Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 08.10.2003, Az.: S 61 KR 225/02
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 08.10.2003
- Aktenzeichen
- S 61 KR 225/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40211
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2003:1008.S61KR225.02.0A
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Oldenburg - 61. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 8. Oktober 2003 durch
den Richter am Sozialgericht Lipsius
sowie die ehrenamtlichen Richter Sabine Bartelt und Franz Speer
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 30.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2002 wird teilweise aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die ihr entstandenen Kosten für die ICSI-Behandlungen im Oktober und Dezember 2001 zu erstatten.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin 2/3 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin streitet um Kostenerstattung für drei ICSI-Behandlungen.
Die Klägerin ist im Dezember 1959 geboren. Sie ist Mitglied der Beklagten. Mit 39 Jahren erlitt die Klägerin eine Fehlgeburt. Ihr Ehemann (Jahrgang 1958) leidet dabei unter einer schwerwiegenden Fruchtbarkeitsstörung (Oligoasthenoterazoospermie III. Grades). Unstreitig besteht deshalb zugunsten der Klägerin die medizinische Indikation einer ICSI-Behandlung. Im Juni 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine entsprechende Leistung, wobei sie sich auf die Bescheinigung der Tagesklinik O.... vom 21.06.2001 über eine entsprechende Erfolgsaussicht stützte. Zugleich nahm sie die erste Behandlung in Anspruch.
Die Beklagte verwies die Klägerin mit Schreiben vom 31.07.2001 auf den "Beratungsbedarf" der gesetzlichen Krankenkassen zur Rechtsprechung des BSG: Im September ließ sie sich dann das Gutachten nach Aktenlage des Gynäkologen Dr. T.... vom MDKN H.... erstatten, in dem grundsätzlich Einwendungen gegen die fragliche Behandlungsmethode geltend gemacht wurden. Die Beklagte sah sich nicht in der Lage, die Klägerin aufgrund dieses Gutachtens ("Fachchinesisch") nachvollziehbar zu beschreiben.
Im Oktober 2001 nahm die Klägerin eine zweite Behandlung in Anspruch. Gestützt auf die Stellungnahme des Dr. T.... vom 15.01.2002 lehnte die Beklagte schließlich mit Bescheid vom 30.01.2002 eine Kostenübernahme ab: Die beiden fehlgeschlagenen Befruchtungsversuche hätten bei der Klägerin selber eine (schon) nicht (mehr) ausreichende Fruchtbarkeit (ihrer Eizellen) bewiesen, so dass für weitere Versuche eine ausgesprochen ungünstige Prognose bestehe.
Die Klägerin legte dagegen Widerspruch gestützt auf die Stellungnahme der Tagesklinik O.... vom Februar 2002 ein: Im Dezember (2001) seien von sechs gewonnenen Oozyten drei Eizellen erfolgreich befruchtet worden (allerdings wiederum ohne eine Schwangerschaft zur Folge zu haben).
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin gestützt auf die weitere gutachterliche Stellungnahme des Dr. T.... vom 14.05.2002 zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.09.2002).
Dagegen richtet sich die binnen Monatsfrist erhobene Klage, mit der die Klägerin ihre Ansprüche weiterverfolgt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die ihr entstandenen Kosten für ihre ICSI-Behandlungen im Jahre 2001 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die frist- und formgemäß erhobene Klage ist zulässig. Sie ist zum Teil begründet.
Voraussetzung für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht hat. Dies setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass die Krankenkasse ursächlich dafür geworden ist, sich die Leistung selbst zu beschaffen, vgl. BSG vom 19.06.2001 - B1 KR 23/00 R -. Der Leistungsanspruch nach § 27a SGB V setzt nach den gem. Abs. 4 der Vorschrift vom Gesetzgeber verlangten Richtlinien im Alter der Klägerin zum Zeitpunkt der Maßnahme eine gutachterliche Beurteilung der Erfolgsaussichten und eine darauf gestützte Genehmigung der Krankenkasse voraus (Nr. 9 der Richtlinien). Die (behandlungs-) ärztliche Feststellung hinreichender Erfolgsaussicht gem. Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift reichte danach allein nicht aus. Die entsprechende Regelung ist rechtlich vorgegeben und sachlich gerechtfertigt und war daher auch von der Klägerin zu beachten, eine entsprechende Fehlberatung durch die Tagesklinik O.... ging zu ihren Lasten. Im Ergebnis hat die Klägerin die Beklagte mit der sofortigen Inanspruchnahme der ersten Maßnahme vor vollendete Tatsachen gestellt, was bedeutet, dass sie ihre entsprechenden Leistungsansprüche verwirkt hatte, so schon BSG in Breithaupt 1993, 855, bestätigte Breithaupt 1998, 101.
Für die weiteren Behandlungen waren die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V dann erfüllt. Es handelte sich, wie die Beklagte selber in Bezug auf das vorgerückte Alter der Klägerin betont, um eine unaufschiebbare Leistung, für die Beklagte erkennbar war eine unverzügliche Sachbearbeitung erforderlich. Der MDKN ist dann aber erst äußert zögerlich eingeschaltet worden, die der Rechtsprechung des BSG widersprechenden grundsätzlichen Einwendungen des Gutachters gegen die fragliche Behandlungsmethode stellten keine gutachterliche Beurteilung nach den Richtlinien dar. Als die Beklagte schließlich im Januar 2002 eine Kostenübernahme ablehnte und sich nunmehr auf die Beurteilung der Erfolgsaussicht durch Dr. T.... in dessen Stellungnahme vom 15.01.2002 stützte, tat sie dies in Bezug auf die vorhergegangenen fehlgeschlagenen Befruchtungsversuche. Das heißt, sie war ursächlich dafür, dass die Klägerin sich die Leistung selbst beschaffte, um eben daraus im nachhinein Gründe für ihre Ablehnung zu gewinnen. Ein solches Verhalten entspricht nicht der Rechtslage, die fraglichen Behandlungen sind Versuche, und es würde das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Kopf stellen, nur ärztliche Behandlungen bezahlen zu wollen, wenn diese zum gewünschten Erfolg geführt haben. Im Ergebnis stand der Beklagten keine gutachterliche Beurteilung im Sinne der Richtlinien zur Seite, um die Klägerin (rechtzeitig) davon abzuhalten, die nun wirklich drängenden Maßnahmen zunächst auf eigene Kosten in Anspruch zu nehmen. Nur am Rande sei erwähnt, dass den gesetzlichen Krankenkassen auch kein monatelanger "Beratungsbedarf" zu einer zumindest im Ergebnis eindeutigen BSG-Rechtsprechung zuzubilligen ist.
Bei dieser Sach- und Rechtslage waren weitere Ermittlungen nicht anzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.