Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.12.2018, Az.: 9 LA 48/18

Abwassergebühren; Heilung; Rückwirkung; Satzungsmangel; Schätzung; Schätzungsbefugnis; Schätzungsmethode; unechte Rückwirkung; Vorauszahlungen; Wassergebühren; Wassermenge; Wasserverbrauch; Wasserzähler

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.12.2018
Aktenzeichen
9 LA 48/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74387
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 29.01.2018 - AZ: 10 A 2118/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Ermittlung der entnommenen Wassermenge durch Schätzung ist gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 b), Abs. 5 NKAG a. F. i. V. m. § 162 Abs. 1 AO zulässig.
2. Eine Schätzung des Verbrauchs in einem bestimmten Veranlagungszeitraum ist nicht wirklichkeitsnah, wenn ihr Verbrauchsmengen zugeschlagen werden, die schon in vorherigen Veranlagungszeiträumen angefallen sind.
3. Den Verwaltungsgerichten steht, anders als den Finanzgerichten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), eine eigenständige Schätzungsbefugnis nicht zu.

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 10. Kammer - vom 29. Januar 2018 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das Verfahren in beiden Rechtszügen auf jeweils 16.125,07 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses einen Bescheid des Beklagten gegen den Kläger über Wasser- und Abwassergebühren für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 sowie Vorauszahlungen für 2016 aufgehoben hat, hat keinen Erfolg.

Der Beklagte hatte den Kläger in den Jahren 2011 bis 2014 zu Wasser- und Abwassergebühren aufgrund von Schätzungen des Wasserzählerstands im Mehrfamilienhaus des Klägers herangezogen. Zuletzt schätzte er zum 31. Dezember 2014 den Wasserzählerstand auf 1.940 m³. Im Dezember 2015 las der Beklagte den Wasserzähler im Haus des Klägers ab. Der Zählerstand betrug 4.559 m³. Mit dem hier streitigen Bescheid vom 25. Januar 2016 zog der Beklagte den Kläger zu Wasser- und Abwassergebühren für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 heran und legte seiner Berechnung die Differenz zwischen dem zum 31. Dezember 2014 geschätzten Zählerstand (1.940 m³) und dem im Dezember 2015 abgelesenen Zählerstand (4.559 m³) zugrunde. Aus dem so ermittelten Gesamtverbrauch von 2.619 m³ ergab sich eine Wassergebühr von 2.018,77 EUR sowie eine Abwassergebühr von 9.732,30 EUR, mithin ein Gesamtbetrag in Höhe von 11.751,07 EUR. Auf der Grundlage dieser Abrechnungsmengen setzte der Beklagte außerdem die Abschlagsbeträge für das Folgejahr fest.

Das Verwaltungsgericht gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage in dem angefochtenen Urteil vom 29. Januar 2018 statt und hob den Bescheid insgesamt auf. Zur Begründung führte es aus, der Bescheid könne sich hinsichtlich der Festsetzung der Gebühr für die Wasserversorgung nicht auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen, weil in der Satzung des Beklagten über die Erhebung von Beiträgen und Entgelten für die Wasserversorgung des Wasser- und Abwasserverbandes Osterholz, Landkreis Osterholz vom 19. Dezember 2000 in der Fassung vom 10. Dezember 2013 Regelungen über den Gebührenmaßstab für die Wasserversorgungsgebühr und über die Entstehung der Gebührenschuld fehlten. Außerdem habe der Beklagte sowohl die Wasser- als auch die Abwassergebühr überhöht festgesetzt. Der Beklagte habe bei der Ermittlung des Frischwasserbezugs von dem im Dezember 2015 abgelesenen Zählerstand 2015 den am Ende des Jahres 2014 geschätzten Zählerstand subtrahiert. Damit habe der Beklagte nicht versucht, den tatsächlichen Wasserverbrauch im klägerischen Hausgrundstück im Veranlagungszeitraum abzubilden, sondern er habe auch solche Verbrauchsmengen zugeschlagen, die in Wirklichkeit schon in vorherigen Veranlagungszeiträumen angefallen seien.

Die hiergegen erhobenen Einwände des Beklagten im Zulassungsverfahren vermögen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.

1. Das Verwaltungsgericht hat mit seinem angegriffenen Urteil den Gebührenbescheid vom 25. Januar 2016 insgesamt aufgehoben und damit nicht nur hinsichtlich der für das Jahr 2015 festgesetzten Wasser- und Abwassergebühren, sondern auch betreffend die in dem Gebührenbescheid für das Jahr 2016 festgesetzten Abschläge (Vorauszahlungen), die nach Klageerhebung durch den Gebührenbescheid vom 24. Januar 2017 abgelöst worden sein dürften. Es kann dahinstehen, ob diese (mit dem Klageantrag übereinstimmende) uneingeschränkte Aufhebung des Gebührenbescheides ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung begründet, weil der Vortrag des Beklagten im Zulassungsverfahren insoweit keine Darlegungen enthält.

2. Zutreffend ist allerdings der Einwand des Beklagten, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Abgabensatzung für die Wasserversorgung entspreche nicht den Anforderungen des § 2 NKAG, weil sie keine Regelungen des Gebührenmaßstabes für die Wasserversorgungsgebühr und über die Entstehung der Gebührenschuld enthalte, begegne ernstlichen Zweifeln, weil er die Satzung zwischenzeitlich mit Rückwirkung zum 1. Januar 2015 geändert und die beanstandeten Satzungsmängel behoben habe.

Die Verbandsversammlung des Beklagten hat in ihrer Sitzung am 21. Februar 2018 eine Satzung zur 7. Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Entgelten für die Wasserversorgung des Wasser- und Abwasserverbandes Osterholz, Landkreis Osterholz vom 19. Dezember 2000 in der Fassung vom 18. Oktober 2017 (im Folgenden: Abgabensatzung für die Wasserversorgung) beschlossen und die Vorschriften in den §§ 8 und 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung neugefasst. Nach Abschnitt II. der 7. Änderungssatzung ist diese Satzung rückwirkend zum 1. Januar 2015 in Kraft getreten. Die entsprechenden Vorschriften der Abgabensatzung für die Wasserversorgung in der Fassung vom 18. Oktober 2017 sind zugleich außer Kraft getreten.

Der Beklagte hat mit dieser Neufassung die vom Verwaltungsgericht gerügten Fehler in den §§ 8 und 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung rückwirkend geheilt.

Er hat nunmehr in § 8 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung eine Regelung über den Gebührenmaßstab getroffen. In § 8 Satz 2 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung ist jetzt geregelt, dass die Grundgebühr nach der Größe des eingebauten Wasserzählers bemessen wird. Nach § 8 Satz 3 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung wird das „Mengenpreisentgelt“ nach der Wassermenge bemessen, die aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage entnommen wird. Berechnungseinheit für das „Mengenpreisentgelt“ ist 1 cbm Wasser. Gemäß § 8 Ziffern 1.1.1 und 1.1.2 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung bestimmt sich die Höhe der Grundgebühr nach „QN“. Was unter „QN“ zu verstehen ist, wird in der Satzung zwar nicht definiert. Da aber nach § 8 Satz 2 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung die Grundgebühr nach der Größe des eingebauten Wasserzählers bemessen wird, lässt sich hieraus – anders als der Kläger meint – hinreichend entnehmen, dass damit auf den zulässigen Grundgebührenmaßstab nach der Nenngröße des Wasserzählers (QN) abgestellt wird. Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Verhältnis der Grundgebühr (§ 8 Ziffer 1.1) und der Mengenpreise (= Verbrauchsgebühr i. S. v. § 8 Ziffer 1.2) eindeutig geregelt. Denn § 8 Satz 1 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung bestimmt, dass sich das Benutzungsentgelt aus einer Grundgebühr und einem „Mengenpreisentgelt“ (Verbrauchsgebühr) zusammensetzt.

Der Beklagte hat zudem in § 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung eine Regelung über das Entstehen der Gebührenschuld getroffen. In § 11 Ziffer 2 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung ist nunmehr geregelt, dass die Gebührenschuld jeweils mit dem Ende des Erhebungszeitraumes entsteht. Erlischt die Gebührenpflicht vor Ablauf des Erhebungszeitraumes, so entsteht die Gebührenschuld mit dem Ende der Gebührenpflicht. Ohne Erfolg rügt der Kläger, der Begriff „Erhebungszeitraum“ sei in     § 11 Ziffer 1 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung unklar definiert. In § 11 Ziffer 1 ist eindeutig geregelt, dass Erhebungszeitraum das Kalenderjahr ist. Weiter ist darin bestimmt, dass, wenn die Gebührenpflicht während des Kalenderjahres entsteht, der Restteil des Jahres der Erhebungszeitraum ist. Damit ist offensichtlich der Restteil des „Kalenderjahres“ gemeint (hierzu im Einzelnen: Lichtenfeld in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2018, § 6 Rn. 721a).

Die rückwirkende Inkraftsetzung der Regelungen in §§ 8 und 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung zum 1. Januar 2015 begegnet im Zulassungsverfahren keinen Bedenken im Hinblick auf § 2 Abs. 2 NKAG und stellt entgegen der Auffassung des Klägers keine unzulässige echte Rückwirkung dar.

Die Voraussetzungen für eine zulässige Rückwirkung von Abgabensatzungen nach dem niedersächsischen Landesrecht sind in § 2 Abs. 2 NKAG geregelt und in der Rechtsprechung des Senats geklärt (vgl. nur Senatsurteil vom 16.2.2016 – 9 KN 288/13 – juris Rn. 40; Senatsbeschluss vom 21.11.2006 – 9 ME 214/06 –; Lichtenfeld in: Driehaus, a. a. O., § 6 Rn. 724). Danach kann eine Gebührensatzung dann rückwirkend geändert werden, wenn dadurch Bedenken der Rechtsprechung an ihrer Wirksamkeit ausgeräumt werden sollen und dem rückwirkenden Inkraftsetzen kein schützenswertes Vertrauen der betroffenen Gebührenpflichtigen entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 30.11.2009 – 9 LB 415/07 – juris Rn. 29). Der Zweck der satzungsmäßigen Rückwirkungsanordnung besteht in der Regel darin, noch nicht unanfechtbar gewordenen Heranziehungen nachträglich eine sichere Rechtsgrundlage zu verschaffen (vgl. Senat, Beschluss vom 29.7.2009 – 9 ME 36/09 – n. v.).

So liegt der Fall hier. Mit der 7. Änderungssatzung zur Abgabensatzung für die Wasserversorgung hat der Beklagte rückwirkend zum 1. Januar 2015 die für den hier maßgeblichen Zeitraum vom Verwaltungsgericht gerügten Satzungsmängel behoben. Die Rückwirkungsanordnung wirkt auf den 1. Januar 2015 zurück und insoweit auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte. Gegen das grundsätzlich zulässige unecht rückwirkende Inkrafttreten von – Satzungsmängel behebenden – Regelungen zum Gebührenmaßstab und zum Gebührensatz bestehen keine vertrauensschutzrechtlichen Bedenken. Es gibt keinen Vertrauensschutz dahin, dass ein Abgabenpflichtiger wegen der Unwirksamkeit vorangegangener Abgabensatzungen von Abgaben mit Gegenleistungscharakter verschont bleibt, weil niemand erwarten kann, dass ihm eine ihrem Wesen nach entgeltpflichtige Leistung unentgeltlich gewährt wird (Freese in: Rosenzweig/Freese/v. Waldthausen, NKAG, Stand: März 2018, § 2 Rn. 80 m. w. N.; vgl. auch Holtbrügge in: Driehaus, a. a. O., § 2 Rn. 33).

Die rückwirkende Neufassung der beiden Regelungen in § 8 und § 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung zum 1. Januar 2015 bewegt sich somit innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen (§ 2 Abs. 2 NKAG) und hat auch keine Schlechterstellung der Gesamtheit der Abgabepflichtigen zur Folge (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG). Es sind lediglich der Gebührenmaßstab und der Erhebungszeitraum konkretisiert worden, ohne dass sich dadurch die Gebührenhöhe für die Gebührenpflichtigen ändert.

3. Der Beklagte hat aber die weitere, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts selbständig tragende Feststellung, dass die Festsetzung der Wasser- und der Abwassergebühren für 2015 überhöht und damit rechtswidrig sei, nicht mit seinem Zulassungsvorbringen entkräftet.

Das Verwaltungsgericht ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Beklagte im Rahmen seiner Schätzung des Wasserverbrauchs keine tatsächlichen, bemessungsrelevanten Umstände berücksichtigt habe. Er habe mit seiner „Schätzung“ eines Wasserverbrauchs im Jahr 2015 von 2.619 m³ nicht versucht, den tatsächlichen Wasserverbrauch im klägerischen Hausgrundstück im Veranlagungszeitraum abzubilden. Vielmehr habe er diesem Veranlagungszeitraum zur Überzeugung des Gerichts auch solche Verbrauchsmengen zugeschlagen, die in Wirklichkeit schon in vorherigen Veranlagungszeiträumen angefallen seien.

Hiergegen wendet der Beklagte ein, dass der im vorhergehenden Abrechnungsbescheid vom 26. Januar 2015 geschätzte Zählerendstand der Wasseruhr für das Jahr 2014 zwar nicht in Bestandskraft erwachse und daher hinsichtlich der Höhe im angefochtenen Bescheid keine Bindungswirkung entfalte. Gleichwohl sei seine Schätzungsentscheidung, entsprechend dem Zählerendstand für das 2014 von einem Zähleranfangsstand für das Jahr 2015 von 1.940 m³ auszugehen, nicht zu beanstanden. Er habe sich an den durchschnittlichen abgelesenen Verbräuchen zwischen 308 und 680 m³ auf dem klägerischen Grundstück in den Jahren 2007 bis 2010 orientiert. Zudem sei der Kläger mit Schreiben vom 8. Mai 2013 und vom 4. November 2014 darüber unterrichtet worden, dass eine Schätzung durchgeführt worden sei und dass eine Ablesung der Wasseruhr ratsam sei. Dieser Mitteilung und Empfehlung sei der Kläger nicht nachgekommen, so dass auch für den streitgegenständlichen Erhebungszeitraum 2015 der Anfangswert habe geschätzt werden müssen. Offensichtlich habe sich das Nutzungsverhalten der Mietparteien des Klägers zwischenzeitlich verändert, was sich aus der Abrechnung im Bescheid vom 24. Januar 2017 für das Kalenderjahr 2016 ergebe, wenn dort ein abgelesener Verbrauch für das Kalenderjahr von 1.390 m³ festgestellt worden sei. Dieser festgestellte Verbrauch liege um mindestens 100 % höher als die abgelesenen Jahresverbräuche in den Jahren 2007 bis 2010. Die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich in diesem Zeitraum nicht verändert und seien zumindest nicht dem Beklagten bekannt gegeben worden.

Mit diesem Vortrag hat der Beklagte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts nicht dargetan.

Allerdings durfte der Beklagte die im Jahr 2015 entnommene Wassermenge sowohl für die Festsetzung der Wasser- als auch der Abwasserverbrauchsgebühr grundsätzlich schätzen.

Die Abgabensatzung des Beklagten für die Wasserversorgung bietet zwar keine Rechtsgrundlage für eine solche Schätzung. Die Satzung des Beklagten über die Erhebung von Beiträgen und Entgelten für die Abwasserbeseitigung des Wasser- und Abwasserverbandes Osterholz, Landkreis Osterholz vom 10. Dezember 2013 (im Folgenden: Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung) enthält in § 7 Nr. 3., 4. und 6. Schätzungsvorschriften, deren Tatbestände hier aber nicht einschlägig sind.

Eine Schätzung der Wassermenge ist jedoch aufgrund des § 11 Abs. 1 Nr. 4 b) Abs. 5 NKAG a. F. in Verbindung mit § 162 Abs. 1 Satz 1 AO zulässig. Danach hat die Körperschaft, der die Abgabe zusteht, die Grundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann.

Diese Voraussetzung liegt hier vor. Gemäß § 8 Satz 3 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung wird das „Mengenpreisentgelt“ nach der Wassermenge bemessen, die aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage entnommen wird. Nach § 7 Nr. 2.1 der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung gilt „als in die öffentliche Abwasseranlage gelangt“ die dem Grundstück aus öffentlichen oder privaten Wasserversorgungsanlagen zugeführte und durch Wasserzähler ermittelte Wassermenge. Der Wasserzählerstand ist zwar am Ende des Jahres 2015 abgelesen worden, nicht jedoch der Wasserzählerstand zu Beginn des Jahres 2015. Diese Ablesung ließ sich nach Ablauf des Erhebungszeitraums für das Kalenderjahr 2015 auch nicht mehr nachholen. Da der Wasserzählerendstand im Jahr 2014 – wie der Wasserverbrauch in den Jahren 2011 bis 2014 insgesamt – ebenfalls nicht abgelesen, sondern nur geschätzt worden ist, können der Zähleranfangsstand für das Jahr 2015 und die im Jahr 2015 entnommene Wassermenge nicht mehr konkret ermittelt oder berechnet werden.

Der Senat teilt jedoch die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Schätzung der entnommenen Wassermenge für den Erhebungszeitraum 2015 nicht fehlerfrei erfolgt ist.

Bei einer Schätzung sind gemäß § 162 Abs. 1 Satz 2 AO alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Die Schätzung muss von dem Bemühen getragen werden, dem wahren Sachverhalt möglichst nahe zu kommen (vgl. OVG Berl.-Bbg., Urteil vom 24.4.2013 – OVG 9 B 5.12 – juris Rn. 17 m. w. N.). Das Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Hierbei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Dabei muss ein Abgabenpflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen sich ausschlägt und sich die Behörde an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientiert (vgl. Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl. 2012, § 162 Rn. 36, 37, 38).

Wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat und auch der Beklagte bestätigt, entfaltet der in dem Gebührenbescheid vom 26. Januar 2015 für das Abrechnungsjahr 2014 zum 31. Dezember 2014 geschätzte Zählerendstand von 1.940 m³ mangels entsprechender gesetzlicher Regelung keine Verbindlichkeit für andere Gebührenfestsetzungen. Denn dieser Bemessungsgrundlage kommt für die Gebührenfestsetzung im nachfolgenden Veranlagungszeitraum mangels gesonderter Feststellung im Sinne von §§ 179 ff. AO keine Bindungswirkung zu (vgl. Rüsken in Klein, a. a. O., § 157 Rn. 23 f.; VG Potsdam, Urteil vom 21.12.2011 – 8 K 1330/07 – juris Rn. 21). Mit der Bestandskraft des Bescheides vom 26. Januar 2015 hat der Kläger auch nicht den geschätzten Zählerendstand für das Abrechnungsjahr 2014 von 1.940 m³ zugleich als Zähleranfangsstand für den nächsten Veranlagungszeitraum 2015 akzeptiert und sich diesbezüglich jeglicher späterer Einwendungen begeben (siehe auch OVG Berl.-Bbg., Urteil vom 24.4.2013, a. a. O., Rn. 17).

Der Beklagte musste sich vielmehr für den Erhebungszeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2015 um ein möglichst wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis betreffend die entnommene Wassermenge bemühen.

Dies ist hier nicht der Fall. Der Beklagte hätte bei seiner Schätzung berücksichtigen müssen, dass die für das Jahr 2015 aufgrund des geschätzten Zählerendstands für das Jahr 2014 angenommene Wassermenge in Höhe von 2.619 m³ den in den Vorjahren angenommenen Wert von (zuletzt) 500 m³ um mehr als das Fünffache übersteigt und deshalb nicht den wirklichkeitsnahen Wasserverbrauch eines Jahres abbildet. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist das Vorliegen eines außergewöhnlichen Verbrauchsereignisses im Jahr 2015 weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Senat teilt auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass sich die außerordentlich hohe, fünffache Steigerung des Verbrauchs im Jahr 2015 gegenüber dem Jahr 2014 nicht dadurch erklären lässt, dass im Laufe des Jahres 2015 in dem Haus des Klägers das Dachgeschoss ausgebaut und eine siebte (kleinere) Wohnung eingerichtet worden. Soweit der Beklagte meint, es liege ein offensichtlich verändertes Verbrauchsverhalten der Mietparteien des Klägers vor, das er nicht habe berücksichtigen können, vermag ein geändertes Verbrauchsverhalten eine fünffache Steigerung der Wassermenge innerhalb eines Jahres nicht zu erklären. Der Beklagte trägt selbst vor, es sei nicht erkennbar, dass sich die tatsächlichen Umstände erheblich verändert hätten.

Soweit der Beklagte meint, er habe sich an den abgelesenen Jahresverbräuchen in den Jahren 2007 bis 2010 orientiert, genügt dies nicht dem Bemühen, dem wahren Sachverhalt betreffend den Wasserverbrauch im Jahr 2015 möglichst nahe zu kommen. Als Schätzmethode ist zwar u. a. der sog. Vorjahresvergleich anerkannt, mit dem die Besteuerungsgrundlagen auf der Grundlage der entsprechenden Angaben des Steuerpflichtigen für vorangegangene Zeiträume ermittelt und ggf. durch Vornahme von (Un)sicherheitszu- bzw. –abschlägen an die veränderten Verhältnisse des zu schätzenden Besteuerungsabschnitts angepasst werden (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Oktober 2018, § 162 Rn. 54). Der Beklagte hat hier aber keine Schätzung der Wasserentnahmemenge im Jahr 2015 anhand eines Vorjahresvergleichs vorgenommen. Er hat insbesondere nicht den Jahreswasserverbrauch des Jahres 2014 – den er auf 500 m³ geschätzt hatte – zugrunde gelegt und aufgrund etwaiger geänderter Umstände hochgerechnet. Er hat vielmehr lediglich den geschätzten Wasserzählerendstand für das Jahr 2014 als Zähleranfangsstand für das Jahr 2015 übernommen. Weitere Schätzungserwägungen, etwa anhand der Anzahl der im Haus lebenden Personen, hat er nicht getroffen.

Die auf diese Weise ermittelte, ungewöhnlich hohe Steigerung des Wasserverbrauchs lässt sich auch nach Überzeugung des Senats nur dadurch erklären, dass die Schätzungen des Beklagten für die vorhergehenden Veranlagungszeiträume offenbar zu niedrig gewesen sind und in den vergangenen Jahren jeweils höhere Verbrauchsmengen angefallen waren. Dies zeigt der Vergleich mit dem abgelesenen Wasserverbrauch im nachfolgenden Kalenderjahr 2016 gemäß Bescheid vom 24. Januar 2017 in Höhe von 1.390 m³, der damit deutlich über der jeweils in den Jahren 2011 bis 2014 geschätzten Wassermenge von 500 m³ liegt. Dieser für das Jahr 2016 ermittelte Wasserverbrauch macht überdies nur die Hälfte der für das Jahr 2015 geschätzten Wassermenge aus. Dies spricht ebenfalls dagegen, dass die für das Jahr 2015 angenommene Wassermenge einen wirklichkeitsnahen Wasserverbrauch abbildet. Außerdem beruhten bereits die angenommenen Wassermengen für die vier Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014 nur auf Schätzungen anhand der in den Jahren 2007 bis 2010 ermittelten Wassermengen, ohne dass der Wasserzähler in den Jahren 2011 bis 2014 abgelesen worden wäre. Der Beklagte konnte schon aufgrund dieses langen Zeitraums und des Umstands, dass mehrere Parteien in dem Mehrfamilienhaus wohnen, nicht davon ausgehen, dass der jährliche Wasserverbrauch seit 2007 stets jährlich nur durchschnittlich 500 m³ betragen würde. Im Übrigen gab es schon bei den abgelesenen Wassermengen in den Jahren 2007 bis 2010 Schwankungen. Im zuletzt abgelesenen Jahr 2010 betrug die Wassermenge bereits mehr als 500 m³, nämlich 680 m³.

Ohne Erfolg wendet der Beklagte ein, die Unsicherheit und Fehlertoleranz der Schätzung gehe zu Lasten des Klägers, der als Grundstückseigentümer und Abgabepflichtiger dafür Sorge zu tragen habe, dass die Ablesewerte dem Beklagten mitgeteilt würden, und zudem durch Schreiben vom 8. Mai 2013 und 4. November 2014 darauf hingewiesen worden sei, den abgerechneten Wasserzählstand zu überprüfen. Es trifft zwar zu, dass ein Steuerpflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, es im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung hinnehmen muss, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt (Seer in: Tipke/Kruse, a. a. O., § 162 Rn. 44). Es kann hier aber dahinstehen, ob der Kläger Veranlassung zur Schätzung gegeben hat. Wer verpflichtet ist, den Wasserzähler abzulesen, ergibt sich jedenfalls nicht aus den vorliegenden Satzungsbestimmungen (§ 7 Ziffer 4 i. V. m. Ziffer 2.2 der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung ist hier nicht einschlägig). Hierauf kommt es vorliegend jedoch auch nicht an, weil bereits nicht festgestellt werden kann, dass sich der Beklagte um ein möglichst wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis bemüht hätte. Die dargelegten Umstände sprechen vielmehr dafür, dass der Beklagte dem Veranlagungszeitraum Verbrauchsmengen zugeschlagen hat, die tatsächlich schon in vorherigen Erhebungszeiträumen angefallen sind.

Der Beklagte rügt erfolglos, das Verwaltungsgericht hätte den streitgegenständlichen Bescheid vom 25. Januar 2016 nicht vollumfänglich aufheben, sondern hätte eine eigene Schätzung vornehmen können und müssen. Den Verwaltungsgerichten steht, anders als den Finanzgerichten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), eine eigenständige Schätzungsbefugnis nicht zu (noch offengelassen im Senatsurteil vom 28. Februar 2018 – 9 LC 217/16 – juris Rn. 87; s. a. BayVGH, Urteil vom 14.7.2016 – 20 B 15.565 – juris Rn. 14). Im Übrigen kann das Gericht zwar die gewählte Schätzungsmethode und das Ergebnis der Schätzung überprüfen und dieses bei Fehlern in der Höhe korrigieren (Senatsurteil vom 28. Februar 2018, a. a. O., Rn. 87). Eine solche Korrektur in der Höhe ist dem Gericht im vorliegenden Fall jedoch nicht möglich gewesen, weil hier – anders als in dem Fall, dem das zitierte Senatsurteil vom 28. Februar 2018 zugrunde lag – bereits die vom Beklagten vorgenommene Schätzmethode, den auf bereits einer Schätzung beruhenden Wasserzählerendstand des Vorjahres zu übernehmen, wie oben dargelegt ungeeignet ist. Weitere Schätzungserwägungen, die das Gericht hätte überprüfen und ggf. korrigieren können, hat der Beklagte nicht vorgenommen. Soweit der Beklagte darauf verweist, dem Gericht wäre eine Schätzung auf der Grundlage des Umstands möglich gewesen, dass für das Jahr 2016 auf dem Grundstück ein Frischwasserverbrauch durch Ablesung mit 1.390 m³ ermittelt worden ist, kann der Vergleich mit dem Folgejahr zwar eine geeignete Schätzungsmethode sein. Der Beklagte hat jedoch eine eigene Schätzungsentscheidung vorzunehmen.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 39, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Sie berücksichtigt, dass bei der beantragten und entschiedenen vollumfänglichen Aufhebung des Gebührenbescheides die jeweiligen Festsetzungen der Wassergebühr für 2015 (2.018,77 EUR), der Abwassergebühr für 2015 (9.732,30 EUR) und der Vorauszahlungen für 2016 (6 x 729 EUR = 4.374 EUR) zu addieren sind. Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG wird die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung entsprechend geändert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).