und die Ausweisung berühre seine familiären Beziehungen zu seiner Ehefrau und den Kindern. Eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung bestehe zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern jedoch derzeit nicht. Auch sei dem Vollzugsplan zu entnehmen, dass der Antragsteller nach seiner Entlassung nach N. ziehen wolle, um seine Familie in L. vor Anwürfen Dritter zu schützen. Die familiären Interessen des Antragstellers, seiner Ehefrau und seiner Kinder seien zwar von hohem Gewicht, die Gefahren, die durch die Ausweisung abgewehrt werden sollten, wögen in diesem Fall jedoch schwerer. Seine Kinder müssten bereits wegen der Strafhaft im Alltag ohne ihren Vater auskommen. Seine Beziehungen zu seinen weiteren im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen und sonstigen Bezugspersonen seien bei der Abwägung zwar zu berücksichtigen, hätten jedoch kein größeres Gewicht. Der Antragsteller sei auch in seinem Heimatland Kolumbien nicht entwurzelt. Eine Rückkehr sei ihm möglich und zumutbar. Er habe Kolumbien erst in einem Alter von 50 Jahren verlassen. Er habe seine wesentliche Sozialisation in seiner Heimat erfahren. In Deutschland habe er sich wirtschaftlich nicht integriert. Eine Approbation als Arzt sei ausgeschlossen gewesen, einer anderen beruflichen Tätigkeit sei er nicht nachgegangen. Außerdem könne dem Antragsteller nach Einschätzung der Justizvollzugsanstalt vom 01.06.2022 trotz beanstandungsfreiem vollzuglichen Verhalten keine ausreichend positive Legalprognose gestellt werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung sei gerechtfertigt, da das ganze bisherige Verhalten des Antragstellers die Schlussfolgerung zulasse, dass auch die Dauer eines eventuell betriebenen gerichtlichen Verfahrens von dem Antragsteller genutzt würde, weitere Straftaten zu begehen. Es liege im öffentlichen Interesse, ihn so schnell wie möglich abzuschieben, da es offensichtlich nur auf diese Weise möglich sei, die Menschen in diesem Lande vor weiteren strafrechtlichen Übergriffen durch den Antragsteller zu schützen.

Der Antragsteller hat am 08.09.2022 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Das Ende der regulären Haftzeit des Antragstellers wäre am 14.01.2023 gewesen. Die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe ist zwischenzeitlich allerdings mit Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht N. vom 05.10.2022 zur Bewährung ausgesetzt und der Antragsteller am 11.10.2022 aus der Haft entlassen worden.

Der Antragsteller trägt vor, der Antragsgegner verkenne mit der Ausweisung, dass von ihm, dem Antragsteller, keine relevante Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mehr ausgehe, sowie den erforderlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG im Rahmen der Abwägung. Die Umstände, die für ihn sprächen, seien in dem angefochtenen Bescheid nirgendwo angesprochen, weshalb die Ausweisung ermessensfehlerhaft sei. Die Ausweisung stelle eine zweite Bestrafung dar, die nicht gerechtfertigt sei, da nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass er, der Antragsteller, erneut erheblich straffällig werden würde. Die Behauptung des Antragsgegners, die Rückfallquote bei Sexualstraftätern sei auch nach einer erfolgreich absolvierten Therapie erfahrungsgemäß hoch, stehe im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Feststellungen des Gutachtens von Dr. P.. Die von ihm begangene Straftat verstehe der Gutachter als einen Ausdruck einer emotionalen Krise, die keineswegs eine pädophile Neigung beweise. Der Gutachter komme zu dem Ergebnis, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit bei ihm, dem Antragsteller, nach verschiedenen Messmethoden im niedrigsten Bereich anzuordnen sei und sich auch lediglich eine statistische Rückfallgefahr von 4 % im Rahmen von drei Jahren und 9 % im Rahmen von 9 Jahren ergebe. Die Argumente des Antragsgegners, eine Wiederholungsgefahr könne bereits wegen einer einmaligen Bestrafung angenommen werden und eine familiäre Bindung sei bei ihm nicht gegeben, seien zudem durch den Beschluss der Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht N. widerlegt. Er, der Antragsteller, werde nach dem Absolvieren eines weiteren Deutschkurses eine Anstellung bei seinem Bruder in dessen Pflegedienst in N. finden. Er werde auch den Kontakt zu seinen Kindern aufrechterhalten. Seine Ehefrau stehe fest zu ihm und werde in jedem Fall die Ehe weiterführen. Auch während seiner Haft habe es enge Kontakte zwischen ihm und seinen Familienangehörigen gegeben. Soweit der Antragsgegner diese Beziehung in Abrede stelle, treffe dies nicht zu. Zwischen seiner Ehefrau, seinen Kindern und ihm bestehe eine enge familiäre Beziehung, die durch Besuche und gemeinschaftliche Unternehmungen geprägt sei. Seine Absicht, nach seiner Entlassung zunächst einmal nach N. zu ziehen, beruhe einzig und allein auf dem Umstand, dass seine Ehefrau eine ortsbekannte Person in L. sei und dort eine stadtbekannte Apotheke führe. Eine Rückkehr von ihm nach L. würde zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Rufes seiner Ehefrau führen. Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei rechtswidrig, die Begründung widerspreche den Strafvollstreckungsakten. Soweit der Antragsgegner ausführe, dass es nur durch eine Anordnung der sofortigen Vollziehung möglich sei, die Menschen vor weiteren Übergriffen durch ihn, den Antragsteller, zu schützen, sei das Gegenteil durch das Gutachten im Strafvollstreckungsverfahren bewiesen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Regelung in Ziffer 1 des Bescheides vom 12.08.2022 wiederherzustellen und gegen die Regelungen in den Ziffern 3, 5 und 6 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt ergänzend zu den Ausführungen in der angefochtenen Verfügung vor, die von dem Antragsteller ausgehende Gefährdung für die Allgemeinheit erfordere im Interesse der öffentlichen Sicherheit die zeitnahe Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers, um weiteren Straftaten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorzubeugen. Der Antragsteller sei massiv straffällig geworden, es gehe eine hohe Wiederholungsgefahr von ihm aus. Der Vortrag des Antragstellers, die Straftat sei als Ausdruck einer emotionalen Krise zu verstehen, sei als reine Schutzbehauptung einzuordnen. Er, der Antragsgegner, habe eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen, für die die innervollzugliche Entwicklung nicht bindend sei. Auch verfolgten Vollzugslockerungen und Ausweisungen unterschiedliche Zwecke. Bei der Vollzugslockerung stünden Sicherheits- und Resozialisierungsinteressen im Vordergrund. Bei einer Ausweisung gehe es hingegen darum, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder der Gesellschaft des Heimatstaates getragen werden müsse. Dem Antragsteller sei es zuzumuten, für die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbotes den Kontakt zu seinen Kindern über Telefon und andere Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten und gegebenenfalls Besuche der Kinder in Kolumbien zu ermöglichen. Letztendlich seien auch die Kontakte während der jahrelangen Inhaftierung nicht wesentlich intensiver gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners und der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft M. einschließlich des Vollstreckungshefts Bezug genommen. Sämtlicher Akteninhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ganz überwiegend ohne Erfolg.

I. Er ist zunächst zulässig, aber unbegründet, soweit der Antragsgegner den Antragsteller mit Bescheid vom 12.08.2022 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgewiesen hat.

Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung vom Antragsgegner angeführte Begründung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung wird genügt, wenn eine schriftliche, einzelfallbezogene und nicht lediglich formelhafte Begründung vorhanden ist, die die von der Behörde getroffene Interessenabwägung erkennen lässt. Diesen Anforderungen hat der Antragsgegner entsprochen. So hat er ausgeführt, das ganze bisherige Verhalten des Antragstellers lasse die Schlussfolgerung zu, dass auch die Dauer eines eventuell betriebenen gerichtlichen Verfahrens von ihm genutzt würde, weitere Straftaten zu begehen. Weiter heißt es in der Begründung, es liege im öffentlichen Interesse, den Antragsteller so schnell wie möglich abzuschieben, da es offensichtlich nur auf diese Weise möglich sei, die Menschen in diesem Lande vor weiteren strafrechtlichen Übergriffen durch den Antragsteller zu schützen, und es sei dem Antragsteller auch zuzumuten, ein eventuelles Rechtsbehelfsverfahren vom Ausland aus zu betreiben. Der Einwand des Antragstellers, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei rechtswidrig, weil die Begründung den Strafvollstreckungsakten widerspreche, betrifft die - vom Gericht eigenständig vorzunehmende - Abwägung der Vollzugsfolgen.

Bei der vom Gericht hinsichtlich der Ausweisungsverfügung zu treffenden Abwägungsentscheidung überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug zunächst verschont zu bleiben. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes hinter das Interesse des Antragstellers an einem Aufschub der Vollziehung zurücktritt. Maßgebliches Kriterium für diese Abwägung sind grundsätzlich die im Rahmen einer summarischen Prüfung zu beurteilenden Erfolgsaussichten der Klage. In den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 bzw. des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO bedarf es einer weiteren, gerichtseigenen Abwägung des Vollzugs- und des Aussetzungsinteresses. Während an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann, überwiegt das Vollziehungsinteresse in den Fällen eines rechtmäßigen Verwaltungsakts das Aussetzungsinteresse nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegeben ist. Dieses muss - ohne Bindung des Gerichts an die Begründung der Behörde - anhand der Umstände des konkreten Falles positiv festgestellt werden, weil der gesetzliche Regelfall hier derjenige des Aufschubinteresses (§ 80 Abs. 1 VwGO) ist. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfG, Beschl. vom 29.01.2020 - 2 BvR 690/19 -, AuAS 2020, 77, juris Rn. 16). Nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten wird die insoweit erhobene Anfechtungsklage des Antragstellers aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben (1.). Zudem ergibt eine Abwägung der Vollzugsfolgen ein Überwiegen des öffentlichen Interesses am Vollzug (2.).

1. Die Ausweisung des Antragstellers erweist sich als rechtmäßig.

Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei stellt sich - entgegen der Ansicht des Antragstellers - die Abwägung nicht als eine auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite als eine nunmehr gebundene und damit gerichtlich voll überprüfbare Ausweisungsentscheidung dar (vgl. BVerwG, Urt. vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 26).

Die Voraussetzungen der Ausweisung sind hier erfüllt.

a) Für die Feststellung, dass der Aufenthalt eines straffällig gewordenen Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, können sowohl spezialpräventive als auch generalpräventive Gründe maßgeblich sein (BVerwG, Urt. vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, juris Rn. 17). Hier liegen sowohl spezialpräventive als auch generalpräventive Gründe vor.

aa) Für ein spezialpräventiv begründetes Ausweisungsinteresse bedarf es einer Prognose zur Wiederholungsgefahr. Dabei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Eine nur entfernte Möglichkeit des Schadenseintritts begründet allerdings selbst bei hochrangigen Rechtsgütern allein keine Wiederholungsgefahr. Neben dem Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sind bei der Prognose die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. Nds. OVG, Urt. vom 06.05.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Rn. 38 m.w.N.).

Die Prognose ergibt im Falle des Antragstellers eine Wiederholungsgefahr, die ein Ausweisungsinteresse begründet.

Der Antragsteller ist wegen des sexuellen Missbrauchs von zwei Kindern im Alter von 10 und 12 Jahren in Tateinheit mit sexueller Nötigung verurteilt worden. Zur Überzeugung der Strafkammer des Landgerichts M. steht fest, dass der Antragsteller am 15.07.2019 zwei Freunde seines ältesten Sohnes G. in sein Wohnhaus holte in dem Wissen, dass G. gar nicht zu Hause sein würde, und seinen jüngeren Sohn I. alsdann bei einem Freund abgab, um mit den fremden Kindern im Haus allein zu sein, dass er beide Jungen und sich selbst entkleidete, ihnen die Zimmertür versperrte und sie alsdann nacheinander missbrauchte. Dabei wandte er Gewalt an, um ihren Widerstand zu brechen und ließ auch nicht von ihnen ab, als sie ihm sagten, dass sie nicht wollten, dass er sich auf sie legte und sich an ihnen rieb. Er versuchte, in einen der Jungen anal einzudringen, was ihm jedoch nicht gelang und fügte dem Jungen auch dadurch weitere Schmerzen zu. Den anderen Jungen forderte er auf, ihn oral zu befriedigen, was dieser verweigerte. Der Antragsteller befriedigte sich sodann an beiden Jungen, während er auf ihnen lag und sich an ihnen rieb, wobei auf jeden der Jungen Ejakulat gelangte. Im Anschluss drohte er den Jungen für den Fall, dass sie ihren Eltern etwas erzählen würden, und gab jedem der Jungen 10 Euro. Der Antragsteller hat damit massiv in die körperliche und seelische Integrität zweier Kinder - mit nicht abschätzbaren Folgen für deren weiteres Leben - eingegriffen. Die Kinder sind von dem Missbrauch psychisch hoch belastet. Der eine Junge - zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 11 Jahre - schlief wieder im Bett seiner Eltern und kontrollierte jeden Abend, ob das Haus richtig abgeschlossen sei. Die Eltern beabsichtigten, nach dem Ende der Strafverhandlung mit dem Kind einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Der andere Junge befand sich zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits in kinderpsychologischer Behandlung, bei ihm war eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt worden.

Die bei einem Rückfall des Antragstellers gefährdeten Rechtsgüter haben ein erhebliches Gewicht, denn die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen sind Rechtsgüter von höchstem Rang, die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlichen Schutz erfahren, dessen Wahrung dem Staat obliegt (vgl. BayVGH, Beschl. vom 04.04.2017 - 10 ZB 15.2062 -, juris Rn. 15). Angesichts dieser betroffenen Schutzgüter ist eine relevante Wiederholungsgefahr zu bejahen, da von dem Antragsteller weiterhin eine Gefahr ausgeht, die jedenfalls größer ist als eine nur entfernte Möglichkeit des Schadenseintritts und damit im Verhältnis zu den Schutzgütern eine ausreichende Wahrscheinlichkeit zeigt.

Bereits abstrakt tragen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ein Risiko der Wiederholung in sich. So lässt sich dem Gutachten der Psychologieoberrätin O. vom 07.12.2021 unter Punkt 4.5 entnehmen, dass nach einer Studie zur Rückfälligkeit deutscher Straftäter aus dem Jahr 2020 von den Straftätern, die wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden waren, 9 % innerhalb eines Zeitraums von 9 Jahren mit einem Sexualdelikt rückfällig wurden. Dem Gutachten des Dr. P. vom 27.07.2022 ist unter Bezugnahme auf eine Abhandlung aus dem Jahr 2021 ebenfalls eine Rückfallgefahr von 9 % in einem Zeitraum von 9 Jahren (und 4 % in einem Zeitraum von 3 Jahren) in Bezug auf einschlägige Straftaten zu entnehmen. Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf diese Statistiken eine Wiederholungsgefahr für sich verneint, ist ihm entgegen zu halten, dass die erhobenen Quoten vielleicht keine besonders hohe, aber eben gerade doch eine Rückfallgefahr belegen.

Darüber hinaus ergibt sich für den Antragsteller eine konkrete Wiederholungsgefahr aus folgenden Erwägungen:

Der Antragsteller ist wegen des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Nötigung von zwei Jungen zu einer erheblichen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Der forensische Gutachter Dr. P. hat bei dem Antragsteller zudem die Diagnose Pädophilie als Nebenströmung gestellt (S. 41). Auch die Diplom-Psychologin O. schließt beim Antragsteller pädophile Neigungen im Sinne einer Nebenströmung nicht aus (S. 37 und 46). Darüber hinaus führt der Gutachter Dr. Q. aus, dass wissenschaftlich bekannt die Rate von pädophilen Straftätern erhöht sei, die zuvor selber Opfer von Missbrauch gewesen seien (S. 37). Da der Antragsteller als Kind nach eigenen Angaben mehrfach selbst missbraucht worden ist, sprechen auch die eigenen Opfererfahrungen des Antragstellers für eine erhöhte Wiederholungsgefahr.

Noch im Vollzugsplan der Justizvollzugsanstalt N. vom 27.04.2021 waren zudem Vollzugslockerungen mit der Begründung verneint worden, "eine Aufarbeitung der strafursächlichen Hintergründe und Problematiken hat bisher nicht stattgefunden" und "weite Teile der Anlassverurteilung werden von Herrn R. geleugnet."... "Bei der Gewährung von Vollzugslockerungen besteht zum jetzigen Zeitpunkt das Risiko, dass Herrn R. die Freigaben zur Begehung weiterer Straftaten oder zur Flucht nutzt, da die strafursächlichen Hintergründe bisher vollkommen unbearbeitet sind."

Auch die Tatsachen, dass der Antragsteller sodann seit dem 18.01.2022 Lockerungen erhalten hat und mit Beschluss der 1.Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht N. vom 05.10.2022 die Vollstreckung seiner restlichen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist, stehen der Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht entgegen.

Eine positive Entscheidung in Laufe der Strafvollstreckung wie beispielsweise eine Strafrestaussetzung zur Bewährung schließt nicht von vornherein aus, dass im Einzelfall im Rahmen einer aufenthaltsrechtlichen Ausweisung eine Wiederholungsgefahr angenommen wird. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte sind an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Justizvollzuges und des Strafvollstreckungsgerichts rechtlich nicht gebunden. Allerdings kommt diesen tatsächliche Bedeutung im Sinne einer Indizwirkung zu (vgl. BVerfG, Beschl. vom 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, juris Rn. 19 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. vom 01.03.2000 - 2 BvR 2120/99 -, Rn. 16 m.w.N.; Beschl. vom 27.08.2010 - 2 BvR 130/10 -, Rn. 36). Kommen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den Gesetzeszweck des Ausländerrechts zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung (BVerfG, Beschl. vom 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, juris Rn. 19).

Im Falle des Antragstellers gehen sowohl das den Vollzugslockerungen vorausgegangene Gutachten der Psychologieoberrätin O. als auch das dem Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht N. zur Reststrafenaussetzung zugrundeliegende Gutachten des forensischen Gutachters Dr. P. zwar von einer niedrigen Rückfallgefahr aus, formulieren aber jede/r für sich zugleich Bedingungen für die Einführungen der Vollzugslockerungen bzw. die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung. Bei ihren gutachterlichen Feststellungen tritt mithin die Wiederholungsgefahr lediglich hinter den in der Strafvollstreckung vorherrschenden Zweck der Resozialisierung zurück und werden gewisse Rückfallrisiken damit in Kauf genommen. Dementsprechend formuliert auch die 1. Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss vom 05.10.2022, dass "gewagt werden" könne, den Antragsteller "in Freiheit zu erproben" und setzt dafür eine Bewährungszeit von 3 Jahren fest. Für diesen Zeitraum erteilt die Kammer dem Antragsteller entsprechend der Vorschläge des Gutachters Dr. Q. unter anderem die Weisungen, dass er die psychotherapeutische Beratung beim Männerbüro N. e.V. fortzusetzen hat, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufnehmen darf und nach dem geplanten Deutschkurs eine Tätigkeit bei dem Pflegedienst seines Bruders aufzunehmen oder sich im Falle der Erwerbslosigkeit unverzüglich bei der Arbeitsagentur zu melden hat. In die vorliegend vom Gericht anzustellende aufenthaltsrechtliche Prognose sind jedoch alle Rückfallrisiken einzustellen, da der Resozialisierungsgedanke aufenthaltsrechtlich außer Betracht bleibt (vgl. BVerwG, Urt. vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, juris Rn. 17).

Das Gericht ordnet zudem abweichend von den beiden angeführten Gutachten die Wiederholungsgefahr auch als größer als lediglich gering ein. Es geht über die Prognose der Gutachten hinaus, weil sich weder die Psychologieoberrätin O. noch der forensische Gutachter Dr. Q. damit auseinandersetzen, dass die Schilderung der Missbrauchstaten durch den Antragsteller erheblich von den Feststellungen des Landgerichts M. abweicht und der Gutachter Dr. Q. seiner Prognose zudem falsche Annahmen zugrunde legt:

Der Antragsteller hat selbst bei der Exploration durch Dr. Q. am 23.07.2022 noch immer den Tatvorwurf geleugnet, in dem er gegenüber dem Gutachter behauptet hat, die beiden Jungen hätten ihn angestiftet, hätten geäußert, sich in seiner Anwesenheit befriedigen zu wollen, hätten sich auf ihn gelegt und an ihm gerieben und hätten von ihm Geld gefordert, er aber habe bei der Tat keine Befriedigung empfunden. Diese Aussagen stehen in erheblichem Widerspruch zu den oben dargestellten Feststellungen des Landgerichts M. in dessen Urteil vom 16.01.2020 und offenbaren damit sehr deutlich, dass sich der Antragsteller bis heute nicht als Täter sieht. Eine fehlende Erkenntnis seiner Schuld zeigt sich auch darin, dass der Antragsteller gegenüber Dr. Q. explizit erklärt hat, die Abläufe seien in dem Urteil nicht richtig wiedergegeben. Zusätzlich vermerkt der Gutachter Dr. Q., dass sich in der Schilderung des Antragstellers von dem Tatgeschehen indirekt eine gewisse Schuldzuweisung auf die Opfer wiederspiegele, mit der der Antragsteller sich vor anderen, aber auch vor sich selbst zumindest teilweise zu entlasten suche (S. 36). Zuvor hatte der Antragsteller in seinen Gesprächen mit der Psychologieoberrätin O. im August und September 2021 ebenfalls versucht, die Schuld auf die Kinder zu schieben und geäußert, dass das Geschehen im Urteil schlimmer dargestellt worden sei, als es gewesen sei (Gutachten S. S. 32f.). Danach hat sich der Antragsteller trotz zahlreicher therapeutischer Einzelgespräche im Vollzug, bei denen es nach seinen eigenen Angaben um das Thema Tataufarbeitung gegangen sein soll (S. 33 des Gutachtens Dr. Q.) noch immer nicht mit den von ihm begangenen Missbrauch auseinandergesetzt. Eine Wiederholungsgefahr ließe sich nach Überzeugung des Gerichts jedoch lediglich nach einer erfolgreichen Therapie verneinen, in der sich der Antragsteller mit den verübten Straftaten tatsächlich auseinandergesetzt und die strafursächlichen Hintergründe aufgearbeitet hat. Dementsprechend waren in dem Vollzugsplan der Justizvollzugsanstalt N. vom 27.04.2021 Vollzugslockerungen mit genau der Begründung verneint worden, dass eine Aufarbeitung der strafursächlichen Hintergründe und Problematiken nicht stattgefunden habe und weite Teile der Anlassverurteilung vom Antragsteller geleugnet würden. Auch in dem Gutachten der Diplom-Psychologin O. heißt es, dass die langfristige Legalprognose maßgeblich davon abhänge, inwieweit der Antragsteller Zugang zu inneren Vorgängen erlange und eventuelle sexuelle Neigungen in sein Selbstbild integrieren könne (S. 50), weshalb das Gericht es nicht nachvollziehen kann, dass die Prognosen in den Gutachten der Psychologieoberrätin T. und des Dr. Q. nicht zu Lasten des Antragstellers mit dessen Leugnen seiner Schuld verknüpft werden.

Der Gutachter Dr. Q. geht zudem fälschlich in seinem Gutachten davon aus, dass der Antragsteller zuvor noch nicht durch andere Sexualdelikte in Erscheinung getreten war, weil ihm die bei der Hausdurchsuchung sichergestellten kinderpornografischen Dateien "nicht eindeutig zugeordnet" hätten werden können (S. 37 des Gutachtens). Auch seine abschließenden Feststellungen basieren auf der irrigen Annahme, dass der Antragsteller "bisher noch nie weder durch einschlägige noch durch irgendwelche Straftaten in Erscheinung" getreten sei (S. 46). Für das Gericht erscheint es wahrscheinlich, dass der Gutachter zu einer schlechteren Prognose der Rückfallgefahr beim Antragsteller gekommen wäre, wenn er erkannt hätte, dass der Antragsteller sehr wohl einschlägig vorbelastet war. Für das Gericht spricht für die Annahme einer höheren Wiederholungsgefahr als von Dr. Q. erkannt, dass entgegen der Annahme des Gutachters das Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen des Besitzes von kinderpornografischen und jugendpornografischen Schriften in der Hauptverhandlung vom 16.01.2020 mit der Begründung vorläufig eingestellt worden ist, die zu erwartende Strafe falle neben der im Übrigen zu erwartenden Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht (Bl. 162 Band 3 der Strafakten). Darüber hinaus ist dem Urteil der Strafkammer - das dem Gutachter vorlag - noch eine weitere Vorbelastung des Antragstellers zu entnehmen, die Dr. Q. nicht berücksichtigt hat. Zur Überzeugung der Strafkammer stand nämlich ebenfalls fest, dass der Antragsteller bei Besuchen der späteren Opfer und eines weiteren Freundes seines Sohnes zeitlich vor dem Missbrauch während eines sogenannten Kitzelmonsterspiels sexuelle Handlungen an den Jungen vorgenommen bzw. zumindest versucht hatte (Seite 31 des Urteils). Zwar war ein darauf bezogenes Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft M. nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, weil die Staatsanwaltschaft die Aussage des weiteren Jungen nicht für hinreichend belastbar gehalten hatte. Die Strafkammer des Landgerichts M. war nach eigener Vernehmung der drei Kinder und kritischer Würdigung der Aussagen jedoch sicher, dass der Antragsteller auch diese - in dem Strafverfahren nicht mit angeklagten Taten - begangen hatte. Diese Überzeugung der Strafkammer teilt das Gericht, nachdem es die Bewertung der Aussagen der drei Jungen vor dem Strafgericht nachvollzogen hat. Ebenfalls nachvollziehbar hat die Strafkammer darüber hinaus unter Berücksichtigung der Übergriffe des Antragstellers angelegentlich des häufiger gespielten Spieles im Rahmen der Gesamtschau eine mögliche pädophile Neigung des Antragstellers erkannt (Seite 31 des Urteils).

Eine Wiederholungsgefahr ist schließlich auch deshalb anzunehmen, weil die Bewährungsauflagen lediglich für die Bewährungszeit von 3 Jahren gelten, für die aufenthaltsrechtliche Prognoseentscheidung aber ein längerer Zeithorizont in den Blick zu nehmen ist als bei den Entscheidungen im Strafvollzug (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 21.09.2021 - 13 LA 361/21 -, V.n.b. unter Bezugnahme auf Nds. OVG, Beschl. vom 22.06.2021 - 13 ME 312/21 -, V.n.b.; vom 18.01.2019 - 13 LA 452/17 -, V.n.b.; Beschl. vom 14.07.2014 - 8 ME 72/14 -, juris Rn. 38; BayVGH, Beschl. vom 04.04.2017 - 10 ZB 15.2062 -, juris Rn. 21). Nach dem Ablauf der Bewährungszeit unterliegt der Antragsteller keinerlei Kontrolle durch die Strafvollstreckungskammer und der Bewährungshelferin mehr. Dabei ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller berufliche Rückschläge hinnehmen muss, die jedoch nach dem Gutachten der Diplom-Psychologin O. zu der Gefahr neuer Missbrauchstaten führen könnten. So heißt es am Ende des Gutachtens vom 07.12.2021, dass es einer realistischen Planung eines potentiell aufwertenden beruflichen und privaten Kontextes bedürfe, um das Risiko zu mindern, dass der Antragsteller Abwertung erfahre und erneut in einen dem Tatvorfeld vergleichbaren Krisenzustand komme.

Auch die Lebensumstände des Antragstellers nach seiner Entlassung aus der Strafhaft stehen der Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Zwar ist das Risiko, dass er mit minderjährigen Freunden seiner Söhne Umgang hat, dadurch reduziert, dass er nicht in den familiären Haushalt zurückgekehrt, sondern bei seinem Bruder in N. eingezogen ist. Es ist jedoch kaum kontrollierbar, ob der Antragsteller in seinem Alltag in N. Umgang mit Kindern und Jugendlichen erhält. Denkbar ist dies im familiären Umfeld seiner Geschwister und auch bei neuen Bekanntschaften im angestrebten Sprachkurs oder in der angestrebten Ausbildung zum Podologen. Risikoerhöhend kommt insoweit dazu, dass neuen Bekannten oder Arbeitskollegen die Straffälligkeit des Antragstellers im Zweifel nicht bekannt sein wird. Eine Kontrolle durch die Ehefrau des Antragstellers erscheint auf die Entfernung von L. aus kaum möglich, zumal die Ehefrau in Vollzeit als selbständige Apothekerin berufstätig ist.

bb) Zur Annahme eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG ist erforderlich, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet und erforderlich erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (vgl. BVerwG, Urt. vom 03.05.1973 - I C 33.72 - juris Rn. 34; BayVGH, Urt. vom 12.10.2020 - 10 B 20.1795 -, juris Rn. 33; Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 64). Auch muss das Ausweisungsinteresse noch aktuell, also zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch vorhanden sein (BVerwG, Urt. vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, juris Rn. 18).

Die Ausweisung des Antragstellers lässt sich danach auch auf generalpräventive Erwägungen stützen, denn sie ist geeignet und erforderlich, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere wenn Kinder Opfer des Missbrauchs sind, gehören zu den gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten, bei denen von einer Ausweisung eine abschreckende Wirkung auf andere potentielle ausländische Täter erwartet werden kann (vgl. VGH Ba.-Wü., Urt. vom 09.07.2003 - 11 S 420/03 -, BeckRS 2003, 23326 Rn. 26; Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 65). Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen generalpräventiven Eignung sind im Falle des Antragstellers nicht ersichtlich. Dass der vom Antragsteller begangene Missbrauch auch hinreichend schwer wiegt, ergibt sich bereits aus der gegen den Antragsteller verhängten Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten. Das generalpräventive Ausweisungsinteresse ist auch noch hinreichend aktuell. Der Antragsteller ist erst seit 2 Monaten wieder auf freiem Fuß.

b) Die bei Vorliegen dieser tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Antragstellers mit dessen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Bei dieser Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Dabei wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Abs. 1) oder als "schwerwiegend" (Abs. 2). Die gesetzlich typisierten Interessen können jedoch im Einzelfall mehr oder weniger Gewicht entfalten. Daher verbietet sich auch eine normative Addition der vertypten Interessen; vielmehr kann es beispielsweise erforderlich und verhältnismäßig sein, dass auch bei mehreren vertypten Bleibeinteressen das Ausweisungsinteresse überwiegt (BayVGH, Beschl. vom 02.05.2017 - 19 ZB 16.186 -, juris Rn. 11). Die Katalogisierung in den §§ 54, 55 AufenthG schließt im Übrigen die Berücksichtigung weiterer Bleibe- oder Ausweisungsinteressen im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus.

Zu Lasten des Antragstellers ist ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen. Zum einen erfüllt der Antragsteller den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er mit dem Urteil des Landgerichts M. vom 16.01.2020 wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Zum anderen erfüllt der Antragsteller den Tatbestand des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses des § 54 Abs. 1 Nr. 1a Buchst. c) AufenthG, weil er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 176 Abs. 1, 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB, auch wenn die beiden Tatbestände nicht addiert zu betrachten sind.

Der Antragsteller kann allerdings auch ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG für sich geltend machen. Danach wiegt ein Bleibeinteresse unter anderem besonders schwer, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt oder sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen ausübt. Dass der Antragsteller seit seiner Entlassung aus der Strafhaft nicht wieder in einem Haushalt mit seiner deutschen Ehefrau und den gemeinsamen beiden Kindern lebt, hat er nachvollziehbar damit begründet, dass er seine Familie vor Anwürfen Dritter schützen möchte, indem er der Kleinstadt L., in der seine Ehefrau als Inhaberin einer ortsansässigen Apotheke bekannt sei, vorerst fernbleibe. Im Übrigen hat der Antragsteller zwar keine eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau zum Nachweis im Eilverfahren dazu vorgelegt, dass die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen ihr und ihm heute noch weiterhin besteht. Das Gericht geht aber zu seinen Gunsten davon aus, dass sich die Eheleute nicht getrennt haben, da sich den Vollzugsplänen der Justizvollzugsanstalt ein regelmäßiger Kontakt zwischen den Eheleuten während der gesamten Haft des Antragstellers entnehmen lässt. So gab es Telefon- und Schriftverkehr sowie Besuche der Ehefrau und der beiden Söhne als auch zum Ende der Haft Ausgänge des Antragstellers in Begleitung der Ehefrau, die von der Vollzugsanstalt als Kontaktperson geführt wurde.

Weder dieses besonders schwerwiegende Bleibeinteresse noch sonstige Umstände, die dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gegenüberstehen, wiegen das öffentliche Interesse an der Ausreise des Antragstellers auf.

Da der Antragsteller bereits U. Jahre alt ist, ist seinem knapp achtjährigen Aufenthalt in Deutschland kein überwiegendes Gewicht beizumessen. Auch hat der Antragsteller keine über den Familienkreis hinausgehende Eingebundenheit in die hiesigen sozialen Lebensverhältnisse aufgezeigt. Soziale Kontakte scheint der Antragsteller vor seiner Haft offenbar vor allem mit seinen im Bundesgebiet lebenden Geschwistern und seiner Mutter gepflegt zu haben. Lediglich sein Bruder ist im Übrigen in den Vollzugsplänen der Haftanstalt als Kontaktperson des Antragstellers vermerkt gewesen. Wenn der Antragsteller nun auch eine Beschäftigungszusage von seinem Bruder hat, der einen Pflegedienst in N. führt und den Antragsteller anstellen will, sobald dieser einen weiteren Sprachkurs abgeschlossen hat, so ist doch auch zu berücksichtigen, dass es trotz des knapp achtjährigen Aufenthalts des Antragstellers noch eines Sprachkurses bedarf, um eine Beschäftigung aufnehmen zu können. Demnach spricht der Antragsteller zwar deutsch, aber offenbar noch nicht in einem Maße, dass es dem Bruder des Antragstellers für eine sofortige Anstellung genügt. Auch die Exploration durch den Gutachter Dr. Q. erfolgte noch unter Hinzuziehung eines Dolmetschers. Zudem hat sich der Antragsteller bisher nicht wirtschaftlich durch eine Berufstätigkeit integrieren können, sondern ist bis zu seiner Inhaftierung nicht erwerbstätig gewesen, obwohl die beiden Söhne schon länger in einem Alter waren, das eine Beschäftigung zugelassen hätte.

Mit den vorstehenden Erwägungen ist der Antragsteller auch nicht als "faktischer Inländer" anzusehen und steht seiner Ausweisung der Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht entgegen.

Weder kann der Antragsteller sein Privatleben nur noch im Bundesgebiet führen noch ist ihm das Führen eines Privatlebens in Kolumbien unmöglich oder unzumutbar (vgl. zur Maßgeblichkeit dieser beiden Aspekte Nds. OVG, Beschl. vom 12.03.2013 - 8 LA 13/13 -, juris Rn. 18). Der Antragsteller ist erst in einem Alter von V. Jahren aus Kolumbien ausgereist und ist demnach dort sozialisiert, was ihm das Führen eines Privatlebens auch in der Zukunft ermöglicht. Er war nach seinen eigenen Angaben in Kolumbien lange Zeit als Arzt tätig und beruflich erfolgreich, auch wenn er wirtschaftlich zuletzt offenbar in Schwierigkeiten gekommen war. Das Leben in Kolumbien ist ihm und seiner Familie auch zumutbar, da er den Kontakt zu seiner Ehefrau und seinen Söhnen über Videotelefonie und Besuche der Familie in Kolumbien aufrechterhalten kann. Die Kinder sind heute in einem Alter, in dem sie die Trennung nicht mehr als endgültige begreifen und haben den Antragsteller auch in den vergangenen fast dreieinhalb Jahren nur bei gelegentlichen Besuchen in der Justizvollzugsanstalt erlebt. Ihren Alltag bestreiten sie auch nach der Haftentlassung des Antragstellers weiterhin ohne ihren Vater, der nicht wieder in das Haus der Familie eingezogen ist.

2. Schließlich liegt auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung vor.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich. Diese Erforderlichkeit ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die Ausweisung zutreffend von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention getragen wird, die nicht nur langfristig, sondern auch schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen (vgl. BayVGH, Beschl. vom 14.03.2019 - 19 CS 17.1784 -, juris Rn. 23; Nds. OVG, Beschl. vom 16.12.2011 - 8 ME 76/11 -, juris Rn. 40). Von solchen schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention ist angesichts der dargelegten Wiederholungsgefahr auch hier auszugehen. Ein Widerspruch mit dem Inhalt der Strafvollstreckungsakten - wie ihn der Antragsteller sieht - ergibt sich gerade nicht, da anders als in der Strafvollstreckung in der ausländerrechtlichen Vollzugsfolgenbetrachtung keine Abwägung mit dem Anspruch eines Straftäters auf Resozialisierung erfolgt. Da der Antragsteller zwischenzeitlich aus der Strafhaft entlassen worden ist, kann sich die Wiederholungsgefahr nunmehr realisieren und besteht ein öffentliches Interesse, den Antragsteller alsbald und nicht erst nach einer Entscheidung im Klageverfahren in Folge der Ausweisungsentscheidung nach Kolumbien abzuschieben, sofern er nicht freiwillig ausreist.

II. Soweit der Antragsgegner dem Antragsteller weiterhin die Abschiebung nach Kolumbien angedroht hat, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO und § 70 Abs. 1 NVwVG, § 64 Abs. 4 NPOG statthaft, allerdings ebenfalls unbegründet. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 AufenthG, nach der die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen 7 und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen ist. Die dem Antragsteller eingeräumte Frist von 7 Tagen entspricht damit den gesetzlichen Vorgaben und erscheint auch ausreichend, da der Antragsteller derzeit weder einen Haushalt aufzulösen noch eine Wohnung oder eine Arbeitsstelle zu kündigen hat. Er ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da seine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch die verfügte Ausweisung von Gesetzes wegen erloschen ist.

III. Auch soweit der Antragsgegner unter Ziffer 3 des Bescheides vom 12.08.2022 "das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot als Folge der Ausweisung" auf vier Jahre nach erfolgter Ausreise befristet hat, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig, aber unbegründet.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft.

In der behördlichen Befristung eines vermeintlich kraft Gesetzes eintretenden Einreise- und Aufenthaltsverbots ist zugleich die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 06.05.2020 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 12; Nds. OVG, Beschl. vom 05.08.2022 - 13 LA 143/22 -, V.n.b.). Die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots werden in der Rechtsprechung als einheitlicher Verwaltungsakt angesehen, der gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (vgl. Nds. OVG, Urt. vom 06.05.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Ls. 2 u. Rn. 54; VGH Ba.-Wü., Beschl. vom 13.11.2019 - 11 S 2996/19 -, juris Ls. 1 u. Rn. 41 ff.).

In der Sache hat der Antrag jedoch keinen Erfolg.

Nach § 11 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen (Abs. 1 Satz 1), und zwar im Falle der Ausweisung gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung (Abs. 2 Satz 1). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen (Abs. 2 Satz 3). Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden (Abs. 3 Satz 1).

Ermessensfehler bei der Bestimmung der Dauer von 4 Jahren für das Einreise- und Aufenthaltsverbot sind weder für das Gericht ersichtlich noch vom Antragsteller vorgetragen. Angesichts der Schwere der Straftaten, die der Antragsteller verübt hat, und die sich auch in der Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten wiederspiegelt, erscheint die Befristungsentscheidung auch unter Berücksichtigung der familiären Belange des Antragstellers nicht als unangemessen lang.

IV. Soweit der Antragsgegner allerdings unter Ziffer 6 des Bescheides vom 12.08.2022 verfügt hat, dass "die Abschiebung, vorbehaltlich ihrer Durchführung," "auf 36 Monate nach erfolgter Ausreise befristet" werde, ist der wiederum nach § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage begründet.

Die Verfügung unter Ziffer 6 ist rechtswidrig und rechtsverletzend, so dass die Klage des Antragstellers insoweit Erfolg haben wird.

Rechtsgrundlage für die (konkludente) Anordnung eines befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot in Bezug auf eine Abschiebung ist erneut § 11 Abs. 1 AufenthG. Die nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesetzlich vorgesehene Ermessensausübung ist dem Bescheid jedoch an keiner Stelle zu entnehmen. Die letzten Ausführungen in der Begründung des Bescheides befassen sich mit der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung und führen insbesondere zu der Frist von 7 Tagen für die freiwillige Ausreise aus. Danach folgt die Rechtsbehelfsbelehrung. Eine Begründung für die Ziffer 6 des Bescheidtenors fehlt, weshalb nur ein Ermessensausfall angenommen werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 und Nr. 8.2 des aktuellen Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Werden in einem Verfahren - wie hier - sowohl eine Ausweisung als auch eine Abschiebungsandrohung und ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angegriffen, wirkt sich dies nicht streitwerterhöhend aus (vgl. VGH Ba.-Wü., Beschl. vom 17.08.2018 - 11 S 1776/18 -, juris Rn. 20; VG Hannover, Beschl. vom 19.07.2021 - 12 B 3963/21 -).