Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.12.2018, Az.: 13 ME 480/18
Ausbildungsduldung; Ausschlussgrund; Beschwerde; Beschäftigungserlaubnis; Ermessen; Passbeschaffungspflicht; vorläufiger Rechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.12.2018
- Aktenzeichen
- 13 ME 480/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74384
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 09.10.2018 - AZ: 6 B 107/18
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs 2 S 3 AufenthG
- § 42 Abs 2 Nr 5 AufenthG
- § 60a Abs 2 S 4 AufenthG
- § 60a Abs 6 AufenthG
- § 32 Abs 1 BeschV
- § 32 Abs 2 Nr 2 BeschV
- § 123 VwGO
- § 146 Abs 4 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die zur Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf nach §§ 4 Abs. 2 Satz 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 und 2 Nr. 2 BeschV erforderliche Beschäftigungserlaubnis kann von der Ausländerbehörde etwa bei einer vorsätzlichen Verletzung der Passbeschaffungspflicht, einer möglichen Umgehung der in § 60a Abs. 6 AufenthG normierten Ausschlussgründe oder einer missbräuchlichen Ausnutzung dieser Regelung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ermessensfehlerfrei versagt werden.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 9. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 9. Oktober 2018 bleibt ohne Erfolg.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Zur Begründung kann zunächst auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen eine andere Entscheidung nicht.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat zwar mit Zustimmung des Antragsgegners eine Einstiegsqualifizierung bei der Bäckerei C. in B-Stadt erfolgreich durchlaufen und daraufhin von dem Betrieb einen Ausbildungsvertrag zum 1. August 2018 erhalten. Daraufhin hat er am 27. Juli 2018 einen Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung und einer Beschäftigungserlaubnis gestellt. Dem Antrag beigefügt war - neben dem Ausbildungsvertrag und einem Zeugnis der Berufsbildenden Schulen D. - jedoch lediglich ein Schreiben der Botschaft der Gabunischen Republik, worin diese dem Antragsteller auf seinen Passantrag hin mitteilt, dass sie in Deutschland keine Pässe ausstelle, sondern diese nur in der Botschaft von Gabun in Paris erhalten werden könnten. Seinen Pass legte der Antragsteller hingegen erst am 3. September 2018 vor, nachdem er über seinen Rechtsanwalt hatte mitteilen lassen, dass er diesen wieder aufgefunden habe. Zuvor hatte der Antragsgegner den Antragsteller mehrfach erfolglos zur Vorlage und Beschaffung von Identitätspapieren aufgefordert.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG in der Fassung des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG nur zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland (1.) aufnimmt oder aufgenommen hat, wenn die Voraussetzungen nach § 60a Abs. 6 AufenthG nicht vorliegen (3.) und wenn konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen (2.).
Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Aufnahme der Ausbildung auch nach Maßgabe der zu beachtenden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen rechtmäßig erfolgt (4.) (vgl. Senatsbeschl. v. 31.5.2018 - 13 ME 19/18 -, V.n.b., S. 4 des Beschlussabdrucks
m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 9.12.2016 - 8 ME 184/16 -, juris Rn. 6; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.10.2016 - 11 S 1991/16 -, juris Rn. 14). Dies setzt insbesondere voraus, dass dem Ausländer eine nach §§ 4 Abs. 2 Satz 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 und 2 Nr. 2 BeschV erforderliche Beschäftigungserlaubnis erteilt worden ist, für die es bei der Aufnahme einer Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf lediglich einer Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nicht bedarf (vgl. im Einzelnen: Breidenbach/Neundorf, Arbeitsmarkzugangsrechte von Drittstaatsangehörigen, in: ZAR 2014, 227, 231 f.; v. Harbou, Der Zugang Asylsuchender und Geduldeter zu Erwerbstätigkeit und Bildung, in: NVwZ 2016, 421, 423 f.; GK-AufenthG, § 60a Rn. 66 ff. (Stand: März 2016) m.w.N.). Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung der Duldung zum Zwecke der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung durch das Integrationsgesetz auf das bestehende Erfordernis einer Beschäftigungserlaubnis verzichten und Ausländern ohne einen Aufenthaltstitel abweichend vom Grundsatz des § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG den unreglementierten Zugang zu einer Ausbildung eröffnen wollte (vgl. Senatsbeschl. v. 30.8.2018
- 13 ME 298/18 -, juris Rn. 5 m. w. N.).
Die so beschriebenen Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erfüllt der Antragsteller nicht (vollständig).
1. Zwar handelt es sich bei der vom Antragsteller angestrebten Berufsausbildung zum Bäcker um einen staatlich anerkannten qualifizierten (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 BeschV) Ausbildungsberuf mit mindestens zweijähriger Ausbildungsdauer (vgl. §§ 1 und 2 Abs. 1 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Bäcker/zur Bäckerin v. 21.4.2004 (BGBl. Teil I, S. 632); Bundesinstitut für Berufsbildung, Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, dort Nrn. 1.1 und 1.2, Berufsgattung Nr. 29222, in Verbindung mit Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Erlass v. 27.9.2017
- 14.12 - 12230/ 1-8 (§ 60a) - und den Allgemeinen Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern zur Duldungserteilung nach § 60a Aufenthaltsgesetz, dort Teil IV, Abschnitt „Qualifizierte Berufsausbildung“).
2. Auch standen zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. Senatsbeschl. v. 30.8.2018, a.a.O., juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.6.2017 - 11 S 1067/17 -, juris) konkrete Maßnahmen des Antragsgegners zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevor.
3. Es spricht jedoch Vieles für die Annahme, dass die Vorschrift des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AufenthG der Erteilung einer Ausbildungsduldung entgegensteht. Nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Zu vertreten im Sinne von § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG hat der Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt.
Das Verwaltungsgericht hat dazu unter Bezugnahme auf den Bescheid des Antragsgegners vom 11. September 2018 zutreffend aufgeführt, dass der Antragsteller jedenfalls im Zeitpunkt der Antragstellung über seine Identität getäuscht und den Besitz eines Reisepasses verschwiegen hat, weshalb aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten. Zwar hat der Antragsteller seinen zuvor als verloren gemeldeten Pass zwischenzeitlich im Original vorgelegt, dies jedoch erst am erst am 3. September 2018, also über einen Monat nach Stellung des Antrags auf Erteilung der Ausbildungsduldung.
4. Der Erteilung einer Ausbildungsduldung steht hier aber jedenfalls entgegen, dass der Antragsteller seine für den 1. August 2018 geplante Berufsausbildung nicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen aufnehmen kann. Denn es fehlt an der gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthGerforderlichen Beschäftigungserlaubnis (vgl. zum Erfordernis der rechtmäßigen Aufnahme der Ausbildung auch: Hamburgisches OVG, Beschl. v. 5.9.2017 - 1 Bs 175/17 -, juris Rn. 19; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 11.7.2017 - 7 B 11079/17 -, juris Rn. 37; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 9.12.2016 - 8 ME 184/16 -, juris Rn. 6). Die Beschäftigungserlaubnis ist ein an den Titel bzw. die Duldung anknüpfende, akzessorische Berechtigung zur Ausübung der Erwerbstätigkeit, die nicht unabhängig davon erteilt werden kann (BVerwG, Beschl. v. 23.8.2018 - 1 B 91/16 -, juris Rn. 4). Die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis steht dabei im Ermessen der Ausländerbehörde, welches, da die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 2 BeschV insoweit nicht zustimmen muss, nicht an arbeitsmarktpolitischen, sondern allein an einwanderungspolitischen Erwägungen auszurichten ist (vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 5.9.2017, a.a.O., Rn. 23). Dementsprechend kann die Beschäftigungserlaubnis etwa bei einer vorsätzlichen Verletzung der Passbeschaffungspflicht, einer möglichen Umgehung der in § 60a Abs. 6 AufenthG normierten Ausschlussgründe oder einer missbräuchlichen Ausnutzung dieser Regelung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ermessensfehlerfrei versagt werden (vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 5.9.2017, a.a.O., Rn. 25).
Nach diesen Maßgaben erweist sich die Entscheidung des Antragsgegners vom 11. September 2018 (vgl. Blatt 164 der Beiakte 001) als ermessensfehlerfrei. Der Antragsgegner hat die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zu Recht versagt, um eine durch die erst nach Antragstellung erfolgte Vorlage des Reisepasses im Original möglich gewordene Umgehung des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AufenthG seitens des Antragstellers zu verhindern.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
III. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.3 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).