Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 08.07.2003, Az.: S 62 KR 184/02

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
08.07.2003
Aktenzeichen
S 62 KR 184/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40210
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOLDBG:2003:0708.S62KR184.02.0A

Fundstelle

  • JWO-VerbrR 2004, 155

In dem Rechtsstreit

...

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...

gegen

hat das Sozialgericht Oldenburg - 62. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 08. Juli 2003 durch die Richterin am Sozialgericht Lücking sowie die ehrenamtlichen Richter Händschke und Elsner

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Der Bescheid vom 29. Januar 1999 in der Fassung des Bescheides vom 30. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04. Juli 2002 wird aufgehoben.

    Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung vom 03. November 1998 bis zum 01. Januar 1999 zu übernehmen.

    Die Beklagte hat dem Kläger die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Übernahme der Kosten für eine Krankenhausbehandlung.

2

Der im Jahre 1971 geborene Kläger war bei der Beklagten aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld bis zum 09. September 1998 krankenversichert. Sodann stellte das Arbeitsamt die Leistungszahlung ein. Wegen schwerer Alkoholabhängigkeit mit Panikstörungen und Depressionen wurde der Kläger in der Zeit vom 03. November 1998 bis zum 01. Januar 1999 im ...-Krankenhaus in W. stationär behandelt. Das Krankenhaus zeigte der Beklagten die stationäre Aufnahme des Klägers am 06. November 1998 an und erbat eine Zusage bzgl. der Kostenübernahme, an die es am 23. November 1998 nochmals schriftlich erinnerte.

3

Mit Bescheid vom 29. Januar 1999 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Zur Begründung führte sie aus, die Mitgliedschaft des Klägers sei mit Ablauf des 09. September 1998 beendet gewesen. Daher bestehe kein Leistungsanspruch mehr. Auch ein nachgehender Leistungsanspruch gemäß §19 Abs. 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) bestehe nicht. Der Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.

4

Am 08. Juli 1999 erhob der Kläger Widerspruch. Für ihn sei nicht zu erkennen gewesen, daß er nicht mehr Mitglied der Beklagten sei. Noch am 09. September 1998 sei ihm eine neue Versichertenkarte übersandt worden. Die Stadt Wilhelmshaven als Träger des Krankenhauses betreibe bereits die Zwangsvollstreckung.

5

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2000 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut ab. Am 09. September 1998 sei dem Kläger nur deswegen eine neue Versichertenkarte übersandt worden, weil seine Anschrift sich geändert habe. Daß das Arbeitsamt die Zahlung von Arbeitslosengeld eingestellt habe, habe sie, die Beklagte, erst am 16. September 1998 erfahren. Damit sei die Pflichtmitgliedschaft des Klägers beendet gewesen. Einen Antrag auf Durchführung einer freiwilligen Versicherung habe der Kläger nicht gestellt, obwohl er auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen worden sei. Gegen den Bescheid vom 30. November 2000 erhob der Kläger erneut Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04. Juli 2002 als unbegründet zurückwies. Hiergegen richtet sich die Klage vom 09. August 2002.

6

Der Kläger trägt vor, er habe einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Die Beklagte habe spätestens Ende November 1998 von seinem Krankenhausaufenthalt erfahren. Der Beklagten sei auch bewußt gewesen, daß zu diesem Zeitpunkt seine Pflichtmitgliedschaft bereits beendet gewesen sei. Sie hätte daher darauf dringen müssen, daß eine freiwillige Versicherung zustande kommt. Dies gelte umsomehr, als die Beklagte von seinem desolaten Gesundheitszustand gewußt habe. Er selbst sei damals nicht in der Lage gewesen, seine Angelegenheiten zu regeln.

7

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 29. Januar 1999 in der Fassung des Bescheides vom 30. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung vom 03. November 1998 bis zum 01. Januar 1999 zu übernehmen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie hält an dem Inhalt des angefochtenen Bescheides fest.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozeßakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist zulässig und begründet.

12

Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 1999 in der Fassung des Bescheides vom 30. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04. Juli 2002 ist rechtswidrig. Durch ihn ist der Kläger beschwert im Sinne von §54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn die Beklagte lehnt die Übernahme der Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung des Klägers vom 03. November 1998 bis zum 01. Januar 1999 zu Unrecht ab.

13

Zwar ist der Beklagten beizupflichten, wenn diese davon ausgeht, daß die Pflichtmitgliedschaft des Klägers mit Ablauf des 09. September 1998 beendet gewesen ist, weil das Arbeitsamt zu diesem Zeitpunkt die Zahlung des Arbeitslosengeldes eingestellt hat. Aus der Tatsache, daß der Kläger noch am selben Tag eine neue Versichertenkarte erhalten hat, kann er keine Rechte herleiten. Die neue Versichertenkarte ist nur deswegen übersandt worden, weil sich die Anschrift des Klägers geändert hatte. Auf das Bestehen der Mitgliedschaft hat dies indes keinen Einfluß.

14

Die Klage ist jedoch im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet.

15

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist ein von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut. Er ist auf die Vornahme der notwendigen Amtshandlungen zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (BSGE 46, 124 m.w.N. für die ständige Rechtsprechung des BSG). Voraussetzung für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist stets das Bestehen eines Schadens. Dieser muß durch ein Verhalten - Tun oder Unterlassen - des Sozialleistungsträgers wesentlich verursacht worden sein, d.h. das Verhalten des Sozialleistungsträgers in Form einer Betreuungspflichtverletzung muß rechtlich wesentliche Nachteilsursache geworden sein, meist in der Weise, daß es den Betreffenden zu einer ihm nachteiligen Disposition veranlaßt hat. Ein Verschulden ist - anders als im zivilen Schadensersatzrecht - in der Regel nicht erforderlich. Vom Ziel her ist der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht primär auf einen Schadensersatz zivilrechtlicher Art gerichtet, insbesondere nicht unmittelbar auf eine Geldleistung. Vielmehr soll der Rechtsfolgezustand hergestellt werden, der bestanden hätte, wenn der Sozialleistungsträger sich pflichtgemäß verhalten hätte, z.B. seiner Beratungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre.

16

Eine Verletzung der Betreuungspflicht sieht die Kammer im vorliegenden Fall darin, daß die Beklagte es unterlassen hat, den Kläger nach Ablauf der Pflichtmitgliedschaft am 09. September 1998 zu veranlassen, eine freiwillige Mitgliedschaft zu beantragen. Die Beklagte wußte, daß der Kläger sich wegen der bei ihm bestehenden Alkoholabhängigkeit in stationärer Krankenhausbehandlung befand. Spätestens am 30. November 1998 ist es ihr gelungen, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Insoweit wird auf Blatt 79 der Verwaltungsakte verwiesen. Die Beklagte wußte auch, daß die Pflichtmitgliedschaft bereits mit Ablauf des 09. September 1998 beendet gewesen ist. Sie mußte daher wissen, daß durch die Krankenhausbehandlung Kosten verursacht werden, die nicht abgedeckt waren. Sie hätte es daher - nicht zuletzt aufgrund des desolaten Gesundheitszustands des Klägers - nicht dabei bewenden lassen dürfen, den Kläger schriftlich über sein Wahlrecht bzgl. einer freiwilligen Mitgliedschaft zu belehren (vgl. insoweit das Schreiben der Beklagten vom 15. Oktober 1998, Bl. 17 Verw.-Akte), sondern sie hätte sich persönlich und mit Nachdruck darum kümmern müssen, daß eine freiwillige Mitgliedschaft eingerichtet wird mit der Folge, daß die hier streitigen Krankenhauskosten von der Beklagten zu tragen sind.

17

Nach alledem ist der angefochtene Bescheid aufzuheben. Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für seine stationäre Krankenhausbehandlung vom 03. November 1998 bis zum 01. Januar 1999.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus §193 SGG.