Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 26.04.2001, Az.: 14 U 148/00

Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldanspruchs; Kriterien für die Bestimmung eines angemessenen Schmerzensgeldes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.04.2001
Aktenzeichen
14 U 148/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 30517
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2001:0426.14U148.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 20.04.2000 - AZ: 4 O 153/99

In dem Rechtsstreit
...
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. April 2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - teilweise wie folgt abgeändert :

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 10.000 DM zu zahlen, nebst 4 % Zinsen auf 15.000 DM seit dem 21. Dezember 1996 und auf weitere 10.000 DM seit dem 3. März 1998.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 68 % und die Beklagte zu 32 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt für beide Parteien jeweils 10.000 DM.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.

2

Die Klägerin kann gemäß § 823 Abs. 1, § 847 BGB von der Beklagten Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 DM verlangen.

3

I.

Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien nicht streitig.

4

Nachdem die Beklagte auf den Schmerzensgeldanspruch der Klägerin vorprozessual bereits 15.000 DM gezahlt hat und das Landgericht die Beklagte zur Zahlung weiterer 15.000 DM verurteilt hat, steht der Klägerin ein Anspruch in Höhe weiterer 10.000 DM zu.

5

II.

Ausweislich des Gutachtens des Prof. Dr. med. W. N. vom 14. Dezember 1999 erlitt die Klägerin durch das Unfallgeschehen vom 31. Dezember 1995 am fünften Halswirbel einen Bruch des Wirbelbogens auf der linken Seite, wobei dieser Bruch bis in den linken Gelenkfortsatz reichte. Er ging allerdings nicht in die eigentliche Gelenkfläche (siehe auch Seite 15 des Gutachtens). Die Bruchanteile wurden nicht wesentlich gegeneinander verschoben. Unstreitig ist, dass die Klägerin weiterhin durch den Unfall eine HWS-Distorsion erlitt.

6

Soweit bei der Klägerin nach dem Unfall auch unstreitig eine Subluxation C 4/5 und C 5/6 vorlag, handelt es sich nicht um Folgen des Unfalls. Vielmehr sind diese Subluxationen ausweislich des Gutachtens des Prof. Dr. med. W. N. (siehe Seite 15 des Gutachtens) Folgen degenerativer Veränderungen der Bandscheiben. Dies ist zwischen den Parteien inzwischen auch nicht mehr streitig.

7

Der Behandlungsumfang und die Behandlungsdauer ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Klägerin war auf Grund der Unfallfolgen in den Zeiträumen vom 31. Dezember 1995 bis 5. Januar 1996, 5. Januar 1996 bis 10. Januar 1996 und 8. Februar 1996 bis 22. Februar 1996 in stationärer Behandlung. Im Rahmen dieser Behandlungen wurde am 13. Februar 1996 operativ eine Fusion des Wirbelsäulensegmentes C 4 und C 5 durchgeführt. Dazu wurden vier Schrauben mit verbindenden Metallösen sowie ein Knochenblock in den Bandscheibenraum C 4/5 eingebracht.

8

Weiterhin war bei der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen, dass die Klägerin mindestens vier Monate eine Schanzsche Krawatte tragen musste. Dagegen ist bei der Schmerzensgeldbemessung außer Acht zu lassen, dass die

9

Klägerin vorgetragen hat, sie habe bis zu der Operation eine Querschnittslähmung befürchten müssen. Die Diagnostik im Sankt-B.-Krankenhaus in H. und dem Universitätsklinikum T. zu den Verletzungen der Klägerin schloss ausweislich der vorgelegten gutachterlichen Äußerungen vom 6. November 1996 (Bl. 16 f. d. A.) und 13. Februar 1997 (Bl. 18 ff. d. A.) schon aus dem Umfang der gesundheitlichen Verletzungen die Gefahr einer so weitgehenden nervlichen Schädigung aus. Die Klägerin hatte somit keinen Anlass von der Gefahr einer Querschnittlähmung auszugehen. Weitere Anhaltspunkte für eine derartige Befürchtung, wie z. B. eine falsche ärztliche Beratung, hat die Klägerin nicht vorgetragen.

10

Ausweislich der Gutachten der Prof. Dr. med. W. N. und Prof. Dr. med. G. R. leidet die Klägerin auf Grund der Unfallfolgen unter Kopfschmerzen. Der Sachverständige Prof. Dr. med. N. hat in seinem Gutachten insoweit ausgeführt, dass zwar eine Objektivierung der Kopfschmerzen im genauen Umfange nicht möglich sei, jedoch sei auf Grund der durchgeführten Versteifungsoperation davon auszugehen, dass immer wieder Muskelverspannungen im Nacken auftreten werden (Seite 16 des Gutachtens). Derartige muskuläre Verspannungen könnten zu cervicogenen Kopfschmerzen führen (Seite 29 des Gutachtens). Der Sachverständige Prof. Dr. med. G. R. hat das Auftreten derartiger cervicogenen Kopfschmerzen bestätigt. Er hat ausgeführt, dass allerdings nur von einer leichtgradigen Beschwerdesymptomatik auszugehen ist (Seite 23 des Gutachtens). Diese würde sich nur unter Belastungsumständen vorübergehend verschlimmern. Eine vorübergehende Besserung der Beschwerden sei durch eine physikalische Therapie möglich. Eine völlige Beschwerdefreiheit sei jedoch nicht zu erreichen und auch nicht für die Zukunft zu erwarten.

11

Soweit die Klägerin in erster Instanz Beschwerden im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule vorgetragen hat, hat diese die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Der Sachverständige Prof. Dr. med. W. N. hat in seinem Gutachten dargelegt, dass derartige Beschwerden keine mittelbare Unfallfolge seien, weil sich abgesehen von einer nur geringen Verbiegung der oberen Brustwirbelsäule röntgenologisch keine weiteren Veränderungen an der Rumpfwirbelsäule erkennen lassen. Zudem habe man über den Zeitraum von jetzt nahezu vier Jahren Brückensymptome erwarten müssen (siehe Seite 17 f. d. Gutachtens).

12

Bei der Schmerzensgeldbemessung ist weiterhin zu berücksichtigen, dass unfallbedingt bei der Klägerin auch psychische Dauerfolgen eingetreten sind. Der Sachverständige Prof. Dr. med. G. R. ist in seinem Gutachten vom 18. Dezember 1999 überzeugend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Unfall letztendlich bei der Klägerin eine Straßenverkehrsphobie und eine Angstsymptomatik zur Folge gehabt hat (siehe Seite 29 des Gutachtens). Es sei insoweit von der Ursache einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen, denn Hinweise für eine unfallunabhängige seelische Erkrankung habe die Untersuchung nicht ergeben.

13

Ausweislich des Gutachtens des Prof. Dr. med. W. N. war mit Ende Mai 1996 ein stabiles postoperatives Ausheilungsergebnis erreicht (siehe auch Seite 22 d. A.), sodass die Klägerin ab dem 1. Juni 1996 wieder arbeitsfähig gewesen ist. Allerdings ist diese Arbeitsfähigkeit nicht in vollem Umfang wieder hergestellt worden. Vielmehr verbleibt eine dauerhafte, unfallbedingte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin aus den obig bezeichneten Unfallfolgen.

14

So sind der Klägerin Arbeiten unmöglich, die mit einer längeren Zwangshaltung des Kopfes und Halses verbunden sind. Dies gilt sowohl für längere Rückhaltung des Kopfes und Halses als auch für länger anhaltende Vorneigung. Der Sachverständige Prof. Dr. med. W. N. hat den unfallbedingten Dauerschaden nach orthopädisch-chirurgischen Gesichtspunkten auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in einer Höhe von 10 % überzeugend bemessen (siehe Seite 19 des Gutachtens). Der Sachverständige Prof. Dr. med. G. R. hat in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt, dass die posttraumatische Belastungsstörung auch eine entsprechende Belastbarkeitsminderung zur Folge habe. Durch sie würde eine chronische Schmerz- und Angstsymptomatik hervorgerufen, die auch die körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen würde. Er hat die sich daraus ergebende Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 15 % geschätzt, wobei er weiterhin ausgeführt hat, dass eine geeignete Behandlung eine wesentliche Besserung zur Folge haben könne.

15

Soweit die Klägerin vorträgt, sie sei durch den Unfall daran gehindert, ihren Beruf als Zahnarzthelferin wieder aufzunehmen, hatte dieser Vortrag für die Beurteilung der Höhe des Schmerzensgeldanspruches keine besondere Bedeutung, da die Klägerin bereits seit längerer Zeit vor dem Verkehrsunfall ihren Beruf als Zahnarzthelferin nicht mehr ausgeübt hat.

16

Das Landgericht hat der Klägerin insgesamt 30.000 DM als angemessenes Schmerzensgeld zugebilligt und seine Entscheidung vor allem auf die Nr. 1718 der Schmerzensgeldtabelle bei Hacks/Ring/Böhm, 19. Aufl., gestützt. In dieser Entscheidung wurde dem Geschädigten ein Schmerzensgeld von 30.000 DM zugebilligt, allerdings bei einer Mithaftung von 25 %, was das Landgericht möglicherweise übersehen hat. Andererseits sind die in der zitierten Entscheidung des OLG Celle vom 28. März 1985 angegebenen Verletzungen durchaus vergleichbar. Insgesamt ist der Senat der Ansicht, dass die von der Klägerin bei dem Verkehrsunfall vom 31. Dezember 1995 erlittenen Verletzungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 DM rechtfertigen, worauf die Beklagte vorprozessual bereits 15.000 DM gezahlt und das Landgericht ihr weitere 15.000 DM zuerkannt hat, sodass ein restlicher Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 10.000 DM verbleibt.

17

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 92 Abs. 1, § 708 Nr. 10, §§ 711, 713, § 546 Abs. 2 ZPO.